Abschied

brndmtzk

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Fünf Zeilen in winziger, krakeliger Schrift. Sie hatten auf dem schmalen Steifen gerade so Platz. Ausgebleichter Kugelschreiber auf einem blassen, pinkfarbenen Klebezettel.

Seit drei Jahren klebte dieser Zettel auf meinem Telefon. Damals war es nagelneu. Eine verwirrende Bedienungsanleitung, meine Unlust diese zu lesen und ein gewisses Desinteresse an den Plänen unserer neuen Vertriebsfee unterbrachen zwangsläufig wenn auch ungewollt eine wichtige Telefonkonferenz.
Später, nach dem regulären Ende, stürmte das Frollein durch alle Büros und klebte einen dieser Zettel neben die Telko-Taste. Sie hatte damals noch große Mühe ihr Temperament und die Vorgaben des letzten Kommunikationstrainings in Übereinstimmung zu bringen. Aber immerhin, der Zettel war ein Anfang. Kein Keifen, keine Vorwürfe. Statt dessen Hilfe zu Abhilfe. Sie schaffte sogar ein lockeres "So, jetzt sollte es mit der Telko klappen."
Nur ihr Gesicht, irgendwo zwischen beherrscht und verbissen, strafte den unverbindlichen Ton Lügen.
Später fielen mir die Schreibfehler auf der Anleitung auf. Sie musste sehr erregt gewesen sein. Beim Verteilen hatte sie sich dann aber im Griff. In diesem Moment wurde sie mir sympathisch.

Jetzt stand der Apparat auf dem Sideboard neben der Tür. Abgeschaltet, tot. Wieder mal sollte alles besser werden. Handy statt Festnetz.
Auf dem Flur rumorte die IT-Truppe. Sie sammelten die alten Telefone ein. Ich sah zum Sideboard. Der rosa Zettel ragte keck in die Luft.

Es war ein Jahr nach der verunglückten Telko. Irgendwann an einem strahlend schönen Vormittag. Unser Niederlassungschef bat uns zu sich. Die ganze Abteilung. Jeder frotzelte auf dem Weg in den Besprechungsraum. Hitzefrei und Freibier waren die Favoriten. Wenig später schlichen wir mit gesenkten Köpfen zurück. Ein Unfall auf der Autobahn. Sie war auf dem Heimweg von einem Kundenbesuch. Ein ausscherender LKW hatte sie gegen die Leitplanke gedrückt. Keine Chance.
Zurück im Büro verfing sich mein Blick an dem kleinen pinkfarbenen Streifen.
Ich sah ihn in den folgenden Jahren oft an. Jedes mal erinnerte ich mich an das eine Jahr in dem aus einer Nervensäge eine Freundin wurde.

Draußen auf dem Flur kamen die Geräusche der Telefoneinsammler näher. Gedankenverloren starrte ich wieder diesen kleinen Zettel. Zum tausendsten oder auch zum zehntausendsten Mal. Wer weiß?
Ein schmächtiger Praktikant steckte seien Kopf durch die Tür. Er griff das Telefon und verschwand mit der letzten Erinnerung an sie.
 

Aligator

Mitglied
Hallo!
Mir hat der Text eigentlich ganz gut gefallen. Das einzige was mich stört, ist der Teil mit dem Unfall. Ich dachte mir echt vorher, oh bitte, lass sie jetzt nicht sterben;) Naja, mir ist dann aufgefallen, dass es viel cooler ist, wenn du den Part weglässen würdest. Wirklich, les es mal so. Sie schwindet aus dem Blick, aus dem Sinn... aber nicht gleich aus dem Leben.
Die Idee mit dem Zettel ist genial.

Liebe Grüße!
 

brndmtzk

Mitglied
Hallo Alligator,
der Text beruht, leider, auf einem realen Ereignis. Der rosa Zettel ist nicht nur eine Idee sondern er existierte.
Es stimmt, die Stelle mit dem Unfall muss eigentlich nicht sein um die Idee der Geschichte rüber zu bringen. Ich werde mir den Text mit ein wenig Abstand noch mal vornehmen.
Vielen Dank und schöne Feiertage
 
Hallo brndmtzk,

mir gefällt Dein Text, ich hatte ein wenig Gänsehaut beim Lesen.
Mit Bestürzung habe ich dann gelesen, dass er auf einer wahren Begebenheit beruht.

Meine Meinung: Du solltest die Stelle mit dem Unfall nicht weglassen. Schließlich gehört das dann irgendwie auch dazu.

LG

Stefan
 

jon

Mitglied
Teammitglied
Wahres Erlebnis hin oder her: Jetzt ist es eine Geschichte und ich frage mich, warum der Erzähler den Zettel nicht vom Telefon abgemacht hat. (Ja, irgendwann fliegt auch diese Erinnerung dann mal weg, aber nach diesem Text erscheint mir der Moment „jetzt“ – dem Erzähl-Jetzt – noch nicht gekommen.)
 



 
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