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Vagant

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Die halb geöffnete Markise gab sich alle Mühe den Stehtisch vor 'Sheriffs Coffee Bar' vor dem Regen zu schützen. Vergebens. Kowalsky stand nur da, presste, zum Schutz vor der Nässe, seine Schultern gegen die Wand, starrte auf den Espresso und versuchte die Teile des Gesprächs, welche in seinem Kopf hin und her kreisten, einzufangen und zu einem Ganzen zusammen zu fügen.
– Ihre Leukozyten gefallen mir gar nicht. Ich denke, wir werden das Screening verfeinern müssen.
– Das heißt?
– Das heißt, dass ich in der nächsten Woche noch einmal eine Probe nehmen werde.
– Nein, die Leukos. Wie viele? Zahlen, irgendwas.
– Neunzigtausend und ‘n paar Zerquetschte.
– Bedeutet?
– Das bedeutet, dass die letzte Therapie leider nicht den erhofften Erfolg gebracht hat. Hören sie zu, die Leukos sind nicht unbedingt das größte Problem, die bekommen wir mit Zytostatika schnell wieder in den Griff. Aber - und er schaute ihn dabei eindringlich an - die Lymphknoten sind weiterhin geschwollen, und der anhaltende Nachtschweiß ist auch kein gutes Zeichen.
– Also, keinen Bonus mehr?
– Bedeutet es erstmal gar nicht. Kowalsky, Sie dürfen die Flinte nicht so schnell ins Korn werfen. Aber - und er blätterte durch die Akte ohne dabei genau hinzusehen - ich gebe zu, dass unsere Möglichkeiten nun langsam aber sicher erschöpft zu sein scheinen.
Er verstand in diesem Moment nicht genau, was dies für ihn bedeutete, und hatte sich auch nicht getraut danach zu fragen. Und selbst wenn er sich getraut hätte; bei Prognosen hielt sich sein Arzt immer zurück, soviel wusste er.

Während er dem Espresso beim kalt werden zuschaute, kam eine junge Frau aus dem Laden, ging auf den Stehtisch zu, und stellte ihren Cappuccino zwischen zwei kleine Pfützen.
– Darf ich, fragte sie.
Kowalsky hatte ihr Kommen nicht bemerkt, zog eine Braue in die Höhe und deutete mit dem Kopf auf irgendeinen Punkt neben sich. Er mochte diese Geste, war sich aber ihrer Schroffheit bewusst, und deutet deshalb eins seiner kleinen Lächeln an. Klein und tapfer, eher die Imitation eines Lächelns.
– Scheiß Wetter heut’, zischte sie mehr ins Irgendwo als zu ihm.
Ihm schien, als habe sie weder seine kleine Schroffheit, noch seinen Versuch eines Lächelns wahrgenommen.
– Ja, ‘s geht nun langsam auf den Winter zu, sagte er.
Sie nickte kurz, holte ihr Smartphone aus der Tasche, und als beginne sie nun einen großen Zauber, flogen ihre Finger schamanenhaft über den Touchscreen.
Sicher hat sie wichtige Sachen zu erledigen, dachte Kowalsky. Wenn du jung bist, dann sind alle Sachen wichtig.
Sie mochte vielleicht 25 sein, dachte er, nicht mal halb so alt wie er. Mit ihrer blassen Haut, den dunklen Augen und ihrer bad-Hair-Day-Frisur war sie so schön, dass er beim Betrachten einen Stich im Herz spürte - und wie immer wenn er einer jungen Frau gegenüberstand, hatte er den schweren Duft des Haarsprays der Mädchen in der Nase, die er schon in seiner Jugend nicht für sich gewinnen konnte. Ein weiteres Lächeln, nicht größer als das Vergangene, half ihm, seine Fassung wieder zu erlangen. Er blickte auf ihre Brille und ihre Collegetasche und tippte darauf, dass sie eine Studentin sein könnte. Sicher ist sie eine Studentin, Medien oder so was. Kowalsky lächelte noch einmal sein schmalbrüstiges Lächeln und trank den Espresso.

Kowalsky schien, als tippe sie ein paar Nachrichten an weiß der Teufel wen - und es sah so aus, als hätte sie keinen Spaß dabei. Vielleicht ist sie von einer Freundin versetzt worden, dachte er, oder von ihrem Freund. Er hielt sich immer für gut in solchen Dingen. Wer macht was? Wer wartet auf wen? Was denkt der eine, was der andere? Alles Fragen, die er meist nach wenigen Augenblicken verblüffend präzise beantworten konnte. Nun fiel ihm zu ihr nichts ein, und es schien, als hätte sein Talent ihn verlassen.
Sie sendete noch eine Nachricht zu irgend einem Satelliten, der, hoch über dem Dunst der über der Stadt lag, über ihnen kreiste, schüttelte dann den Kopf, murmelte etwas Unverständliches - das in seinen Ohren wie ‘ja-du-mich-auch’ klang -, machte ihr Smartphone aus und schmiss es in die Tasche, welche sie dann, wohl auf der Suche nach irgendetwas Wichtigem, durchwühlte.
Sie sucht nach den Zigaretten, dachte er, und sie sah in ihrer kleinen Wut, wie er fand, immer noch hinreißend aus.
– He, vielleicht kann ich Ihnen irgendwie helfen, sagte er.
– Ich muss meine Zigaretten vergessen haben, sagte sie - und ihr Blick irrte weiterhin durch die Tasche. Haben sie vielleicht welche dabei?
– Nur Zigarillos.
– Nee, geht gar nicht. Aber danke.
Sie drehte sich um, und ging ohne ein weiteres Wort. Ihren Cappuccino hatte sie nicht angerührt. Kowalsky griff nach seinen Zigarillos. Er sah ihr nicht hinterher.

Nur wenige Sekunden später hörte er einen dumpfen Aufprall. Keine 20 Meter entfernt von ‘Sheriffs Coffee Bar’, gegenüber vom ‘Deichmann’, stand ein Bus der Linie 13. Leute blieben stehen und bildeten eine Traube. Wo kommen die Leute nur alle her? In so kurzer Zeit? Als Kowalsky den Bus erreicht hatte standen schon so viele Passanten um die Vorderräder herum, dass er nicht erkennen konnte, was passiert war. Dann sah er ein Smartphone auf dem Asphalt liegen, dann Beine, dann einen Körper, der halb unter dem Vorderrad des Busses zu liegen schien, und dann das Gesicht. Aus ihrem Hinterkopf floss Blut in eine Pfütze, die sich nun schon fast schwarz gefärbt hatte. Jemand rief einen Notarzt.

Nur wenige Augenblicke später bog der Rettungswagen um die Ecke. Der Notarzt beugte sich über das Mädchen, versuchte ihren Puls zu ertasten, drehte vorsichtig den Kopf zur Seite und schaute nach der Wunde - man sah ihm an, dass es sich dabei um Routine handelte - und flüsterte dann etwas zum assistierenden Sanitäter.
– Sie muss auf der Stelle tot gewesen sein. War wohl in Gedanken, sagte er zu den Herumstehenden.
Kowalsky stand regungslos daneben, und ihm schien, als sehe sie nun, mit den geschlossenen Augen und dem halb geöffneten Mund immer noch so wunderschön aus, wie vor wenigen Augenblicken.
Ein Sanitäter legte eine Decke über den toten Körper. Als letztes bedeckte er das Gesicht.
– Hat jemand von ihnen den Unfall gesehen, fragte er.
Aber da war Kowalsky schon wieder unterwegs zum Stehtisch.

Vincenzo kam mit zwei Grappas zum Tisch.
– Was ‘ne Scheiße, Mann. Gib mir mal ‘ne Fluppe, Kowalsky. Ich denk’, ich hab’ eine nötig.
Sie standen im Regen, der ihnen nun aber nichts mehr ausmachte. Sie sprachen kein Wort. Vincenzo führte die Moods mit zittrigen Händen an die Lippen.
– Was für ’ne verdammte Scheiße, Mann, stammelte er.
– Hm, sagte Kowalsky und zog den Rauch tief ein - wie immer, wenn er ein Leben verloren hatte.
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Vagant,

ich füge meine Gedanken zu Deiner Geschichte in blau ein:


3 Minuten

Die halb geöffnete Markise gab sich alle Mühe den Stehtisch vor 'Sheriffs Coffee Bar' vor dem Regen zu schützen. Vergebens. Kowalsky stand nur da, presste, zum Schutz vor der Nässe, seine Schultern gegen die Wand, starrte auf den Espresso und versuchte die Teile des Gesprächs, welche in seinem Kopf hin und her kreisten, einzufangen und zu einem Ganzen zusammen zu fügen.
– Ihre Leukozyten gefallen mir gar nicht. Ich denke, wir werden das Screening verfeinern müssen.
– Das heißt?
– Das heißt, dass ich in der nächsten Woche noch einmal eine Probe nehmen werde.
– Nein, die Leukos. Wie viele? Zahlen, irgendwas.
– Neunzigtausend und ‘n paar Zerquetschte.
– Bedeutet?
– Das bedeutet, dass die letzte Therapie leider nicht den erhofften Erfolg gebracht hat. Hören sie [blue]Sie[/blue] zu, die Leukos sind nicht unbedingt das größte Problem, die bekommen wir mit Zytostatika schnell wieder in den Griff. Aber - und er schaute ihn dabei eindringlich an - die Lymphknoten sind weiterhin geschwollen, und der anhaltende Nachtschweiß ist auch kein gutes Zeichen.
– Also, keinen Bonus mehr?
– Bedeutet es erstmal gar nicht. Kowalsky, Sie dürfen die Flinte nicht so schnell ins Korn werfen. Aber - und er blätterte durch die Akte ohne dabei genau hinzusehen - ich gebe zu, dass unsere Möglichkeiten nun langsam aber sicher erschöpft zu sein scheinen. [blue]Die fehlenden Zeichen der wörtlichen Rede erschweren das Lesen unnötig![/blue]
Er verstand in diesem Moment nicht genau, was dies für ihn bedeutete, und hatte sich auch nicht getraut danach zu fragen. Und selbst wenn er sich getraut hätte; bei Prognosen hielt sich sein Arzt immer zurück, soviel wusste er.

Während er dem Espresso beim kalt werden zuschaute, kam eine junge Frau aus dem Laden, ging auf den Stehtisch zu, und stellte ihren Cappuccino zwischen zwei kleine Pfützen.
– Darf ich, fragte sie.
Kowalsky hatte ihr Kommen nicht bemerkt, zog eine Braue in die Höhe und deutete mit dem Kopf auf irgendeinen Punkt neben sich. Er mochte diese Geste, war sich aber ihrer Schroffheit bewusst, und deutet deshalb eins seiner kleinen Lächeln an. Klein und tapfer, eher die Imitation eines Lächelns.
– Scheiß Wetter heut’, zischte sie mehr ins Irgendwo als zu ihm.
Ihm schien, als habe sie weder seine kleine Schroffheit, noch seinen Versuch eines Lächelns wahrgenommen.
– Ja, ‘s geht nun langsam auf den Winter zu, sagte er. [blue]Auch hier fehlen die Zeichen der wörtlichen Rede.[/blue]
Sie nickte kurz, holte ihr Smartphone aus der Tasche, und als beginne sie nun einen großen Zauber, flogen ihre Finger schamanenhaft[blue] Wie fliegen Finger schamanenhaft über eine Tastatur? Darunter kann ich mir nichts vorstellen. [/blue]über den Touchscreen.
Sicher hat sie wichtige Sachen zu erledigen, dachte Kowalsky. Wenn du jung bist, dann sind alle Sachen wichtig.
Sie mochte vielleicht 25 sein, dachte er, nicht mal halb so alt wie er. Mit ihrer blassen Haut, den dunklen Augen und ihrer bad-Hair-Day-Frisur [blue]Was ist das für eine? [/blue]war sie so schön, dass er beim Betrachten einen Stich im Herz spürte - und wie immer wenn er einer jungen Frau gegenüberstand, hatte er den schweren Duft des Haarsprays der Mädchen in der Nase, die er schon in seiner Jugend nicht für sich gewinnen konnte. Ein weiteres Lächeln, nicht größer als das Vergangene, half ihm, seine Fassung wieder zu erlangen. Er blickte auf ihre Brille und ihre Collegetasche, und tippte darauf, dass sie eine Studentin sein könnte. Sicher ist sie eine Studentin, Medien oder so was. Kowalsky lächelte noch einmal sein schmalbrüstiges Lächeln [blue]Was soll ich mir darunter vorstellen?[/blue] und trank den Espresso.

Kowalsky schien, als tippe sie ein paar Nachrichten an weiß der Teufel wen - und es sah so aus, als hätte sie keinen Spaß dabei. Vielleicht ist sie von einer Freundin versetzt worden, dachte er, oder von ihrem Freund. Er hielt sich immer für gut in solchen Dingen. Wer macht was? Wer wartet auf wen? Was denkt der eine, was der andere? Alles Fragen, die er meist nach wenigen Augenblicken verblüffend präzise beantworten konnte. Nun fiel ihm zu ihr nichts ein, und es schien, als hätte sein Talent ihn verlassen.
Sie sendete noch eine Nachricht zu irgend einem Satelliten, der, hoch über dem Dunst der über der Stadt lag, über ihnen kreiste, schüttelte dann den Kopf, murmelte etwas Unverständliches - das in seinen Ohren wie ‘ja-du-mich-auch’ klang -, machte ihr Smartphone aus und schmiss es in die Tasche, welche sie dann, wohl auf der Suche nach irgendetwas Wichtigem, durchwühlte.
Sie sucht nach den Zigaretten, dachte er, und sie sah in ihrer kleinen Wut, wie er fand, immer noch hinreißend aus.
– He, vielleicht kann ich Ihnen irgendwie helfen, sagte er.
– Ich muss meine Zigaretten vergessen haben, sagte sie - und ihr Blick irrte dabei weiterhin durch die Tasche -, haben sie [blue]Sie[/blue] vielleicht welche dabei?
– Nur Zigarillos.
– Nee, geht gar nicht. Aber danke. [blue]Satzzeichen![/blue]
Sie drehte sich um, und ging ohne ein weiteres Wort. Ihren Cappuccino hatte sie nicht angerührt. Kowalsky griff nach seinen Zigarillos. Er sah ihr nicht hinterher.

Nur wenige Sekunden später hörte er einen dumpfen Aufprall. Nur 20 Meter entfernt von ‘Sheriffs Coffee Bar’, gegenüber vom ‘Deichmann’, stand ein Bus der Linie 13. Leute blieben stehen und bildeten eine Traube. Wo kommen die Leute nur alle her? In so kurzer Zeit? Als Kowalsky den Bus erreicht hatte standen schon so viele Passanten um die Vorderräder herum, dass er nicht erkennen konnte, was passiert war. Dann sah er ein Smartphone auf dem Asphalt liegen, dann Beine, dann einen Körper, der halb unter dem Vorderrad des Busses zu liegen schien, und dann das Gesicht. Aus ihrem Hinterkopf floss Blut in eine Pfütze, die sich nun schon fast schwarz gefärbt hatte. Jemand rief einen Notarzt.

Nur wenige Augenblicke später bog der Rettungswagen um die Ecke. Der Notarzt beugte sich über das Mädchen, versuchte ihren Puls zu ertasten, drehte vorsichtig den Kopf zur Seite und schaute nach der Wunde - man sah ihm an, dass es sich dabei um Routine handelte, und flüsterte dann etwas zum assistierenden Sanitäter.
– Sie muss auf der Stelle tot gewesen sein. War wohl in Gedanken, sagte er in die Menge.
Kowalsky stand regungslos daneben, und ihm schien, als sehe sie nun, mit den geschlossenen Augen und dem halb geöffneten Mund immer noch so wunderschön aus, wie vor wenigen Augenblicken.
Ein Sanitäter legte eine Decke über den toten Körper. Als letztes bedeckte er das Gesicht.
– Hat jemand von ihnen den Unfall gesehen, fragte er. [blue]Satzzeichen! [/blue]
Aber da war Kowalsky schon wieder unterwegs zum Stehtisch.

Vincenzo kam mit zwei Grappas zum Tisch.
– Was ‘ne Scheiße, Mann. Gib mir mal ‘ne Fluppe, Kowalsky. Ich denk’, ich hab’ eine nötig.
Sie standen im Regen, der ihnen nun aber nichts mehr ausmachte. Sie sprachen kein Wort. Vincenzo führte die Moods mit zittrigen Händen an die Lippen.
– Was für ’ne verdammte Scheiße, Mann, stammelte er.
– Hm, sagte Kowalsky und zog den Rauch tief ein - wie immer, wenn er ein Leben verloren hatte. [blue]Der letzte Satz ist leider unverständlich. Wieso hat ER ein Leben verloren?[/blue]



LG Doc
 

Vagant

Mitglied
3 Minuten

Die halb geöffnete Markise gab sich alle Mühe den Stehtisch vor 'Sheriffs Coffee Bar' vor dem Regen zu schützen. Vergebens. Kowalsky stand nur da, presste, zum Schutz vor der Nässe, seine Schultern gegen die Wand, starrte auf den Espresso und versuchte die Teile des Gesprächs, welche in seinem Kopf hin und her kreisten, einzufangen und zu einem Ganzen zusammen zu fügen.
– Ihre Leukozyten gefallen mir gar nicht. Ich denke, wir werden das Screening verfeinern müssen.
– Das heißt?
– Das heißt, dass ich in der nächsten Woche noch einmal eine Probe nehmen werde.
– Nein, die Leukos. Wie viele? Zahlen, irgendwas.
– Neunzigtausend und ‘n paar Zerquetschte.
– Bedeutet?
– Das bedeutet, dass die letzte Therapie leider nicht den erhofften Erfolg gebracht hat. Hören Sie zu, die Leukos sind nicht unbedingt das größte Problem, die bekommen wir mit Zytostatika schnell wieder in den Griff. Aber - und er schaute ihn dabei eindringlich an - die Lymphknoten sind weiterhin geschwollen, und der anhaltende Nachtschweiß ist auch kein gutes Zeichen.
– Also, keinen Bonus mehr?
– Bedeutet es erstmal gar nicht. Kowalsky, Sie dürfen die Flinte nicht so schnell ins Korn werfen. Aber - und er blätterte durch die Akte ohne dabei genau hinzusehen - ich gebe zu, dass unsere Möglichkeiten nun langsam aber sicher erschöpft zu sein scheinen.
Er verstand in diesem Moment nicht genau, was dies für ihn bedeutete, und hatte sich auch nicht getraut danach zu fragen. Und selbst wenn er sich getraut hätte; bei Prognosen hielt sich sein Arzt immer zurück, soviel wusste er.

Während er dem Espresso beim kalt werden zuschaute, kam eine junge Frau aus dem Laden, ging auf den Stehtisch zu, und stellte ihren Cappuccino zwischen zwei kleine Pfützen.
– Darf ich, fragte sie.
Kowalsky hatte ihr Kommen nicht bemerkt, zog eine Braue in die Höhe und deutete mit dem Kopf auf irgendeinen Punkt neben sich. Er mochte diese Geste, war sich aber ihrer Schroffheit bewusst, und deutet deshalb eins seiner kleinen Lächeln an. Klein und tapfer, eher die Imitation eines Lächelns.
– Scheiß Wetter heut’, zischte sie mehr ins Irgendwo als zu ihm.
Ihm schien, als habe sie weder seine kleine Schroffheit, noch seinen Versuch eines Lächelns wahrgenommen.
– Ja, ‘s geht nun langsam auf den Winter zu, sagte er.
Sie nickte kurz, holte ihr Smartphone aus der Tasche, und als beginne sie nun einen großen Zauber, flogen ihre Finger schamanenhaft über den Touchscreen.
Sicher hat sie wichtige Sachen zu erledigen, dachte Kowalsky. Wenn du jung bist, dann sind alle Sachen wichtig.
Sie mochte vielleicht 25 sein, dachte er, nicht mal halb so alt wie er. Mit ihrer blassen Haut, den dunklen Augen und ihrer bad-Hair-Day-Frisur war sie so schön, dass er beim Betrachten einen Stich im Herz spürte - und wie immer wenn er einer jungen Frau gegenüberstand, hatte er den schweren Duft des Haarsprays der Mädchen in der Nase, die er schon in seiner Jugend nicht für sich gewinnen konnte. Ein weiteres Lächeln, nicht größer als das Vergangene, half ihm, seine Fassung wieder zu erlangen. Er blickte auf ihre Brille und ihre Collegetasche und tippte darauf, dass sie eine Studentin sein könnte. Sicher ist sie eine Studentin, Medien oder so was. Kowalsky lächelte noch einmal sein schmalbrüstiges Lächeln und trank den Espresso.

Kowalsky schien, als tippe sie ein paar Nachrichten an weiß der Teufel wen - und es sah so aus, als hätte sie keinen Spaß dabei. Vielleicht ist sie von einer Freundin versetzt worden, dachte er, oder von ihrem Freund. Er hielt sich immer für gut in solchen Dingen. Wer macht was? Wer wartet auf wen? Was denkt der eine, was der andere? Alles Fragen, die er meist nach wenigen Augenblicken verblüffend präzise beantworten konnte. Nun fiel ihm zu ihr nichts ein, und es schien, als hätte sein Talent ihn verlassen.
Sie sendete noch eine Nachricht zu irgend einem Satelliten, der, hoch über dem Dunst der über der Stadt lag, über ihnen kreiste, schüttelte dann den Kopf, murmelte etwas Unverständliches - das in seinen Ohren wie ‘ja-du-mich-auch’ klang -, machte ihr Smartphone aus und schmiss es in die Tasche, welche sie dann, wohl auf der Suche nach irgendetwas Wichtigem, durchwühlte.
Sie sucht nach den Zigaretten, dachte er, und sie sah in ihrer kleinen Wut, wie er fand, immer noch hinreißend aus.
– He, vielleicht kann ich Ihnen irgendwie helfen, sagte er.
– Ich muss meine Zigaretten vergessen haben, sagte sie - und ihr Blick irrte weiterhin durch die Tasche. Haben Sie vielleicht welche dabei?
– Nur Zigarillos.
– Nee, geht gar nicht. Aber danke.
Sie drehte sich um, und ging ohne ein weiteres Wort. Ihren Cappuccino hatte sie nicht angerührt. Kowalsky griff nach seinen Zigarillos. Er sah ihr nicht hinterher.

Nur wenige Sekunden später hörte er einen dumpfen Aufprall. Keine 20 Meter entfernt von ‘Sheriffs Coffee Bar’, gegenüber vom ‘Deichmann’, stand ein Bus der Linie 13. Leute blieben stehen und bildeten eine Traube. Wo kommen die Leute nur alle her? In so kurzer Zeit? Als Kowalsky den Bus erreicht hatte standen schon so viele Passanten um die Vorderräder herum, dass er nicht erkennen konnte, was passiert war. Dann sah er ein Smartphone auf dem Asphalt liegen, dann Beine, dann einen Körper, der halb unter dem Vorderrad des Busses zu liegen schien, und dann das Gesicht. Aus ihrem Hinterkopf floss Blut in eine Pfütze, die sich nun schon fast schwarz gefärbt hatte. Jemand rief einen Notarzt.

Nur wenige Augenblicke später bog der Rettungswagen um die Ecke. Der Notarzt beugte sich über das Mädchen, versuchte ihren Puls zu ertasten, drehte vorsichtig den Kopf zur Seite und schaute nach der Wunde - man sah ihm an, dass es sich dabei um Routine handelte - und flüsterte dann etwas zum assistierenden Sanitäter.
– Sie muss auf der Stelle tot gewesen sein. War wohl in Gedanken, sagte er zu den Herumstehenden.
Kowalsky stand regungslos daneben, und ihm schien, als sehe sie nun, mit den geschlossenen Augen und dem halb geöffneten Mund immer noch so wunderschön aus, wie vor wenigen Augenblicken.
Ein Sanitäter legte eine Decke über den toten Körper. Als letztes bedeckte er das Gesicht.
– Hat jemand von ihnen den Unfall gesehen, fragte er.
Aber da war Kowalsky schon wieder unterwegs zum Stehtisch.

Vincenzo kam mit zwei Grappas zum Tisch.
– Was ‘ne Scheiße, Mann. Gib mir mal ‘ne Fluppe, Kowalsky. Ich denk’, ich hab’ eine nötig.
Sie standen im Regen, der ihnen nun aber nichts mehr ausmachte. Sie sprachen kein Wort. Vincenzo führte die Moods mit zittrigen Händen an die Lippen.
– Was für ’ne verdammte Scheiße, Mann, stammelte er.
– Hm, sagte Kowalsky und zog den Rauch tief ein - wie immer, wenn er ein Leben verloren hatte.
 

Vagant

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Die halb geöffnete Markise gab sich alle Mühe den Stehtisch vor 'Sheriffs Coffee Bar' vor dem Regen zu schützen. Vergebens. Kowalsky stand nur da, presste, zum Schutz vor der Nässe, seine Schultern gegen die Wand, starrte auf den Espresso und versuchte die Teile des Gesprächs, welche in seinem Kopf hin und her kreisten, einzufangen und zu einem Ganzen zusammen zu fügen.
– Ihre Leukozyten gefallen mir gar nicht. Ich denke, wir werden das Screening verfeinern müssen.
– Das heißt?
– Das heißt, dass ich in der nächsten Woche noch einmal eine Probe nehmen werde.
– Nein, die Leukos. Wie viele? Zahlen, irgendwas.
– Neunzigtausend und ‘n paar Zerquetschte.
– Bedeutet?
– Das bedeutet, dass die letzte Therapie leider nicht den erhofften Erfolg gebracht hat. Hören Sie zu, die Leukos sind nicht unbedingt das größte Problem, die bekommen wir mit Zytostatika schnell wieder in den Griff. Aber - und er schaute ihn dabei eindringlich an - die Lymphknoten sind weiterhin geschwollen, und der anhaltende Nachtschweiß ist auch kein gutes Zeichen.
– Also, keinen Bonus mehr?
– Bedeutet es erstmal gar nicht. Kowalsky, Sie dürfen die Flinte nicht so schnell ins Korn werfen. Aber - und er blätterte durch die Akte ohne dabei genau hinzusehen - ich gebe zu, dass unsere Möglichkeiten nun langsam aber sicher erschöpft zu sein scheinen.
Er verstand in diesem Moment nicht genau, was dies für ihn bedeutete, und hatte sich auch nicht getraut danach zu fragen. Und selbst wenn er sich getraut hätte; bei Prognosen hielt sich sein Arzt immer zurück, soviel wusste er.

Während er dem Espresso beim kalt werden zuschaute, kam eine junge Frau aus dem Laden, ging auf den Stehtisch zu, und stellte ihren Cappuccino zwischen zwei kleine Pfützen.
– Darf ich, fragte sie.
Kowalsky hatte ihr Kommen nicht bemerkt, zog eine Braue in die Höhe und deutete mit dem Kopf auf irgendeinen Punkt neben sich. Er mochte diese Geste, war sich aber ihrer Schroffheit bewusst, und deutet deshalb eins seiner kleinen Lächeln an. Klein und tapfer, eher die Imitation eines Lächelns.
– Scheiß Wetter heut’, zischte sie mehr ins Irgendwo als zu ihm.
Ihm schien, als habe sie weder seine kleine Schroffheit, noch seinen Versuch eines Lächelns wahrgenommen.
– Ja, ‘s geht nun langsam auf den Winter zu, sagte er.
Sie nickte kurz, holte ihr Smartphone aus der Tasche, und als beginne sie nun einen großen Zauber, flogen ihre Finger schamanenhaft über den Touchscreen.
Sicher hat sie wichtige Sachen zu erledigen, dachte Kowalsky. Wenn du jung bist, dann sind alle Sachen wichtig.
Sie mochte vielleicht 25 sein, dachte er, nicht mal halb so alt wie er. Mit ihrer blassen Haut, den dunklen Augen und ihrer bad-Hair-Day-Frisur war sie so schön, dass er beim Betrachten einen Stich im Herz spürte - und wie immer wenn er einer jungen Frau gegenüberstand, hatte er den schweren Duft des Haarsprays der Mädchen in der Nase, die er schon in seiner Jugend nicht für sich gewinnen konnte. Ein weiteres Lächeln, nicht größer als das Vergangene, half ihm, seine Fassung wieder zu erlangen. Er blickte auf ihre Brille und ihre Collegetasche und tippte darauf, dass sie eine Studentin sein könnte. Sicher ist sie eine Studentin, Medien oder so was. Kowalsky lächelte noch einmal sein schmalbrüstiges Lächeln und trank den Espresso.

Kowalsky schien, als tippe sie ein paar Nachrichten an weiß der Teufel wen - und es sah so aus, als hätte sie keinen Spaß dabei. Vielleicht ist sie von einer Freundin versetzt worden, dachte er, oder von ihrem Freund. Er hielt sich immer für gut in solchen Dingen. Wer macht was? Wer wartet auf wen? Was denkt der eine, was der andere? Alles Fragen, die er meist nach wenigen Augenblicken verblüffend präzise beantworten konnte. Nun fiel ihm zu ihr nichts ein, und es schien, als hätte sein Talent ihn verlassen.
Sie sendete noch eine Nachricht zu irgend einem Satelliten, der, hoch über dem Dunst der über der Stadt lag, über ihnen kreiste, schüttelte dann den Kopf, murmelte etwas Unverständliches - das in seinen Ohren wie ‘ja-du-mich-auch’ klang -, machte ihr Smartphone aus und schmiss es in die Tasche, welche sie dann, wohl auf der Suche nach irgendetwas Wichtigem, durchwühlte.
Sie sucht nach den Zigaretten, dachte er, und sie sah in ihrer kleinen Wut, wie er fand, immer noch hinreißend aus.
– He, vielleicht kann ich Ihnen irgendwie helfen, sagte er.
– Ich muss meine Zigaretten vergessen haben, sagte sie - und ihr Blick irrte weiterhin durch die Tasche. Haben Sie vielleicht welche dabei?
– Nur Zigarillos.
– Nee, geht gar nicht. Aber danke.
Sie drehte sich um, und ging ohne ein weiteres Wort. Ihren Cappuccino hatte sie nicht angerührt. Kowalsky griff nach seinen Zigarillos. Er sah ihr nicht hinterher.

Nur wenige Sekunden später hörte er einen dumpfen Aufprall. Keine 20 Meter entfernt von ‘Sheriffs Coffee Bar’, gegenüber vom ‘Deichmann’, stand ein Bus der Linie 13. Leute blieben stehen und bildeten eine Traube. Wo kommen die Leute nur alle her? In so kurzer Zeit? Als Kowalsky den Bus erreicht hatte standen schon so viele Passanten um die Vorderräder herum, dass er nicht erkennen konnte, was passiert war. Dann sah er ein Smartphone auf dem Asphalt liegen, dann Beine, dann einen Körper, der halb unter dem Vorderrad des Busses zu liegen schien, und dann das Gesicht. Aus ihrem Hinterkopf floss Blut in eine Pfütze, die sich nun schon fast schwarz gefärbt hatte. Jemand rief einen Notarzt.

Nur wenige Augenblicke später bog der Rettungswagen um die Ecke. Der Notarzt beugte sich über das Mädchen, versuchte ihren Puls zu ertasten, drehte vorsichtig den Kopf zur Seite und schaute nach der Wunde - man sah ihm an, dass es sich dabei um Routine handelte - und flüsterte dann etwas zum assistierenden Sanitäter.
– Sie muss auf der Stelle tot gewesen sein. War wohl in Gedanken, sagte er zu den Herumstehenden.
Kowalsky stand regungslos daneben, und ihm schien, als sehe sie nun, mit den geschlossenen Augen und dem halb geöffneten Mund immer noch so wunderschön aus, wie vor wenigen Augenblicken.
Ein Sanitäter legte eine Decke über den toten Körper. Als letztes bedeckte er das Gesicht.
– Hat jemand von ihnen den Unfall gesehen?, fragte er.
Aber da war Kowalsky schon wieder unterwegs zum Stehtisch.

Vincenzo kam mit zwei Grappas zum Tisch.
– Was ‘ne Scheiße, Mann. Gib mir mal ‘ne Fluppe, Kowalsky. Ich denk’, ich hab’ eine nötig.
Sie standen im Regen, der ihnen nun aber nichts mehr ausmachte. Sie sprachen kein Wort. Vincenzo führte die Moods mit zittrigen Händen an die Lippen.
– Was für ’ne verdammte Scheiße, Mann, stammelte er.
– Hm, sagte Kowalsky und zog den Rauch tief ein - wie immer, wenn er ein Leben verloren hatte.
 

Vagant

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hallo frau schneider,
danke fürs die rückmeldung. die höflichkeitsanrede habe ich umgehend verbessert. satztzeichen, dort wo sie nötig waren, eingefügt - ich hoffe, dass ich alles gesehen habe. vielen dank dafür.

zur kennzeichnung der wörtlichen rede möchte ich mich eigentlich nicht mehr äußern. weder kann ich erkennen, dass sich der text dadurch erschwert lesen lässt (selbst joyces ulysses ist in dieser form in den druck gegangen, und der umstand, dass er sich nicht lesen lässt, ist sicher nicht allein darauf zurück zu führen), noch sehe ich darin irgendetwas falsches. ein großteil bücher in meinem regal, queer durch gengre und kulturkreise, verzichten vollkommen auf die kennzeichnung der wörtlichen rede, oder begnügen sich mit einem elegenten strichchen am beginn der zeile.
über deine anmerkungen ( schamanenhaftes diesunddas...) denke ich gerade nach. da kann ich mir jetzt auch nicht wirklich etwas drunter vorstellen. mag sein, dass ich das streichen werde. auch hier, danke für die hinweise.(manchmal hat man sich einfach nicht im griff)

der letzte satz; ja, der letzte satz hätte eigentlich der erste sein müssen. er legt das koordinatensystem für die episode fest. denn eigentlich ist es keine geschichte. hier handelt es sich um einen drei minuten ausschnitt aus dem leben meines protagonisten. der text ist nur ein teil von mehreren texten, die , ähnlich eines episodenfilms, mehrere protagonisten in verschiedenen sitiationen verfolgt. am ende gerät mir das allerding ein wenig aus der bahn, denn hier findet niemand mehr zum anderen, alles was ausweglos erscheint wird auswegloser, und der eine oder andere ist tot. keine hoffnung, für niemand.
kowalsky ist in diesem moment eigentlich schon tot. und das weiß er. seine sicht der dinge ist die, dass er, ähnlich wie in einem konsolenspiel, mit einer handvoll 'leben' ins rennen geht. nun geht es darum bonuspunkte zu finden, verborgene schätze zu heben, extrapower zu generieren, die waffen aufzuladen. nur weniges von dem ist ihm in seinem leben wirklich gelungen. im grunde weiß er, dass er mit jedem zusätzlichen jahr, mit den zurückweisungen in seiner jugend, mit dem kampf gegen die krankheit, mit der abschließenden diagnose (austherapiert) ein weiteres'leben' verloren hat. und auch den tod der flüchtigen bekanntschaft nimmt er eher persönlich, und sieht es als ein rückschlag dabei, die kunst des lebens zu meistern.
ich weiß; das ist nun alles nicht für jeden schlüssig, und wahrscheinlich auch noch stümperhaft von mir erklärt, und vielleicht bleibt selbst mir ja der letzte satz unverständlich ;-)
aber das hier sollte von anfang an auch nicht rund werden.
es handelt sich um eine episode, die so, oder auch ganz anders hätte laufen können. sie hat keinen wirklichen anfang, und schon gar kein ende - jedenfalls nicht an dieser stelle.
lg vagant.
 

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– Ihre Leukozyten gefallen mir gar nicht. Ich denke, wir werden das Screening verfeinern müssen.
– Das heißt?
– Das heißt, dass ich in der nächsten Woche noch einmal eine Probe nehmen werde.
– Nein, die Leukos. Wie viele? Zahlen, irgendwas.
– Neunzigtausend und ‘n paar Zerquetschte.
– Bedeutet?
– Das bedeutet, dass die letzte Therapie leider nicht den erhofften Erfolg gebracht hat. Hören Sie zu, die Leukos sind nicht unbedingt das größte Problem, die bekommen wir mit Zytostatika schnell wieder in den Griff. Aber - und er schaute ihn dabei eindringlich an - die Lymphknoten sind weiterhin geschwollen, und der anhaltende Nachtschweiß ist auch kein gutes Zeichen.
– Also, keinen Bonus mehr?
– Bedeutet es erstmal gar nicht. Kowalsky, Sie dürfen die Flinte nicht so schnell ins Korn werfen. Aber - und er blätterte durch die Akte ohne dabei genau hinzusehen - ich gebe zu, dass unsere Möglichkeiten nun langsam aber sicher erschöpft zu sein scheinen.
Er verstand in diesem Moment nicht genau, was dies für ihn bedeutete, und hatte sich auch nicht getraut danach zu fragen. Und selbst wenn er sich getraut hätte; bei Prognosen hielt sich sein Arzt immer zurück, soviel wusste er.

Während er dem Espresso beim kalt werden zuschaute, kam eine junge Frau aus dem Laden, ging auf den Stehtisch zu, und stellte ihren Cappuccino zwischen zwei kleine Pfützen.
– Darf ich, fragte sie.
Kowalsky hatte ihr Kommen nicht bemerkt, zog eine Braue in die Höhe und deutete mit dem Kopf auf irgendeinen Punkt neben sich. Er mochte diese Geste, war sich aber ihrer Schroffheit bewusst, und deutet deshalb eins seiner kleinen Lächeln an. Klein und tapfer, eher die Imitation eines Lächelns.
– Scheiß Wetter heut’, zischte sie mehr ins Irgendwo als zu ihm.
Ihm schien, als habe sie weder seine kleine Schroffheit, noch seinen Versuch eines Lächelns wahrgenommen.
– Ja, ‘s geht nun langsam auf den Winter zu, sagte er.
Sie nickte kurz, holte ihr Smartphone aus der Tasche und streicht über den Touchscreen.
Sicher hat sie wichtige Sachen zu erledigen, dachte Kowalsky. Wenn du jung bist, dann sind alle Sachen wichtig.
Sie mochte vielleicht 25 sein, dachte er, nicht mal halb so alt wie er. Mit ihrer blassen Haut, den dunklen Augen und ihrer bad-Hair-Day-Frisur war sie so schön, dass er beim Betrachten einen Stich im Herz spürte - und wie immer wenn er einer jungen Frau gegenüberstand, hatte er den schweren Duft des Haarsprays der Mädchen in der Nase, die er schon in seiner Jugend nicht für sich gewinnen konnte. Ein weiteres Lächeln, nicht größer als das Vergangene, half ihm, seine Fassung wieder zu erlangen. Er blickte auf ihre Brille und ihre Collegetasche und tippte darauf, dass sie eine Studentin sein könnte. Sicher ist sie eine Studentin, Medien oder so was. Kowalsky lächelte noch einmal sein schmalbrüstiges Lächeln und trank den Espresso.

Kowalsky schien, als tippe sie ein paar Nachrichten an weiß der Teufel wen - und es sah so aus, als hätte sie keinen Spaß dabei. Vielleicht ist sie von einer Freundin versetzt worden, dachte er, oder von ihrem Freund. Er hielt sich immer für gut in solchen Dingen. Wer macht was? Wer wartet auf wen? Was denkt der eine, was der andere? Alles Fragen, die er meist nach wenigen Augenblicken verblüffend präzise beantworten konnte. Nun fiel ihm zu ihr nichts ein, und es schien, als hätte sein Talent ihn verlassen.
Sie sendete noch eine Nachricht zu irgend einem Satelliten, der, hoch über dem Dunst der über der Stadt lag, über ihnen kreiste, schüttelte dann den Kopf, murmelte etwas Unverständliches - das in seinen Ohren wie ‘ja-du-mich-auch’ klang -, machte ihr Smartphone aus und schmiss es in die Tasche, welche sie dann, wohl auf der Suche nach irgendetwas Wichtigem, durchwühlte.
Sie sucht nach den Zigaretten, dachte er, und sie sah in ihrer kleinen Wut, wie er fand, immer noch hinreißend aus.
– He, vielleicht kann ich Ihnen irgendwie helfen, sagte er.
– Ich muss meine Zigaretten vergessen haben, sagte sie - und ihr Blick irrte weiterhin durch die Tasche. Haben Sie vielleicht welche dabei?
– Nur Zigarillos.
– Nee, geht gar nicht. Aber danke.
Sie drehte sich um, und ging ohne ein weiteres Wort. Ihren Cappuccino hatte sie nicht angerührt. Kowalsky griff nach seinen Zigarillos. Er sah ihr nicht hinterher.

Nur wenige Sekunden später hörte er einen dumpfen Aufprall. Keine 20 Meter entfernt von ‘Sheriffs Coffee Bar’, gegenüber vom ‘Deichmann’, stand ein Bus der Linie 13. Leute blieben stehen und bildeten eine Traube. Wo kommen die Leute nur alle her? In so kurzer Zeit? Als Kowalsky den Bus erreicht hatte standen schon so viele Passanten um die Vorderräder herum, dass er nicht erkennen konnte, was passiert war. Dann sah er ein Smartphone auf dem Asphalt liegen, dann Beine, dann einen Körper, der halb unter dem Vorderrad des Busses zu liegen schien, und dann das Gesicht. Aus ihrem Hinterkopf floss Blut in eine Pfütze, die sich nun schon fast schwarz gefärbt hatte. Jemand rief einen Notarzt.

Nur wenige Augenblicke später bog der Rettungswagen um die Ecke. Der Notarzt beugte sich über das Mädchen, versuchte ihren Puls zu ertasten, drehte vorsichtig den Kopf zur Seite und schaute nach der Wunde - man sah ihm an, dass es sich dabei um Routine handelte - und flüsterte dann etwas zum assistierenden Sanitäter.
– Sie muss auf der Stelle tot gewesen sein. War wohl in Gedanken, sagte er zu den Herumstehenden.
Kowalsky stand regungslos daneben, und ihm schien, als sehe sie nun, mit den geschlossenen Augen und dem halb geöffneten Mund immer noch so wunderschön aus, wie vor wenigen Augenblicken.
Ein Sanitäter legte eine Decke über den toten Körper. Als letztes bedeckte er das Gesicht.
– Hat jemand von ihnen den Unfall gesehen?, fragte er.
Aber da war Kowalsky schon wieder unterwegs zum Stehtisch.

Vincenzo kam mit zwei Grappas zum Tisch.
– Was ‘ne Scheiße, Mann. Gib mir mal ‘ne Fluppe, Kowalsky. Ich denk’, ich hab’ eine nötig.
Sie standen im Regen, der ihnen nun aber nichts mehr ausmachte. Sie sprachen kein Wort. Vincenzo führte die Moods mit zittrigen Händen an die Lippen.
– Was für ’ne verdammte Scheiße, Mann, stammelte er.
– Hm, sagte Kowalsky und zog den Rauch tief ein - wie immer, wenn er ein Leben verloren hatte.
 
G

Gelöschtes Mitglied 14278

Gast
sie hat keinen wirklichen anfang, und schon gar kein ende - jedenfalls nicht an dieser stelle.
Wieso steht sie dann hier als Kurzgeschichte?

Hallo Vagant,

ich glaube, wir hatten diese Diskussion bei einem Deiner früheren Werke, das dann ganz schnell verschwand, schon einmal. Aber ich kann Deine Meinung immer noch nicht teilen und finde es ein wenig dreist, wie Du Dich ganz nonchalant über Regeln hinwegsetzt. Schlimm genug, wenn Kommentare nur in Kleinschreibung geliefert werden (auch dies erschwert das Lesen extrem, ermöglicht es aber dem Autor, eventuelle Schwächen in der Groß- und Kleinschreibung zu kaschieren). Aber wenn Du ein ganzes Werk nach eigenen Regeln einstellst, die Regeln des Forums
Nutzen Sie bitte die Rechtschreibprüfung Ihres Textverarbeitungsprogramms, bevor sie den Text auf der Leselupe veröffentlichen!
Achten Sie bitte bei Ihrer Veröffentlichung auf die geltenden Rechtschreibregeln und hier insbesondere auf die Groß- und Kleinschreibung. Vollständig in Kleinbuchstaben verfasste Prosatexte entsprechen nicht den Rechtschreibregeln und werden gegebenenfalls nach Rücksprache mit den Foren-Redakteuren zur Überarbeitung in die Textklinik verschoben.
damit schlichtweg umgehst und Dich gar auf James Joyce berufst ...
wenn Du wie hier
– Darf ich, fragte sie.
auch noch weitere Satzzeichen auslässt ...
unübersichtliche Konstrukte wie
– Bedeutet es erstmal gar nicht. Kowalsky, Sie dürfen die Flinte nicht so schnell ins Korn werfen. Aber - und er blätterte durch die Akte ohne dabei genau hinzusehen - ich gebe zu, dass unsere Möglichkeiten nun langsam aber sicher erschöpft zu sein scheinen.
lieferst, ist so ein Text, unabhängig vom Inhalt, für mich ein Fall für die Textklinik. Vielleicht erinnerst Du Dich, wie in einem anderen Forum mit so einem Text verfahren wird.

Einige weitere Rechtschreib- und Kommafehler sind auch noch drin, aber darauf kommt es dann auch nicht mehr an.

Gruß Ciconia
 

Vagant

Mitglied
ach ciconia,
der text steht unter 'kurzgeschichte' weil ich mir als autor einfach mal diese freiheit genommen habe ihn in der rubrik 'kurzgeschichten' zu posten. ich muss dich da nicht erst nach der richtigkeit von form und inhalt fragen.
wenn du damit ein problem haben solltest, dann kannst du gerne eine petition ins leben rufen, die darauf abzielt, diesen text ins irgendwohin zu verschieben. ansonsten möchte ich dich bitten, mich mit solchen albernheiten zu verschonen. du hast sicher noch wichtigeres zu tun.
bitte schön, vagant.
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Vagant,

hier empfinde ich das Fehlen von Satzzeichen als besonders störend:

– Das bedeutet, dass die letzte Therapie leider nicht den erhofften Erfolg gebracht hat. Hören Sie zu, die Leukos sind nicht unbedingt das größte Problem, die bekommen wir mit Zytostatika schnell wieder in den Griff. Aber - und er schaute ihn dabei eindringlich an - die Lymphknoten sind weiterhin geschwollen, und der anhaltende Nachtschweiß ist auch kein gutes Zeichen.
Wo Du Dich woandes dazu geäußert hast, weiß ich nicht, nur für meinen Geschmack fehlen diese Zeichen einfach, Großschriftsteller hin oder her.Sie sind kein Maßstab.

Wenn Du das andere Angemerkte überdenkst, so freut mich das, gegen das Sich-Nicht-im Griff-haben hilft einfach - Lesen. :)

Natürlich ist das Ganze eine Kurzgeschichte - es interessiert mich nicht, ob und in welchem Zusammenhang sie mit anderen steht, ich sehe ja nur den vorliegenden Text. Der ist für mich eine Geschichte (mit Schwächen), Punkt.

Es bleibt vieles offen, das heißt jetzt nicht, dass das schlecht ist, jedoch das Ende ist so einfach unverständlich.

Kowalsky braucht eine stationäre Behandlung, der Text nicht. :)

lg Doc
 

Wic

Mitglied
Hallo

beim Lesen stößt mir das welche auf:
"versuchte die Teile des Gesprächs, welche in"
warm nicht einfach "die" ?
Gruß Wic
 

Vagant

Mitglied
hallo frau schneider,

es ging mir nicht darum, mich mit großschriftstellern zu vergleichen - ich hätte andere nennen können, die nicht in verdacht stehen in hundert jahren noch genannt zu werden, und, ganz ehrlich, die kennzeichnung der rede ist für mich nun wirklich kein heiligtum. ich nutze auch weiterhin die herkömmliche form, und für diesen rext hätte dies sicher auch ausgereicht.
aber ich hatte mal einen text hier, bei dem erzählbericht, wörtliche rede, und innere gedanken, meist zusammen in einem satz vertreten waren. ein erzählen ganz dicht am protagonisten, bei dem die erzählperspektive nie hundertprozentig klar zu definieren war (ich persönlich mag solche texte), aber das war mir wohl nicht ausreichend gut gelungen. die kennzeichnung mit dem strich, oder auch der verzicht auf jegliche dialogkennzeichnung, lässt dies alles wunderbar nah zusammenrücken, und schafft auf diese art einen zusätzlichen sog in den text.
bei diesem text gibt es kaum ein ausschweifendes erzählen der inneren vorgänge, und nur an wenigen stellen einen einwurf des erzählers während der dialogzeile. deshalb meine ich, dass es eigentlich auch keine unverständlichkeiten geben dürfte.
aber es ist wie immer: ich werde auch darüber noch einmal nachdenken.
schönen abend, vagant
 

Vagant

Mitglied
3 Minuten

Die halb geöffnete Markise gab sich alle Mühe den Stehtisch vor 'Sheriffs Coffee Bar' vor dem Regen zu schützen. Vergebens. Kowalsky stand nur da, presste, zum Schutz vor der Nässe, seine Schultern gegen die Wand, starrte auf den Espresso und versuchte die Teile des Gesprächs, die in seinem Kopf hin und her kreisten, einzufangen und zu einem Ganzen zusammen zu fügen.
– Ihre Leukozyten gefallen mir gar nicht. Ich denke, wir werden das Screening verfeinern müssen.
– Das heißt?
– Das heißt, dass ich in der nächsten Woche noch einmal eine Probe nehmen werde.
– Nein, die Leukos. Wie viele? Zahlen, irgendwas.
– Neunzigtausend und ‘n paar Zerquetschte.
– Bedeutet?
– Das bedeutet, dass die letzte Therapie leider nicht den erhofften Erfolg gebracht hat. Hören Sie zu, die Leukos sind nicht unbedingt das größte Problem, die bekommen wir mit Zytostatika schnell wieder in den Griff. Aber - und er schaute ihn dabei eindringlich an - die Lymphknoten sind weiterhin geschwollen, und der anhaltende Nachtschweiß ist auch kein gutes Zeichen.
– Also, keinen Bonus mehr?
– Bedeutet es erstmal gar nicht. Kowalsky, Sie dürfen die Flinte nicht so schnell ins Korn werfen. Aber - und er blätterte durch die Akte ohne dabei genau hinzusehen - ich gebe zu, dass unsere Möglichkeiten nun langsam aber sicher erschöpft zu sein scheinen.
Er verstand in diesem Moment nicht genau, was dies für ihn bedeutete, und hatte sich auch nicht getraut danach zu fragen. Und selbst wenn er sich getraut hätte; bei Prognosen hielt sich sein Arzt immer zurück, soviel wusste er.

Während er dem Espresso beim kalt werden zuschaute, kam eine junge Frau aus dem Laden, ging auf den Stehtisch zu, und stellte ihren Cappuccino zwischen zwei kleine Pfützen.
– Darf ich, fragte sie.
Kowalsky hatte ihr Kommen nicht bemerkt, zog eine Braue in die Höhe und deutete mit dem Kopf auf irgendeinen Punkt neben sich. Er mochte diese Geste, war sich aber ihrer Schroffheit bewusst, und deutet deshalb eins seiner kleinen Lächeln an. Klein und tapfer, eher die Imitation eines Lächelns.
– Scheiß Wetter heut’, zischte sie mehr ins Irgendwo als zu ihm.
Ihm schien, als habe sie weder seine kleine Schroffheit, noch seinen Versuch eines Lächelns wahrgenommen.
– Ja, ‘s geht nun langsam auf den Winter zu, sagte er.
Sie nickte kurz, holte ihr Smartphone aus der Tasche und streicht über den Touchscreen.
Sicher hat sie wichtige Sachen zu erledigen, dachte Kowalsky. Wenn du jung bist, dann sind alle Sachen wichtig.
Sie mochte vielleicht 25 sein, dachte er, nicht mal halb so alt wie er. Mit ihrer blassen Haut, den dunklen Augen und ihrer bad-Hair-Day-Frisur war sie so schön, dass er beim Betrachten einen Stich im Herz spürte - und wie immer wenn er einer jungen Frau gegenüberstand, hatte er den schweren Duft des Haarsprays der Mädchen in der Nase, die er schon in seiner Jugend nicht für sich gewinnen konnte. Ein weiteres Lächeln, nicht größer als das Vergangene, half ihm, seine Fassung wieder zu erlangen. Er blickte auf ihre Brille und ihre Collegetasche und tippte darauf, dass sie eine Studentin sein könnte. Sicher ist sie eine Studentin, Medien oder so was. Kowalsky lächelte noch einmal sein schmalbrüstiges Lächeln und trank den Espresso.

Kowalsky schien, als tippe sie ein paar Nachrichten an weiß der Teufel wen - und es sah so aus, als hätte sie keinen Spaß dabei. Vielleicht ist sie von einer Freundin versetzt worden, dachte er, oder von ihrem Freund. Er hielt sich immer für gut in solchen Dingen. Wer macht was? Wer wartet auf wen? Was denkt der eine, was der andere? Alles Fragen, die er meist nach wenigen Augenblicken verblüffend präzise beantworten konnte. Nun fiel ihm zu ihr nichts ein, und es schien, als hätte sein Talent ihn verlassen.
Sie sendete noch eine Nachricht zu irgend einem Satelliten, der, hoch über dem Dunst der über der Stadt lag, über ihnen kreiste, schüttelte dann den Kopf, murmelte etwas Unverständliches - das in seinen Ohren wie ‘ja-du-mich-auch’ klang -, machte ihr Smartphone aus und schmiss es in die Tasche, welche sie dann, wohl auf der Suche nach irgendetwas Wichtigem, durchwühlte.
Sie sucht nach den Zigaretten, dachte er, und sie sah in ihrer kleinen Wut, wie er fand, immer noch hinreißend aus.
– He, vielleicht kann ich Ihnen irgendwie helfen, sagte er.
– Ich muss meine Zigaretten vergessen haben, sagte sie - und ihr Blick irrte weiterhin durch die Tasche. Haben Sie vielleicht welche dabei?
– Nur Zigarillos.
– Nee, geht gar nicht. Aber danke.
Sie drehte sich um, und ging ohne ein weiteres Wort. Ihren Cappuccino hatte sie nicht angerührt. Kowalsky griff nach seinen Zigarillos. Er sah ihr nicht hinterher.

Nur wenige Sekunden später hörte er einen dumpfen Aufprall. Keine 20 Meter entfernt von ‘Sheriffs Coffee Bar’, gegenüber vom ‘Deichmann’, stand ein Bus der Linie 13. Leute blieben stehen und bildeten eine Traube. Wo kommen die Leute nur alle her? In so kurzer Zeit? Als Kowalsky den Bus erreicht hatte standen schon so viele Passanten um die Vorderräder herum, dass er nicht erkennen konnte, was passiert war. Dann sah er ein Smartphone auf dem Asphalt liegen, dann Beine, dann einen Körper, der halb unter dem Vorderrad des Busses zu liegen schien, und dann das Gesicht. Aus ihrem Hinterkopf floss Blut in eine Pfütze, die sich nun schon fast schwarz gefärbt hatte. Jemand rief einen Notarzt.

Nur wenige Augenblicke später bog der Rettungswagen um die Ecke. Der Notarzt beugte sich über das Mädchen, versuchte ihren Puls zu ertasten, drehte vorsichtig den Kopf zur Seite und schaute nach der Wunde - man sah ihm an, dass es sich dabei um Routine handelte - und flüsterte dann etwas zum assistierenden Sanitäter.
– Sie muss auf der Stelle tot gewesen sein. War wohl in Gedanken, sagte er zu den Herumstehenden.
Kowalsky stand regungslos daneben, und ihm schien, als sehe sie nun, mit den geschlossenen Augen und dem halb geöffneten Mund immer noch so wunderschön aus, wie vor wenigen Augenblicken.
Ein Sanitäter legte eine Decke über den toten Körper. Als letztes bedeckte er das Gesicht.
– Hat jemand von ihnen den Unfall gesehen?, fragte er.
Aber da war Kowalsky schon wieder unterwegs zum Stehtisch.

Vincenzo kam mit zwei Grappas zum Tisch.
– Was ‘ne Scheiße, Mann. Gib mir mal ‘ne Fluppe, Kowalsky. Ich denk’, ich hab’ eine nötig.
Sie standen im Regen, der ihnen nun aber nichts mehr ausmachte. Sie sprachen kein Wort. Vincenzo führte die Moods mit zittrigen Händen an die Lippen.
– Was für ’ne verdammte Scheiße, Mann, stammelte er.
– Hm, sagte Kowalsky und zog den Rauch tief ein - wie immer, wenn er ein Leben verloren hatte.
 

Jo Phantasie

Mitglied
Hallo Vagant,

deine anarchistisch revolutionäre Grundtendenz ist klar erkennbar, da musst du auch nicht weiter dran arbeiten!
Verwunderlich ist nur, dass du nicht merkst, wie du diese schöne Geschichte, die ein Stimmungsbild und ein im Gedächtnis hängen bleibendes Erlebnis miteinander verknüpft, durch die angemeckerten Äußerlichkeiten niederknüppelst.
Nimm doch einfach mal Ratschläge an und schon kriegst du dein Köpfchen gestreichelt, sogar von Frau Doktor!

LG
Jo
 

Vagant

Mitglied
hallo jo,

die einzige tendenz die ich erkennen kann, ist die, dass ich mich nach wie vor dem 'realismus' verschrieben habe, dem ich allerding durch das fehlende plotting ein bisschen von seiner erdigen schwere genommen habe. die tendenz der texte ist dadurch etwas 'luftiger'. ich nenne das nun einfach mal: melancholischer realismus. vielleicht poste ich ja nochmal etwas von diesen sachen, damit man sieht, wohin die reise gehen sollte.
das anarchistisch-revelutionäre (wenn es denn überhaupt vorhanden ist) ist völlig unbeabsichtigt.
die sache sieht doch so aus, dass das schreiben nur eines von vielen hobbies ist, das ich dann auch nicht immer mit dem nötigen bierernst betreibe, und es in erster linie auch nicht darauf hin abzielt, hier oder anders wo veröffentlicht zu werden. meine gedanken sind dann eher beim text oder dem protagonisten, und beschäftigen sich nicht damit, ob der text in seiner letztendlichen form hier irgendwie ins forum passt.
bei der größe des forums, und der vielzahl der hier veröffentlichten texte, dürfte es kein problem sein, wenn ich alle paar wochen mal etwas poste, auch wenn es formell nicht der hier üblichen formation entspricht. das muss man dann nicht gleich zu einem 'gänsefüßchen-gate' ausweiten.

aber trotzdem: vielen dank fürs lesen und die aufmunternden worte. vagant.
 

Vagant

Mitglied
3 Minuten

Die halb geöffnete Markise gab sich alle Mühe den Stehtisch vor 'Sheriffs Coffee Bar' vor dem Regen zu schützen. Vergebens. Kowalsky stand nur da, presste, zum Schutz vor der Nässe, seine Schultern gegen die Wand, starrte auf den Espresso und versuchte die Teile des Gesprächs, die in seinem Kopf hin und her kreisten, einzufangen und zu einem Ganzen zusammen zu fügen.
– Ihre Leukozyten gefallen mir gar nicht. Ich denke, wir werden das Screening verfeinern müssen.
– Das heißt?
– Das heißt, dass ich in der nächsten Woche noch einmal eine Probe nehmen werde.
– Nein, die Leukos. Wie viele? Zahlen, irgendwas.
– Neunzigtausend und ‘n paar Zerquetschte.
– Bedeutet?
– Das bedeutet, dass die letzte Therapie leider nicht den erhofften Erfolg gebracht hat. Hören Sie zu, die Leukos sind nicht unbedingt das größte Problem, die bekommen wir mit Zytostatika schnell wieder in den Griff. Aber - und er schaute ihn dabei eindringlich an - die Lymphknoten sind weiterhin geschwollen, und der anhaltende Nachtschweiß ist auch kein gutes Zeichen.
– Also, keinen Bonus mehr?
– Bedeutet es erstmal gar nicht. Kowalsky, Sie dürfen die Flinte nicht so schnell ins Korn werfen. Aber - und er blätterte durch die Akte ohne dabei genau hinzusehen - ich gebe zu, dass unsere Möglichkeiten nun langsam aber sicher erschöpft zu sein scheinen.
Er verstand in diesem Moment nicht genau, was dies für ihn bedeutete, und hatte sich auch nicht getraut danach zu fragen. Und selbst wenn er sich getraut hätte; bei Prognosen hielt sich sein Arzt immer zurück, soviel wusste er.

Während er dem Espresso beim kalt werden zuschaute, kam eine junge Frau aus dem Laden, ging auf den Stehtisch zu, und stellte ihren Cappuccino zwischen zwei kleine Pfützen.
– Darf ich, fragte sie.
Kowalsky hatte ihr Kommen nicht bemerkt, zog eine Braue in die Höhe und deutete mit dem Kopf auf irgendeinen Punkt neben sich. Er mochte diese Geste, war sich aber ihrer Schroffheit bewusst, und deutet deshalb eins seiner kleinen Lächeln an. Klein und tapfer, eher die Imitation eines Lächelns.
– Scheiß Wetter heut’, zischte sie mehr ins Irgendwo als zu ihm.
Ihm schien, als habe sie weder seine kleine Schroffheit, noch seinen Versuch eines Lächelns wahrgenommen.
– Ja, ‘s geht nun langsam auf den Winter zu, sagte er.
Sie nickte kurz, holte ihr Smartphone aus der Tasche und strich über den Touchscreen.
Sicher hat sie wichtige Sachen zu erledigen, dachte Kowalsky. Wenn du jung bist, dann sind alle Sachen wichtig.
Sie mochte vielleicht 25 sein, dachte er, nicht mal halb so alt wie er. Mit ihrer blassen Haut, den dunklen Augen und ihrer bad-Hair-Day-Frisur war sie so schön, dass er beim Betrachten einen Stich im Herz spürte - und wie immer wenn er einer jungen Frau gegenüberstand, hatte er den schweren Duft des Haarsprays der Mädchen in der Nase, die er schon in seiner Jugend nicht für sich gewinnen konnte. Ein weiteres Lächeln, nicht größer als das Vergangene, half ihm, seine Fassung wieder zu erlangen. Er blickte auf ihre Brille und ihre Collegetasche und tippte darauf, dass sie eine Studentin sein könnte. Sicher ist sie eine Studentin, Medien oder so was. Kowalsky lächelte noch einmal sein schmalbrüstiges Lächeln und trank den Espresso.

Kowalsky schien, als tippe sie ein paar Nachrichten an weiß der Teufel wen - und es sah so aus, als hätte sie keinen Spaß dabei. Vielleicht ist sie von einer Freundin versetzt worden, dachte er, oder von ihrem Freund. Er hielt sich immer für gut in solchen Dingen. Wer macht was? Wer wartet auf wen? Was denkt der eine, was der andere? Alles Fragen, die er meist nach wenigen Augenblicken verblüffend präzise beantworten konnte. Nun fiel ihm zu ihr nichts ein, und es schien, als hätte sein Talent ihn verlassen.
Sie sendete noch eine Nachricht zu irgend einem Satelliten, der, hoch über dem Dunst der über der Stadt lag, über ihnen kreiste, schüttelte dann den Kopf, murmelte etwas Unverständliches - das in seinen Ohren wie ‘ja-du-mich-auch’ klang -, machte ihr Smartphone aus und schmiss es in die Tasche, welche sie dann, wohl auf der Suche nach irgendetwas Wichtigem, durchwühlte.
Sie sucht nach den Zigaretten, dachte er, und sie sah in ihrer kleinen Wut, wie er fand, immer noch hinreißend aus.
– He, vielleicht kann ich Ihnen irgendwie helfen, sagte er.
– Ich muss meine Zigaretten vergessen haben, sagte sie - und ihr Blick irrte weiterhin durch die Tasche. Haben Sie vielleicht welche dabei?
– Nur Zigarillos.
– Nee, geht gar nicht. Aber danke.
Sie drehte sich um, und ging ohne ein weiteres Wort. Ihren Cappuccino hatte sie nicht angerührt. Kowalsky griff nach seinen Zigarillos. Er sah ihr nicht hinterher.

Nur wenige Sekunden später hörte er einen dumpfen Aufprall. Keine 20 Meter entfernt von ‘Sheriffs Coffee Bar’, gegenüber vom ‘Deichmann’, stand ein Bus der Linie 13. Leute blieben stehen und bildeten eine Traube. Wo kommen die Leute nur alle her? In so kurzer Zeit? Als Kowalsky den Bus erreicht hatte standen schon so viele Passanten um die Vorderräder herum, dass er nicht erkennen konnte, was passiert war. Dann sah er ein Smartphone auf dem Asphalt liegen, dann Beine, dann einen Körper, der halb unter dem Vorderrad des Busses zu liegen schien, und dann das Gesicht. Aus ihrem Hinterkopf floss Blut in eine Pfütze, die sich nun schon fast schwarz gefärbt hatte. Jemand rief einen Notarzt.

Nur wenige Augenblicke später bog der Rettungswagen um die Ecke. Der Notarzt beugte sich über das Mädchen, versuchte ihren Puls zu ertasten, drehte vorsichtig den Kopf zur Seite und schaute nach der Wunde - man sah ihm an, dass es sich dabei um Routine handelte - und flüsterte dann etwas zum assistierenden Sanitäter.
– Sie muss auf der Stelle tot gewesen sein. War wohl in Gedanken, sagte er zu den Herumstehenden.
Kowalsky stand regungslos daneben, und ihm schien, als sehe sie nun, mit den geschlossenen Augen und dem halb geöffneten Mund immer noch so wunderschön aus, wie vor wenigen Augenblicken.
Ein Sanitäter legte eine Decke über den toten Körper. Als letztes bedeckte er das Gesicht.
– Hat jemand von ihnen den Unfall gesehen?, fragte er.
Aber da war Kowalsky schon wieder unterwegs zum Stehtisch.

Vincenzo kam mit zwei Grappas zum Tisch.
– Was ‘ne Scheiße, Mann. Gib mir mal ‘ne Fluppe, Kowalsky. Ich denk’, ich hab’ eine nötig.
Sie standen im Regen, der ihnen nun aber nichts mehr ausmachte. Sie sprachen kein Wort. Vincenzo führte die Moods mit zittrigen Händen an die Lippen.
– Was für ’ne verdammte Scheiße, Mann, stammelte er.
– Hm, sagte Kowalsky und zog den Rauch tief ein - wie immer, wenn er ein Leben verloren hatte.
 
Hallo Vagant,
schöner Text, locker-schnoddrig geschrieben, sowas mag ich.
Ein paar Anmerkungen dazu habe ich direkt in den Text geschrieben, den ich entsprechend gekürzt habe (muß noch lernen, wie das hier mit dem Zitieren geht.
Gruß,
Monsieur Milan

[blue]Den ersten Absatz fand ich stark, man ist direkt in der Story drin und will weiterlesen.[/blue]

Kowalsky hatte ihr Kommen nicht bemerkt, zog eine Braue in die Höhe und deutete mit dem Kopf auf irgendeinen Punkt neben sich. Er mochte diese Geste, war sich aber ihrer Schroffheit bewusst, und deutet deshalb eins seiner kleinen Lächeln an. Klein und tapfer, eher die Imitation eines Lächelns.

[blue]Nee, besser finde ich: ... bewusst, und deutet deshalb die Imitation eines Lächelns an.[/blue]

Ihm schien, als habe sie weder seine kleine Schroffheit, noch seinen Versuch eines Lächelns wahrgenommen.

[blue]Klein erscheint mir die schwächste Auswahl. Versuchs vielleicht mal mit "leichte" oder "angedeutete" oder oder ...[/blue]

Sie sendete noch eine Nachricht zu irgend einem Satelliten, der, hoch über dem Dunst der über der Stadt lag, über ihnen kreiste, schüttelte dann den Kopf, murmelte etwas Unverständliches - das in seinen Ohren wie ‘ja-du-mich-auch’ klang -, machte ihr Smartphone aus und schmiss es in die Tasche, welche sie dann, wohl auf der Suche nach irgendetwas Wichtigem, durchwühlte.

[blue]Dieses Satzgebilde war mir beim Lesen zu sperrig. Merkte ich vor allem, weil alle anderen Textpassagen locker und flüssig rüberkamen. Mach kürzere Sätze draus.[/blue]


Sie drehte sich um, und ging ohne ein weiteres Wort. Ihren Cappuccino hatte sie nicht angerührt. Kowalsky griff nach seinen Zigarillos. Er sah ihr nicht hinterher.

Nur wenige Sekunden später hörte er einen dumpfen Aufprall. Keine 20 Meter entfernt von ‘Sheriffs Coffee Bar’,
(...)

[blue]Ich weiß nicht, wie es anderen Lesen geht, aber hier war mir sofort klar, wer da verunfallt ist. An dieser Stelle wäre etwas Ablenkung gut gewesen, um nicht unbedingt sofort darauf zu kommen, wen es getroffen hat. Die spielenden Kinder, der Ball, der auf die Straße rollt, die Alte mit Rollator etc. Irgendetwas dazwischen wäre gut, so kamst du zu schnellauf den Punkt.[/blue]

Nur wenige Augenblicke später bog der Rettungswagen um die Ecke.

[blue]Würde ich streichen, ist entbehrlich. Zeig die Hektik der Sanitäter, die routinierte handlungsweise des Notarztes. [/blue]

Der Notarzt beugte sich über das Mädchen, versuchte ihren Puls zu ertasten, drehte vorsichtig den Kopf zur Seite und schaute nach der Wunde - man sah ihm an, dass es sich dabei um Routine handelte - und flüsterte dann etwas zum assistierenden Sanitäter.
(...)

Aber da war Kowalsky schon wieder unterwegs zum Stehtisch.

[blue]Diesen Satz fand ich deplaziert, da er suggeriert, Kowalsky hätte den Unfall gesehen. hat er aber nicht. Du willst Kowalsky als emotionslos darstellen, schon klar. Aber mit diesem Satz gelingt das meiner meinung nach nicht wirklich.[/blue]


[blue]So, jetzt habe ich einiges rumgemäkelt, möchte aber schon schreiben, dass mir deine Art der Schreibe gefällt und ich schon gespannt auf weitere deiner Geschichten rund um Vicenzo bin. Vielleicht noch ein wenig mehr Biß hier und da, dann könnte es richtig gut werden.[/blue]
 

Vagant

Mitglied
Hallo M. Milan,

vielen Dank für den Gegenbesuch. Eins vorweg: dazu besteht hier kein Zwang, allerdings freut es mich gerade deshalb um so mehr.

Einiger deiner Hinweise (sperriges Satzgebilde, schlecht gewähltes Verb, usw.) werde ich da sicher mal einflechten. Danke dafür.

Es ist immer gut, wenn mal jemand über einen Text schaut und einem den einen oder anderen Hinweis geben kann.

Die Geschehnisse rund um den Unfall habe ich bewusst nicht szenisch ausgearbeitet.
Das sollte so nüchtern, fast spröde klingen. Ich habe auch (erstmals) dem Erzähler mehr Raum gegeben. Halt um diesen leicht distanzierten Eindruck zu vermitteln. Allerdings ist Kowalsky auch nicht als emotionsloser Typ angelegt. Vielmehr ist er ein Fatalist: was passiert, passiert, und er ist ohnehin an einem Punkt angelangt, an dem es Zeit wird, den Dingen nüchtern ins Auge zu blicken. Deshalb möchte ich da am Ende auch nicht noch Spannung erzeugen oder irgendeinen Überraschungseffekt aus dem Hut zaubern.
Die Stories sollten - wie du bei 'Vincenzo' schon so trefflich bemerkt hast - ohne verschachtelte Handlung auskommen; legentlich Stimmungsbilder zeigen, konzentriert auf einen kurzen Ausschnitt; hier vielleicht 3 oder 5 Minuten, bei Vincenzo vielleicht 20 Minuten.
5 Texte des Themas sind fertig, ein einleitender über Kowalsky, einer über Sahra (das Mädchen), und ein weiterführender über Vincenzo. Allerdings merke ich, dass es mir nicht gelungen ist, meine Intention umzusetzen. Die einzige Vorgabe die ich dabei eingehalten habe, war wohl die, dass ich am Ende jeder Episode ungefähr bei 1000 Wörtern ins Ziel komme :).
Na ja, dann heißt es wohl: Beim nächsten Mal wird (vielleicht) alles wieder besser.
Vielen Dank fürs Lesen, und die dienlichen Hinweise.

Lg Vagant.
 

Vagant

Mitglied
3 Minuten

Die halb geöffnete Markise gab sich alle Mühe den Stehtisch vor 'Sheriffs Coffee Bar' vor dem Regen zu schützen. Vergebens. Kowalsky stand nur da, presste, zum Schutz vor der Nässe, seine Schultern gegen die Wand, starrte auf den Espresso und versuchte die Teile des Gesprächs, die in seinem Kopf hin und her kreisten, einzufangen und zu einem Ganzen zusammen zu fügen.
– Ihre Leukozyten gefallen mir gar nicht. Ich denke, wir werden das Screening verfeinern müssen.
– Das heißt?
– Das heißt, dass ich in der nächsten Woche noch einmal eine Probe nehmen werde.
– Nein, die Leukos. Wie viele? Zahlen, irgendwas.
– Neunzigtausend und ‘n paar Zerquetschte.
– Bedeutet?
– Das bedeutet, dass die letzte Therapie leider nicht den erhofften Erfolg gebracht hat. Hören Sie zu, die Leukos sind nicht unbedingt das größte Problem, die bekommen wir mit Zytostatika schnell wieder in den Griff. Aber - und er schaute ihn dabei eindringlich an - die Lymphknoten sind weiterhin geschwollen, und der anhaltende Nachtschweiß ist auch kein gutes Zeichen.
– Also, keinen Bonus mehr?
– Bedeutet es erstmal gar nicht. Kowalsky, Sie dürfen die Flinte nicht so schnell ins Korn werfen. Aber - und er blätterte durch die Akte ohne dabei genau hinzusehen - ich gebe zu, dass unsere Möglichkeiten nun langsam aber sicher erschöpft zu sein scheinen.
Er verstand in diesem Moment nicht genau, was dies für ihn bedeutete, und hatte sich auch nicht getraut danach zu fragen. Und selbst wenn er sich getraut hätte; bei Prognosen hielt sich sein Arzt immer zurück, soviel wusste er.

Während er dem Espresso beim kalt werden zuschaute, kam eine junge Frau aus dem Laden, ging auf den Stehtisch zu, und stellte ihren Cappuccino zwischen zwei kleine Pfützen.
– Darf ich, fragte sie.
Kowalsky hatte ihr Kommen nicht bemerkt, zog eine Braue in die Höhe und deutete mit dem Kopf auf irgendeinen Punkt neben sich. Er mochte diese Geste, war sich aber ihrer Schroffheit bewusst, und deutet deshalb eins seiner kleinen Lächeln an. Klein und tapfer, eher die Imitation eines Lächelns.
– Scheiß Wetter heut’, zischte sie mehr ins Irgendwo als zu ihm.
Ihm schien, als habe sie weder seine kleine Schroffheit, noch seinen Versuch eines Lächelns wahrgenommen.
– Ja, ‘s geht nun langsam auf den Winter zu, sagte er.
Sie nickte kurz, holte ihr Smartphone aus der Tasche und strich über den Touchscreen.
Sicher hat sie wichtige Sachen zu erledigen, dachte Kowalsky. Wenn du jung bist, dann sind alle Sachen wichtig.
Sie mochte vielleicht 25 sein, dachte er, nicht mal halb so alt wie er. Mit ihrer blassen Haut, den dunklen Augen und ihrer bad-Hair-Day-Frisur war sie so schön, dass er beim Betrachten einen Stich im Herz spürte - und wie immer wenn er einer jungen Frau gegenüberstand, hatte er den schweren Duft des Haarsprays der Mädchen in der Nase, die er schon in seiner Jugend nicht für sich gewinnen konnte. Ein weiteres Lächeln, nicht größer als das Vergangene, half ihm, seine Fassung wieder zu erlangen. Er blickte auf ihre Brille und ihre Collegetasche und tippte darauf, dass sie eine Studentin sein könnte. Sicher ist sie eine Studentin, Medien oder so was. Kowalsky lächelte noch einmal sein schmalbrüstiges Lächeln und trank den Espresso.

Kowalsky schien, als tippe sie ein paar Nachrichten an weiß der Teufel wen - und es sah so aus, als hätte sie keinen Spaß dabei. Vielleicht ist sie von einer Freundin versetzt worden, dachte er, oder von ihrem Freund. Er hielt sich immer für gut in solchen Dingen. Wer macht was? Wer wartet auf wen? Was denkt der eine, was der andere? Alles Fragen, die er meist nach wenigen Augenblicken verblüffend präzise beantworten konnte. Nun fiel ihm zu ihr nichts ein, und es schien, als hätte sein Talent ihn verlassen.
Sie sendete noch eine Nachricht zu irgend einem Satelliten, der, hoch über dem Dunst der über der Stadt lag, über ihnen kreiste, schüttelte dann den Kopf, murmelte etwas Unverständliches - das in seinen Ohren wie ‘ja-du-mich-auch’ klang -, machte ihr Smartphone aus und schmiss es in die Tasche, welche sie dann, wohl auf der Suche nach irgendetwas Wichtigem, durchwühlte.
Sie sucht nach den Zigaretten, dachte er, und sie sah in ihrer kleinen Wut, wie er fand, immer noch hinreißend aus.
– He, vielleicht kann ich Ihnen irgendwie helfen, sagte er.
– Ich muss meine Zigaretten vergessen haben, sagte sie - und ihr Blick irrte weiterhin durch die Tasche. Haben Sie vielleicht welche dabei?
– Nur Zigarillos.
– Nee, geht gar nicht. Aber danke.
Sie drehte sich um, und ging ohne ein weiteres Wort. Ihren Cappuccino hatte sie nicht angerührt. Kowalsky griff nach seinen Zigarillos. Er sah ihr nicht hinterher.

Nur wenige Sekunden später hörte er einen dumpfen Aufprall. Keine 20 Meter entfernt von ‘Sheriffs Coffee Bar’, gegenüber vom ‘Deichmann’, stand ein Bus der Linie 13. Leute blieben stehen und bildeten eine Traube. Wo kommen die Leute nur alle her? In so kurzer Zeit? Als Kowalsky den Bus erreicht hatte standen schon so viele Passanten um die Vorderräder herum, dass er nicht erkennen konnte, was passiert war. Dann sah er ein Smartphone auf dem Asphalt liegen, dann Beine, dann einen Körper, der halb unter dem Vorderrad des Busses zu liegen schien, und dann das Gesicht. Aus ihrem Hinterkopf floss Blut in eine Pfütze, die sich nun schon fast schwarz gefärbt hatte. Jemand rief einen Notarzt.

Nur wenige Augenblicke später bog der Rettungswagen um die Ecke. Der Notarzt beugte sich über das Mädchen, versuchte ihren Puls zu ertasten, drehte vorsichtig ihren Kopf etwas zur Seite und schaute nach der Wunde - man sah ihm an, dass es sich dabei um Routine handelte - und flüsterte dann etwas zum assistierenden Sanitäter.
– Sie muss auf der Stelle tot gewesen sein. War wohl in Gedanken, sagte er zu den Herumstehenden.
Kowalsky stand regungslos daneben, und ihm schien, als sehe sie nun, mit den geschlossenen Augen und dem halb geöffneten Mund immer noch so wunderschön aus, wie vor wenigen Augenblicken.
Ein Sanitäter legte eine Decke über den toten Körper. Als letztes bedeckte er das Gesicht.
– Hat jemand von ihnen den Unfall gesehen?, fragte er.
Aber da war Kowalsky schon wieder unterwegs zum Stehtisch.

Vincenzo kam mit zwei Grappas zum Tisch.
– Was ‘ne Scheiße, Mann. Gib mir mal ‘ne Fluppe, Kowalsky. Ich denk’, ich hab’ eine nötig.
Sie standen im Regen, der ihnen nun aber nichts mehr ausmachte. Sie sprachen kein Wort. Vincenzo führte die Moods mit zittrigen Händen an die Lippen.
– Was für ’ne verdammte Scheiße, Mann, stammelte er.
– Hm, sagte Kowalsky und zog den Rauch tief ein - wie immer, wenn er ein Leben verloren hatte.
 



 
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