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Jule

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An einem regnerischen und trostlosen Samstag-Nachmittag wurde ein Funkspruch an den Funkempfänger mit der Lizenz DAB6YH gesendet. Die Eigentümerin der Lizenz wohnte in einem alten Haus mit einer riesigen Funkantenne nahe Stuttgart und hieß Marianne Federleicht. Leider war Marianne Federleicht gerade in Urlaub und so entging ihr folgende sensationelle Nachricht:
„Hier XZUG9B vom 5. Planeten des inneren Sonnensystems in der Galaxie X541. Bitte antworten Sie, sobald Sie die Nachricht erhalten haben. Wir warten auf Ihre Antwort.“
Wie gesagt, Marianne Federleicht war nicht zu Hause und es ist auch zweifelhaft, ob sie diese Nachricht ernst genommen hätte. Wer hätte es ihr verdenken können? Nachricht von Aliens? Also bitte.
Man könnte nun annehmen, dass der Funkspruch ins Leere ging und niemand davon Notiz nahm. Dem war natürlich nicht so, aber der Reihe nach. Kaum war die Stimme verhallt, läuteten weit entfernt, in der Nähe von Flagstaff, Arizona, sämtliche Alarmglocken. Dort nämlich standen in einer einsamen Wüste seit Jahren riesige Parabolschüsseln, die nichts anderes zu tun hatten, als mit ihren riesigen Ohren nach Anzeichen von intelligentem Leben auf fremden Planeten zu horchen. Selbstverständlich wurde diese Funknachricht dort abgefangen. Die Wissenschaftler in Flagstaff hätten sich nie träumen lassen, dass sich Außerirdische auf so einfache Weise melden würden, so klar und verständlich, zwar leider auf Deutsch, aber macht nichts. Sie hatten wohl eher so etwas wie Piep-Geräusche erwartet.
Sofort machten sich die Wissenschaftler daran, zu berechnen, wo und wann dieser Funkspruch abgesendet worden war und ob es sich hier tatsächlich um ein Lebenszeichen von einem anderen Planeten handelte. Und nach einigen Tagen hektischer Berechnungen und aufgeregter Computertätigkeit waren sie sich fast sicher, dass der Funkspruch aus einem Sternenhaufen der Galaxie Proxima Centauri abgesendet worden war.
Vor der Veröffentlichung der Sensation wollten sie alles nochmal prüfen, damit sie sich nicht blamierten. Das war nämlich schon mal passiert. Vor ein paar Jahren hatte ein Spaßvogel mit jeder Menge technischem Schnickschnack eine Funknachricht gesendet und sich als Bewohner des Planeten Mars vorgestellt. Die Marsbewohner, so erzählte er, wohnten in unterirdischen Höhlen, weil es auf der Oberfläche viel zu heiß wäre und außerdem vertrügen sie das intensive Sonnenlicht so schlecht. Und sie hätten keine grüne Haut.
Natürlich hatten Wissenschaftler und Praktikanten damals sofort emsig gerechnet und herausgefunden, dass die Nachricht vom Mars kam. Aber leider, leider war ihnen irgendwie in der Aufregung bei der Berechnung ein Fehler unterlaufen. Um es kurz zu machen, die Wissenschaftler bestätigten der erstaunten Welt, dass ein Lebenszeichen vom Mars gesendet worden war. Die Welt war begeistert (bis auf einige panische Schwarzseher, nur hat die sowieso keiner beachtet) und die Wissenschaftler völlig besoffen von dem plötzlichen Interesse und ihrer eigenen Wichtigkeit. Die TV-Sender und Nachrichten Kanäle prügelten sich fast um die Neuigkeit. Das ging ein paar Tage so, bis ein einsamer Mathematiker oder Physiker alles noch mal nachprüfte und leise, aber bestimmt auf den Fehler hinwies. Das war natürlich ziemlich blamabel für die Wissenschaftler in Flagstaff und sie konnten gar nicht schnell genug wieder in der Versenkung verschwinden. Der Marsianer war in Wirklichkeit ein Amateurfunker und saß in Frankreich. Wahrscheinlich hatte er sich schlapp gelacht. Ziemlich peinlich, die Angelegenheit. Das war aber noch nicht alles.
Dieser Vorfall hatte zur Folge, dass nicht nur der Ruf der Wissenschaftler ruiniert war, sondern sich die Regierung der USA fragte, wozu man überhaupt einen solch technischen Aufwand in der Wüste betriebe, wenn sich die angestellten Wissenschaftler so leicht hinters Licht führen ließen. Die waren ja wohl eindeutig überbezahlt. Die Konsequenz der Überlegung war, dass die Regierung die Gelder für die Anlage drastisch kürzte. Weil aber nun vor einigen Jahren mit großen finanziellen Mitteln diese Parabolschüsseln in die Wüste gestellt worden waren, bewilligte die Regierung gerade genug Zuwendungen, um die Elektronik zu warten und zu verhindern, dass die Anlage von kriminellen Organisationen missbraucht werden konnte. Fast alle Wissenschaftler wurden entlassen, nicht aber die Praktikanten, die waren sowieso nicht so teuer. Diejenigen, die weiter dort arbeiten durften, nahmen sich fest vor, dass sich ein solcher Fehler auf keinen Fall wiederholen durfte.
Deshalb also jetzt die wilde Rechnerei. Der angeschlagene Ruf der Wissenschaftler musste ja wieder hergestellt werden und vielleicht konnte man ganz nebenbei wieder ein paar Regierungszuschüsse abgreifen.
Nachdem sie also alles ein zweites mal und sicherheitshalber auch ein drittes mal durchgerechnet hatten, wurde es für einige Minuten sehr still. Alle sahen sich tief in die Augen und ihre ausgelaugten Hirne konnten es nur langsam begreifen: ja, der Funkspruch kam von Proxima Centauri, und ja, scheinbar gab es außerirdisches Leben auf einem anderen Planeten. Und diese Außerirdischen wollten mit den Menschen auf der Erde in Kontakt treten. Alles passte zusammen, auch dass der Funkspruch ein halbes Jahr im Weltall unterwegs gewesen war. Und die Station in Flagstaff hatte es entdeckt – und konnte es beweisen! Hurra! Endlich! Dann brach ein unbeschreiblicher Lärm los. Die Wissenschaftler sprangen und tanzten umher und schrien wie verrückt. Versteckte Alkoholvorräte wurden aus Schreibtischschubladen hervorgeholt und fröhlich man stieß an.
Nach einer Weile, sie waren alle schon ziemlich betüddelt – einsame Wissenschaftler einer finanziell schwach untermauerten Institution vertragen im Allgemeinen nicht viel Alkohol -, fragte einer der Wissenschaftler:
„Und? Wie lautet der Inhalt des Funkspruchs? Im meine, was haben sie gesagt?“
Wieder breitete sich Stille aus. Tja, darauf wusste niemand eine Antwort. Denn niemand in der Forschungsstation sprach deutsch. Man hatte sich ja vornehmlich um die Berechnungen gekümmert. Der Inhalt war erst mal zweitrangig gewesen. Ratlos sahen sie sich an, als eine Sekretärin schüchtern bemerkte, sie selbst spräche zwar kein Wort Deutsch, kenne aber jemanden, der sicher bereit wäre, die Nachricht zu übersetzen. Und ob sie ihn herbitten solle.
Der Vorschlag führte zu einer hitzigen Diskussion, in deren Verlauf die restlichen Alkoholbestände komplett geleert wurden. Ein Teil der Wissenschaftler wollte gleich anrufen, um die Nachricht übersetzen zu lassen. Der andere Teil war absolut dagegen. Man befürchtete, dass der Übersetzer den ganzen Ruhm für sich selbst beanspruchen könnte. Und das nach all den Jahren, in denen sie müde belächelt worden waren und dem – äh, Vorfall, nicht wahr? Hin und her ging die aufgeregte Diskussion und lautstark wurde sie auch. Man konnte sich nicht einigen. Wo man schon mal dabei war, wollten sie auch gleich klären, wer von den Forschern denn nun von die Kameras von CNN + Co treten und der Weltbevölkerung erzählen sollte, dass sie nicht allein im All waren. Profilneurosen trafen auf Alpha-Tierchen, Rampensäue auf hauptberufliche Intriganten. Das reinste Massaker.
Der schüchternen Sekretärin, namens Jenny, war es schon lange zu dumm geworden. Sie hatte sich unauffällig verdrückt. Während sie nach Hause fuhr, grübelte sie darüber nach, wie es sein konnte, dass angeblich intelligente Wissenschaftler so dämlich sein konnten. Sie hoffte, dass die Außerirdischen mehr Grips besäßen und wenn nicht, war es ihr auch egal. Gleich morgen früh würde sie sich nach einem neuen Job umsehen.
Wenn Marianne Federleicht das hätte erleben können. Denn der Funkspruch war ja eigentlich für sie bestimmt gewesen. Da ist ihr wohl einiges entgangen.
Die Forschungsstation in Flagstaff war nicht die einzige Einrichtung, die die Nachricht abgehört hatte. Jemand anders belauschte – wenn auch aus anderen Gründen – die Funkfrequenzen. Und das war, wie hätte es auch anderes sein können, die CIA.
Es ist ja nicht so, dass man auf diesem Planeten keine privaten Gespräche führen kann, aber die Kommunikation über Funkverkehr gehört definitiv nicht dazu.
Also die CIA hatte den Funkspruch abgefangen und gleich auch übersetzt. Das war nun das kleinste Problem. Diskussionen darüber, wer, wann, wo, was veröffentlichen sollte, gab es auch nicht. Eine vornehme Eigenschaft dieser Einrichtung ist ihre Diskretion; oder sollte es zumindest sein.
Soweit, so gut. Bei der CIA war man natürlich sicher, dass es sich hierbei um die Korrespondenz zwischen Terroristen handelte. Was auch sonst? Und weil sich Geheimdienste einig darüber sind, dass sich Terroristen mithilfe von Codes unterhielten, wurde die Nachricht wie üblich an die Dechiffrier-Abteilung weitergeleitet. Dort versuchte ein einsamer Agent, den Code zu entschlüsseln.
Nach einigen Tagen ging dieser Decodierungs-Spezi zu seinem Vorgesetzten und berichtete, dass sich hier ein paar Terroristen über einen geplanten Bombenanschlag unterhielten. Er hätte alles überprüft und die Koordinaten stimmten mit bereits entschlüsselten Codes überein, aber es gäbe so gar keinen Sinn. Das Zielgebiet läge im tiefsten Sibirien. Und wer würde hier schon einen Bombe hinwerfen? Da würde doch kein Mensch etwas davon mitkriegen.
Der Vorgesetzte schaute sich das Ganze an und telefonierte dann wiederum mit seinem Vorgesetzten. Die beiden redeten kurz miteinander und entschieden dann einen weiteren Vorgesetzten hinzuzuziehen. Die Hierarchien dieser Einrichtungen müssen strikt eingehalten werden. Irgendwann kam dann jemand auf die Idee nach dem Besitzer der Lizenz zu fragen.
Das war natürlich Marianne Federleicht in Deutschland, die auf diese Weise zu einer Akte bei der CIA kam.
Die CIA stellte fest, dass sie zwar die Inhaberin der Funkfrequenz war, jedoch zum Zeitpunkt, da die Nachricht einging, im Ausland war. Die Agenten schlossen messerscharf daraus, dass die Nachricht gar nicht an Marianne Federleicht gerichtet war, sondern nur für die Besitzerin des Hauses bestimmt gewesen sein konnte, Mathilde Schrothammer, 75, Witwe. Geheimdienste haben so ihre eigene Logik.
Und so unwahrscheinlich es sich anhört, Agenten der CIA flogen nach Deutschland und suchten Mathilde Schrothammer auf. Sie fackelten nicht lange, sondern sedierten die alte Dame und transportieren sie zu einem Flughafen und in einen Flieger nach USA.
Natürlich wurde das Haus gründlich durchsucht, auch die Dachkammern von Marianne Federleicht mit der Funkanlage. Gefunden wurde jedoch nichts, keine Verbindungen zu Terror-Organisationen, keine kriminellen Handlungen. Nichts, was eine Verhaftung oder eine Entführung hätte rechtfertigen können.
Nun war aber Mathilde Schrothammer schon sediert und im Flieger. Was hätten die Agenten tun sollen? Soll man einer älteren Dame erklären: „Entschuldigung, wir dachten, Sie seien eine Terroristin, da haben wir uns leider geirrt. Nun hatten wir Sie aber schon sediert und Sie sitzen in einem Flieger in die USA, aber nun unterschreiben Sie dieses Formular, dass Sie uns und das Formular nie gesehen haben, dann fliegen wir Sie sofort wieder zurück. Wenn Sie mit Anderen darüber reden, wird fJemand kommen und Sie umbringen.“ Nein, das ging auf keinen Fall.
Die CIA nahm Mathilde Schrothammer erst mal mit. Diese verschlief den Flug. Dabei hätte sie vielleicht noch Spaß daran gehabt, wäre sie wach gewesen. Kostenloser Flug nach USA? Klar doch. Während des Fluges legten die Agenten gleich auch eine Akte für Mathilde Schrothammer an. Man ist eben gründlich bei der CIA.
Es hatte alles einfach und klar ausgesehen, aber bei der CIA ist man gewöhnt, dass immer irgendwas schief geht. Das ging es ja dann auch.
Und das hing mit den Forschern in Flagstaff zusammen. Die hatten sich nämlich doch noch geeinigt, nachdem sie ihren Rausch ausgeschlafen hatten.
Ziemlich verkatert und beschämt trafen sie sich am Tag nach der denkwürdigen Nacht und gestanden sich ein, dass ein solches Benehmen ihrer nicht würdig gewesen war. Zügig entschieden sie, wer, wann, was veröffentlichte. Und den Text des Funkspruchs hatten sie sich auch übersetzen lassen. Immer noch waren sie aufgeregt, oder besser gesagt elektrisiert, aber wesentlich ruhiger und vor allem nüchtern. Sie hofften nur, dass die Sekretärin kein Wort über den bewussten Abend verloren hatte. Das war natürlich nur ein frommer Wunsch. Jenny war natürlich nicht sofort nach Hause gefahren sondern hatte die Ereignisse in einer stark frequentierten Bar breit getreten. Und das war auch eine rauschende Nacht gewesen. Was sie allerdings nicht erwähnt hatte war, dass ein Funkspruch von Proxima Centauri eingegangen war. Aus irgendeinem Grund hielt sie damit hinter dem Berg. Das war der Grund, warum für sie keine Akte bei der CIA angelegt wurde.
Die Wissenschaftler wandten sich an einen Fernseh-Sender – natürlich durfte es nur CNN sein. Wenn schon, denn schon. Die Journalisten dort waren allerdings nach dem Flop von vor ein paar Jahren ziemlich misstrauisch und lehnten eine Berichterstattung ohne vorherige Bestätigung durch die NASA ab.
So entschieden die Wissenschaftler kurz entschlossen, dem örtlichen Lokalsender FKAC die Chance zu geben Die Reporter dort waren zwar auch skeptisch was die Authentizität betraf,– so eine Schlappe spricht sich ja herum, nicht wahr, auch wenn es schon Jahre her ist – aber schlauer als die Kollegen bei CNN. Sie nutzten einen privaten Kontakt bei der NASA. Und dieser bestätigte, dass der Funkspruch erstens von Proxima Centauri kam und zweitens vor ca. einem halben Jahr abgesendet worden war.
Das war genau die Bestätigung, auf die die Wissenschaftler in Flagstaff gehofft hatten. Natürlich hätten auch sie bei der NASA nachfragen können, aber wer hat schon Geld, die zu bezahlen. Vor allem, wenn man finanziell auf schwachen Füssen steht. Es hat ja wohl keiner geglaubt, dass die NASA so was umsonst macht.
Der kleine lokale Fernsehsender FKAC rührte kräftig die Medientrommel und nach zwei Tagen bissen auch die großen internationalen Nachrichtensender an. Die Nachricht schlug ein wie eine Bombe und verdrängte so unwichtige Ereignisse wie Kriege oder Naturkatastrophen. FKAC verkaufte die Nachricht so gut, dass sie auf Jahre hinaus ein komfortables Finanzpolster hatten.
Ungefähr zu diesem Zeitpunkt saß, oder besser lag Mathilde Schrothammer im Flugzeug. Als die Agenten der CIA mit der mittlerweile erwachten und erstaunten Mathilde Schrothammer in Washington Dulles landeten, mussten sie zu ihrer Überraschung feststellen, dass der abgefangene Funkspruch veröffentlicht worden war. Ein Riesenrummel wurde darum gemacht, weil ein Funkspruch von Proxima Centauri kam. Keine Rede von einem terroristischen Anschlag, schon gar nicht in Sibirien.
Der Ärger, den sie empfanden war nichts zu dem Empfang, der ihnen blühte. Nicht nur, dass die CIA mit der Annahme von einer Bombe völlig falsch gelegen hatte, gar nicht zu reden von der völlig idiotischen Entschlüsselung der Nachricht in der Dechiffrier-Abteilung. Nein, sie hatten eine illegale Hausdurchsuchung bei einer völlig unschuldigen Bürgerin eines verbündeten NATO-Partnerlandes durchgeführt und auf ihr Konto ging auch noch die Entführung dieser unbeteiligten Person mithilfe eines illegal verabreichten Barbiturates. Der CIA-Chef wurde lautstark, dennoch waren sich alle einig, dass dies auf keinen Fall an die Öffentlichkeit gelangen durfte. Wenigstens hatte bisher noch niemand Wind von dieser Aktion bekommen.
Die beteiligten Agenten wurden eilig ins Archiv versetzt. Der Bereichsleiter, der diese Aktion bewilligt hatte, fand sich an einem Schreibtisch neben dem Heizungskeller wieder. Man wird eben bei der CIA nicht einfach so entlassen. Dann setzten sich die Oberen zusammen und überlegten, was mit Mathilde Schrothammer geschehen sollte. Zurzeit befand sie sich in einer sogenannten sicheren Wohnung in Baltimore, bewacht von einer sehr netten Agentin namens Claire. Mathilde war zwar 75 Jahre, aber nicht auf den Kopf gefallen. Sie spannte sehr schnell, dass hier etwas total schief gelaufen war und versuchte Claire ein paar Information zu entlocken. Aber die erwies sich als erfahren genug, um nichts auszuplaudern. Das konnte sie auch gar nicht. Sie war sehr kurzfristig für diesen Auftrag ausgewählt worden, nachdem sie über den Flurfunk bei der CIA von einer verunglückten Aktion erfahren hatte. Mehr konnte auch sie nicht herausbekommen. Mathilde tat ihr eigentlich leid, aber sie konnte ihr nicht helfen. Mathilde arrangierte sich mit der Situation und beschloss erst mal den Mund zu halten, blieb jedoch weiter vorsichtig. Sie war überzeugt davon, dass das noch lange nicht alles gewesen war.
Währenddessen kosteten die Wissenschaftler in Flagstaff ihren Triumph aus, der lokale Fernseh-Sender hatten den „Jackpot“ geknackt, die CIA war emsig mit der Vertuschung beschäftigt und Mathilde Schrothammer in Baltimore.
Just zu diesem Zeitpunkt landete Marianne Federleicht auf dem Flughafen Frankfurt. Sie und ihre Freundin Sandra hatten sich einen 3-wöchigen Urlaub auf den Seychellen gegönnt. In dieser Zeit hatten sie weder Nachrichten gehört, noch E-Mails gecheckt oder Mobiltelefone eingeschaltet. Während die beiden darauf warteten, dass ihre Koffer aus dem Schlund auf das Laufband fielen, lasen sie die Nachrichten auf dem Fernsehgerät in der Halle.
„Außerirdische von Proxima Centauri nehmen per Funk Kontakt mit der Erde auf.“
„Flüchtlingskrise auf dem Höhepunkt.“
„Wirtschaft in der Krise.“
Marianne und Sandra grinsten sich an. War das toll gewesen: drei Wochen ohne diesen Mist. Einzig die außerirdische Kontaktaufnahme fand Marianne cool.
„Stell Dir mal vor,“ sagte sie. „wenn ich der Empfänger der Nachricht gewesen wäre. Die Funk-Bestätigung hätte ich gerne erhalten.“
„EmpfängerIN“, verbesserte Sandra. „Und was hättest Du geantwortet?“, fragte sie weiter.
Marianne überlegte kurz: „Nachricht erhalten. Ganzer Planet bevölkert von Irren. Bleibt bloß weg. Und wie ist es bei euch so?“
Dann lachten sie, griffen nach dem Gepäck und fuhren zu Mariannes Wohnung. Dort stellten sie schnell fest, dass ins Haus eingebrochen, Mathilde Schrothammer nicht zu Hause, alles durchsucht worden war und in den Dachkammern völliges Chaos herrschte. Sie redeten gar nicht lange herum, riefen die Polizei und gaben eine Anzeige wegen Einbruchs zu Protokoll und auch gleich eine Vermissten-Anzeige für Mathilde Schrothammer.
Die Polizei wuselte durchs Haus und nahm Spuren von Türen und Schränken, Marianne saß derweil ungeduldig herum. Sie hätte zu gerne gewusst, ob die Einbrecher das Erb-Silber ihrer Großmutter entdeckt hatten und ob der Fahrzeugbrief noch da war. Hoffentlich war wenigstens das Sparbuch noch im Gefrierfach. Die Polizei hingegen stellte fest, dass Mathilde Schrothammer die Einbrecher selbst ins Haus gelassen haben musste. Dann fanden sie noch ein paar ungeklärte Fingerabdrücke und im Müll vor dem Haus lag die Verpackung eines Barbiturates, welches wohl aus den USA stammte. Das stand zumindest auf der Packung.
Nicht nur, dass die CIA-Agenten schlampig recherchiert hatten, sie waren bei der Auftragsausführung nachlässig gewesen. Agenten sind auch nur Menschen. Und dieser Auftrag war ohnehin langweilig gewesen, keine Action, kein Ruhm, nichts wofür man Lorbeeren hätte ernten können. Natürlich fehlte nichts von der Einrichtung oder sonstigen Wertgegenständen. Die CIA hatte nichts geklaut - außer Mathilde Schrothammer.
Die saß immer noch in Baltimore fest. Claire war inzwischen von einer anderen Agentin abgelöst worden. Barbara war ebenfalls sehr nett, leider aber genauso verschlossen wir Claire. Agenten müssen eben austauschbar sein. Viel Bewegungsfreiheit hatte sie nicht. Aber wenigstens konnte sie Barbara zu einem Restaurant-Besuch für ein paar Hummer und Krabben überreden. Immerhin war sie in Baltimore.
Die CIA hatte neue und unerwartete Probleme. Der Ärger kam jetzt von einer ganz anderen Seite. Wie sich nach und nach herausstellte, hatte die CIA nicht nur Telefonate von mutmaßlichen Terroristen abgehört, sondern auch die von anderen Regierungen. Diese Entdeckung führte zu interessanten diplomatischen Problemen, und die US-Regierung vermutete, dass die CIA sogar ihre eigenen Telefonate und E-Mails ebenfalls abgehört hatte.
Der CIA-Chef hatte mittlerweile Schaum vor dem Mund und sein Blutdruck schoss in die Stratosphäre. In seiner gesamten Laufbahn beim Geheimdienst war ihm noch nie so ein dilettantischer Mist vorgekommen. Und das bei der Geheimdienstorganisation einer Weltmacht, sehr peinlich. Das Image war, vorsichtig ausgedrückt, angeschlagen. Nicht zu vergessen, dass der Präsident der USA ihm genau sagte, was er von dieser – seiner Meinung nach völlig überbezahlten – Institution hielt. Das tat er so laut, dass dem CIA-Chef die Ohren klingelten.
Damit war das Problem Mathilde Schrothammer jedoch noch nicht gelöst. Der ursprüngliche Plan war ja gewesen, sie mit ein paar Tausend Dollar Entschädigung unauffällig nach Deutschland abzuschieben. Wer würde einer 75-jährigen Frau schon das Märchen mit der Entführung durch einen Geheimdienst abnehmen?
Der Vorfall mit den abgehörten Telefonaten machte diesen Plan erst mal zunichte. Vor allem, weil die US-Regierung von Mathilde Schrothammer noch gar nichts wusste. Das sollte tunlichst so bleiben. Also gab der CIA-Chef die Order, Mathilde nach Guantanamo auszufliegen. Keine TV-Sender, keine neugierigen Journalisten, keine Regierung, die sich einmischte, nur Militär auf einer Karibikinsel, wo Mathilde nicht mal ansatzweise mit einem Telefon rumspielen konnte – schön weit weg von allem. Und die dortigen Militärs waren Experten darin, Dinge geheim zu halten. Wenigstens sorgte die CIA noch dafür, dass Mathilde eine eigene klimatisierte Baracke erhalten sollte und nicht als Gefangene zu behandeln sei. Dies wäre eine zeitlich beschränkte Übergangslösung. Damit verschaffte sich die CIA Zeit, bis sich die Gemüter wieder beruhigt hatten. Wenn sich Geheimdienste mal zu einer Entscheidung durchgerungen haben, geht alles sehr schnell.
Mathilde Schrothammer fand sich bereits am folgenden Morgen in einem Helikopter auf dem Weg nach Kuba. Der Helikopter war leer bis auf einen Piloten, sie selbst und Barbara. Ihr war klar, dass diese Reise kein Urlaub sein würde, und wie die die karibische Hitze vertragen würde, wusste sich auch noch nicht.
Der Abschied von Barbara auf dem Flugplatz in Guantanamo war kurz aber herzlich. Mathilde Schrothammer wurde in einem Jeep zu den Baracken der Militärbasis gebracht. Barbara flog sofort wieder zurück nach Washington. Auweia, dachte sie bei sich, da muss ja ein gigantischer Mist passiert sein, wenn die so einen Aufwand betreiben. Ich will gar nicht genau wissen, was. Hoffentlich behandeln sie die alte Dame gut.
Das Militär hatte sich in der ganzen Angelegenheit bis jetzt sehr bedeckt gehalten. Den Funkspruch hatten sie natürlich auch abgefangen. Sie waren sich immer noch nicht sicher, ob das Ganze nicht doch ein Spaß war. Und dass die CIA die ganze Drecksarbeit gemacht hatte, kam ihnen sehr recht. Deren Unstimmigkeiten mit der Regierung beobachteten sie mit interessierter Neugier. Selbstverständlich wurden alle Raketen abgetstaubt, überprüft und in Stellung gebracht, bereit jederzeit einsetzt werden zu können. Der einzige Grund, warum Außerirdische mit der Erde Kontakt aufnehmen wollten, konnte, nach Meinung des Militärs, nur die Eroberung der Erde sein – um alle Menschen zu unterjochen, oder so ähnlich.
Mathilde Schrothammer hingegen nahmen sie sehr gerne in Empfang. So hatten sie sie unter Kontrolle und als kleiner Bonus auch noch etwas gegen die CIA in der Hand. Nur für den Fall, dass es irgendwann in ferner Zukunft mal in Fragen der Zuständigkeit zu Unstimmigkeiten kommen könnte, nicht wahr?
In Flagstaff unterdessen hatten sich einige Dinge geändert. Statt wie üblich, milde belächelt zu werden, genossen die Wissenschaftler jetzt ziemliches Ansehen – auch bei den Einwohnern in Flagstaff. Nur in einer Bar, die übrigens sehr beliebt war, konnten sie machen, was sie wollten. Der Empfang dort war entweder kühl oder man begegnete ihnen mit einem überheblichen Grinsen. Sie konnten nicht wissen, dass das die Bar war, in der Jenny mal ihren Frust abgelassen hatte.
Aber wer kümmert sich um die Akzeptanz in einer Bar, wenn es um Außerirdische geht? Viel wichtiger war doch, dass man auch mal eine Antwort sendete. Nur was? Darüber grübelte man in Flagstaff lange nach. Allzu viel Zeit wollte man nicht verstreichen lassen. Immerhin würden die Funkwellen fast ein halbes Jahr unterwegs sein. Schließlich entschieden sich die Wissenschaftler für folgenden Text:
„Hier Funklizenz ALZ3FA vom 3. Planeten des Sonnensystems der Milchstraße. Haben Ihre Nachricht erhalten. Bitte bestätigen Sie Empfang.“
Und nun hieß es warten.
Warten hieß es auch für Mathilde Schrothammer. Kuba war ziemlich langweilig, ihrer Meinung nach. Selbstverständlich war es ihr nicht erlaubt, die Militärbasis zu verlassen. Schade, denn sie hätte sich gerne mal Havanna angesehen. Aber sie lebte sich langsam ein. Ihre Baracke war klimatisiert, mit der Bewachung kam sie gut aus, das Essen war okay und die Sonne schien warm. Ab und an wurde sie vom Kommandeur zum Essen eingeladen. Sie hütete sich jedoch, zu viele Fragen zu stellen oder den Kontakt zu anderen Gefangenen zu suchen. Bei den gelegentlichen Essen mit dem Kommandeur erfuhr Mathilde, dass ihr Aufenthalt zeitlich begrenzt war und die CIA eine ordentliche Stange Geld kostete. Es war ein Zeitfenster von sieben Monaten für ihre Abreise festgelegt worden.
Tja, wie auch immer ich diese Insel verlasse, dachte sich Mathilde, entweder mit den Füßen voran oder wie ich gekommen bin. Merkt eigentlich niemand, dass ich verschwunden bin?
Und ob man das merkte. Marianne und Sandra hatten ja in Stuttgart eine Vermissten-Anzeige aufgegeben. Außerdem versuchten sie das Chaos im Haus zu beseitigen und tauschten sicherheitshalber alle Schlösser aus.
Die Polizei in Deutschland war auch nicht untätig. Sie waren in Verbindung mit Interpol, weil sie sehr richtig eine Verbindung zwischen Mathilde Schrothammers Verschwinden und dem in den USA gekauften Medikament herstellten. Interpol untersuchte die ungeklärten Fingerabdrücke und ein paar DNS-Spuren. Die Auswertung würde einige Zeit in Anspruch nehmen.
Die CIA hatte mittlerweile entschieden, Mathilde Schrothammer frühestens in zwei Monaten von Guantanamo zurückzuholen. Bis dahin wäre sicherlich die Aufregung um die illegale Abhöraktion und der missglückten Aktion abgeflaut. Die US-Regierung war immer noch ziemlich sauer auf die CIA. Durch eine undichte Stelle hatten sie von Mathilde Schrothammer erfahren. Das war wie Wasser auf eine Mühle. Weil die US-Regierung nicht noch mehr Staub aufwirbeln wollte, durfte der CIA-Chef noch einige Zeit im Amt bleiben. Die Folge war aber, dass die Zuschüsse kräftig gekürzt wurden. Die erhielt eine Forschungsstation in Flagstaff, Arizona. So kann‘s gehen.
Geht man davon aus, dass der Funkspruch aus Flagstaff ein halbes Jahr unterwegs sein würde bis er zu Proxima Centauri gelangte, und geht man ebenfalls davon aus die die Antwort von dort genauso lange dauerte – immer vorausgesetzt, die Antwort würde sofort gesendet – dann würde man frühestens in einem Jahr wieder etwas Neues erfahren. Das stellte die Geduld der Wissenschaftler auf eine harte Bewährungsprobe.
Auch andere Dinge brauchten Zeit. Die Auswertung der Fingerabdrücke und DNS-Spuren aus Marianne Schrothammers Haus zum Beispiel. Als es endlich soweit war, stellte man bei Interpol fest, dass die Fingerabdrücke nicht zugeordnet werden konnten. Das hatte niemand ernsthaft erwartet. Die DNS-Spur jedoch ergab einen Treffer in der Datenbank. Sie gehörte zu einem Brian Teffler, wohnhaft nirgendwo, nie geboren, aber registriert als regelmäßiger Blutspender beim Roten Kreuz in Washington D.C. Das Labor gab diese Erkenntnis unkommentiert an die Polizei in Stuttgart weiter und hoffte, dass niemals jemand rückfragte. Sie dachten sich ihren Teil.
Die Polizei in Stuttgart hatte ebenfalls kein Brett vor dem Kopf, gab aber genau dieses Ergebnis an Marianne Federleicht weiter. Auf Mariannes Frage, wie es denn sein könnte, dass ein regelmäßiger Blutspender weder geboren war, noch einen Wohnsitz hatte, äußerten die Polizisten die vorsichtige Vermutung, dass hier eine Geheimdienst-Organisation involviert sein müsse. Marianne sah die Polizisten ungläubig an, merkte dann aber, dass sich diese keinen Scherz mit ihr erlaubten.
Leider könne man ihr nicht mehr sagen, fügten sie hinzu, die Zusammenarbeit mit den USA gestaltete sich momentan etwas schwierig. Man riet Marianne keine großartigen Versuche zur Auffindung von Mathilde Schrothammer zu unternehmen. Zum einen um ihr eigenes Leben nicht zu gefährden, zum anderen um Mathilde Schrothammer nicht noch mehr in Schwierigkeiten zu bringen.
Marianne beriet sich mit Sandra und beide entschieden, sich ruhig zu verhalten – abgesehen von regelmäßigen Anfragen bei der Polizei. Eine sehr weise Entscheidung. Und da weder die Polizei in Stuttgart, noch Interpol intensivere Nachforschungen nach Mathilde Schrothammer anstellten, beruhigte sich auch die CIA. Der ursprüngliche Plan, Mathilde mit einer Entschuldigung und einer stattlichen Entschädigung nach Deutschland abzuschieben, konnte anlaufen. Mittlerweile liefen grade die Vorbereitungen für die Olympiade in London, so dass die meisten Journalisten und TV-Sender abgelenkt waren. Zudem gab es noch Unruhen in Nahen Osten, damit waren die übrigen Journalisten beschäftigt. Der Zeitpunkt für eine geheime Aktion war denkbar günstig. Das wollte sich die CIA nicht entgehen lassen.
Der Kommandeur in Guantanamo unterrichtete Mathilde Schrothammer über ihre bevorstehende Abreise und Rückkehr nach Deutschland. Soweit er konnte, erzählte er ihr, warum sie überhaupt auf Kuba war. Mathilde Schrothammer lächelte nachsichtig. Das meiste hatte sie schon selbst vermutet. Ihr Mitleid mit dem verlegenen Kommandeur hielt sich allerdings in Grenzen. Da sie aber eine wohlerzogene Dame war, verabschiedete sie sich höflich und bestieg das Militärflugzeug nach Washington D.C. Dort erhielt sie sogenannte „gültige“ Papiere und einen Koffer. Die CIA vergaß auch nicht, sie das Standard-Formular unterzeichnen zu lassen. Leider konnten sie es sich nicht verkneifen, sie darauf hinzuweisen, dass sie über die Aktion Stillschweigen zu halten habe, andererseits jemand käme und sie umbringen würde. Man schlug ihr noch vor, die lange Abwesenheit mit einer Urlaubsreise zu begründen. Das konnte Mathilde Schrothammer nur noch mehr erbittern. Immerhin hatte sich die CIA nicht lumpen lassen. Business-Class mit Lufthansa und eine Agentin, diesmal ohne Namen, als Begleitperson.
So kam Mathilde Schrothammer endlich wieder zurück nach Hause. Die namenlose Agentin begleitete sie bis vor die Haustür und fuhr gleich wieder fort.
Da sie keinen Schlüssel hatte, klingelte sie bei Marianne Federleicht. Die war hocherfreut und vor allem erleichtert, sie wiederzusehen und sprudelte über vor Aufregung. Sie wusste gar nicht, wo sie anfangen sollte, Einbruch im Haus, völliges Chaos in der Wohnung, Vermisstenanzeige bei der Polizei und, ach ja, alle Schlösser im Haus ausgetauscht, hier sind die Schlüssel. Und wo war sie nur so lange gewesen?
Mathilde hörte sich alles etwas verwundert an, entschied dann aber, dass alles Zeit hatte bis zum nächsten Tag. Sie war jedenfalls wieder zu Hause.
Marianne Federleicht informierte die Polizei über die Rückkehr von Mathilde Schrothammer. Dort war man erleichtert. Die Suchanzeige wurde zu den erledigten Fällen gelegt. Auch hielt sich Mathilde Schrothammer an die Anweisung der CIA und erzählte jedem, der es wissen wollte, das Märchen von der Urlaubsreise. Braun gebrannt wie sie war, klang sie ziemlich glaubwürdig. Das Theater konnte sie bei Marianne Federleicht nicht aufrecht erhalten. Also erzählte ihr Mathilde bei einem langen Spaziergang von ihrem unfreiwilligen Aufenthalt in Guantanamo. Sie befürchtete, dass Marianne ihr nicht glauben, und sie in eine geschlossene Einrichtung einweisen lassen würde. Zu Ihrer großen Erleichterung und Erstaunen glaubte Marianne ihr jedoch jedes Wort. Den Grund für die Entführung konnten sie sich beide allerdings nicht denken. Aber mit der großzügigen Entschädigung der CIA konnten die Schäden der Hausdurchsuchung behoben werden und es blieb noch genug übrig.
Mathilde jedenfalls war auf keinen Fall erpicht auf einen weiteren Aufenthalt in irgendwelchen konspirativen Einrichtungen. Die CIA war damit beschäftigt, gewisse Leute in Deckung zu halten und nebenbei Mathilde diskret zu beobachten. Es hat ja wohl niemand geglaubt, dass sie nicht weiter überwacht würde. Die versteckten Mikrophone in der Wohnung brachten allerdings nicht viel. Mathilde Schrothammer erzählte viel von Urlaub und Ausflügen und einer gewonnen Reise. Ansonsten erhielt Mathilde nicht viel Besuch und wenn doch, dann konnte die CIA nicht viel verstehen. Die schicken Hörgeräte von Mathildes Freundinnen sorgten für ein paar unerwünschte Rückkopplungen.
Während sich jeder auf eine Wartezeit von einem dreiviertel Jahr einstellte, die die Antwort von Proxima Centauri brauchte geschah nichts Weltbewegendes.
Die Wissenschaftler in Flagstaff warteten, die CIA ging in Deckung – vor allem vor der eigenen Regierung – und Mathilde Schrothammer leistete sie sich einen erholsamen Wellness-Urlaub am Bodensee.
Marianne Federleicht war zwischenzeitlich ausgezogen, hatte die Funkanlage verkauft und ihre Funklizenz löschen lassen. Ohnehin hatte sie die Anlage von ihrem Onkel Oskar geerbt und dieses Hobby nie ernsthaft betrieben. Aber sie und Sandra besuchten Mathilde Schrothammer regelmäßig. Sie machten sich Sorgen um die alte Dame. Äußerlich schien sie ihren unfreiwilligen Ausflug verkraftet zu haben. Aber bei älteren Leuten wusste man nie. Sie wollten sich nichts anmerken lassen aus Furcht darüber für alt und senil gehalten zu werden.
Und dann gab es eine Überraschung. Vier Monate vor Ablauf des Zeitjahres kam die Nachricht von Proxima Centauri. Sie wandten sich direkt an den Funkempfänger in Flagstaff. So gerieten wenigstens Marianne Federleicht und Mathilde Schrothammer nicht weiter ins Fadenkreuz der CIA. Der Funkspruch lautete:
„Wir freuen uns über Ihre Antwort. Wir nutzen Sonden für eine schnellere Übertragung. Ihre Antwort wird gleichfalls diesen Weg nehmen. Wir entsenden Grüße von der Erde an die Einwohner des Planeten Vega 3. Bitte erklären Sie den Begriff Milchstraße. Freuen uns, wieder von Ihnen zu hören.“
In Flagstaff war man hocherfreut, die Nachricht zu erhalten. Obwohl die Wissenschaftler sich auch etwas ratlos ansahen. Nicht, weil sie den deutschen Funkspruch nicht übersetzen konnten. Das Problem hatten sie inzwischen gelöst und einen deutschsprachigen Astrophysiker eingestellt. Die Regierungszuwendungen machten es möglich.
Nein, was sie irritierte, waren die Grüße von der Erde. Oder hatten sie es einfach nur missverstanden und der Planet hieß Vega 3? Und dann die Frage nach der Milchstraße. Sollte das etwa heißen, dass sich schon wieder so ein Funkamateur einen Spaß erlaubte? Kann man einen Funkspruch von der Erde über Satelliten leiten und jeden glauben machen, dass es sich um Außerirdische handelte? Moment, das hatte es doch schon mal gegeben! Wieder wurde alles durchgerechnet und geprüft. Nur dass die Station in Flagstaff jetzt jede Menge Hilfe von der NASA und der ISS erhielt und deren Instrumente und Computer und Wissenschaftler bestätigten: Absender saß auf Proxima Centauri.
Verblüfft sahen sich die Wissenschaftler an. Jeder wartete auf einen Geistesblitz.
Der kam von Jenny. Das war übrigens ihr letzter Arbeitstag in der Forschungsstation. Sie hatte ihr Vorhaben wahr gemacht und eine neue Stelle gefunden. Doch bevor sie diesen außergewöhnlichen Ort verließ, wollte sie noch ein bisschen Spaß haben. Sozusagen als Rache dafür, dass scheinbar niemand von ihrem Ausscheiden Notiz nahm. Nicht, dass überhaupt jemand von ihrer Existenz jemals Kenntnis genommen hatte.
„Seid Ihr so dumm oder wollt ihr mich testen?“, rief sie. „Woher sollen die auf Proxima Centauri denn wissen, wie wir unseren Planeten nennen? Und wer hätte ihnen erzählen sollen, wie wir ihren Planeten nennen? Die nennen ihren Planeten Erde und unseren Vega 3. Na und? Wer weiß, wie die unsere Galaxie bezeichnen.“
Jenny griff nach dem Karton mit ihren persönlichen Sachen. „Das wird echt interessant, sich mit Bewohnern anderer Galaxien über die Bezeichnungen im Universum zu einigen. Schöner Schlamassel. Da wünsche ich euch viel Spaß bei“, rief sie und knallte die Tür zu. Schade, dass sie keine Aufnahme von den depperten Wissenschaftlern gemacht hatte. Das wäre ein netter Facebook-Post geworden.
Die Wissenschaftler sahen sich mit vor Staunen offenen Mündern an und dann auf die Tür, hinter der Jenny grade verschwunden war. Sollte etwa eine kleine Sekretärin ohne akademische Bildung die Lösung gefunden haben? Sollte sie etwa die hochspezialisierten Wissenschaftler vorgeführt haben? Das konnte man doch nicht auf sich sitzen lassen! Aber wenigstens hätte man doch ein Thema für einen intergalaktischen Austausch, nicht wahr? Auch wenn sich die Unterhaltung aufgrund der Zeitverzögerung etwas hinziehen würde.
Ein paar Monate später hatte sich Mathilde Schrothammer zu einem Umzug in ein betreutes Wohnen entschieden. Sie hatte die ständige Überwachung satt. Mit dem Verkauf des Hauses wollte sie endlich die versteckten Mikrophone los werden. Bei dem Gedanken daran, wie die CIA routieren würde, um die Dinger wieder aus dem Haus zu kriegen, amüsierte sie sich königlich.
Langley, Virginia
„Die Alte will das Haus verkaufen.“
„Welche Alte?“
„Na wer schon? Die in Deutschland.“
„???“
„Funkspruch aus dem All? Die Aktion mit Guantanamo?“
„ … “
„Mann, wir sind ein bißchen langsam heute, was? Der Grund, warum dein Ex-Chef im Keller sitzt!“
„Ach die Alte! - Blöde Sache. Wann will sie denn verkaufen?“
„Na, wenn sie einen Käufer gefunden hat, der ihren Preis zahlen will.“
„Das kann ja noch dauern. Der Immobilienmarkt liegt am Boden.“
„Nicht das Haus. Nicht da, wo sie wohnt. Es sind zwei ernsthafte Interessenten da.“
„So ein Mist.“
„Ja, wir müssen die Wanzen aus dem Haus holen. Und zwar schnell.“
„Wieso ‚wir‘? Damit meinst du doch wohl ‚mich‘!“
„Tja, irgendwer muss ja.“
„Och nö. Ich will nicht wieder dahin.“
„Dann lass dir schnell was einfallen. - Und keine Dummheiten dieses mal. Such jemanden aus Deutschland. Haben wir keinen in Ramstein?“
„Ich sehe mal nach.“
„Dann beeil dich. Irgendwer, der ins Haus kann, ohne Verdacht zu erregen. Beweg deinen Hintern.“
„Immer dieser Scheiß-Streß.“
„So ist es doch immer. Aber wenn‘s diesmal daneben geht und Trump davon erfährt, können wir einpacken. Ich will nicht wieder zur Lachnummer in der ganzen Welt werden.“
Diese Unterhaltung hat nie stattgefunden und wenn Sie etwas davon erzählen, wird Jemand kommen und Sie umbringen.
 

DocSchneider

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Schön, dass Du den Weg zu uns gefunden hast. Wir sind gespannt auf Deine weiteren Werke und freuen uns auf einen konstruktiven Austausch mit Dir.

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