Abendessen

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Flitzi

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Abendessen

Die Brötchentüte knisterte. Wie jeden Abend saßen sie sich an ihrem weißen Plastik-Esstisch gegenüber. Zwei Holzbrettchen, zwei Messer, zwei Tassen Pfefferminztee, eine mit Süßstoff, eine mit Zucker, Paprikasalami, Teewurst, Mittelalter Gouda, Margarine und vier Mehrkornbrötchen. Immer dasselbe.
Die mächtige Wohnzimmeruhr schlug ihren Takt zur Volksmusik, die aus dem kleinen Küchenradio im Hintergrund heraussprudelte. Wie immer saß er an der Fensterseite. Zur Rechten stand seine Teetasse, zur Linken breitete sich die Tageszeitung genüsslich über den kleinen Tisch aus und mündete mit ihrem Seitenende im Margarinentopf. Seine Hornbrille umklammerte seine Nasenflügel und während seine Augen den schwarzen Druckschlagzeilen folgten, fuhr seine Hand automatisch in die Brötchentüte, um sich eins der Mehrkornbrötchen zu angeln. Wie immer.
Sie saß ihm gegenüber. Er blätterte die Vorderseite der Zeitung um und sie wusste genau, dass er sich im nächsten Moment hinter dem rechten Ohr kratzen und anschließend seine Brille gerade rücken würde. Wie immer.
Sie umfasste den Wurstteller mit ihrer faltigen Hand und schob ihn zu ihm herüber. Blind griff er nach ein paar Scheiben Salami und legte sie auf sein Brettchen. Er schnitt sein Brötchen auf, belegte es und biss zweimal hinein. Er kaute und spülte die Reste mit einem großen Schluck des heiß dampfenden Tees hinunter. Wie immer.
Sie beobachtete ihn. Sein schwarzes Haar war von grauen Strähnen sanft durchzogen und sein rundes Gesicht zeigte kleine Fältchen.
Sie konnte jede einzelne der vielen Falten exakt zuordnen. Die oberen, an der Stirn, kamen von seinem Grübelgesicht. Die Fältchen um die Augen herum waren gewachsen, wenn er in grelles Sonnenlicht geblickt oder seine Brille beim Lesen vergessen hatte. Um die Mundpartie waren die Falten jedoch am tiefsten.
Sie schmunzelte. Es waren schöne Fältchen, schön, weil sie nicht vom Grübeln, sondern vom Lachen kamen. Sie betrachtete ihn weiter und ihr Herz machte einen Sprung.
Ein warmes Gefühl von Wärme und Geborgenheit durchflutete ihren Körper. Weit mehr als tausend Abende hatte sie mit ihm an diesem Plastiktisch zusammen gesessen und jeder einzelne Abend war schön gewesen. Sie liebte es, dass er ihr gegenüber saß und einfach nur da war. Sie liebte es, ihn zu kennen, wie sich selbst, vielleicht sogar besser. Sie liebte es, ihren Weg mit ihm zu Gehen und sie liebte die Beständigkeit, die er in ihr Leben brachte.
Sie beugte sich zu ihm herüber und berührte seinen Mund mit ihren Lippen. Er blickte sie an, grinste und küsste sie zurück. Er liebte sie. Wie immer.
 

Rainer

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hallo flitzi,

ein stück glückseligkeit und heile welt. (nicht mein ding, aber warum nicht)

zwei dinge sind mir aufgefallen:
der mittelalte gouda stammt sicher nicht aus dem mittelalter:), und ist deswegen klein zu schreiben.
das bild der sich "genüßlich" über den tisch verbreitenden zeitung ist schräg, da die zeitung beim ausbreiten (und auch sonst) keine gefühle haben dürfte.

gruß

rainer
 

Flitzi

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Antwort

Vielen Dank für die Anregungen! Eigentlich ist diese Eintönigkeit und heile Welt auch nicht mein Ding. Als ich angefangen habe zu schreiben, sollte die Geschichte auch ganz anders verlaufen. Eigentlich sollte die Frau ihren Mann verlassen, weil er so langweilig war, aber die Figuren haben sich selbständig gemacht. :)
 



 
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