43

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Halb fünf

Berlin voll Mond

zwischen VolksoberHauptbahnhof

Noch verschlafene Loks hinter Glas

sind am Zug

und raunen ihren Kumpels gute Morgen zu

Ein abgefahrener Palast

spiegelt sich im Wasser​

Hellwach bin ich, immer noch und ganz besonders nach der Virgin Mary im Schwarzen Café. Mangelnde Eleganz ließen mich Tabasco und Salz mit einer Stange Sellerie verrühren. Der Wirt sagte du zu mir, ich freute mich. Mein 20jähriges Gegenüber kicherte in seinen besoffenen irischen Kaffee. Diese Stadt schläft nie.

Vollbesetzte Busse vermischten Nachtschichtler mit –schwärmern. Aufgedrehte Teens mit kurzen Röckchen über drall gefüllten Leggings waren ach so cool, die anderen wollten nur noch ins warme Bett. Der Prenzlauer Weinberg verschlief unsere Besteigung im gnädigen Dunkel. Ein paar Schritte weiter drang leises Licht aus offenen Kneipentüren, gedämpftes Lachen und Lamentieren. Du bist mir so vertraut, Berlin.

Ökologisch wertvoll sprossen Pfifferlinge aus dem weit nach Mitternacht erworbenen Plastikschälchen, passend zur Kunststoffbestuhlung vor dem freshen friend in der Kastanienallee. Rote Ampelmännchen zwickten grüne in die flotten Füße, es wurde verkehrt geregelt und so überquerten wir die breiten Kreuzungen schräg. Konoppke hatte dicht und so manche Nachtgestalt war es auch. Und ich bin immer noch Dichter und freue mich auf die Fortsetzung unserer Fahrt nach Rügen. Die ersten 5 Stunden dieses neuen Jahres vergingen wie im Flug. Als ich diese Zeitreise in Frankfurt begann, war es noch 42.

Viele Stunden später, viel weiter nördlich, es ist immer noch der 26. September:


Der Mond malt eine Straße auf das Wasser

die mich zu ihm führt

Fledermäuse begleiten mich

und die aus dem Hang gefallenen Baumkronen

spenden Schatten

Stetig rollt die Brandung

es gluckst im Sand

ich fühle mich eins

mit den Gezeiten

Ihre ewige Wiederkehr

hält mich fest und

gibt mir Geborgenheit

im Strom der Zeit​
 
Oh - jetzt bin ich verlegen.

...

Danke flammarion, danke Otto für eure Worte.

Ich musste nicht viel tun - der späte Abend, die wache Nacht in Berlin und der darauffolgende Abend an den Kreidefelsen waren so. Sie beschrieben sich selbst, sie führten meine Hand, als ich im Dreivierteldunkel kritzelte.
 
B

Beba

Gast
Gefällt mir sehr gut. Echte Atmosphäre, die man beim Lesen atmet. Und von Lyrik im passenden Ton eingerahmt.

LG
Bernd
 
Herzlichen Dank, Beba, für Kommentar und Wertung. Es freut mich, dass du als Leser die Atmosphäre, die hinter den Worten steckt, zu inhalieren vermagst.

Bakenfalter
 

ENachtigall

Mitglied
Halb fünf

Berlin voll Mond
Hallo Gerhard,

wie bei umfangreicheren Werken gilt auch für´s Kleingeschriebene: ein guter Anfang ist schwer gemacht, kommt aber leicht daher. Kulinarisch mit einem guten Entrée vergleichbar, macht er Appetit auf mehr.
Das ist Dir hier gelungen.

Lieben Gruß,

Elke
 
monsieur,
hätt ich alles ganz anders geschrieben, was soll's ;-)

trotzdem klasse

mach bloß weiter so.
(Ich bemühe mich ja auch)


abfahrender Palast, nicht schlecht! ;-)


schönen Tag

serge
 
Mon cher,

j'suis très enchantée que vous auriez écrit cette petite pièce ganz anders. Sonz wär's ja auch verdammt langweilig hier - vive la vielfältigkeit :cool:

Und ich mach weiter so, klar - du doch hoffentlich auch?

Merci beau q.

Mme Papillon
 

Venus

Mitglied
Geschätzter Gerhard Bakenfalter,

„ja, leck mich doch am Arsch!“ - täte womöglich der gemeine Bayer rufen, so man ihm auf diese sinnlich sinnige Weise Berlin erklärte. Als Ausdruck seiner unumschränkten Bewunderung, freilich. Eine Bayerin tät das womöglich nicht ganz so direkt und schon gar nicht öffentlich. Hingegen eine mir recht zugetane Dame, aus besagt südlichen Gefilden, grad ebensolches lauthals in ihre Räumlichkeiten plärrte.

Ich liebe jede Zeile und hab sie mit allen Sinnen gestreichelt.
Das geschieht so selten, dass ich mir dieses Gespinst einwecken möchte, wie Kirschen für schlechte Tage.

Chapeau!

Recht freundlich,
Gabriele
 
huch! (schon wieder)

Vor Schreck verstummt
belegt Wortkargheit meine Stimme
verlegenes Hüsteln räuspert mich
und es druckst mich dumm
in den heißen Brei
statt drumherum.

Venus, wie konntest du mich nur so erschrecken?
Ich bin doch schon ein alter!
Bakenfalter.

Hold error! hüstel
nein
hold errorötend wie ein Bakfisch
nagt es mich im Tee
oder habe ich da einen?

Glucksertrunken blubbs ich
Dankeschön

Schlotterba(c)ke
 
Herzlichen Dank, revilo :)

Als ich "43" zum Teil völlig übernächtigt auf einer Brücke in der Nähe des Reichtags, teilweise während meiner ersten Nacht auf Rügen zusammenkritzelte, ging es mir darum, meine bewegenden Eindrücke bloß nicht zu vergessen; zu schön war diese [strike]Flucht[/strike] Reise in meinem Geburtstag hinein, denn ich hasse! derartige, meine Person betreffende Jubiliäen. Ich hätte nicht gedacht, dass das außer mir und vielleicht meinem Filius jemand lesen möchte. Drum freue ich mich total über diese Resonanz. :D

Bakenflüchter
 



 
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