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Suse

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Bevor die erste Moorleiche unter dem Massagepilz aufgetaucht war, hatte Matthew H. Hucksley. noch an das Gute geglaubt. Chlor in den Augen – hatte er gedacht und sich die Schwimmbrille vom Gesicht grissen. Das Wasser platschte ihm auf den Rücken und zerrte an seiner Badehose. Er drückte die Lider fest zusammen, presste sich mit den Daumen die Augäpfel so fest in die Höhlen, dass er sekundenlang nur bunte Farbflecken tanzen sah. Er blinzelte, sah kurz nach rechts. Und da packte ihn das nackte Entsetzen:

Es war braun, fast schwarz, es hatte den Mund mit den fauligen Zähnen weit geöffnet, das Wasser prasselte, tropfte ihm wie siedender Speichel von den Mundwinkeln herab. Voll Grauen sah Matthew H. Hucksley das blanke Skelett unter der ledrigen Kopfhaut hervorblitzen. Das war kein Mensch, was sich da mit dem, was einmal Hände gewesen sein mochten, die dürren faltigen Hüften klopfte. Es drehte den Kopf. Grinste. Schob das Becken vor und zurück, wackelte mit dem runzeligen Hinterteil, als wolle es unter dem Massagepilz Salsa tanzen. Der Brustkorb bebte unter einem keuchenden Lachen. Eine kalte Hand legte sich auf Matthew H. Hucksleys Schulter. Er fuhr herum. Sah mit aufgerissenen Augen in ein zweites zerfallenes Gesicht. Es stank. „Hey!“, raunte es und drückte seine modrige Nase mitten in Matthews Gesicht. Das Wasser sprudelte unaufhörlich. Der Bademeister machte durch krächzende Lautsprecher eine Durchsage, dass die kleine Denise bei der Sauna abgeholt werden könne. „Hey“ rasselte es noch einmal, dieses stinkende faulige Etwas, dieses – Monster!

Das kalte Grauen packte ihn . „Hey, Du!“ Matthew H. Hucksley spürte es. Das war er – der Augenblick des Todes. Er war sich jetzt sicher, er lebte nicht mehr. Er musste zweifellos ertrunken sein. Das faulige Gesicht entblößte die schwarzen Zähne zu einem schiefen Grinsen. Es packte Matthew H. Hucksley barsch im Nacken und drehte seinen Kopf zur Seite. Es nickte mehrmals im Takt und stieß dabei mit dem, was einmal eine Nase gewesen war, stetig gegen Matthews linkes Ohr. „Eine kleine Moorleiche....“ Seine Stimme gurgelte die offene Luftröhre hinauf „...die war nicht gern allein...“

Aufhören! Aufhören! Matthew H. Hucksley versuchte sich loszureißen, er schrie auf presste sich die Hände gegen die Ohren. „...drum lud sie sich ins Wellenbad nen netten Kumpel ein...“ Die Moorleiche lachte zynisch. „Zwei kleine Moorleichen....“ Eine dicke Frau mit pinkfarbener Bademütze steuerte auf den Massagepilz zu. Die erste Moorleiche watete ihr einige Schritte entgegen und beugte sich nach vorne. „Darf ich bitten?“ Die dicke Frau lächelte beschämt reichte der Moorleiche ihre dicke Hand und nickte schüchtern. Die Moorleiche umschlang den wulstigen Körper mit seinem klapprigen Arm. „Drei kleine Moorleichen....“ Matthew H. Hucksley zitterte am ganzen Körper. Zu spät bemerkte er, dass sich langsam zwei knöcherne Hände um seine Fußgelenke schlossen. Wie eiserne Handschellen klammerte sich die dritte Moorleiche an seinen Füßen fest, zerrten an seinen Beinen, dass die Haut über seinen Kniescheiben weiß wurde. Die Dicke tanzte mit der ersten Moorleiche einen Wiener Walzer im knietiefen Wasser. Matthew H. Hucksley presste die Augenlider zusammen, er schrie, aber niemand schien ihn zu hören. Seine Beine drohten auszureißen, so fest zog das braune Etwas ihn nach unten, das andere Ungetüm hielt seinen Kopf fest wie ein Schraubstock und summte leise: „Vier kleine Moorleichen....“. Matthew riss wieder die Augen auf, er ruderte mit den Armen, versuchte, sich frei zu machen. Er bekam den Ellenbogen seines Peinigers zu fassen und riss mit aller Kraft an den zerfledderten Gliedmaßen. Aber es war zu spät. Die vierte Moorleiche hatte bereits die stinkenden Arme um seine Hüften gelegt, schmiegte den fauligen Kopf an seinen nackten Rücken und wiegte sich sanft im Takt. „Fünf kleine Moorleichen....“ Am Beckenrand hatte ein ganzer Moorleichenchor Stellung bezogen. Sie sangen dreistimmig und die Dicke klatschte begeistert in die Hände.

„Sechs kleine Moorleichen...“ Die Dicke sprang auf und ab, ein Kind mit Schwimmflügeln paddelte im Kreis um sie herum. „Sieben kleine Moorleichen....“ Der Griff um Matthew H. Hucksleys Sprunggelenke lockerte sich. Die braune Gestalt löste sich von ihm und schwamm zum Beckenrand. Hautfetzen trieben sanft auf dem Wasser. „Acht kleine Moorleichen.....“ Der Chor wurde größer und größer, mit jeder Stophe gesellte sich eine weitere Moorleiche hinzu, sie kamen aus allen Becken, aus dem Dampfbad, aus der Sauna, aus dem Ruheraum. „Dreißig kleine Moorleichen....“ Der Bademeister brachte eilig ein Megaphon und stellte sich mit in die erste Reihe. „Fünfunddreißig kleine Moorleichen.....“
Matthew H. Hucksley stand wie angewurzelt unter dem Massagepilz, der inzwischen ausgeschaltet war. Langsam bewegte sich der Zeiger der großen Wanduhr auf die volle Stunde zu. „Sechsunddreißig kleine Moorleichen.....“ Einen Moment lang starrte er wie gebannt auf den Chor, der unbeirrt seinen Auftritt fortsetzte. Dann rannte er los. Er schob sich so schnell er konnte durch das Becken, zur Aluminiumtreppe, raus aus dem Wasser. Er ließ sein Handtuch links liegen, stürzte durch die Duschkabine in eine der Umkleiden, rang nach Luft und drehte den Schlüssel. Er atmete schwer. Ließ sich auf die kleine Plastikbank fallen. Gerade wollte er sich den Schlüssel für seinen Spind vom Handgelenk schnallen, als ihm etwas Kaltes sanft auf die Schulter tippte. „Siebenunddreißig kleine Moorleichen....“

Matthew H. Hucksley sollte nie wieder ins Wellenbad gehen.
 



 
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