Aber sprich nur ein Wort.

4,00 Stern(e) 2 Bewertungen

pleistoneun

Mitglied
Sein massiver Unterarm streifte die feuchte Mauer, an der er entlang glitt. Der Blick reichte in dieser dunstigen Grottenluft keine zehn Meter. Mit behutsamen Bewegungen wirbelte sein cosmobionischer Schussapparat die Dunstglocke vor ihm auf, sodass der infrarotgekühlte Okularsensor ein schärferes Bild auf die Netzhaut werfen konnte. Der feinschuppige Tarnanzug verhinderte nicht nur den Ausbruch von Angstschweiß, sondern vermochte bei Einsätzen wie diesen, wo es um Leben und Tod ging, zudem Geruchsentwicklung. Überall verstreut befanden sich hier in diesen unüberschaubaren Tunnellabyrinthen Thermo- und Olfaktorzellen, die den Feind sofort identifizierten und eliminierten. Weit in den Tiefen des Tunnelsystems hörte man die dumpfen Schreie der Gefangenen, die es zu befreien galt.

Plötzlich zeigte das halomorphe Display seines Schussapparates eine ungewöhlich hohe Mentalaktivität. Das Seltsame daran: die Aktivität kam von ihm selbst. Er drückte auf einen Knopf, um einen neuerlichen Check durchzuführen und bekam eine abermals ungewöhnlich hohe Ausprägung seiner Gehirnaktivität. Überrascht hielt er inne. Gerade jetzt. Mitten im Einsatz musste sowas passieren. Selbstständiges Denken setze ein. Er dachte, ohne dass er es wollte, an zuhause, an seinen Küchentisch, wo er sein unfertiges Kreuzworträtsel liegen hatte und er dachte unvermittelt an den Begriff, der ihm schon seit zwei Tagen Kopfzerbrechen bereitete: "Anderes Wort für Gefährte". Unmöglich. Keine Querverweise konnten dienlich sein, zu wenige Buchstaben zur Lösung. Das Display zeigte maximale Aktivität im gesamten Cortex, das bedeutete nicht nur, dass die völlig diffuse Begriffssuche im Kopf für Verwirrung sorgte, sondern auch, dass er nicht unbedingt ein Einstein war. Völlig versunken in Gedanken bemerkte er nicht, wie sich ihm aus dem Dunkel eine Gefahr näherte. Im nächsten Augenblick trat aus den dichten Nebelschwaden ein feindlicher Kämpfer hervor, mit seiner Waffe im Anschlag und einem durchdringenden Blick, der nur eines bedeutete: den Tod. "Anderes Wort für Gefährte, anderes Wort für.....", grübelte er "... ich habs, ICH HABS!!!". Vollkommen erlöst von den Anstrengungen, die ihm das Kreuzworträtsel bescherte, lachte er seinem Feind mitten ins Gesicht und rief: "FREUND!!". Das finstere Gesicht des Feindes wich der Verwunderung über den plötzlichen Erkenntnisgewinn seines Gegenübers, der ihn nun auch noch umarmen wollte. "Frrrreuuuund", wiederholte der Feind in gebrochenem Akzent, denn in Soldatenschulen bringt man den Rekruten immer das notwendige Grundvokabular jener Volksgruppe bei, gegen welche sie jeweils in den Kampf zogen. Denn wären Gefangene zu nehmen, müsste man sich verständigen können. "Freund".... "Frrreuuund", schäkerten und alberten die beiden Killermaschinen sitzend am modrigen Boden.

Jene Gewölbe, die bisher nur Schrecken und Angst erlebt hatten, erlebten zum ersten Mal ihres Daseins versöhnliche Szenen zweier Soldaten, die noch wenige Minuten zuvor auf Vernichtung allen Lebens eingestellt waren. Und so schreibt man auch in altüberlieferten Schriften den Satz: "...aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund...". Das gesuchte Wort ist Freund. Für Bibelliebhaber und Soldaten gleichermaßen.
 



 
Oben Unten