Abschied

Cleo

Mitglied
So, nun hab ich hier viel gelesen und möchte auch einmal meinen ersten Text zur Kritik stellen. Ich würde mich über Anregungen freuen.


Abschied

Wie konnte er mir das nur antun? Wie konnte er mich so einfach allein lassen? Weinen konnte ich um ihn schon lange nicht mehr. Das Gefühl der Trauer war der übermäßigen Wut und Einsamkeit in mir gewichen. Sein Foto stand neben mir auf dem Tisch. Am liebsten hätte ich es genommen und gegen die Wand geworfen. Das Lächeln, was ich sonst so süß an ihm fand, hatte jetzt nur noch etwas Höhnisches an sich. „Ich werde nicht immer für dich da sein können, werde endlich mal erwachsen“, diese Worte hatte er mir gesagt, nicht lange vor dem Tag, an dem er mich für immer allein gelassen hat. Und nun? Wie sollte ich ohne ihn weiterleben? Wie sollte ich mit dem Gefühl weiterleben, keine 2. Chance zu bekommen? Er war weg, für immer weg und hat mich mit dem Scherbenhaufen meines Lebens zurückgelassen. Alle um mich herum waren jetzt freundlich zu mir. Immer wieder hörte ich scheinheilige Worte, die mich aufmuntern sollten, aber sie bewirkten nur das Gegenteil. Mit jeder Scheinheiligkeit wurde mir mehr bewusst, wie mein Leben sich verändert hatte, wie es zerbrochen ist. Am liebsten hätte ich mich in meiner Wohnung eingesperrt und niemanden herein gelassen. Aber das ging nicht, zu penetrant waren die Leute, die sich Freunde nannten. Reden konnten sie alle gut, aber niemand hat mir wirklich zugehört. Jeder Ansatz, die Gefühle heraus zu lassen, wurde von ihnen unterdrückt. Jedes Wort, das die aufgestaute Wut in mir herausgelassen hätte, wurde erstickt. Niemand war wirklich für mich da und wieder war ich wütend, weil er es auch nicht mehr war!

Alles war so schön gewesen, wir haben viele glückliche Jahre miteinander verbracht. Aus der anfänglichen Jugendliebe wurde eine tiefe und gefestigte Beziehung. Letztes Jahr zu Weihnachten haben wir uns verlobt. Ganz traditionell hatte er mir einen Heiratsantrag gemacht. Mit einem Strauss roter Rosen ging er vor mir auf die Knie und hielt um meine Hand an. In diesem Moment war ich der glücklichste Mensch auf Erden, denn mein größter Traum ging in Erfüllung. Als ich mühsam das „Ja“ herausbrachte, steckte er mir den Verlobungsring an den Finger und die gesamte Verwandtschaft war zu Tränen gerührt. Alle versicherten mir, dass ich großes Glück hätte, denn so einen Mann würde man nur sehr selten finden. Alle sagten, dass ich ihn für immer festhalten sollte. Ich konnte es aber nicht, ich konnte mich nicht immer an ihn klammern und in einem unbeobachteten Moment war er einfach verschwunden. Ich konnte mich noch nicht einmal von ihm verabschieden, er war einfach weg. Und das, obwohl wir schon in den Hochzeitsvorbereitungen steckten. Wie konnte er mir das alles nur antun? Ich legte mich ins Bett. Mir fehlte jegliche Energie um etwas zu tun. Ich wollte nicht raus, wollte niemanden sehen und wollte mich auch nicht mehr bewegen. Einfach nur daliegen, das war es was ich wollte. Am liebsten für den Rest meines sinnlosen Lebens.

Die Erinnerungen stiegen in mir hoch. Ich dachte an die vielen schönen Stunden zurück, die wir miteinander erlebt hatten. Da gab es unbeschwerte Tage am See, wo wir ausgelassen im Wasser planschten und uns dann zärtlich die Körper mit Sonnenöl einrieben. Da gab es aber auch die nachdenklichen Tage, an denen wir lange Spaziergänge im verregneten Herbstwald gemacht haben. Oft haben wir uns stundenlang über ein Thema oder Problem unterhalten. Mit ihm an meiner Seite fühlte ich mich unbesiegbar. Mit ihm war ich so stark, das kein Problem und keine Sorge mein Innerstes tief berühren konnte. Aber die Zeiten waren endgültig vorbei. In der Zwischenzeit hatten die Probleme mich schier aufgefressen. Obwohl, es gab eigentlich nur ein Problem. Die Einsamkeit und Sehnsucht brachte mich um den Verstand. Unsere gemeinsame Zeit lief wie ein Film vor meinen Augen ab, bis die Bilder immer mehr verblassten und ich in einen unruhigen Schlaf fiel. Selbst im Schlaf verfolgten mich seine Bilder. Mein Kopf wehrte sich dagegen, wollte nicht länger so gequält werden. Doch mein Unterbewusstsein hielt an diesen Bildern fest und brannte sie tief in mein Gehirn ein. Der Schmerz war unsagbar groß und je öfter ich diese Bilder sah, desto wütender wurde ich. Ich wollte es nicht zulassen, dass er mein Leben zerstört, doch er hatte es bereits getan. Ohne ihn war jeder Schritt und jeder Atemzug sinnlos. Doch ich durfte nicht aufgeben, ich durfte ihm nicht hinterherlaufen.

Als ich wieder aufwachte, war die Wut verschwunden. Ich fühlte nichts, als eine riesengroße Leere. Dort, wo einmal mein Herz gesessen hat, war nichts außer einem Loch zurückgeblieben. Konnte dieses Loch jemals wieder gefüllt werden? Gab es einen Menschen der dazu im Stande war? Ich glaubte nicht daran. Er wäre der einzige gewesen, doch er war nicht mehr da und würde auch nie wiederkommen. Vielleicht konnten einzelne Teile wieder aufgefüllt werden, aber niemals würde diese Wunde ganz verheilen. Ich stand auf und zog mich an. Schon seit Tagen hatte ich nicht mehr in den Spiegel geschaut und ich tat es auch an dem Tag nicht. Es war mir vollkommen egal, wie ich aussah. Er konnte es ja eh nicht sehen. Ohne nachzudenken zog ich mir die Schuhe und die Jacke an. Draußen waren inzwischen zwar sommerliche Temperaturen, doch die Leere in mir ließ mich nichts wahrnehmen. Meine Füße kannten den Weg, sie trugen mich automatisch zu dem Platz, an dem ich ihm am nahesten war. Die Sonne strahlte hell vom Himmel, doch für mich war die ganze Stadt in ein tiefes grau getaucht. Ich hörte nicht das aufgeregte Zwitschern der Vögel und ich nahm auch das fröhliche Lachen der Kinder nicht wahr, die ausgelassen auf dem Spielplatz herumtollten. Jegliche Geräusche um mich herum waren verstummt, drangen nicht mehr in mein Bewusstsein. Ich weiß nicht, wie lange ich schon unterwegs war. Waren es ein paar Minuten, oder waren es Stunden? Meine Füße setzten sich nur mühsam voreinander und meine Beine waren schwer wie Blei.

Doch dann war ich da. Gedankenverloren ging ich durch die Reihen und eine seltsame Ruhe kehrte in mir ein. Ja, hier war ich richtig, hier war ich ganz nah bei ihm. Vor seinem Grabstein blieb ich stehen. Irgendjemand hatte die verwelkten Blumen ausgelesen und ein neuer, farbenfroher Strauss schmückte sein Grab. Ich kniete davor nieder und meine Finger glitten langsam über die Inschrift. Er war noch so jung, warum musste gerade er sterben? Diese Frage stellten sich alle, doch keiner würde jemals eine Antwort darauf finden. Ich spürte, wie alle Gefühle in mir sich aufstauten und dann auf einmal aus mir herausbrachen. Ich beschimpfte ihn, schrie ihn an. Aus dem Schreien wurde ein Flehen. Ich bat ihn darum, zurück zu kommen und wieder bei mir zu sein. Irgendwann war alles aus mir heraus. Alle aufgestauten Emotionen hatten sich wie in einem Gewitter entladen. Zurück blieb nur ich, die weinend vor dem Grabstein kniete. Ich weiß nicht, ob es nur der Wind war, aber ich spürte, wie etwas mein Gesicht berührte. Es war eine sanfte Berührung, die mir Trost spendete. Eine leise Stimme flüsterte: „Sei stark, alles wird gut!“ Plötzlich versiegten meine Tränen. Noch einmal kam mir der Moment ins Bewusstsein, an dem mir die Nachricht überbracht wurde, die alles veränderte. Ein Polizist stand abends vor unserer Tür und sah bedrückt aus. Ich wusste sofort was er mir sagen wollte. Ein LKW war von der Fahrbahn abgekommen. Der Fahrer war offensichtlich eingeschlafen und das Fahrzeug geriet in den Gegenverkehr. Man sagte mir, dass er keine Chance mehr gehabt hätte auszuweichen. Er hätte auch nicht leiden müssen, sondern ist direkt beim Aufprall gestorben.

Als ich an diesen Moment zurückdachte, war auf einmal alles anders. Ich verspürte zwar noch immer den Schmerz, aber er war nicht mehr so erdrückend. Ich wusste, dass ich weiterleben musste. Auch wenn es mir schwer fiel, ich musste es schaffen und mein Leben allein in den Griff bekommen. Das war ich nicht nur ihm schuldig, nein, das war ich auch unserem Kind schuldig, das ich unter meinem Herzen trug. In 2 Monaten würde es das Licht der Welt erblicken und ich musste ihm eine gute Mutter sein. Ich fühlte, dass er mir dabei helfen würde. Auch wenn er mich verlassen hatte, würde ich nie ganz allein sein. Mit einer nicht gekannten Besonnenheit verabschiedete ich mich von ihm und meinem bisherigen Leben. In diesen Sekunden begann ein neues Leben für mich. Es war zwar lange nicht so schön wie das Alte, aber ich versuchte dennoch, es so zu leben, wie er es gewollt hätte.


LG
Cleo
 
M

MDCremer

Gast
Hallo Cleo!

Dein Text gefällt mir gut, denn ich finde ihn glaubwürdig. Beinahe möchte ich fragen, ob es sich 'nur' um eine Geschichte handelt oder um eine Art Beichte. Aber das ist letztlich gar nicht so wichtig.

Nur eines ist mir aufegfallen: Einen Satz wie "Ich werde nicht immer für dich da sein können, werde endlich mal erwachsen" erwarte ich eher von einem langjährigen Ehemann als von einem Verlobten. Meist steckt hinter einem solchen Satz eben eine lange Erfahrung. Man weiß, dass der Partner sich blind darauf verlässt, der andere werde dies oder das schon wie gewohnt regeln. Aber warum sollte ein Verlobter, vor dem die gemeinsame Zukunft doch erst liegt, bereits auf solche Abhängigkeiten achten und größere Selbstständigkeit anmahnen?

Gruß

MDCremer
 

Cleo

Mitglied
@MDCremer

Vielen Dank für Deine Anmerkungen.
Nach Deiner "Kritik" hab ich mir den Texte eben noch mal angesehen und denke, Du hast Recht. Eigentlich wollte ich damit ihr naives Denken und Handeln zum Ausdruck bringen. Das hab ich anscheinend nicht ganz plausibel geschafft.
So sage ich noch einmal Danke und überlege mir inzwischen, wie ich das besser ausdrücken kann.

LG
Cleo
 



 
Oben Unten