Abhauen

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Carlotta

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Abhauen


“Tschüss, dann!” Alice, bereits unter der Tür, rief den flüchtigen Abschiedsgruss ins Innere der Wohnung hinein, trabte durchs Treppenhaus auf die Strasse hinunter und machte sich auf den Weg zum Bahnhof. Nieselregen und Nebel umfingen sie sogleich und halfen mit, die unförmige Segeltuchtasche unsichtbar zu machen, die sie halbwegs verborgen unter ihrer grünen Armeejacke trug. Dies für den Fall, dass ihr die Mutter hinterherschauen sollte.
Unterwegs stopfte sie einen Packen zerrissener Tagebuchseiten in einen Gully und schob einen Umschlag mit Haschisch-Krümeln sowie ihren Vorrat an berauschenden Hustentabletten hinterher.
Wie jeden Tag bestieg Alice den Regionalzug in die Stadt, nur, dass sie heute Wanderschuhe trug und es keine Rückkehr gab. Wenn die Mutter sie gegen ein Uhr von der Schule zurückerwarten würde, hätte Alice bereits die ersten Vororte von Paris erreicht.


Als Erstes wechselte sie am Hauptbahnhof den Tausendfrankenschein, den sie der Mutter am Vorabend aus ihrem Vorrat in der Schreibtischschublade entwendet hatte, in ein Bündel französischer Francs. Dann kaufte sie zwei einfache Fahrscheine nach Paris.
Als sich Alice beim Bahnsteig 1 einfand, war von Suzette noch nichts zu sehen. Dafür stand Regula im blauen Blazer vor dem Eingang zum Perron. Zwischen den Füssen balancierte sie ihre Schultasche mit Latein-, Französisch- und Physikbüchern und zweifellos auch der Literaturliste in Deutsch, die viel jungen Schiller und Kleist enthielt. Heute würden die Werke für den Vortrag zugeteilt.


Regula kam nicht mit, das hatte sie gleich zu Beginn gesagt, sie war hier, um sich zu verabschieden. Alice und Suzette würden allein fahren. Alice übergab Regula einen Brief an die Mutter, adressiert und mit Briefmarke. Darin stand, dass sie sich bei der Mutter melden würde, nicht jetzt, aber später. Sobald Alice losgefahren wäre, würde Regula ihn in einen Briefkasten stecken, das versprach sie. Regula, die nun ganz allein sein würde, begann lautlos zu weinen.


Durch die Menge kam Suzette in dunkelrosa Samtmantel und Lacklederstiefeln angerannt. Ihre blonden Haare flogen, das Gesicht war vor Anstrengung rot angelaufen und sie keuchte.
„Schlag mich, mach mit mir, was du willst. Aber ich schaffs nicht, ich bleibe hier“, japste sie Alice entgegen. Da Suzette kein Gepäck mitgebracht hatte, war der Fall entschieden.


Regula musste zur Schule, sie gab Alice den Brief zurück und lief davon. Für Alice kam die Schule nicht in Frage, doch nach Hause konnte sie um diese Zeit noch weniger. Suzette anerbot sich, mit ihr die Schule zu schwänzen.
Alice stellte ihre Tasche in ein Schliessfach, und sie setzten sich im Bahnhof ins Selbstbedienungs-Buffet. Suzette holte an der Theke Tee. Sie rührten in den Gläsern, drückten den braunen Saft aus den Beuteln. Suzette sagte: „Gehen wir zu Artie.“

Artie kannten alle. Er war älter als sie und arbeitete für eine Partei. Er war grossgewachsen und sehr dünn, hatte lange hellbraune Haare, trug einen Schaffellmantel und war sozusagen jederzeit in der Stadt anzutreffen. Er schenkte ihnen Haschisch-Brocken und auch einmal etwas Stärkeres, aber nur wenig. Sie seien, wie er meinte, noch so jung. Artie war der grosse Bruder von Beni, der mit ihnen in die Klasse ging. Beni schwärmte für Suzette, doch er war ihr viel zu harmlos, sein Reiz bezog sich nur auf seinen Status als kleiner Bruder, auch wenn er sich jetzt die Haare wachsen liess. Suzette interessierte sich für reifere Typen, solche wie Artie eben. Alice kannte das eingeklemmte Haus in der Froschaugasse, in dem er wohnte. Betreten hatte sie es allerdings noch nie, auch Suzette ihres Wissens nicht. Schwer zu sagen, ob er die beiden überhaupt wiedererkennen würde. Doch Artie war klar die Person, bei der man in der Not auch frühmorgens unangemeldet anklopfen konnte.

In der Strassenbahn sass Alice in der Gegenfahrtrichtung. Kahle Bäume, dahinter Geschäftseingänge erschienen beidseits der Bahnhofstrasse, entfernten sich und verschwanden wieder. Als der Wagenzug in der Nähe der Schule beim St. Annahof abbremste, tauchte dicht hinter der Scheibe das runde Gesicht des Französischlehrers aus dem Nebel auf, oder zumindest doch ein ähnliches. Es tänzelte leicht, wie ein Ballonkopf an einer Schnur. Dann war es weg. Am Paradeplatz stiegen sie aus.

Lange antwortete niemand auf ihr Kingeln. Schliesslich erschien Arties Kopf im Türspalt.
„Etwas früh, Girls, meint ihr nicht?“ Er kratzte sich in den strähnigen Haaren und an den nackten Oberarmen, führte sie dann aber mehrere unbeleuchtete Holztreppen hinauf in sein spärlich erhelltes Dachzimmer.
Am Boden türmten sich gefaltete Flugblätter. VOLLVERS stand auf dem ihnen zugewandten Ausschnitt, AMMLUNG auf den umgekehrt gestapelten. Kaum wagte es Alice, darüberzusteigen.
Artie zog ein rotes Hemd über sein Unterhemd und öffnete die Vorhänge, so dass schwaches Grau hereindrang. Alice erkannte Arties Schaffellmantel an einem Haken an der Tür. Ein grob gewobener Orientteppich mit rot-schwarz-weissen Mustern bedeckte zu einem guten Teil den Riemenboden, und direkt vor ihnen gruppierten sich Kissen in dunkeln Farben um einen dreibeinigen Schemel.
Auf einer breiten Matratze an der Wand lag im Halbdunkel eine Gestalt. Vielleicht auch ein Hund; auf jeden Fall etwas Zottiges, das atmete.
„Das ist Peter, ein Kumpel, lasst ihn schlafen.“ Artie stieg über Kleider, Zeitschriften und Kissen und setzte in der Küchennische Wasser auf.

Alice setzte sich auf ein Kissen und öffnete den Reissverschluss ihrer Jacke, darunter trug sie ihren schottischen Rohwollpullover. Er roch nach Schaf und kratze auf der Haut, aber er stiess Wasser ab, und unter den Brücken der Seine hätte er sie warmgehalten. Artie reichte ihr eine Tasse aus Steingut, die ihre Finger wärmte.
Arties Tee war so stark, dass schwer zu sagen war, ob er Marihuana enthielt.
„Zu kiffen gibt’s um diese Zeit noch nichts“, sagte Artie. Also waren die Kekse, die er auf einem Teller auf den Hocker zwischen ihnen stellte, nicht selbst gebacken und enthielten auch kein Haschisch.
Artie brachte noch zwei Tassen. Er stellte sie neben die Kekse.
„Na“, sagte er, fasste Suzette um die Hüften und fragte: “Also doch nicht unterwegs nach Paris, sweet Suzy?“
„Und das“, Artie hockte sich auf ein Kissen, zog Suzette neben sich nieder, „ist dann wohl deine Ausreisserfreundin.” - “Artie“, sagte er, grinste schief und streckte Alice die Hand hin.
Suzette haute seinen Arm weg. “Lass das”, kicherte sie, schüttelte die Haare und rollte sich eine goldene Strähne um den Finger. “Das ist Alice”, sagte sie ernst in Richtung Artie und dann, knapp an Alice vorbei: “Ja, es ist so, Artie und ich, wir sind ein Paar. Eigentlich erst seit gestern, obwohl, gewollt hätten wir es schon lange. Nur hat sich eben keiner getraut.“
„Da lief sie mir doch gestern Abend beim Bootssteg über den Weg“, wandte sich Artie an Alice. „Sie sah mich so an, so ...“, Artie runzelte die Stirn, „so schön-traurig. - Ich sagte mir: Sei kein Feigling und sprich sie an, \'cause now\'s the moment!”
„Du musst mir glauben.“ Suzettes Beteuerung galt Alice. „Ich war auf dem Nachhauseweg.“
„Ich nahm sie einfach mit“, Artie blies in den Rauch über seiner Tasse. „Und wir kamen hierher, wo du“, er kitzelte Suzette in die Seite, „mir schliesslich, es war echt hard work, euern Plan gestanden hast. Na, den hab ich nun ja schätzungsweise so ziemlich vermasselt.“
„Ist schon in Ordnung”, Alice zuckte mit den Schultern. “War ja auch verrückt, Paris, was sollten wir bloss dort. Gibts hier schliesslich alles auch.” Sie wischte sich die Haare aus dem Gesicht, leerte ihre Tasse und streckte sie Artie entgegen. “Kann ich noch einen Tee haben, oder machst du uns so was wie Spiegeleier?“
„No problem, gypsy Lady! Vorausgesetzt mal, der Kühlschrank gibt so was her.“ Artie nahm seinen Arm von Suzette, sprang auf die Beine und setzte nochmals Wasser auf.

Alice sah sich genauer im Zimmer um. Ein Berg Kleider auf dem Fussboden, eine Gitarre, eine Wasserpfeife, ein Regal mit Büchern, Zeitschriften.
Aus den Decken spähte Peters Gesicht zu ihnen herüber. Er lag reglos, das Auge ohne Lidschlag auf Alice, oder auch durch sie hindurch gerichtet.
Alice klaubte ein Streichholz aus einer kleinen Schachtel neben dem Aschenbecher und zündete eine weisse Kerze an, die in einem Messinghalter steckte. Gut möglich, dass Artie bald einen Joint drehen würde.
„Eier, nein, aber Cashew-Nüsse. Hier bitte schön, machen euch gross und stark!“
Suzette, ohne Samtmantel nun, in einem weissen Trikotleibchen und weit geschnittenen Jeans, zog Artie an den Haaren. Er schrie spitz auf, als er die Schale niedersetzte.

Artie sass im Schneidersitz auf einem Kissen. Die flache Silberdose auf seinen Schenkeln war gefüllt mit schlanken, nach vorn dick zulaufenden Joints. „Mädchen“, sagte er, „seid ihr einverstanden, wenn wir uns einen gönnen?“
Sie rauchten reihum. Die Farben im Zimmer wurden papierern. Alice begann wieder zu frieren und zog die Ärmel ihres Pullovers über die Finger.
Artie und Suzette küssten sich und Alice, die das Gefühl hatte, auf der Stelle gehen zu müssen, rappelte sich auf. Ihre Glieder funktionierten, als wären sie Automaten. Auf dem Teppich lagen Suzette und Artie wie zwei Schnecken aneinander. Peters Auge auf der Matratze war nur undeutlich zu erkennen.
Alice schüttelte den Kopf, ausser einer leichten Übelkeit war sie bei Kräften. Zur Probe kniff sie die Augen zusammen und las einige Buchrücken. Bolivianisches Tagebuch. Simone de Beauvoir: Die Mandarins von Paris. Dazu unbekannte, vielleicht russische Schriftzeichen.
Das Buch, in dem 40-Jährige mit dem Fahrrad durch die Grossstadt fuhren, einzig um Gespräche zu führen, hatte sie kürzlich gelesen. Che Guevaras Tagebuch besass sie ebenfalls.
Alice schaute auf die Uhr. Sie würde den Weg über die Buchhandlung Beer an der Peterhoffstatt nehmen, dort hatten sie die bekannteren Werke vorrätig. Julius Caesar in der Übersetzung von Schlegel. Werther oder Stella. Maria Magdalena. Kabale und Liebe. Das Erdbeben in Chili. Die Pflichtlektüre der Schule hatte sie im Kopf. Nun würde sie sie also doch noch anschaffen.
In der Jacke fühlte sie nach dem Schliessfachschlüssel, ihrem Geldbeutel, dem Brief an ihre Mutter. Was war da noch? Die Fahrscheine nach Paris, Alice biss sich auf die Lippen. Zuerst einmal musste sie den Brief loswerden. Dann eine Entschuldigung für den heutigen Tag schreiben, die Unterschrift der Mutter fälschen. Vielleicht Regula anrufen.

Alice tastete sich durchs Zimmer. Erleichtert vernahm sie Geräusche, die von draussen eindrangen.
Es klopfte laut. Noch ein Klopfen, die Türe flog auf.
„Artie, bist du da?“ Zwei Männer in schwarzen Lederjacken mit eckigen Köpfen standen im Türrahmen, ihre Gestalten sperrten das Licht aus dem Treppenhaus aus, so dass sich nur einzelne helle Flecken auf dem Teppich abzeichneten. Suzettes Gesicht inmitten eines Wasserfalls blonder Haare, ihr entblösster Hals, darüber Arties dunkelblonder Schopf. Kerzenschein.
„Mensch, Arthur! Die Redaktion wartet schon die längste Zeit auf dich, und du feierst hier Kindergeburtstag!“
„Verdammt!“, Artie, auf der Stelle auf den Beinen, blies die Kerze aus.
„Idiot“, knurrte der andere, „das war das allerletzte Mal!“
Alice schoss an ihm vorbei ins Treppenhaus.
„Tut mir leid, Mädels. Also tschüss, auf ein anderes.. .“
Alice war bereits Stockwerke entfernt.

Alice zog die Jacke enger um den Leib. Doch draussen in der Gasse blies kein Wind, und der Nebel war fast durchsichtig geworden. Sie blieb stehen und zerriss den Brief auf der Stelle in kleine Fetzen, stopfte diese zurück in die Jackentasche.
In einer Bank unten am Limmatquai wechselte sie die Francs zurück in einen 1000er-Schein, machte dann Halt auf den breiten Treppenstufen, die zum Wasser hinabführten. Enten und ein Schwan näherten sich von den Bootsrändern her. Sie hielten die weissen Papierschnipsel für Brotkrümel.
„Alice! Alice!“ Hinter ihr flog Suzette die Stufen herunter.
„Warum bist du nur so plötzlich verschwunden?“
„Ich will noch zu Beer.“
„Auf Wiedersehen hättest du schon sagen dürfen. Artie war etwas verstimmt. - Er hat, er ist sehr beschäftigt im Moment, weisst du, aber am Samstagabend, da sehen wir uns.“ Suzette, dunkler errötet als ihr altrosa Mantel, schraubte verlegen den Stiefelabsatz in die Steinstufe.

In der Buchhandlung kaufte Alice ein schmales gelbes Reclambändchen: Das Erdbeben in Chili von Heinrich von Kleist. Am Bahnhof holte sie ihre Tasche aus dem Schliessfach und begann während der Fahrt in die Vorortgemeinde die Novelle vom kurzen vermeintlichen Glück im Unglück des Jeronimo Rugera zu lesen.

Als sie aus dem Zug stieg, hatte sich der Nebel vollkommen aufgelöst und die letzten feuchten Ritzen im Asphalt trockneten in der Sonne. Bevor Alice in ihre Strasse einbog, machte sie Halt und warf die Fahrscheine nach Paris in den Gully, wo schon ihr Tagebuch lag. Dann zog sie die grüne Jacke aus und hängte sie über ihre Segeltuch-Tasche.
 

Lakritze

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Hallo Carlotta! Und Willkommen auf der Leselupe.

Zunächst einmal: Gerne gelesen! Lebt, atmet und könnte ruhig was Längeres werden.

Beim ersten Lesen stolperte ich über die seltsame Perspektive beim Besuch in Arties Wohnung: daß er Alice offenbar nicht kennt, entgeht der Aufmerksamkeit leicht und verwundert nachträglich; der leicht peinliche Rest der Szene hingegen ist wunderbar gezeichnet. Auch Alice und Artie werden ohne große Erklärungen plastisch; Suzette bleibt etwas verschwommen. (Das stört nicht, solange die Geschichte so kurz bleibt.)

Dann ist da noch die Frage der Absätze -- der Text könnte etwas stringenter durchstrukturiert werden. Im Folgenden gespaltene Haare, gezählte Erbsen und die üblichen Korinthen:


[red]„[/red]Tschüs[red]s[/red] dann!” Alice, bereits unter der Tür, rief den flüchtigen Abschiedsgruss ins Innere der Wohnung[strike] hinein[/strike], trabte durchs Treppenhaus auf die Strasse hinunter und machte sich auf den Weg zum Bahnhof.

[...]

Wie jeden Tag bestieg Alice den Regionalzug in die Stadt, nu[red]r[/red] dass sie heute Wanderschuhe trug und es keine Rückkehr gab. Wenn die Mutter sie gegen ein Uhr von der Schule zurückerwarten würde, hätte Alice bereits die [strike]ersten [/strike]Vororte von Paris erreicht.

[...]

Alice übergab Regula einen Brief an die Mutter, adressiert und mit Briefmarke. Darin stand, dass sie sich [strike]bei der Mutter [/strike]melden würde, nicht jetzt, aber später.

[...]

Durch die Menge kam Suzette in dunkelrosa Samtmantel und Lacklederstiefeln angerannt. Ihre blonden Haare flogen, das Gesicht war vor Anstrengung rot angelaufen[red],[/red] und sie keuchte.

[...]

Kahle Bäume, dahinter Geschäftseingänge erschienen beidseits der Bahnhofs[red]s[/red]trasse, entfernten sich und verschwanden wieder. Als der Wagenzug in der Nähe der Schule beim St. Annahof abbremste, tauchte dicht hinter der Scheibe das runde Gesicht des Französischlehrers aus dem Nebel auf, oder zumindest doch ein ähnliches. Es tänzelte leicht, wie ein Ballon[strike]kopf[/strike] an einer Schnur. Dann war es weg. Am Paradeplatz stiegen sie aus.

[...]

Am Boden türmten sich gefaltete Flugblätter. VOLLVERS stand auf dem ihnen zugewandten Ausschnitt, AMMLUNG auf den umgekehrt gestapelten. [blue][Gefällt mir.][/blue] Kaum wagte es Alice, darüberzusteigen.

[...] Ein grob gewobener Orientteppich mit rot-schwarz-weissen Mustern bedeckte zu einem guten Teil den Riemenboden, und direkt vor ihnen gruppierten sich Kissen in dunk[red]le[/red]n Farben um einen dreibeinigen Schemel.

[...]

Artie brachte noch zwei Tassen. Er stellte sie neben die Kekse.
„Na“, sagte er, fasste Suzette um die Hüften und fragte: [red]„[/red]Also doch nicht unterwegs nach Paris, sweet Suzy? [red]–[/red] Und das“, Artie hockte sich auf ein Kissen, zog Suzette neben sich nieder, „ist dann wohl deine Ausreisserfreundin. [red]–[/red] Artie“, sagte er, grinste schief und streckte Alice die Hand hin. [blue][Hm, seltsam. Ich hätte erwartet, daß Alice etwas in Richtung Vorstellung sagt, wenn sie reingeht. So hatte ich zunächst mal den Eindruck, sie kenne ihn schon.][/blue]

Suzette haute seinen Arm weg. [red]„[/red]Lass das”, kicherte sie, schüttelte die Haare und rollte sich eine goldene Strähne um den Finger. [red]„[/red]Das ist Alice”, sagte sie ernst in Richtung Artie und dann, knapp an Alice vorbei: [red]„[/red]Ja, es ist so, Artie und ich, wir sind ein Paar. Eigentlich erst seit gestern, obwohl, gewollt hätten wir es schon lange. Nur hat sich eben keiner getraut.“
„Da lief sie mir doch gestern Abend beim Bootssteg über den Weg“, wandte sich Artie an Alice. „Sie sah mich so an, so ...“, Artie runzelte die Stirn, „so schön-traurig. [red]–[/red] Ich sagte mir: Sei kein Feigling und sprich sie an, [red]'[/red]cause now[red]'[/red]s the moment!”
[...]
„Ist schon in Ordnung”, Alice zuckte mit den Schultern. [red]„[/red]War ja auch verrückt, Paris, was sollten wir bloss dort. Gibts hier schliesslich alles auch.” Sie wischte sich die Haare aus dem Gesicht, leerte ihre Tasse und streckte sie Artie entgegen. [red]„[/red]Kann ich noch einen Tee haben, oder machst du uns so was wie Spiegeleier?“

[...]

Suzette, ohne Samtmantel nun, in einem weissen Trikotleibchen und weit geschnittenen Jeans, zog Artie an den Haaren. Er schrie spitz auf, als er die Schale niedersetzte. [blue][»Schrie auf« täte es auch, oder überlese ich da was?][/blue]

[...]

Sie rauchten reihum. Die Farben im Zimmer wurden papier[red]en[/red]. Alice begann wieder zu frieren und zog die Ärmel ihres Pullovers über die Finger.

Artie und Suzette küssten sich und Alice, die das Gefühl hatte, auf der Stelle gehen [blue][huch. Ich dachte erst, sie wolle auf dem Platz joggen. Vielleicht: »sofort gehen«][/blue] zu müssen, rappelte sich auf. Ihre Glieder funktionierten, als wären sie Automaten. Auf dem Teppich lagen Suzette und Artie wie zwei Schnecken aneinander. Peters Auge auf der Matratze war nur undeutlich zu erkennen.

[...]

„Verdammt![red]“[/red] Artie, auf der Stelle auf den Beinen, blies die Kerze aus.
„Idiot“, knurrte der andere, „das war das allerletzte Mal!“
Alice schoss an ihm vorbei ins Treppenhaus.
„Tut mir leid, Mädels. Also tschüss, auf ein anderes [red]...[/red]“
Alice war bereits Stockwerke entfernt.

[...]

In einer Bank unten am Limmatquai wechselte sie die Francs zurück in einen 1000er-Schein [blue][das hat mich gestört -- Banken wollen Gebühren, den schönen runden Tausender kriegt sie sicher nicht mehr][/blue], machte dann Halt auf den breiten Treppenstufen, die zum Wasser hinabführten. Enten und ein Schwan näherten sich von den Bootsrändern her. Sie hielten die weissen Papierschnipsel für Brotkrümel.
„Alice! Alice!“ Hinter ihr flog Suzette die Stufen herunter.
„Warum bist du nur so plötzlich verschwunden?“
„Ich will noch zu Beer.“
„Auf Wiedersehen hättest du schon sagen dürfen. Artie war etwas verstimmt. [red]–[/red] Er hat, er ist sehr beschäftigt im Moment, weisst du, aber am Samstagabend, da sehen wir uns.“ Suzette, dunkler errötet als ihr altrosa Mantel, schraubte verlegen den Stiefelabsatz in die Steinstufe. [blue][Mädchen wissen genau, wie peinlich diese Situation ist.][/blue]

[...]

Als sie aus dem Zug stieg, hatte sich der Nebel vollkommen aufgelöst[red],[/red] und die letzten feuchten Ritzen im Asphalt trockneten in der Sonne. Bevor Alice in ihre Strasse einbog, machte sie Halt und warf die Fahrscheine nach Paris in den Gully, wo schon ihr Tagebuch lag. [blue][Noch so was -- ist sie nicht pragmatisch genug, die Fahrscheine wenigstens zurückgeben zu wollen? Oder ist sie auch noch derart reich, daß es ihr einfach wurscht sein kann?][/blue] Dann zog sie die grüne Jacke aus und hängte sie über ihre Segeltuch-Tasche.


Wie gesagt: gern gelesen. Ins Wunderland hat Alice es doch nicht geschafft, aber andererseits gibt's ja schließlich alles auch hier ...

Viele Grüße,
Lakritze
 



 
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