3.Sitzung oder Telepathie

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nachtfalter

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Unlängst, so vor ca. 30 Jahren, machten Herta und ich einen Ausflug zum Fuschlsee. Zuerst sprach sie davon, was an Hitler doch auch gut gewesen sein soll und dann, nachdem ich vor lauter Überraschung schwieg, begann sie, mir aus einem alten Buch vorzulesen. Weil es in lateinischer Sprache verfasst war, verstand ich sowieso kein Wort. Sie aber sagte: ohne Latein ist Bildung nicht fundiert. Ich schwieg weiter,
schaute zum wolkenlosen Himmel hinauf und er schaute zurück.
Eine bestimmte Passage musste sie plötzlich verärgert haben, denn sie scheuchte nicht nur mit einer Handbewegung das Insekt von der Seite des Buches, in dem sie eben gelesen hatte. Sie warf das Buch hinterher ins Wasser, es klatschte, das Buch war sofort versunken und auf dem Wasser waren Ringe zu sehen die sich an der Stelle, wo das Buch versunken war, drehten. Dann klatschte das Wasser wieder, monoton, leise, gegen die hölzerne Breitseite des Bootes, es schaukelte weiter.
Der Himmel war immer noch blau. Ich schaute hinauf und er schaute zurück.
Plötzlich nahm Herta die Ruder in die Hand und drückte kräftig. Wenn ich in die Pension zurückkomme, werde ich ein anderes Buch lesen, sagte sie und das Radio aufdrehen, um die lokalen Nachrichten zu hören. Kein Mensch wird auf die Idee kommen, dass wir hier sind und sie lachte, freute sich diebisch auf das nächste Buch und ich dachte, das wäre jetzt eine gute Gelegenheit, sie ins Wasser zu stoßen.
Sie war eher sportlich, ritt auch gerne und zog schon mal als Direktorin eines Erziehungsheimes einer Insassin die Reitgerte über die Haut.
Wer wusste schon, dass sie nicht schwimmen konnte? Und Österreichs Seen sind ja bekanntlich tief.
Der Himmel war nicht mehr zu sehen, Algen streichelten mein Gesicht, es war nass und dunkel rings, ab und zu streifte ein vorbeihuschender Fisch meine Haut mit seinem glitschigen Leib.

Am besten wird sein, sagte Frau Ahavzi, wir werden das Buch übersetzen.
 

petrasmiles

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Der Text gefällt mir gut! Da wird sprachlich ein Fenster aufgerissen und ich wohne einer Szene bei, gleichsam von innen und außen.
Ich wünschte nur, ich könnte die letzten Zeilen einordnen.
Warum landet die Ich-Erzählerin (?) im Wasser?
Und wer ist Frau Ahavzi?
Liebe Grüße
P.
 

nachtfalter

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Ursprünglich veröffentlicht von petrasmiles
Der Text gefällt mir gut! Da wird sprachlich ein Fenster aufgerissen und ich wohne einer Szene bei, gleichsam von innen und außen.
Ich wünschte nur, ich könnte die letzten Zeilen einordnen.
Warum landet die Ich-Erzählerin (?) im Wasser?
Und wer ist Frau Ahavzi?
Liebe Grüße
P.
Herta spürte meine Absicht, ich tat es nicht, aber sie.
Frau Ahavzi ist eventuell in einem größeren Rahmen, sofern was draus wird, wie bei einem Gobelin. Das ist die, wohin sie zur Sitzung und" zurückgeht". Nach Möglichkeit spielen Zeit, Raum und Bewußtseinszustände keine Rolle. Danke für das Lob, freut mich.
Sch.
 

nachtfalter

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Ursprünglich veröffentlicht von petrasmiles
Der Text gefällt mir gut! Da wird sprachlich ein Fenster aufgerissen und ich wohne einer Szene bei, gleichsam von innen und außen.
Ich wünschte nur, ich könnte die letzten Zeilen einordnen.
Warum landet die Ich-Erzählerin (?) im Wasser?
Und wer ist Frau Ahavzi?
Liebe Grüße
P.
Meine Absicht führte Hertha aus, sie hat es eben gespürt, die Übertragung, was übrigens ein Begriff aus der Analyse ist.Frau Ahavzi ist Analytikerin und ich wollte diesen Beitrag so wie andere in einem größeren Kontext einordnen, wobei ich nicht weiß ,ob es mir gelingen wird.
Danke fürs Lesen und die Antwort, das Lob hat mich natürlich gefreut.
 



 
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