A Baumholder Night

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Inu

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A BAUMHOLDER NIGHT

Leben der amerikanischen Soldaten in Deutschland
um 1960.
Momentaufnahme.

Kaiserslautern.
Eine gewaltige Streitmacht haben die USA in der Pfalz stationiert. Uniformierte Soldaten der Army und Airforce prägen das Bild in den Straßen. Unübersehbare Präsenz bei Tag und bei Nacht.

An die vierhundert Bars gibt es in K’town und der Umgebung.
_

'Bedienungen für Cafés
auch Anfängerinnen
in amerikanische Garnisonsstadt gesucht
Unterkunft ( sehr komfortabel ) im Haus,


so werben Zeitungsannoncen in allen deutschen Regionen.

Es melden sich massenhaft Frauen, auch aus Österreich, Belgien, Holland, Frankreich, der Schweiz. Es lockt der Dollar, es locken leichte, vermutlich lässige Tage und eine Arbeit, von der manche glauben, dass sie gar keine ist.


STARLIGHT BAR

Im alten Bauernland, im Herzen der Pfalz, weit weg von den letzten Häusern des Dorfes, inmitten von Feldern und Wiesen, steht seit Zeiten eine geräumige Scheune. Sie hat eine neue Bestimmung bekommen - ein kleiner Umbau und schon ist sie zur G.I.- Bar mutiert.

Um halb zehn morgens öffnet der Laden. Von da an tost ohne Ende die Wurlitzer Juke-Box.

°°°° I’M JUST A LONELY BOY, LONELY AND BLUE...

- das ist Paul Anka –

I’m all alo-one with nothin’ to do.
I've got everythi-iing
you could think of.
But all I wa-ant
is someone to love
Someone, yes, someone to lo-ove, someone to ki-iss
Someone to ho-old at a moment like this.°°°°


Die STARLIGHT BAR ... nachts leuchtet sie aus der Ferne wie ein bunt beleuchtetes Passagierschiff auf dem Meer, ist aber bei Sonnenlicht betrachtet, ein zwar sauber geschrubbter, doch schäbiger Schuppen.
Da lungern schläfrig die Frauen vom Frühdienst herum, trinken Kaffee, pinseln sich Lack auf die Nägel. Nach ‚Intimate‘ duften die Girls, dem begehrten Parfüm jener Jahre. In der PX kaufen es ihnen die Freunde und Lover.

Jung sind sie, die Mädchen, deren Kindheit schlecht war, die im Heim aufgewachsen, vom Leben geschüttelt, noch nirgends Fuß fassen konnten. Hier bedarf es keines Wissens und keiner Ausbildung, hier wird man nicht mehr versagen und nie allein sein.
Auch leuchtet die Zukunft in rosigen Farben, denn über den großen Teich ist es von K’town bis ins Land ihrer Sehnsucht doch nur noch ein Luftsprung. New York – San Francisco – Los Angeles International Airport.
Die Hoffnung kann schnell für die Träumerinnen zur Wirklichkeit werden. Ein junger Sergeant, ein Major ... gute Männer gibt es genug unter den US. Soldaten. Und wenn einer verliebt ist, dann bietet er ... eventuell sogar Heirat.

Im Dorf wirbeln die jungen Dinger natürlich Staub auf. Die Bauernsöhne sind hin-und hergerissen, die Landfrauen aber heftig erzürnt, wenn die Früchtchen zu dritt, zu viert, aufgedonnert und munter plappernd durch die ehrbaren Gassen stöckeln oder bei Tante Emma den Laden und die Kundschaft durcheinander bringen.

Starlight-Bar. Mit Gepolter erstürmen die ersten Gäste schon vor Mittag , den Schuppen. - Da werden die müden Mädchen munter. Man dreht die Musikbox lauter, knipst den weiblichen Charme an. So mancher amerikanische Soldat, kommt an seinem freien Tag früh her und kuriert hier sein Heimweh mit Whisky und Bier. Durch Alltagsgeplauder, gewürzt mit Humor und Ironie, gelingt es den hauseigenen Blondinen, die armen Jims und Johns den Kasernenalltag für eine Weile vergessen zu lassen. Sie selbst ergattern so ganz nebenbei ihre ersten Drinks. Vielleicht gar Champagner?
Die Girls haben ein Pflaster für jeden Kummer und gegen die Einsamkeit launische Worte. Trösten sie? Immerhin ... sie hören den Männern wenigstens aufmerksam zu.

*

Auch französisches Flair gibt es hier. Très chic sind die Chansons der Piaf, die aus der Juke-Box erklingen:

°°°° C‘EST A HAMBOURG, a Santiago,
a White Chapel, ou Borneo.
C‘est a Hambourg, a Santiago,
a Rotterdam, ou a Frisco...

Hello boy ! You come with me ?
Amigo ! Te quiero mucho !
Liebling ! Komm doch mit mir !

C‘est a Hambourg, au ciel de pluie,
dans les bastringues a matelots,
que je trimballe encore ma peau,
les bras ouverts à l'infini...
Car moi je suis comme la mer,
j‘ai l‘coeur trop grand pour un seul gars,
j‘ai l‘coeur trop grand et c‘est pour ca
qu‘ j‘ai pris l‘amour sur toute la terre...
C‘est a Hambourg, a Santiago
a White Chapel, ou Borneo...

So long, boy...
Adios, amigo...
Nachher, Schatz...
...Au r‘voir, p‘tite gueule ! °°°°


***

Eva - auf ihrem Zimmer malt sie heimlich expressionistische Bilder und hat auch sonst den Kopf in den Wolken - also Eva ist verrückt nach diesem Chanson und lässt es in der Music-Box so lange laufen, bis die Kolleginnen unisono "aufhören" brüllen. Dann drückt sie ihren zweitliebsten Song:

°°°° She gets too hungry, for dinner at eight.
She loves the theater, but doesn‘t come late.
She‘d never bother, with people she‘d hate,
THAT'S WHY THE LADY IS A TRAMP.

Doesn‘t like crap games, with barons and earls,
won‘t go to Harlem, in ermine and pearls.
Won‘t dish the dirt, with the rest of those girls.
That‘s why the lady is a tramp.

SHE LOVES THE FREE, FRESH WIND IN HER HAIR,
life without care.
She‘s broke, but it‘s o‘k.
She hates California, it‘s cold and it‘s damp.
That‘s why the lady is a tramp. °°°°


http://www.youtube.com/watch?v=bZamWo0wOCA

Zwölf Uhr Mittags. High Noon. Noch lauter dröhnt jetzt die Jukebox.

Aaron, ein Israeli mit großen Augen, der aussieht wie Kafka, müht sich hinter dem Tresen um die diversen Getränke. Ach ja, der Sekt! In großen Mengen wird er alle paar Tage aus dem Edeka-Laden angeliefert. Für zwei-Mark-fuffzich pro Liter. Im Starlight verwandelt sich der Schaumwein augenblicklich in edlen Champagner. Die Flasche kostet den Gast gerade einmal hundert Märkchen, wenn er sie seiner Lieblingsmaus großzügig spendiert. Vierzig davon verdient die damit Verwöhnte. Das ist ziemlich viel Geld in den frühen neunzehnhundertsechziger Jahren.

Die Longdrinks, die sich die Animiermädchen spendieren lassen, sind 'Cognac-Cola' oder 'Tom Collins'. Das Zeug besteht zu neunundneunzig Prozent aus Brause - enthält aber auch durchaus Spuren von Alkohol.
Beinahe sieben Mark blecht der Gast für ein Glas des labbrigen Liquids. Zwei Mark sechzig werden der damit beglückten Dame gutgeschrieben.
Unaufhörlich 'mixt' Max, der Barmann - auch er ein Israeli - seine Drink-Creationen für die Mädchen: In eine langstielige Cocktailschale gießt er Fanta oder Cola, ein bis zwei Spritzer wahlweise Whisky/ Wodka/ Cognac werden dann noch hineingesprenkelt. Als leuchtende Krönung - vom Zahnstocher durchpiekst - das obligatorische, ausgelaugte, blassrosa Dosenkirschlein. – Ein bunter Strohhalm dazu ... fertig. So weit, so gut. Zumindest schadet es der Leber kaum ...


"Das schmeckt toll", sagen die Mädchen, doch sie lassen die skeptisch blickenden US. Boys nicht von ihrem Wundergesöff kosten. Die zahlen dennoch und meckern selten. Für ‘nice company’ nehmen sie die kleine Betrügerei gern in Kauf.
Sind die Girls nice Company?
Sogar nachts, im wilden, schweißtreibenden Gewoge der übervollen Räume, gelingt es den meisten, sich etwas Eleganz zu bewahren. Modisch gekleidet sind sie und Luxus gönnen sie sich. Jeden Tag Besuch beim Friseur. Teures Make-up. Kostbarer Duft. Sie zelebrieren die Schönheit. Oder was sie dafür halten ...
*

Im STARLIGHT wird selten begrabscht und niemals gevögelt - eisernes Gesetz ( na ja, mit dem Begrabschen ist das so eine Sache ... aber Vögeln, das gibt es da tatsächlich nicht ) Und ein Mann auf dem Zimmer würde für eine, die hier im Haus wohnt, sofort den Rausschmiss bedeuten. Denn soviel muss gesagt sein: solche Etablissements sind keine Bordelle. Die Owner, die reichen Herrscher im Zwielicht-Imperium, korrekte Geschäftsleute allesamt, sind darauf bedacht, dass ihre weiße Weste auch weiß bleibt. Was die quirligen Weibchen jedoch in ihrer Freizeit und außerhalb treiben - das interessiert die Bosse natürlich nicht.

'You are only fishing for drinks', sagen die US.Boys augenzwinkernd zu den Bargirls. Die deutschen Gäste rümpfen über den 'Nepp' die Nase und zahlen auch. Ha ha ... man weiß ... diese Frauen sind jung und brauchen das Geld!

Jedoch ... viel zu trinken kriegt eine nur, wenn sie den Gast auch wirklich gut unterhält. Und das muss hier züchtig geschehen. Ohne Körpereinsatz sozusagen. Im verbalen Aufheizen der Männerwelt ist manches Animierwesen einsame Spitze, geübt im Anekdoten- und Männerwitze-Erzählen, auch im Nonsens-Geplapper. Und das noch bevorzugt in englischer Sprache.
Doch nie kann ein Mädchen sicher sein, dass ihr Charme und ihr Geplauder ausreicht, die getränkeordernden Männer bei der Stange zu halten. Schlecht ist es, wenn der umgurrte Besucher plötzlich die Rechnung verlangt, mit dem Restgeld in der Tasche entfleucht und zur verlockenderen Konkurrenz in die Bar gleich nebenan wechselt, statt die ganze Summe im Starlight zu verprassen.
Ein merkwürdiges Phänomen ist dieses ganze Business . Auf Abzocke angelegt, scheint es doch eine fatale Anziehungskraft auf die Männerwelt auszuüben. Ja die Typen müssen tatsächlich an Wunder glauben. Und an die Willigkeit der mit ihnen zechenden Weibchen. Denn es münden die Gedanken auch der geduldigsten Freier zuletzt doch immer hoffnungsvoll nur in das ... EINE.

Was bleibt den Mädchen da übrig? Sie versprechen ... versprechen. Sie lügen und ordern Champagner, denn der bringt die Kohle. Am Ende verschwinden sie heimlich und schnell.

*

Das Schönste am Starlight ist die Musik. Gegen Mitternacht kommt eine Big Band aus der Heidelberger Gegend herüber. Die spielt für die Amis und Freunde. Jazz. Blues. Meistens aber Tanzschlager. Mit vollem Einsatz und stampfendem, bassigem Rythmus.
Beliebt sind : Rock n‘Roll, Cha- Cha, Limbo, la Bamba ...
Idole: The King, Trini Lopez, the Platters, Pat Boone, Sarah Vaughan.

Am irrsten ist der Sound von Bill Haley und Elvis.

°°°° ONE, TWO, THREE O’CLOCK FOUR O‘CLOCK, ROCK,
five, six, seven o’clock, eight o’clock, rock’,
singt ein Sternchen mit heiserer Stimme.
‚Nine, ten, eleven o’clock, twelve o’clock, rock,
we’re gonna rock, rock‚ round the clock tonight.‘ °°°°




Atmosphäre: teils Nashville, teils tiefe Provinz, dazu ein Schuss Reeperbahn und grandioses Menschengewimmel.
Guitar, Drums, Brass rütteln und stöhnen, hämmern den Beat in die Hirne hinein bis zum Umfallen. Die Luft ist zum Schneiden.

http://www.youtube.com/watch?v=V3WQ3RGSEOA

Doch tritt man hinaus vor die Tür in die Nacht, dann riecht es nach Pferden, nach dem beißenden Aroma von Kartoffelfeuern. Und der Wind, der aus dem Pfälzer Wald her weht, ist so frisch, dass die Lungen sich weiten. Raschelnd fährt er über Äcker und reife Ähren. Auch hört man die Liebeslaute, das Gemurmel und Kichern der Pärchen vom Rande des Kornfelds.


Luzie, immer etwas abgesondert von den anderen Mädchen, hält Hof im Kreis ihrer Verehrer ... in engem Schneiderkostüm und Bluse aus Brüsseler Spitze. Niemals trägt sie billige Fähnchen, niemals gibt sie sich ordinär. . Chefsekretärin wäre sie vielleicht irgendwann geworden oder Beamtin ... in einem anderen Leben. Aber sie ist, was sie ist. Ami-Soldaten, auch deutsche Gäste, verlieben sich leicht in Luzie. Keine bekommt so viele Drinks wie sie. Sie lügt nicht, verspricht nichts, hält nichts von unmoralischen Angeboten und One-Night-Stands ... Sie scheint klug und ... seriös. O, sie hätte schon oft heiraten können, sagt sie, ... doch ein paar Jährchen will sie das hier noch machen. Aber mit Würde. Hier ist sie zu Hause. Auch sie ein Waisenkind, das im Heim aufwuchs. Später sind die Bars zu ihrer Heimat geworden.

*

Uschi errötet, denn da tritt er herein, ihr bester Freier von allen.
"Hallo, Mister Right."
Ach ja ... Colonel Horny, ein Pilot der Airforce, kommt in so einen Schuppen nur dann, wenn seine Frau und die Kinder wieder einmal auf Urlaub in USA sind. Schnell sitzt man am Ecktisch. Der Colonel trinkt den Bourbon wie Wasser und Uschi trinkt Sekt. Ach, ihre Schenkel, die schwarzbestrumpften, sind so schön seidig und warm ... Und er ist ... verliebt. Seine Hand lässt er kriechen. Nach dem Nest sucht der Mann, dem freundlichen Schlupfloch. Uschi nimmt immer wieder die vorwitzige Pranke und zieht sie, lieb lächelnd, zurück auf ihr Knie - bis hierher, nicht weiter ... spielt dabei das geschämige, aber willige Dummchen, verspricht ihm den Himmel auf Erden ... doch nicht jetzt ! Doch nicht hier! Vorsicht ... was denken die Leute ... später, wenn der Laden dann dicht macht, my darling, then ... you come with me."

Er weiß, dass sie flunkert – sie hält ihn schon nächtelang hin – gibt ihm aber mit schmiegsamem Blick zu verstehen, wie sehr sie ihn mag. Da bestellt er noch eine Flasche - die zweite bereits - vom sündteuren, grottenschlechten ‘Champagner’. Uschi kippt ihn geübt aus dem Glas in den silbrigen Kühler, immer dann, wenn ihr Verliebter gerade nicht hinsieht.
Die Flasche ist schon wieder leer! O my God, das kann nur schwarze Magie sein!
Schnell schwänzelt die Helga heran, räumt den Sektkübel ab. Na ja, das uralte Spiel! Einen anderen Kühler bringt sie in Windeseile, mit frischen Eiswürfeln gefüllt. In ihm prangt, von blütenweißer Servietten-Halskrause edel umschmeichelt, die dritte Flasche des obskuren Gesöffs.
"Der hier kommt aus Russland ... echter Krimsekt" - lächelt die Uschi, „das Beste, was Europa zu bieten hat .... er ist zwar teuer, aber: o Connel, my Connel, ich mag ihn, er macht mich ganz ... heiß!"

Um weitere dreihundert DM erhöht Helga beflissen die Rechnung.
Dem Freier ist dieser bescheuerte Vorgang schon lange vertraut. Er grinst, schweigt und fühlt sich wie der letzte Hampelmann beim dreisten Manöver der Mädchen.
Aber die Uschi ... die Uschi ... verdammt ... es zieht ihn immer wieder hier her ...
Er weiß: sie ist im Ausnehmen der Gäste ganz groß und lügt, dass die Balken sich biegen. Doch sie hat ihren Stolz. Für schnöden Mammon verkauft sie sich nicht, ganz gleich, was einer ihr bietet.
Das haben ihm seine Pilotenfreunde berichtet - standhaft sei sie geblieben, die Süße, als man sie einmal getestet.
Das imponiert ihm. Er denkt: ‚irgendwann krieg ich dich doch noch, du Kleine!‘

***

Der Schuppen platzt inzwischen aus allen Nähten. Es riecht nach Tabak, Haarspray und alt-verschüttetem Bier.
Im Rythmus des Rock tost die Band, bebt die Bühne.
Die Menge pulsiert wie verrückt auf dem Dance-Floor. Die Wände wackeln. Und an der Decke drehen sich glitzernd und farbenversprühend die Diskokugeln.

°°°° When the chimes ring five,
six and seven
we’ll be rocking up in seventh heaven.
we’re gonna rock around the clock tonight,
we’re gonna rock, rock, rock, till broad daylight.
We’re gonna rock around the clock tonight. °°°°



Es ist jetzt halb drei.
Flaneure der Nacht, fein gekleidete Spießer - auf der Suche ... wonach? Und Ami-Soldaten ... hier landen sie alle zuletzt. Da kommt man sogar bis von K’town herüber, weil die anderen, auch viel edlere Bars, um diese Stunde schon dicht sind.
Hier brummt der Bär, tobt das Leben.

°°°° The warden threw a party in the county jail,
the prison band was there and they began to wail,
the band was jumpin’ and the joint began to swing,
you should’ve heard them knocked out jailbirds sing.
Let’s rock, everybody, let’s rock,
everybody in the whole cell block
WAS DANCING TO THE JAILHOUSE ROCK. °°°°


http://www.youtube.com/watch?v=cozbFbvzuto
http://www.youtube.com/watch?v=zhBHorBz1ao

Auftritt Pascha, der Lude, lächelnd, nobel im Cashmere mit seinem Gefolge und ‘schaut mal’. Auch tänzelt herein der glatte King Coolidge, gleich drei Midnight- Babys am Arm, Duzfreund des Big Boss, Zuhälter ... und König auch er.

***

Das blonde Gift Candy hält beim Tanzen sein Köpfchen eng an die Brust eines turmhohen Schwarzen gepresst. Sie ist müd, ihr ist schlecht, ihr Lipstick macht Flecken auf seinem seidenen Hemd. Er, Ronnie, lacht laut über etwas, was ein farbiges Nymphchen vom anderen Ende des Dance-Floors ihm zuruft. Dabei funkelt im Weiß seines Raubtiergebisses ein goldener Eckzahn, brilliantbesetzt.
Candy spürt ... der unstete Blick des Mannes sucht schon die frischere Frau für die Nacht. Er lässt sie auch bald schon allein. Locker wie eine Puppe hebt er sie hoch und setzt sie wieder dorthin, wo sie herkam ... auf einen Stuhl an der Bar.

°°°° On a day like today
we pass the time away
WRITING LOVE LETTERS IN THE SAND.
Now my broken heart aches
with every wave that breaks
over love letters in the sand. °°°°


***
Eva ist schön und Ben, auch so ein Airforce-Typ, eifersüchtig like hell. Schließlich ist Eva 'his girl and they go together'. Heute wird er sie herausholen aus diesem Laden. Endgültig. Jetzt reicht ihm der Shit.
Eva - wie immer passiv - grinst nur. Einige Male hat er sie bereits aus der Bar gezerrt. Wenn sie mit 'idiots' beisammen saß und trank. Wo er sie doch gerade in dem Augenblick um sich haben wollte und nicht bis Lokalschluss warten mochte. Er hat sie herausgezerrt, bei den Schultern gepackt, einmal sogar bei den Haaren, heftig, bis sie schrie. Hat sie auf die Straße befördert, vor allen Leuten, ins Auto bugsiert ... wie sein Eigentum. Was für ein Zirkus!
Und so einen liebt sie: "My Captain!"
Sie träumt davon, endlich seiner sperrigen Seele ein Stück näher zu kommen. Und dass er ihr ein bisschen mehr Wärme schenke.
Die Kolleginnen kennen das Theater bereits bis zur Neige. Sie sehen sich mitleidig an: eine Verrückte.
"She comes with me", sagt also Ben. Packt sich die Eva. Ausgerechnet heute, am Zahltag der Soldaten, wo immer besonders viel läuft. Und 'closing-time' ist noch weit.


Aaron, der Geschäftsführer, protestiert lauthals: "Nichts da. Hier bleibt sie!" Es gäbe einen Arbeitsvertrag, behauptet er plötzlich.
Diesen Zwist beendet Ben. Ein paar größere Scheine, von ihm angewidert auf die Theke geschmissen, lassen den Wütenden schnell innehalten.
"Ihr seid beide meschugge. Schluss. Aus. Ende!", ruft Aaron und rafft sich die Knete. "Du bist gefeuert, Nutte, dein Krempel fliegt heut' noch auf die Straße!", zischt er leise und drohend.“
Die Bekloppte grinst nur, als Ben, der amerikanische Pilot, groß, energisch, ganz in Uniform und Lametta ... sie einfach auf den Arm nimmt und wegträgt.

***

Christa hat wie immer eine weiße Rose am Ausschnitt. An einem Ecktisch hockt sie mit ihrem scheuen, viel zu jungen Verehrer, trinkt Schaumwein und raucht die letzte Reno-Menthol aus der Packung. Reno-Menthol sind gut für die Bronchien! Diese aber war eine zuviel nach all den Sudelgetränken, die man ihr heute spendiert hat. Aufs Klo rennt die Christa, muss grässlich kotzen. Dann fühlt sie sich besser. Vor dem Spiegel frisches Make up aufgelegt, Leuchtrot für die Lippen ... und so. Nun ist sie wieder wie neu. Schnell raus zu dem Gast, bevor der davonläuft. Denn er ist niedlich, der Kleine. Zum Vernaschen süß. Wenn ihr einer gefällt, gibt es für Christa kein Halten.

°°°° You can dance ev’ry dance with the guy
who gives you the eye, let him hold you tight.
You can smile ev’ry smile for the man
who held your hand ‘neath the pale moonlight.
BUT DON’T FORGET, WHO’S TAKING YOU HOME
AND IN WHOSE ARMS YOU’RE GONNA BE,
SO DARLING DANCE THE LAST DANCE WITH ME. °°°°


***

Nebenan in halbverborgenen Nischen blüht üppig der Nepp. Immer die gleichen Wünsche haben die angetrunkenen Freier und diese bedienen die Schlämpchen mit Weiberschläue. Man hält sich die Typen geschickt und trickreich vom Leib ... lässt sie innig von Liebe labern ... sie werden mit verruchtem Augenaufschlag auf später vertröstet. Und später ist nie.
Durch frivoles Geplauder hält man sie schön bei der Stange. Auch dürfen sie sich schon mal ein Küsschen holen oder kurz nach einer Brust tasten. Aber nicht mehr. Der steigende Alkoholpegel der Gäste arbeitet auch FÜR die Frauen. Die Herren der Schöpfung werden immer verlieren. Die Damen bestellen weiter lustig Champagner und den meisten schütten sie weg.
Die armen Möchte-gern-Ficker ... ach, sie bekommen wenig fürs Geld - nicht das, was sie wollen - aber zu trinken genug. Bis die Brieftasche leer ist.

Nachher zählen die Bargirls nebenan in der Küche andächtig ihre D-Mark und Dollars. Sei könnnen nur staunen, wie doch alles so leicht läuft und man sogar ... unberührt bleibt.

***

Die Band macht jetzt Pause und die Juke-Box springt ein. Freddy singt vom traurigen Schicksal der Legionäre in Afrika:

°°°° BRENNEND HEIßER WÜSTENSAND,
fern, so fern dem Heimatland,
(so SCHÖN, SCHÖN WAR DIE ZEIT!!)
Kein Gruß, kein Herz,
kein Kuss, kein Scherz.
ALLES LIEGT SO WEIT, SO WEIT.
(so schön, schön war die Zeit.)
Dort wo die Blumen blühn,
dort wo die Täler grün,
dort war ich einmal zuhause.
Wo ich die Liebste fand,
da liegt mein Heimatland,
wie lang bin ich noch allein? °°°°


Ein Mann kracht vom Barstuhl herunter und schläft auf dem Holzboden weiter.

***

Lu ist neu hier im Starlight. Der Boss konnte es vielleicht bei ihrer Einstellung nicht schnallen, die anderen Mädchen aber schon: Lu ist eine Nutte. Sie trägt ein knallrotes Kleid und wedelt wie wild mit dem Knackarsch, wenn sie den Gästen das Bier bringt, wogt wie ein Vamp hin und her, scharwenzelt herum vor den Blicken der grinsenden Machos.
Die steht nicht auf Drinks, nein ... Lu hat ihre eigenen Arbeitsmethoden ...

Der alte Sergeant on pay-day - a little bit tipsy like always - hat eine Menge Dollars in der Tasche und ... einen gigantischen Schwängel steif in der Hose. Letzteren grabscht sich die Lu durch den Stoff ... wow ... sie tut höllisch begeistert und zieht den sich zierenden Soldier unterm Keckern der Meute hinaus in die Nacht.

***

Irgendwann tönt aus der Jukebox die Weise, die ist anders als alles, was man sonst hier hört ... zum Weinen schön. Jemand hat die Melodie wohl aus Versehen gedrückt, noch kennt sie kaum einer ... sie heißt: PETITE FLEUR.

Traurig lauscht Jimmy, achtzehn Jahre alt, G.I aus Kentucky, der da inmitten der vielen mit seinem Glas Bier an der Bar steht.

O, es hat ihn erwischt, er ist bis zum Wahnsinn verliebt in die Barfrau Elfriede aus Graz.
Warum flirtet sie ständig und schäkert mit jedem hergelaufenen Blödmann? Er liebt sie doch so ...
"Geh", sagt sie, "geh Tschapperl, es wird nichts mit uns ... schau ... es war halt für eine Nacht nur! Nimm‘s doch nicht so tragisch!"

Ach, Jim hasst die Kneipen und das besoffene Treiben. Er fürchtet den Kasernenhofdrill. Er fürchtet auch Germany. Und eine Träne rollt ihm pathetisch ins Bierglas.

***

Manchmal geschieht es aber wirklich für ein Barmädchen und einen Ami- Soldaten ... dass sie zusammenhalten, dass sie zusammen bleiben. Klar ... liebende Frauen sind für das Nachtleben verloren. Andere aber verplempern, verbumsen die Zeit, vergaukeln die Zukunft.

***

Doris ist extra von Bad Dürkheim gekommen. Sie sieht aus wie 'ne Nutte, ist aber keine, denn sie macht es umsonst. Taucht spät in der Nacht auf, lungert herum in schummrigen Ecken. Jetzt liegt sie in jemandes Armen, knutscht, sippt die Drinks, die er maulend spendiert - an denen sie aber keinen Pfennig verdient, denn sie arbeitet nicht hier - Doris brabbelt betrunken vom Ficken, meint dabei Liebe und träumt von dem Typen, der in der Frühe neben ihr aufwacht und sie dann trotzdem noch gern hat.

***

Im hinteren Raum bricht auf einmal Krawall los. Dort schmeißen sie schon mit Stühlen und Tischen.
The allnightly fight! Die Stammgäste sind es gewöhnt und grinsen nur müde.
Das Gefecht ist gerade lustig im Gang, da rückt im grauenden Morgen, sechs Mann hoch, M.P. an ... Military Police. Man nimmt die lädierten Streithähne - in Handschellen gefesselt - gleich mit.
Dann ein harscher Befehl: "It is closing time." Halb fünf. Schluss der Vorstellung. Ende!

Alles eilt zu den Autos. Fahruntüchtige Zecher werden aufgesammelt von ihren Freunden oder von den Barmädchen in herbeitelefonierte Taxen verfrachtet.
Noch Rufe, Gedränge, ein Hupkonzert.
Bremsen kreischen, aufheulen Motoren,
fern Fetzen Gelächter, die im Winde verwehen ...

Wie ein Spuk sind sie fort, die Amischlitten, die Straßenkreuzer, die offenen Sportscars mit den Fräuleins der Nacht.

Vogelgezwitscher steigt aus dem Wald auf und aus den Wiesen der Nebel.

***



NACHWORT

Dann kam Vietnam und zerbrach den leichtlebigen Zauber.
Der Krieg kostete Ben, Evas Airforce-Piloten, das Leben und mit ihm fünfundfünfzigtausend amerikanischen Soldaten
as ... the music died.

°°°° Take one fresh and tender kiss -

sang einst heiser die Lady -

add one stolen night of bliss..
ONE GIRL, ONE BOY,
SOME GRIEF, SOME JOY...
MEMORIES ARE MADE OF THIS. °°°°


Memories.

Should auld acquaintance be forgot
and never brought to mind?

K’town. Unvergesslich die Silvesternächte in den Bars im Kreis der Freunde und Freier. Unter Luftschlangengedöhns und Böllergeknalle floss drinnen Champagner - der echte - Man sang, tanzte verrückt bis zum Morgen. In all dem Remmi Demmi und Menschendunst, liebte, umarmte man ... die ganze Welt.

For au-au-auld lang syne, my dear,
for au-au-auld lang syne,
we'll take a cup of kindness yet,
for the days of auld longsyne.



Ob sie schön war die Zeit bei soviel Rotlicht und Nepp?
Doch es war IHRE Zeit, IHRE Music, der Sound einer Ära.

Und die Mädchen von damals ... so simpel, so süß?

Mädchen:
Ihr lebtet dem Heute unschuldig wie spielende Kinder. Für ernst-hehres Streben waren eure Gedanken viel zu leicht und zu kraus.

Ihr lebtet die sonnigen Tage, die Nächte in sehr vielen Betten.
Ihr giertet nach Leben in all seinen Farben, genosst die brausenden Parties und Feten. Genosst die freien Tage unter Bäumen an romantischen Badeseen in vertrauter Kolleginnenrunde, umringt und umsorgt von braungebrannten Verehrern.

Jedes Restaurant, das berühmt war, jede Spielbank im Umkreis war euer Zuhause - dorthin ging man mit ‚besseren‘ Gästen und war auf einmal seriös, eine ... Dame.
Dann die Fahrten durchs sommersattgrüne Land bei offenem Verdeck mit den American- Heros im Traum-Cadillac,
with the free, fresh wind in your hair.

Was life without care??

Schön war es, früh in der Dämmerung mit den Nachteulen-Freiern in lustiger Clique durch den Wald, nah beim Starlight, zu laufen, wenn der Wind die verräucherten Lungen, die zugenebelten Köpfe mit frischer Brise erquickte, wenn im Erwachen des Morgens in Wiesen und Auen die Vögel zu singen begannen.

Ach, ihr liebtet die Tage, ihr liebtet die Nächte noch mehr, die immer wieder neue Erlebnisse, neue Zuneigung brachten, auch wenn die Ekstase kurz währte und ‚Glück‘ meistens nur Illusion war ...

Ihr lebtet die Liebe durch Höhen und Tiefen. Ihr liebtet wirklich und oft. Ihr träufeltet Herzblut in all eure großen und kleinen Affären und gabt das Sehnen nie auf.

*

Längst seid ihr Matronen, all ihr Schönen der Fifties, ihr gierigen, bösen, ihr zärtlich-verträumten, durchtriebenen Flittchen. Iris, Helga, Kim, Karin, Marina, Christiane ... euer Lachen klang hell und mancher G.I. denkt noch gern daran zurück.
Freunde und Lover, wo immer ihr jetzt seid, ob unterm Mond Westvirginias, ob am Strand von New England ... Dennis, Burt, Earl, Jim, Jeff ... wie Schiffe im Nebel seid ihr einander begegnet und musstet dann weiter ... ein jeder für sich, auf eigenem Kurs.

Was bleibt?
Nostalgie.

Memories, Music, Magic der Nächte, high Feelings von einstmals ...
Vergangenheit jetzt ... verwischt sind die Spuren,
nie ganz vorbei.

Say "farewell" now to lovers,
and to K’town ..."so long."

IT IS FOR AULD LANG SYNE, MY DEAR
FOR AU-AU-AULD LANG SYNE,
WE'LL TAKE A CUP OF KINDNESS YET
FOR THE DAYS OF ROSE AND WINE.


****
**
*





http://www.youtube.com/watch?v=eG3afAIi6IQ&mode=related&search=

http://www.youtube.com/watch?v=S6-6itGLr_Q


Copyright Irmgard Schöndorf Welch, Oktober 2002
überarbeitet 03.06.2005

*
 

pch

Mitglied
Kompliment, Inu,

ein ganz feiner Text.

Darf ich ein klein wenig herummeckern?

Es ist ja fast nicht wert, erwähnt zu werden, aber mich stört die Juke-Box, die einmal von halb zehn an ohne Ende tost, um kurze Zeit später, von high noon an und somit erneut, nicht mehr zum Stillstand zu kommen.

High-noon bringt mich zum nächsten Punkt: Du solltest dich entschließen, deine eingestreuten englischen Worte, die ich gut finde, weil sie dem Text zusätzliche Authentizität geben, konsequent klein oder groß zu schreiben. Ich stoße auf owner, girls, hell und closing time , aber auch auf Liquids, Drinks, Lipstick und Sportscars. Und auf lover, zu Beginn klein, gegen Schluß zu groß, was ja dann schon wieder symbolisch sein könnte, aber trotzdem nicht gut wirkt.

Und, das bin wahrscheinlich nur ich, ich hätte PX mit sachlichem und liquid mit weiblichem Geschlecht versehen, aber darüber läßt sich vermutlich endlos streiten.

Wieso plötzlich Anführungszeichen, wenn die Mädchen for drinks fishen? Stören mich nicht wirklich, aber an der Stelle ist man das eingesprenkelte Englisch schon so gewöhnt, daß weglassen schöner wäre, glaub ich.

Wenn du PX nicht erklaerst, brauchst du MP auch nicht zu erlaeutern.

Nach Traum-Cadillac gehört entweder ein Beistrich, oder das with in der nächsten Zeile gehört groß geschrieben

Mit den Ausrufzeichen gehst du, meiner Meinung nach, zu großzügig um, vor allem in dem Absatz über die gängigen Cocktails. Die Sätze sind stark genug, find ich, auch mit einem Punkt am Ende.

Ahh ja, und Präsens zu Beginn würd sich mit einem ‘z‘ auch besser machen, aber jetzt hör ich schon auf.

Liebe Gruesse
Chris
 

Inu

Mitglied
Liebe(r) Chris

Fein, ich werde den Text Zeile für Zeile durchgehen und Deine Ratschläge befolgen. Das ist ein Kommentar und eine Kritik wie ich sie mag. Damit lässt sich etwas anfangen. Du hast beinahe in allem Recht. Nur mit 'PX' und 'liquid' bin ich mir nicht ganz sicher.

Also, ich fang jetzt gleich an:)

Danke herzlich für die Hilfe.
ich grüße Dich
Inu
 

Inu

Mitglied
Hallo Spinoza

Article discombobulation is not quite uncommon in die Deutsche American Language
Das stimmt. Die Deutschen, die ich kenne, sagen "die" PX, ( eigentlich "der" Post Exchange, aber das sagt keiner ) Und so habe ich halt das "die" übernommen.
Liquid ist ganz klar männlich, da bin ich sicher, das Wort ist schon fast eingedeutscht: Der Liquid. Waren sonst noch zweifelhafte Artikel drin? Ich habe es zwar auf Anregung von Chris überarbeitet ... aber vielleicht doch was übersehen.

Gut dass Du die Geschichte nett findest. Das freut mich;)

Gruß
Inu
 
F

Fitzberry

Gast
Hallo Inu,

was mir an deinem Text besonders gefällt, ist diese selten zu lesende Halbdistanz der Erzählerin zu ihren Protagonisten /Protagonistinnen. Dadurch - nämlich genauer: durch die zwischen Ironie und Zärtlichkeit wechselnden Modulierungen der Erzählstimme - gewinnt diese Geschichte, deren Fakten als solche nur für die in ihr Agierenden, die Betroffenen selbst, von allerdings großem Interesse wären, eine zusätzliche Dimension, in der die Erzählhandlung zum Thema wird, das zumindest dieser Leser gerne studiert hat.

Meine Lieblingsstellen:

Der Dollar lockt, es locken leichte, vermutlich lässige Tage und eine Arbeit, von der manche glauben, dass sie gar keine ist.
knipsen den weiblichen Charme an
Auftritt Pascha, der Lude, lächelnd, nobel im Cashmere mit seinem Gefolge und ‘schaut mal’.
Wo ich die Liebste fand,
da liegt mein Heimatland,
wie lang bin ich noch allein? °°°°
Ein Mann am Tresen kracht vom Barstuhl und schläft auf dem Holzboden weiter.
Liebe Grüße
Robert
 

Inu

Mitglied
Lieber Fitzberry

Es fällt mir immer schwer, auf so großes Lob zu antworten, obwohl ich mich sehr darüber freue.

Also ... die Halbdistanz, der Wechsel zwischen Ironie und Zärtlichkeit war beabsichtigt. Als Mädchen hat mich das Buch: Under Milkwood von Dylan Thomas fasziniert. Es war damals ein Bestseller und hat so ziemlich a l l e jungen Leute fasziniert.

In ähnlichem Stil ... so kühl, beobachtend, farbig, aber nicht ganz so ‚romantisch verklärt‘, habe ich versucht, diese besondere Atmosphäre jetzt zu schildern. Dann kommt es irgendwie automatisch, dass man mit manchen Figuren mehr mitfühlt, als mit anderen.

Ja, ich habe es für Leute geschrieben, die diese Zeit selbst erlebt haben und sich und ihre Freunde in den Personen meiner Erzählung wiedererkennen. Und es sollte auch irgendwie so etwas wie ein Zeit-Dokument sein.

Ich freue mich auf alle Fälle sehr, dass Du Dich so intensiv mit dem Text befasst hast und natürlich auch über die 10 :).


Viele Grüße

und einen schönen Tag wünscht Dir
Inu
 
H

Henry Lehmann

Gast
Liebe Inu,

wenn ich solche Texte wie diesen lese, dann freue ich mich richtig, die Leselupe zu kennen. Hier ist dir in meinen Augen nicht nur ein sehr guter Text über die roaring Fifties gelungen, nein, das ist ein echtes Kunstwerk. Auch wenn ich am Anfang des Textes ein paar sprachliche Dinge zu bemängeln hätte und die Musik-Lyriks überlesen habe, hat mich dieses Werk doch sehr in seinen Bann gezogen. Da stimmt einfach alles. Du hast mir ein sehr intensives Lese-Erlebnis beschert und dafür danke ich Dir!

Henry
 

Inu

Mitglied
Hallo Henry

du schreibst:
Auch wenn ich am Anfang des Textes ein paar sprachliche Dinge zu bemängeln hätte und die Musik-Lyriks überlesen habe ...
Ich habe vorhin noch ein paar sprachliche Unebenheiten und allzu linkisch Klingendes zu glätten versucht. Weiß nicht, ob es mir gelungen ist.

Die Musik-Lyriks sind eigentlich wichtig. Es gab kein Fernsehen ( oder nur in den Schwarz-Weiß-Anfängen und ohne Bedeutung) Man lebte praktisch von Morgens bis Abends – besonders in diesem Milieu - eingehüllt in die Worte und Ohrwurm-Melodien von zirka hundert gängigen Schlagerhits, die allüberall aus den Juke-Boxen dröhnten. Der Sound gab Energie, sogar ein warmes Gemeinschafts- und Geborgenheitsgefühl, er hielt einen wie in einem kraftvollen Fluss immer in - emotionaler - Bewegung.

Ich hab nur ein paar wenige Texte herausgepickt ... und sollte sie vielleicht in kursive Schrift setzen.

Henry, ich freue mich, dass Du die Stimmung magst. :)

Viele Grüße
Inu
 
H

Henry Lehmann

Gast
Versteh mich nicht falsch. Die Lyriks sind wichtig und tragen wesentlich zum Stimmungsbild bei. Dass ich sie lediglich überflogen habe, tut nichts zur Sache.
 
H

HFleiss

Gast
Das ist ein verdammt guter Text, liebe Inu. Aber das weißt du ja schon. Vielleicht wäre noch zu überlegen, ob die Liedtexte nicht auf ein, zwei Zeilen gekürzt werden sollten, dass du sie also nur „anspielst“. Mir erscheinen sie zu lang. Du kannst nicht voraussetzen, dass alle deine Leser sie sich übersetzen – denk nur an das Pidgin-Englisch, das uns heute in Deutschland überschwemmt. Ich glaube, den Jüngeren kannst du sie ohne Musik sowieso nicht nahebringen, und viele der Älteren kennen im Allgemeinen meist nur den Liedanfang wörtlich. Und inhaltlich vertiefen die vollständigen Strophen deinen Text nicht. Das betrifft natürlich auch das französische Lied.
Zu deiner Schlusspassage: Sprich auch die amerikanischen Soldaten an, auch sie wurden in ihrer Menschenwürde beleidigt, auch wenn das niemandem aufgefallen ist. Es waren eben wie immer die gesellschaftlichen Zustände, die Baumholder, das als das Symbol für amerikanische Dekadenz und Verworfenheit galt (Sodom und Gomorrha) und das übrigens gar nicht so einmalig war, es gab viele kleine Baumholders, ermöglichten. Ich erinnere mich, auch wenn ich damals noch ein halbes Kind war, noch sehr gut an die „Veronikas“, ich war sehr zufrieden, dass ich damit nichts zu tun haben würde, weil ich in der DDR lebte. Und wenn ich mich richtig erinnere, wagte die westdeutsche katholische Kirche damals auch einiges an Protest (kann ich aber nicht ohne Zweifel behaupten).
 

Inu

Mitglied
Hallo H.Fleiss

Vielleicht wäre noch zu überlegen, ob die Liedtexte nicht auf ein, zwei Zeilen gekürzt werden sollten.
Das möchte ich nicht, aber ich setze jetzt gleich alle diese Texte in kursive Schrift, dann können Interessierte sie lesen und andere wie Henry Lehmann schon gesagt hat, können sie viel leichter überfliegen.Für mich persönlich gehören sie zum, Bild, zur Atmosphäre.
Es waren eben wie immer die gesellschaftlichen Zustände, die Baumholder, das als das Symbol für amerikanische Dekadenz und Verworfenheit galt (Sodom und Gomorrha) und das übrigens gar nicht so einmalig war, es gab viele kleine Baumholders, ermöglichten.
Ja, der schlechte Ruf kam daher, dass damals der Zeitgeist sehr prüde und gespielt moralisch war. Und so malte man dort, wo e t w a s sexuelle Lockerheit herrschte, gleich den Teufel an die Wand.
Zu deiner Schlusspassage: Sprich auch die amerikanischen Soldaten an, auch sie wurden in ihrer Menschenwürde beleidigt, auch wenn das niemandem aufgefallen ist.
Du meinst sicher die Neppereien mit den überteuerten Drinks. Ja, da geb ich dir Recht. Alles andere war einfach pralles Leben.
Es ging, glaube ich, nicht ‚verworfener‘ zu als in heutigen Diskotheken. Im Gegenteil ... selbst Frauen im Barbusiness hatten damals noch die strengen Vorstellungen ihrer prüden Erziehung durch Eltern und Kirche verinnerlicht und fühlten sich SEHR 'unmoralisch' und hatten immer ein schlechtes Gewissen, wenn sie ' freie Liebe' praktizierten.


Liebe Grüße
Inu
 
H

HFleiss

Gast
Inu, wenn ich nur die Neppereien mit den überteuerten Drinks meinen würde, hätte ich darüber kein einziges Wort verloren.
Ich glaube, der Casinobetrieb in Baumholder war auch für den durchschnittlichen amerikanischen Soldaten (denk an den amerikanischen Puritanismus) das Werk des Antichrist, etwas, was er nur mit äußerst schlechtem Gewissen (aber sicher zunehmender Begeisterung) in Kauf nahm. Mit der Menschenrechtsdeklaration der UNO hat Baumholder auch nur sehr entfernt zu tun gehabt, denke ich, noch nicht mal mit der ureigenst amerikanischen, von George Washington verkündeten Deklaration. Und mit der Vorstellung, der Mensch sei zu Recht eine Ware (die Mädchen), kann man sich doch nur anfreunden, wenn alle ethischen Vorstellungen total verkrüppelt (worden) sind.
 

petrasmiles

Mitglied
... oral history

... vom Feinsten.
Das war ein Leseerlebnis, als sei ich durch eine nichtssagende Landschaft gefahren, lange, monoton, die Gedanken überall und nirgends, in einen Zustand zwischen die Welten geraten, aus der Transportagonie taucht in der Dämmerung eine Scheune auf, Irrlichter und Musikfetzen dringen in meine Sinne wider besseren Wissens, das da nichts ist. Und dann öffne ich die Tür und jemand knipst das Licht an, und ich sehe, höre, rieche.
Die Einschübe der Liedtexte sind für jemanden, der die Lieder kennt, wie eine Tonspur zum Text, der die Bilder erzeugt. Kopfkino.
Großartig!
 

Inu

Mitglied
ach Hanna

Du schreibst:
Und mit der Vorstellung, der Mensch sei zu Recht eine Ware (die Mädchen), kann man sich doch nur anfreunden, wenn alle ethischen Vorstellungen total verkrüppelt (worden) sind.

Dann sind sie das heute auch. Die Barmädchen zum Beispiel waren nur dann Ware, wenn sie sich selbst dazu machten. Ansonsten kochte jede ihr ureigenes Süppchen und behielt ihr Tun und Lassen in der Hand.

Sind die jungen Mädchen -17jährige! - nicht noch viel mehr Ware, die sich in dem Glauben an einen vagen Modeljob von Heidi Klum und Konsorten nach New York schleppen, von den Medien und selbsternannten Schönheitsgurus bis in die letzte Haarwurzel, in den letzten Schimmer ihres Lächelns hinein, geradezu sezieren lassen, um am Ende vor der ganzen Zusehermeute als untauglich verworfen und ausgespuckt zurückzukommen.

Oder die sich bei 'Deutschland sucht den Superstar' von Bohlen und Co. vor der gesamten Fernsehwelt ver'arschen' lassen? Apropos, ist irgend jemand mal aufgefallen, wie oft die edle Heidi mit dem Wort 'Arsch' herumwirft!

Was ich heutzutage so gemein finde, ist die versteckte Verlogenheit, mit der man so vielen jungen Leuten Chancen vorspielt, die gar nicht da sind und aus ihrem Enthusiasmus und ihrer Hoffnung gnadenlos Profit zieht und sei es nur, um eine blöde Unterwäschefirma hochzupushen oder einem Sender höhere Einschaltquoten zu besorgen.

Ich grüß Dich
Inu
 

Inu

Mitglied
Petrasmiles

Über Dein Lob und die 10 hab ich mich sehr, sehr gefreut. :)
Und auch, dass Du das Zufügen der Liedtexte gut fandst.

Liebe Grüße
Inu
 
N

nobody

Gast
Schneeballsystem

So geht das: Eine Autorin kommentiert freundlich und hilfreich deinen Text, du wirst neugierig darauf, was sie selber so schreibt, und dann stößt du auf dieses beeindruckende Sittengemälde aus der Mitte des letzten Jahrhunderts. Gratuliere!
LG Franz
 
@ Inu

Zu "Baumholder" kann ich nur anmerken = Bin ich sprachlos! Besonders die Erzählpersepektive ist sensibel distanziert und äußerst gelungen.
Eine Freude, dieses "Sittengemälde" zu lesen, mehrfach und gerne öfter. Und: Dieses Sittengemälde ist Dir in "waschechten Farben" gelungen! So war das damals, so fühlte es sich an, damned JA!
Schwerpunktmäßig hast Du den Inhalt auf ein bestimmtes Milieu konzentriert, sagen wir "Halbwelt", und natürlich auch das war Baumholder, aber bei Weitem nicht nur.
Es war auch "Kultur", die sich mit deutscher Nachkriegs-Unkultur/Kulturleere seltsam legierte und dabei völlig Neues hervorbrachte.
Viele der US-Soldaten und Angestellten fühlten sich aufgrund ihrer Abstammung "wie in ihrer alten Heimat", und die Armee hatte damals sehr andere Qualitäten als die heutige US-Army.
Mit den Leuten damals konnte man "Pferde klauen", und sie brachen mit ihrer schieren Gegenwart die Tristesse der geistlosen Provinz-Enge auf.

Da ich als Kind in '53 genau dort in der Ecke geboren wurde und die ersten sechs Jahre dort ganz und spätere sechs sehr oft verbrachte, war "Baumholder" Teil meiner Muttermilch, meiner tatsächlichen Ernährung (ja, ich habe oft von den Armeevorräten der US-Army gelebt, und zwar nicht schlecht) und meines Ambientes, und all das war verdammt gut.
Für mehrere Jahre waren das Baumholder-feeling und das Lebensfreude-sprühende AFN (american forces radio and television network) meine Welt, ich denke sehr gerne daran zurück, und ich hab als Mensch sehr von dieser positiven Erfahrung profitiert.
Aus dieser Zeit habe ich Utensilien bis heute aufgehoben, u.a. Kartenmaterial, das man wie Bücher lesen kann, geologische, topographische, Infrastruktur-Landkarten, zu lesen als: "Wie sich die Amis damals die Pfalz (Hunsrück, Sonnwald, usw.) aufteilten und erklärten". In stillen Stunden lese ich bis heute darin und entdecke immer wieder Neues.

Und ganz natürlich stehe ich bis heute "Las Americas" grundsätzlich gefühls-positiv gegenüber. Diese "Baumholder-Guys" und ihre toten Kameraden haben mir ein mir ansonsten drohendes Leben unter einer Ordinärdiktatur erspart. Sie waren -damals zu ihrer Zeit- tatsächliche Helden!
 
L

Larissa

Gast
Liebe Inu,

es ist dieser melodiöse Schreibstil, der den Leser becirct, ihn auf watteweichen Wortwolken in die von dir beschriebenen Zeiten trägt.
Wie bereits in "Minou" und "Der Sizilianer" tauche ich auch hier wieder völlig ein in die Welt deiner Protagonisten, durchlebe die einzelnen Szenen hautnah.
Einfach schööön!

Herzlichst
Larissa
 



 
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