Abglanz

Abglanz
07/2000

„Liebes Tagebuch, mir ist heute etwas unglaubliches passiert: ich habe meinen Glanz gefunden. Du weißt schon, meinen Glanz, den ich verloren hatte, als das damals mit Mirko passiert ist. Vorher hatte ich ihn ganz fest bei mir und war mir seiner so sicher, daß mir damit die ganze Welt gehörte. Aber als das mit Mirko war (ich glaube, ich sollte seinen Namen nicht nochmal schreiben, das bringt bestimmt Unglück), da habe ich ihn verloren und war ganz stumpf, wie ein alter Spiegel. Aber heute, heute habe ich ihn wiedergefunden, und nun strahle ich, heller als zuvor!

Ich war gerade am Rosenthaler Platz, und wollte mir noch einmal die Hackeschen Höfe anschauen, im vierten Hof gibt es einen Springbrunnen, und da sitze ich so gerne. Ich stelle mir dann vor, wie es früher da gewesen ist, bevor der Krieg kam. All die schönen Frauen mit ihren Hüten und die Männer mit Gehstock, und alles so elegant. Teure Schultern und Musik überall, und Intellektuelle mit strähnigen Haaren, die über Kommunismus reden. Ich wäre dann bestimmt am Arm eines schönen Herrn, und mir würde mein Glanz nie vergehen, auch wenn es einen... du weißt schon wen, geben würde.

Ich saß also da und habe so vor mich hingeträumt, und war deshalb gar nicht überrascht, als der Herr auf einmal dastand, direkt vor mir, mit Zylinder und Gehrock und feiner Weste mit goldener Uhr dran. Und ein Schöner war das, so ganz feine Nase und Augen wie Sommerteiche. Und erst als er anfing zu reden merkte ich, daß er echt war und nicht ausgedacht, - und da wäre ich beinahe rückwärts in den Springbrunnen gefallen. Da hat er gelacht, ganz freundlich, und mich gefragt, ob ich träumen würde. Und dann sind wir ins Café Cinema gegangen und er hat mir einen teuren Sekt ausgegeben und wir haben und unterhalten. Seine Stimme ist auch schön, ganz weich und angenehm. Ich hatte manchmal Angst, daß er mich albern finden würde, aber ich habe ihm von meinen Träumen erzählt und er fand sie schön. ‘Zauberhaft’, hat er gesagt und mich so angesehen, daß mir ganz flatterig wurde und ich schnell auf die Toilette gerannt bin (ich werde ab jetzt immer ‘Toilette’ sagen, das ist viel eleganter als ‘Klo’).
Da habe ich es dann gemerkt, vor dem Spiegel (der gar nicht stumpf war), daß ich meinen Glanz wiederhatte.

Als ich wieder zurückgekommen war, redeten wir weiter, und der Herr gab mir noch einen Sekt aus. Wir haben uns dann geduzt, und darauf angestoßen, aber er hat seinen Sekt nur angenippt und so das Gesicht verzogen. Patrick heißt er, und den Namen finde ich auch schön.

Später dann hat er das Taxi zu meiner Wohnung bezahlt, und ich hatte dann kurz Angst, daß er mitkommen würde, weil ich dann hätte Nein sagen müssen, weil ich doch so eine nicht bin, die gleich in der ersten Nacht und so. Aber er war ganz Gentleman, hat mir sogar die Hand geküßt zum Abschied und mich ‘kleine Dame’ genannt.

Ich werde jetzt bestimmt die ganze Nacht von ihm träumen!“

Alptraum.

Mein Herz, warum bist du nicht stillgestanden, als du das erste mal für Sie schlugst? Eifersucht ist doch so ein läppisches Thema, jede Geschichte darüber schon erzählt. Doch Leiden kann man noch darüber. Leiden wie ein Hund. Jetzt ist sie Beute, vorher war sie ein Stück Himmel, auch wenn nur für mich. Ein Stück Sonne, das mir das Monster nehmen will, weil es eine neue Trophäe an der Wand braucht. Nicht das, nicht meine Sonne, nicht mein Stück Frühling, das mir kostbarer ist als mein Leben selbst!

Nimm mein Leben, nur nicht sie.
Nur nicht sie.


„Liebes Tagebuch, ich schreibe dies mit zitternden Händen, und die Wörter sind wie verschreckte Vögel, die mir aus den Seiten fallen wollen. O Himmel! Ich bange, nicht für mich sondern für ihn, meinen Patrick!

Es war vorhin, als ich gerade den Abwasch gemacht habe, weil ich doch wollte, daß meine Wohnung so glänzt wie ich, wenn er sie sieht (er hatte vorher angerufen und gefragt, ob er mich abholen könnte, wir wollten ins Varieté gehen). Plötzlich hämmerte es an die Tür, so laut, als würde sie gleich einbrechen. Ich dachte zuerst, daß die Blödmänner aus dem ersten Stock wieder betrunken wären, aber dann hat er seinen Namen gerufen und daß ich ihm schnell aufmachen solle. Seine Stimme war ganz voller Angst, wie im Film, und ich bin schnell zur Tür gerannt. Da ist er dann in meinen Flur gefallen, und da war etwas im Treppenhaus, das ich nicht genau sehen konnte, aber es hat mir vor Angst den Hals zugeschnürt. Es war so fremd und groß, aber irgendwie hatte ich das Gefühl, daß ich es kennen müßte. Ich konnte mich nicht mehr regen, und dann hat Patrick die Tür zugeknallt, daß sie beinahe aus den Angeln gefallen wäre.

Den zweiten Schreck bekam ich dann, als ich Patrick angesehen habe. Überall war Blut an ihm, und das Hemd zerrissen. Ganz ausgehölt war er, und da war etwas hinter seinen Augen, das mir noch mehr Angst machte. Aber dann ist er aufgestanden und hat gelächelt und gefragt, ob er so schlimm aussähe und hat sich entschuldigt, als wäre ich eine wirkliche Dame. Da mußte ich weinen, und er hat mich in den Arm genommen. Ganz kalt war er. Aber mir war auch kalt vor Schreck.

Jetzt ist er im Badezimmer, ich höre ihn gerade in den Flur kommen.“

Er starrt in den Spiegel und sieht einen lebenden Toten, Wangen hohl, und die Hände ist auch nicht besser. Es hat ihn fast sein ganzes Blut gekostet, sich vor dem Moster zu retten, das ihm aufgelauert hat. Unvorsichtig. Zu eingenommen von dem eigenen Glanz als daß er das hätte ahnen können. Jetzt nach draußen, und vorsichtig. Sich beherrschen, nur ein bißchen nehmen, nicht die ganze kleine Dame...

Die Wohnung ist klein und hat den Flair eines vergessenen Kinder-zimmers. Sie schreit heraus, daß hier eine Träumerin wohnt, deren Puppen zwar nur noch in ihrem Kopf existieren, sie aber noch immer mit ihnen spielt. Ein bißchen schäbig, es kann ja nicht jeder Geld haben. Wie eine Puppe sieht sie selber aus, Locken wie im Bilderbuch, kleine Hände, die jetzt erschreckt ein Buch mit hellblauem Samteinband verstecken. Er setzt sein Lächeln auf, und ihre Augen leuchten. Nein, er ist nicht verletzt. Sieht schlimmer aus, als es ist, nur Ruhe braucht er, etwas zum hinsetzen, vielleicht das Sofa? -

Der Wein, den sie ihm bringt, macht ihm Übelkeit, aber das Lächeln verschwindet nicht - treuer Begleiter so vieler Nächte hat es inzwischen genug Bestand, daß er es nur anzuschalten braucht, und es verblaßt nie. Die kleine Dame hält sich tapfer, wird nur ein wenig rot, als er sie um ein sauberes Hemd bittet. Ihren Namen hat er wieder vergessen, aber das ist nicht wichtig. Sie wendet ihm den Rücken zu, als er die Lumpen auszieht, die nicht mehr als ein zerfetzter, blutiger Lappen sind. Ihr Nacken wird trotzdem von leichter Röte überschattet, und er läßt das Hemd fallen, als der Hunger stärker wird. Sie versteift sich, als er ihren Nacken berührt - eigentlich will er sie erst küssen, sie sanft auf den richtigen Kuß vorbereiten, aber die Bestie ist zu groß, und er spürt ihre Wirbelsäule zwischen seinen Zähnen, als er zubeißt. Ihre Schreie hört er nicht, auch nicht sein eigenes Knurren, nur das Blut und die Träume, die ihn durchströmen. Große, wilde Träume, wie Schwingen, die ihr ganzes Sein erfüllen, die alles sind, was sie auch ist. Ein Juwel, von allen gehütet und bewahrt, die sie kennen; nur von einem verletzt, und das hätte sie fast gebrochen. Innen noch schöner als außen ist sie, und die Bestie wird von dem Glanz angezogen, den sie ausstrahlt. Das Tier will alles von ihr, bis zu ihrem letzten leuchten, doch kurz davor wird es vom Willen zurückgedrängt, bis das Schreien verstummt. Er blickt auf die Puppe, die vor ihm auf dem Boden liegt und noch immer aus der Wunde blutet, die er ihr gerissen hat. Soviel Stärke hat er nicht erwartet, nicht dieses Licht, das in ihr wohnt. Er weiß jetzt, warum sie jeder beschützen wollte, und beugt sich zu ihr, um die Wunde zu heilen, sie wiederherzustellen und betet, daß er ihr nicht alles genommen hat. Kostbar ist sie, zu wertvoll, um zu vergehen oder mit ihm zu kommen.

Als er sich hinkniet ist er noch immer in ihren Anblick versunken, bemerkt die Präsenz hinter ihm zu spät, bis er herumgerissen und gegen die Wand geworfen wird. Das Monster hat nur gewartet, entstellt und wutentbrannt schlägt es immer wieder auf ihn ein, scheint seine Gegenwehr nicht zu bemerken. Durch den Schmerz und das Gebrüll der Bestie steigen die Erinnerungen, die er gerade in sich aufgenommen hat, zu ihm auf, und plötzlich weiß er, das er das Monster kennt. Daß sie es gekannt hat, als es noch Mensch war. Das es jetzt hier ist, um sie entgültig zu brechen. Er läßt die Bestie gehen und wirft sich mit aller Kraft auf seinen Gegner, der ihre Schönheit zerstören will...

„ich weiß nicht, für wen ich das schreibe. Ein Buch ist kein Freund, und die, die das lesen werden, sind es auch nicht. Vielleicht schreibe ich es für Dich, der Du es sicher finden und aufheben wirst und zu den anderen Erinnerungen an mich legen wirst, die Dir heiliger sind als ich selbst. Für Dich bin ich nichts als das: Erinnerung; und bald werde ich nichts anderes mehr sein. Du hast mir alles genommen, für das ich existieren könnte, meine Träume, mein Leben, mein Licht, meine Liebe. Du hast mir gesagt, daß er es war, der mich getötet hat, und daß Du mich bewahrt hast, weil ich Deine Sonne bin. Nun, ich habe keine mehr, und ich werde Dir Deinen Glanz nehmen, wie Du mir meinen genommen hast, zweimal. Ich könnte weiter existieren, aber morgen gehe ich die Sonne sehen.

Weil ich ihren Glanz liebe.
Und weil ich Dich damit töte.“
 



 
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