ALK-Entwöhnungskur

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Mitglied
HANS H. I


Ein Neuzugang in der Gruppe. Wird mein neuer Zimmergenosse, nachdem H-P umgezogen ist. Er ist von Beruf Ingenieur, EDV-Fachmann, und 54 Jahre alt. Endlich mal jemand, mit dem ich vernünftig reden kann, freue ich mich. Er trägt im Zimmer T-Shirt – mitten im Winter bei ausgeschalteter Heizung, ist also nicht verfroren, und hat nichts dagegen, zumindest nachts die Heizung abzustellen und das Kippfenster offen zu lassen.

\"Ja wenn Ihr in der Gruppe schon einen Hans-Peter und einen Hans habt, dann nennt mich doch einfach Hans H.\", sagt er spontan und jovial. Also haben wir jetzt auch noch einen Hans H..

Er ist noch keine zwei Stunden in der Gruppe, da hat er auch schon zu meiner Verwunderung das Namensschild an unserer Tür \'upgedatet\'. Aus H-P hat er mit einigen wenigen kreativen Strichen kurzum Hans gemalt und ein H. angehängt.

Hans trägt einen Sachbearbeiter-Bart, der mich etwas an meine Zebrafinken erinnert, wenn sie mal in der Mauser sind. Seine Haltung verrät seine Tätigkeit am PC: Eingefallene Schultern und ein leicht gekrümmter Rücken. Den Kopf trägt er – halslos – tief vorne. Seine kleinen wachsamen roten Augen fixieren einen oft über den Brillenrand – genauso wie er auch auf den Bildschirm seines Laptops schaut.

Als ich bemerke, dass die Batterie meines Weckers bald den Geist aufgeben wird, fragt er mich umgehend:
\"Woran merkst Du das?\".
Ich antworte ihm, dass die Beleuchtung des Weckers kaum noch funktioniere. Dies sei erfahrungsgemäß das erste Anzeichen, dass die Batterie fast entleert sei. Am anderen Tag liegt neben meinem Wecker eine neue Batterie. Hans hat sie für mich von zu Hause mitgebracht. Er wohnt nur ein paar Kilometer von hier.
Wir sind beide in derselben Ergotherapie-Gruppe \"Speckstein\". Ich habe bereits einen Aschenbecher sowie einen Briefbeschwerer fertig geschliffen. Marianne, die Ergotherapeutin, sagt zu mir mit ihrer hohen aber sympathischen Stimme: \"Wilfried, die sind aber schön geworden! Jetzt musst Du nur noch so Pads drunter machen, damit die nicht rutschen oder den Tisch verkratzen. Die musst Du Dir aber selber kaufen. Die haben wir hier nicht\".
Am nächsten Morgen finde ich auf meinem Regal im Zimmer neben meinen Kunstwerken aus Alabaster einen 10er-Streifen Pads.
Hans hat sie mir besorgt.

Als Hans erfährt, dass mein Laptop, das ich eigentlich mit in die Klinik nehmen wollte, nicht mehr bootet, sagt er spontan:
\"Bring\' es doch bei Deinem nächsten freien Wochenende einfach mit. Mein Sohn schaut sich das dann mal an\".
Was hab\' ich nur für ein Glück?! Womit habe ich einen derartigen hilfsbereiten Zimmerkollegen nur verdient?

Als ich morgens dusche, sehe ich Hans\' Shampoo gegen Schuppen von Aldi. Ich benutze es zusätzlich zu meinem Pflege-Shampoo von Nivea. Gegen Schuppen, das kannste dir ja auch (ein)mal gönnen. Am anderen Morgen ist das Shampoo von Hans aus der Gemeinschaftsdusche verschwunden.

Als ich meine Speckstein-Werke nehmen will, um sie in der Ergo-Sitzung zu polieren, fällt mir auf, dass der 10er-Streifen Pads durchtrennt worden ist. Da liegt nur noch ein kleiner abgerissener Streifen mit vier Pads. Als ich Hans darauf anspreche, antwortet er auf meine Frage mit:
\"Du brauchst die anderen doch sowieso nicht!\". -

Hans leidet unter extremen Blähungen. Er geht zum Beispiel aufs Klo, und es trompetet durch die geschlossene Tür, als ob ein Elefant dort sich heimisch gemacht hätte. Das geht manchmal bis zu einer viertel Stunde lang so. Hans geht davon aus, ich könnte das wohl gar nicht hören. Da ich aus eigener Erfahrung die Problematik nervöser Magen-Herz-Beschwerden kenne, spreche ich ihn eines Tages diskret auf seine Blähungen an. Da er mich nur verdutzt anschaut, erzähle ich ihm von mir.
Ich berichte ihm, dass ich gelegentlich unter Blähungen litt, weil ich dem Bier zu stark zugesprochen habe. Diese Dysbakterie sei aber durch kurzfristige Medikamenteneinnahme in den Griff zu kriegen. Der Gruppen- bzw. Bezugsärztin müsse man nur den Hinweis geben, eventuell mal den Stuhl untersuchen zu lassen. Hans hört mir zu, erwähnt, dass er ja immer nur Rotwein getrunken hätte. Und er redet nie wieder mit mir über dieses für ihn so heikle Thema. -

Hans H. hat sich in Sachen Sport viel vorgenommen. Jeden Morgen steht er um 6:00 Uhr auf, besteigt das Ergometer und geht anschließend noch Schwimmen. Nach zwei Tagen fängt er an, sich vor allem abends an den Schienbeinen und Waden ausgiebig zu kratzen – mit einem Ausdruck der Erleichterung auf seinem Gesicht.
\"Das tut richtig gut!\", sagt er: \"Ich habe da schon richtig Narben\".

\"Der Juckreiz kommt bestimmt vom Chlor im Schwimmbad\", bemerke ich, \"der Karl-Heinz und ich gehen auch nicht mehr schwimmen. Meine Haut wird einfach zu trocken davon. Da hilft alles Eincremen nichts.\"
Bei ihm könne es nicht am Chlor liegen, entgegnet er. Denn er sei im Taucher-Club und schwimme jede Woche einen Kilometer. Hans H.\'s Haut vor allem auf dem Rücken ist rötlich bis leicht rostbraun – wie beim Eisenhans - und schuppig.

Einen Tag später teilt mir Hans H. mit, dass irgendetwas mit der relativen Luftfeuchtigkeit im Zimmer nicht stimmen könne. Er habe extra ein Messgerät besorgt, aber dieses zeige nichts an, sagt er erstaunt und zeigt es mir.
Stimmt. Das Messgerät zeigt nur \"----\" an. Daraus folgert Hans H. messerscharf, dass die Luftfeuchtigkeit im Zimmer so gering sei, dass das Gerät diese gar nicht messen könne. Aber er weiß sich zu helfen. Er schließt alle Fenster und legt nasse Handtücher auf die Heizung. Morgen werde er noch zwei Wasserspender mitbringen, verspricht er.

Auf meine Frage, ob es denn nicht besser wäre, einfach öfter mal zu lüften, antwortet er mit einem eindeutigen \"Nein!\". Was folgt, ist eine lange technologisch gehaltene Erklärung, die mir aber nicht einleuchtet.

Vor dem Schlafengehen bittet er mich noch, eine Wunschliste mit DVDs zu erstellen, die ich mir anschauen möchte. Er könne diese dann besorgen.
Er gehe jetzt reihum in der Gruppe.

Mir ist aber heute nicht danach. Außerdem fällt mir spontan kein Film ein, den ich jetzt unbedingt sehen müsste.

Aber Hans H. lässt nicht locker. Zwei Tage später präsentiert er mir eine Liste mit fast 400 DVD-Titeln.
\"Jetzt brauchst Du nur noch anzukreuzen, was Du gerne sehen möchtest! Die Liste kriegen dann auch die anderen\".

\"Och, da hab\' ich heute Abend aber leider keine Zeit für. Ich treffe mich gleich noch mit Martin und Hubert zum Tischtennis-Spielen. Gib sie doch bitte erst mal den anderen. Später schau ich sie mir dann noch mal an\".



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Adhoc-Therapie


Eines Abends fahre ich von Stuttgart zurück in die Klinik. Der Busfahrer wird neugierig, als er hört, dass ich bis Schönkirch fahre. Wir sind allein im Bus. Es ist 22 Uhr.
Er fragt mich über die Klinik aus, und ich lobe das Essen, die Leute sowie das vielfältige Sportangebot. Der Busfahrer erzählt mir, wie berühmt und bekannt die Klinik sei. Patienten kämen sogar von Berlin oder Hamburg hierher. Darunter seien selbst Direktoren oder Professoren.

Kurz bevor ich aussteigen muss, gibt er mir noch ein paar Tipps:
“Sie müssen heiraten und Kinder kriegen! Dann haben Sie was von sich”,
und er fügt hinzu:
“Aber keine Alk!”

Was war das denn gerade? Wozu noch weitere zehn Wochen Therapie in der Klinik? Den Masterplan für die Zeit nach meiner Entlassung habe ich doch jetzt bereits in der Tasche.


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Hans H. II


Hans leidet unter Apnoe. Außerdem war seine Nase mal gebrochen und die Nasenscheidewand ist deformiert. Sich die Nase nochmals aus medizinischen Gründen brechen zu lassen, hat er abgelehnt. Er schnarcht daher unbeschreiblich laut und bekommt nachts ständig Erstickungsanfälle. Ich habe mir Ohropax besorgt und so tief in die Ohren gepfropft wie es nur eben geht. Nachts wache ich dennoch oft auf und weiß nicht, ob ich einen Arzt rufen soll oder nicht. Oft schlafe ich nicht vor drei Uhr morgens ein. Am bestens schlafe ich ab fünf Uhr, denn ab dann ist Hans wach.

All dies fällt aber unter Toleranz. Und geht keinen was an; auch nicht die anderen Gruppenmitglieder. -

Einmal frage ich ihn, ob es ihn denn nicht störe, wenn ich nachts so oft auf die Toilette müsste. Denn ich trinke literweise Wasser abends. Zuerst hätte ich geglaubt, dass er schliefe, solange ich sein Schnarchen höre, während ich zum Bad gehe. Ich hätte aber den Verdacht, dass er das sehr wohl mitbekomme.
Hans muss schmunzeln. ...

Dann beichtet er mir: Er habe sich angewöhnt, ganz normal weiter zu schnarchen, auch wenn er wach geworden sei. Zuhause bei ihm sei seine Schlafzimmertür immer geöffnet. So könne er zum Beispiel hören, wann seine Söhne nachts Heim kämen, und ob sie morgens pünktlich zur Arbeit gingen. Wenn der Erste nicht um 6:00 Uhr aufstehen und duschen würde und der Zweite nicht bis spätestens 7:00 Uhr, dann stehe er auf, um nach dem Rechten zu sehen. Sollten da etwa noch Schuhe im Flur stehen, dann wisse er genau Bescheid. Dann griffe er durch. Blau machen, das sei bei ihm nicht drin.

Ich wollte mich noch erkundigen, wo denn seine Frau schlafe, aber diese Frage habe ich mir verkniffen. - -

Also diese Apnoe ist schon eine Belastung, ich denke für uns beide – nicht nur für ihn. Wenn er so nachts da liegt in der Königsstellung, dazu ein Bein angezogen, und der Kiefer synchron mit den Schnarchtönen mal mehr mal weniger nach unten klafft, und seine Gesichtsfarbe zwischen rot und grau-bläulich wechselt, dann kann er mir nur Leid tun.

Hans ist jetzt schon seit über einigen Wochen mein Zimmernachbar, und wir kommen gut miteinander aus. Mir fällt nur auf, dass ich zwar wenig aber immer schlechter schlafe. Und mir ist nachts zunehmend heiß. ...

Hans schließt das Fenster, wenn ich es nicht bemerke, zum Beispiel, wenn ich gerade im Bad bin. Zudem stellt er nachts die Heizung an, denn er liegt ja am Fenster sowie an der Heizung und hat da den direkten Zugriff. Als ich nachts mal verschwitzt aufwache und auf das Thermometer gucke, das Hans mitgebracht hat, zeigt es 22 Grad Celsius an. Kein Wunder also.

Als ich ein offenes Gespräch mit Hans führe, beichtet er mir: \"Ich hab\'s nachts kalt\". Und er bittet mich, nachts nicht wieder das Kippfenster zu öffnen, denn draußen habe es ja Minus-Grade. Meine aus der Bundeswehrzeit stammende Regel: Wer friert, zieht sich was an! – sagt ihm nicht zu. Zu Hause schliefe er nackt; hier zöge er sich jedoch einen Slip an. Na Gott sei Dank!
So geht es noch vier Wochen weiter.

Dann platzt mir der Kragen. Ich kann eines Abends erst gegen drei Uhr in der Früh einschlafen. Das Röcheln und Schnaufen ist einfach zu laut. Dann träume ich und in diesem Traum wird gewürgt. Der Gewürgte röchelt und ist dem Ende nahe ...
Da wache ich auf – und es ist Hans der röchelt: Er hat die Musik gemacht für meinen Traum.

Ich öffne die Augen:
Hans steht auf, reißt die Balkontür auf, schnappt nach Luft und will die Tür gleich wieder schließen. In diesem Moment zeige ich ihm, dass ich wach bin.
\"Hans, mach\' doch das Oberlicht auf. Dann haben wir beide frische Luft\".
\"Das Oberlicht bleibt zu. Ich habe kalt!\", antwortet er im Feldwebelton – und das morgens um fünf Uhr.
Ich habe ja fast noch kein Auge zugemacht.
\"Das Oberlicht bleibt zu. Ich habe kalt!\", wiederholt er schroff und will sich wieder ins Bett legen.
\"Beim Bund, da ...\", sage ich. - \"Wir sind hier aber nicht beim Bund!\", kriege ich zu hören.
\"Dann musst Du ausziehen! Du kennst die Regel: Wer schnarcht, zieht aus!\"


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Gruppentherapie-Sitzung


Gegen 11:00 Uhr ist Gruppentherapie. Ich war vorher noch zum Ergometer-Training, bin frisch geduscht und entspannt. Hans H. lässt ausrichten, dass er etwas später käme. Er sei noch bei der Ärztin. Das kann ja nicht schaden, denke ich. Vielleicht hat er sich ja entschieden, endlich was gegen seine deformierte Nasenscheidewand zu unternehmen, oder vielleicht sucht er Rat wegen seiner Apnoe.

Als er eintrifft nimmt er genau gegenüber dem Therapeuten Platz.
Wir sind gerade beim Blitzlicht.
\"Was gibt\'s Neues?\", fragt der Therapeut.
Hans H. ergreift das Wort. Er habe, so sagt er, Probleme mit einem Gruppenmitglied.

\"Mit welchem Gruppenmitglied?\", fragt der Therapeut zurück.

\"Mit Wilfried!\".

Das darf doch nicht wahr sein, denke ich, da trägt der schon wieder was in die Gruppe!

Ich hätte ihm heute Nacht gesagt, dass er ausziehen solle. Der Therapeut zeigt sich erstaunt. Hans fährt fort und erzählt von seiner Nasenscheidewand und seiner Apnoe. So was falle bei ihm aber unter Verschwiegenheit.
Nun fordert mich der Therapeut auf, dazu Stellung zu nehmen.

Ich beginne damit, dass ich nicht glaube, dass dies ein Thema sei, das in diesem Rahmen – hier innerhalb der Gruppensitzung - besprochen werden sollte. Aber, nun gut, ich hätte ja nicht damit angefangen ... und erzähle den frühmorgendlichen Hergang der Geschichte.
Auch ich hätte ein Recht auf Schlaf, betone ich, und das mit der Apnoe hätte ich noch nie erwähnt; jetzt aber, wo ich auch noch bei geschlossenen Fenstern, und das bei 22 Grad Celsius, schlafen müsse – und das bei eingeschalteter Heizung -, ginge das so nicht weiter.

Während ich so daher rede, beobachte ich Marko und Hans i.G. mir gegenüber sowie Ernst links neben mir. Sie scheinen sich, wenngleich verhalten, zu amüsieren. Ich weiß, dass sie Tag und Nacht die Fenster und oft sogar die Balkontür geöffnet haben. Als ich die Temperatur von 22 Grad erwähne, schüttelt Marko nur mit dem Kopf und fährt sich mit den Händen durch die Haare.

Eine Lösung scheint nicht in Sicht. Hans hat\'s nachts kalt; und ich will mich nur mit der Apnoe abfinden, nicht aber zusätzlich noch mit der Hitze nachts. Da hat Gerhard – der für H-P in unsere Gruppe nachgerückt ist - eine Idee. Man könne doch die Zimmer tauschen. Er schnarche auch, und so könnte doch sein Zimmerkollege, Hans-Dieter – ebenfalls ein Neuzugang -, zu mir ziehen. Und so wird\'s gemacht. Noch in dieser Woche ziehen die Schnarcher zusammen. Ich brauch nichts zu tun, denn ich kann in meinem Zimmer bleiben. -

Diagnose Hans: Wenn du fünf Wochen mit jemandem ein Zimmer teilst, kennst du ihn gut. Das behaupte ich. Was Hans Nacht für Nacht für Kämpfe ausfechtet, weiß ich nicht. Sein Röcheln, Stöhnen und seine Erstickungsanfälle in Verbindung mit seinem Schnarchen – und das alles in dieser Lautstärke – lassen für mich nur eine Schlussfolgerung zu:
Er kämpft – wogegen weiß ich nicht. Es hört sich alles an wie ein Kampf, den er Nacht für Nacht durchficht. Dass er überhaupt morgens relativ munter ist, erscheint mir wie ein Rätsel.
Hans als Techniker bzw. Ingenieur glaubt, er sei eine kaputte Maschine. Das ist meine Meinung. Was man mit einer defekten Maschine macht, weiß er am besten. So wurde er von seiner Firma ausgemustert und in den Vorruhestand geschickt.

Hans bietet allen Gruppenmitgliedern nach und nach seine Dienste an – sei es beim Kauf eines MP3-Players oder etwa bei der Erstellung einer Excel-Tabelle. Beim MP3-Player überspielt er mit seinem Laptop zuerst Marko und später einer neuen Mitpatientin, Silvia, die gewünschte Musik, bei der Excel-Tabelle richtet er es so ein, dass nur er die Tabelle verändern kann. ...
Nach und nach weitet er auch seine Hilfsdienste auf die Nachbargruppe aus.

Da er in der Vergangenheit, wegen seines hohen Weinkonsums seine Freunde vernachlässigt habe, müsse er nun auch – so erzählt er mir – diesen verstärkt helfen. Manchmal reagierten diese aber etwas schüchtern, wenn er so bereitwillig seine Hilfe anböte. Aber er verstehe das und käme dann eben umso öfter mal vorbei. Er hätte ja viel wieder gut zu machen.

In einer PG-Sitzung hat er mal erzählt, dass seine Familie ihn für pingelig hält. In meinen Augen ist er hochgradig kleinkariert.
Sein erster Vorschlag war, als er neu in die Gruppe kam, das Schwarze Brett neu ordnen zu dürfen. Er entfernte veraltete Mitteilungen. Das ist OK.
Dann begann er, die verbliebenen Zettel waagerecht und lotrecht anzuordnen. Wenn ein Bild zum Beispiel schief hängt, tut ihm das weh. Er bringt es augenblicklich in die richtige Lage.
Wenn er Küchendienst hat, guckt er dreimal am Tag im Kühlschrank nach, ob die Joghurts denn noch nicht abgelaufen sind.

Ich schließe nicht aus, dass er sogar seine täglich benötigte Shampoo-Menge kontrolliert, und er sofort merkt, wenn da einige Milliliter fehlen.
Angst vor Kontroll-Verlust nenne ich das. Ich wollte Hans noch schonend beibringen, dass es neben Karos auch noch Kreise und sonstige geometrische Figuren gibt. Mein Acryl-Bild, als Geschenk an ihn gedacht, konnte ich jedoch nicht mehr fertig stellen. Es hätte Vierecke, Ellipsen und Kreise dargestellt, die alle miteinander verwoben sind.


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Therapie als Folter – Die reinigende Kraft der Folter als Therapie?


Gegen 23 Uhr kehre ich zurück zum Gruppen-Pavillon. Ernst sitzt allein im Gruppenraum vorm Fernseher. Ich setze mich zu ihm und wir klönen. Da wir nur Antennenempfang haben, läuft gerade Tagesthemen in den ARD. Danach beginnt “Scheibenwischer”, was ich schon ewig nicht mehr gesehen habe.
Nach vielen guten Beiträgen kommt zum Schluss Matthias Richling alias Minister Schäuble auf einem Rollstuhl daher gefahren. Richling singt mit seiner für ihn typischen schrillen Stimme ein Loblied auf die Folter:

“Was hatte die Folter nur alles für Vorteile. Denken Sie doch mal an die Kirche. Damals, als es die Folter noch gab, was hatte die Kirche da für Zulauf?
Denken Sie doch mal an die vielen Hexenverbrennungen, was hat die Kirche da für Zuschauermengen angelockt?
Unglaublich!
Und: erst einmal die Heilige Inquisition.
Was hat die nicht alles fertig gebracht?
Sie hat so viel Positives geleistet.
Sie hat sogar zur Bewusstseinserweiterung beigetragen – und das vor allem für den Gefolterten:
Unter der Folter sagen Sie Dinge, die Sie ja ansonsten gar nicht wüssten. -
Ja, das müssen Sie sich mal vorstellen!”

Ich kriege Bauchschmerzen vor Lachen. Ernst fällt in mein Lachen mit ein.
“Das ist ja wie Therapie”, schreie ich auf:
“Ich habe da Dinge gesagt und geschrieben, die ich ansonsten ja gar nicht wüsste!”.
Ernst krümmt sich vor Lachen.

Schließlich reden wir noch über den Monty-Python Film “Das Leben des Brian” und stellen uns die dort gezeigte Steinigung vor. Was für einen Zulauf hatte diese Steinigung. Und was für einen Ärger gab es, als dann die Steinigung kurzfristig abgesagt wurde.
“Das geht doch nicht! Ich bin extra von soweit hergekommen”, schreit eine alte Frau. Und eine andere tobt und kreischt wie von Sinnen: “Ich hab’ doch schon einen Stein gekauft!”
Die Situationskomik in dieser Szene wurde noch dadurch verstärkt, dass die alten Frauen im Film von Männern gespielt wurden.

Sprichwort: Im Haus des Henkers spricht man nicht vom Strick!
[hierzu später]
 



 
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