3. Kapitel

Feya kauerte sich im Schatten zweier Hauswände nieder und spähte zu der Gaststätte. Es war ein einfaches Haus aus Holz und Lehm, aber es sah gepflegt aus. Ein Mann, augenscheinlich an der Tracht als Händler zu erkennen, betrat es gerade. Sie blickte an sich herunter und runzelte die Stirn, ob man sie überhaupt hinein lassen würde? Sie zuckte resigniert mit den Schultern, ihr blieb nichts anderes übrig, als es zu versuchen. Seufzend stand sie auf, spähte über die Straße und ging dann festen Schrittes auf die Türe der Gaststätte zu. Davor angekommen hielt sie kurz inne, mit der Hand auf der Klinke, unschlüssig ob sie wirklich hinein gehen sollte, doch dann drückte sie die Türe auf und betrat den Schankraum.

An der rechten Wand führte eine steile Treppe nach oben, gleich daneben stand die Theke, an der ein rundlicher und freundlich dreinblickender Wirt gerade ein Bier zapfte. Er lächelte ihr zu und neigte leicht seinen Kopf zur Begrüßung. Sie sah sich weiter um, während sie auf den Wirt zulief. Hinter der Theke führte eine Türe wohl in die Küche, links von ihr standen Tische und Stühle, in den Ecken gemütlich gepolsterte Bänke. Es waren zu dieser späten Stunde nur wenige Gäste anwesend und die Lautstärke der gemurmelten Worte hielt sich in Grenzen.
Der Wirt deutete auf das Bier „Einen Moment mein Fräulein, ich komme gleich zu euch!“ und brachte das Getränk einem der Gäste an den Tisch. Feya wartete an der Theke und betrachtete die einzelnen Personen, es waren fast ausschließlich nur Händler und Handwerker anwesend, nur eine Person passte nicht ins Bild. Ein blasser, schlanker und schlaksig wirkender Jüngling saß auf einer der Bänke, neben ihm auf dem Boden lag ein Wolfshund und ein Rucksack, an dem ein wohlgeformter Bogen gelehnt war. Gerade als Feya den Jüngling genauer betrachten wollte, kam der Wirt zurück, nahm eine ihrer Hände in seine Pranken, tätschelte und lächelte sie an
„So, nun hab ich Zeit für euch. Möchtet ihr Speis und Trank, oder ein Zimmer?“ Feyas Augen verfolgten die Geste skeptisch, rang sich ein unsicheres Lächeln ab und entzog dem Wirt langsam ihre Hand. „Nun, ich hätte gerne ein Zimmer, ein... ähm.. Freund wollte es vorbestellen lassen!“ Der Mann nickte eifrig, strich sich mit der Hand über den Kinnbart
„Ah, einen Augenblick!“ , und holte hinter der Theke ein Buch hervor. Er schlug es auf, fuhr mit dem Finger über verschiedene Einträge und tippte plötzlich auf einen Namen „Ihr müsst dann wohl Freyja Marino sein!“

Feya dachte nicht lange nach, der Name war zu ähnlich „Ja, genau! Welches Zimmer ist es?“
Der Wirt sah auf und griff nach einem Schlüssel den er ihr reichte „Im 2. Stock, 1. Zimmer rechts.“ Schnell nahm sie den Schlüssel entgegen, dankte dem Wirt mit einem Nicken und versuchte ruhig die Treppe nach oben zu steigen, obwohl alles in ihr schrie so schnell wie möglich zu verschwinden, falls es sich der Wirt doch noch einmal anders überlegen sollte.
Endlich im Zimmer angekommen, schloss sie die Türe hinter sich ab und ließ sich auf das Bett fallen. Erstaunt strichen ihre Hände über das weiche Laken, in Gedanken zog der ganze Tag noch einmal an ihr vorbei und irgendwann schlief sie ein.

Sie wurde von einem heftigen Klopfen geweckt, müde blinzelnd tasteten ihre Hände verwirrt durch die Dunkelheit. Wo war sie? Dann fiel es ihr wieder schlagartig ein. Langsam hatten sich auch ihre Augen an das durch das Fenster fallende Mondlicht gewöhnt und vorsichtig tapste sie zur Tür. Wieder klopfte es „Feya? Feya, bist du wach?“ erleichtert öffnete sie die Tür einen Spalt und lugte nach draußen. Dort stand der Priester, doch er war in Hose und Hemd gekleidet, seine langen Haare fielen offen auf die Schultern herab.
„Darf ich reinkommen?“ Sie nickte und trat beiseite um ihn hinein zu lassen, hinter ihm schloss sie die Tür wieder sorgfältig ab. Er zündete eine Kerze an und setzte sich aufs Bett, blickte sich um und sah dann zu ihr auf. Sie zog derweil die Vorhänge zu und blieb dort mit verschränkten Armen stehen. „Und jetzt? Was soll das Ganze?“

Er hob beschwichtigend die Hände „Langsam, eins nach dem anderen!“ Umständlich machte er es sich gemütlich und deutete neben sich „Willst du dich nicht...“ sie ließ ihn nicht aussprechen,
„Wer oder was seid ihr? Was soll dieser Aufzug? Und,.. was um der Zwillinge willen habt ihr nun vor?“ Die Kerze spendete nur wenig Licht, gab nur Konturen wieder, aber er konnte deutlich ihre Gereiztheit aus den Worten lesen und auch, dass sie von Angst herrührten. Er seufzte auf und nickte, „Gut, ich werde dir einen Teil erzählen, mehr wirst du später erfahren!“ er sah auf und bemerkte das sie scharf erwidern wollte.
Streng hob er die Hand um sie daran zu hindern „Nur einen Teil, alles würde jetzt zu lange dauern. Akzeptiere es oder lass es sein, dass ist sich gleich! Doch du machst es uns beiden einfacher, wenn du einfach nur zuhörst!“ Sie biss sich auf die Unterlippe und lehnte sich zurück, wartete. Der Priester zupfte an seinen sichtlich für ihn ungewohnten Kleidung, räusperte sich und begann zu erzählen. „Nun, zuerst die einfachen Fragen. Ich heiße Maruk und bin ein Priester aus dem Tempel des Feuers und des Wassers. Mein Element ist das Feuer, wie du schon mitbekommen hast. Der Tempel ist der Hochtempel dieses Kultes und bildet Zwillinge in den Elementen aus, um sie dann in die kleineren Tempel zu schicken, oder andere wichtige Aufgaben zu übergeben. Da ich glaube, das dein Wissen über die Tempel nur beschränkt ist, erkläre ich es jetzt nicht ausführlich, nur einen kleinen Einblick will ich dir schon mal geben.
Unsere Kultur baut auf die Zwillinge auf, Zwillinge sind Gegensätze, der eine sanft, der andere wild zum Beispiel. So wie das Feuer heiß und wild ist, das Wasser sanft und kühlend. Die Zwillinge in den Tempeln entscheiden sich jeder für ein Element, dann werde sie in der „Magie“ wie du es nennen würdest ausgebildet. Es ist als Ausgleich gedacht, damit keiner übermächtig wird. Wasser kann Feuer vernichten und umgekehrt, die Zwillinge üben auf sich gegenseitig den Ausgleich aus. Aber am besten ist es, wenn sie sich ergänzen. Da Zwillinge sich sehr nahe sind, trifft dies auch meist zu.“
Er machte eine kurze Pause, holte tief Luft „Nun zu mir. Wie gesagt bin ich kein Zwilling, aber ich habe eine stark ausgeprägte prophetische Gabe, die es mir möglich machte doch in den Tempel aufgenommen zu werden. Ich wurde zwar nicht genauso tief ausgebildet, doch mein Wissen und meine „Magie“ ist ausgeprägter ausgebildet worden, als es normalerweise üblich ist.“

Sie neigte kaum wahrnehmbar den Kopf und als er merkte, dass sich nicht dazu äußern würde, fuhr er fort. „Nun zu den schwierigen Fragen. Durch meine Gabe sah ich, das ich einer Person begegnen würde, die sehr wichtig für die Zukunft unsere Welt sein würde. Das warst du, ich spürte es sofort. Ich weiß zwar nicht welche Rolle du genau spielst, aber sie ist wichtig! Du fragst dich bestimmt was so besonderes an dir sein soll und mit was du es zu tun bekommst, doch das kann ich dir nur anhand von Vermutungen sagen. Mittlerweile ist es ja schon fast öffentlich bekannt, das das Herrscherpaar im sterben liegt“ Er hörte ihr erstauntes Atemholen, sprach aber weiter. „Eine der wichtigsten Aufgaben des Tempels ist es ein Herscherpaar auszubilden, aber.... wir haben kein geeignetes! Selbst die jetzigen waren nur eine art Notlösung. Wenn wir kein neues Paar finden, ist unsere Kultur am Sterben. Schon jetzt drängen sich immer mehr einzelne Personen in Machtpositionen, niemand außer die Priesterschaft scheint dies bemerkt zu haben. Es muss eine Gruppierung geben, die dieses neue Denken unterstützt, aber noch heimlich agiert. Sollte das Herrscherpaar sterben, bevor wir....!“

Er stand auf und lief im Raum auf und ab „ Nun zu dir, deine Rolle in dem Ganzen kann ich wie gesagt nur vermuten. Vielleicht führst du uns zu den neuen Zwillingen, vielleicht findest du ein Heilmittel, oder aber du bist die Mutter der neuen Zwillinge!“ er blieb stehen und sah sie an.
Sie hatte ihn, während er sprach betrachtet, zum Ersten mal richtig, auch verbarg die Kleidung nun nicht mehr seine Statur. Er sah noch recht jung aus, sie schätzte ihn auf Mitte Zwanzig, höchstens Anfang Dreißig. Er hatte sich nicht rasiert und die ersten Bartstoppeln sprossen hervor. Sein Gesicht hätte das eines jeden Bauer sein können, etwas zu volle Lippen, eine gerade Nase, schmales kantiges Kinn und wellige braune Haare. Ach sein Körper war weder der eines Athleten, noch der einen Gelehrten, doch hatte er feste Muskeln die er wohl täglich trainierte, aber das fiel nur bei genauer Betrachtung auf und unter seiner Robe würde es gar nicht auffallen. Seine Hände waren lang und schmal, doch sie konnte sich nur zu gut daran erinnern, wie fest diese Hände zupacken konnten. Nur die Augen, die waren etwas besonderes, genauso braun wie das Haar, aber unglaublich ausdruckfähig. Sie konnten den Priester verändern, blickten sie sanft, dann erhellten sie den ganzen Menschen, machten ihn ansehbar und attraktiv, doch blickten sie ernst, oder blitzen sie gar vor Zorn, so schienen sie die ganze Körperhaltung zu vervielfachen, ihn bedrohlich aussehen zu lassen. An den Augen konnte man in ihm lesen, sie spiegelten sein ganzes Wesen wieder.

Als er diesen verhängnisvollen letzten Satz aussprach, begriff sie zuerst gar nicht was er damit meinen könnte, aber mit einem Mal wurde ihr alles klar. Nicht das sie vielleicht die Hoffnung ihres Volkes war, nein ihr wurde bewusst, was es für sie alleine bedeutete. Ihr altes Leben war vorbei, endgültig, egal ob sie ein Heilmittel fand oder die Zwillinge. Nie wieder würde sie leben können wie bisher, vielleicht immer an der Seite dieses Mannes. Sie ahnte die Gefahr, egal was sie tat, sie würde gejagt werden. Entfloh sie Maruk, so würde er sie verfolgen, ging sie mit ihm, würden diejenigen, denen daran lag ihre Kultur zu zerstören, sie jagen.
Alles Begreifen spiegelte sich in ihrem Gesicht wieder, Maruk sah das sie verstanden hatte, er glaubte es zumindest. Er trat näher und legte ihr eine Hand auf die Schulter, ein Zeichen des Trostes
„Schlaf die Nacht darüber, ich werde morgen auf den Markt gehen und einkaufen. Neue Kleidung für dich besorgen, falls du dich entschließt mit mir zu kommen. Auch werde ich Erkundigungen einziehen wie weit dein Steckbrief ausgehängt wurde. Dann sehen wir weiter!“
Er ließ sie alleine, sie sollte in Ruhe darüber nachdenken, wenigstens den Anschein einer Wahl lassen, auch wenn er wusste, das sie keine hatte...
 



 
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