Abschied

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flying theo

Mitglied
Es regnete, aber ich spürte es nicht. Ich war wie taub. Taub am ganzen Körper. Nur die kleinen Hände, die sich rechts und links in meine Hände krallten, die fühlte ich. Meine Buben, Wolfgang und Sebastian, die sich hilfesuchend an meine Hände klammerten und nichts verstehen konnten, nicht wussten, dass man ihre Mutter in dieses nasse, kalte, schmutzige Loch versenkte.
Ich wusste es, aber verstehen? Ringsum Leute. So viele Leute. Leute, die ich am liebsten zum Teufel gejagt hätte. Es war die ganze Zeit geredet worden. Was? Ich hab es nicht gehört und schon gar nicht verstanden. Nun war es still. Ich stellte fest, dass nun alle auf mich schauten. So als wenn sie auf etwas warteten.
Ach ja.
Ich musste als Erster an das Grab treten um Abschied zu nehmen. Beide Buben hatten ein paar Astern, Herbstblumen in der Hand, die ihnen Sabine meine Schwägerin gegeben hatte. So holte ich also tief Luft und trat ans Grab.
Da unten sollte nun meine Bärbel liegen. Warum ? Ich sagte den Buben, sie müssten die Blumen hinein werfen. Der Sebastian tat wie ihm geheißen. So wie er das fast immer tat. Wolfgang wollte seine Blumen nicht hergeben. So wie er immer erst überzeugt werden musste. Ich diskutierte nicht mit ihm. Nein, heute nicht. Es ging ja auch gar nicht. Ich hatte den beiden erst gestern erklärt, dass die Mutti jetzt im Himmel bei den Engeln ist. Da konnte ich dem Wolfgang mit seinen viereinhalb Jahren nicht klar machen, dass er seine Blumen zu der Mutti hinunter werfen sollte.
Die Menge starrte mich erwartungsvoll an.
Nein, ich würde keine Schaufel mit Dreck auf meine Bärbel hinunter schmeißen.
Nein, auf gar keinen Fall.
Ich bückte mich, nahm die zwei Buben rechts und links auf den Arm und ging. Weg von der starrenden Meute. Weg vom geheuchelten Beileid. Weg von dem gaffenden Haufen Menschen. Meine Bärbel war gegangen und für diese widerliche Menge war´s `eine schöne Beerdigung. Grund für einen angenehmen Leichenschmaus. Sie würden auf ihre Kos-ten kommen. Die Lagerhalle war ausgeräumt und für alle genug zum Essen und Trinken vorbereitet worden. Mein Bruder Sebastian und seine Sabine hatten alles organisiert. Ich wär dazu nicht imstande gewesen. Ich war taub. Seit Tagen. Am ganzen Körper taub.
 
D

Denschie

Gast
hallo theo,
etwas schwierig ist es für mich bei diesem text.
auf der einen seite habe ich das gefühl, dass es
sich um eine authetische geschichte handelt. aber
es steht nicht im tagebuch-forum, also übe ich ein
bisschen kritik, wenn es recht ist.
für mich ist an der story der clou, dass die beiden
kinder nicht so reagieren, wie sie sollten, bzw., man
ist sich nicht ganz sicher, wie man sie dazu kriegen
soll, sich adäquat zu verhalten.
den punkt würde ich mehr heraus stellen.
viele grüße,
denschie
 
P

Papyrus

Gast
............................

ich finde die geschichte etwas strange

"für diese widerliche Menge war´s `eine schöne Beerdigung"

warum ist sie widerlich?

und warum verstehen die Kinder nichts davon, wenn ein Mensch stirbt?
Kinder verstehen einiges
 
D

Denschie

Gast
ich dachte, es sollte so herüber kommen,
dass kinder es eben anders verstehen.
blöd sind sie natürlich nicht.
aber eben gegensätzlich zu der beerdigungserprobten
menge.
eine beerdigung ist ja im grunde ein gesellschaftlicher
anlass wie eine hochzeit oder so. wenn man dazu
lust hat...
in der story kommt nicht richtig raus, welche
meinung der autor dazu hat.
denschie
 

flying theo

Mitglied
Vielen Dank für Euer Interesse,
Zur Erläuterung, ein Ich-Erzähler vor 200 Jahren, Ort Bayerischer Wald.
Natürlich ist die "Menge" per se nicht widerlich, wird vom Erzähler als Betroffenem aber so empfunden. Der Leichenschmaus ist brauchtums-obligatorisch.
Der Erzähler leidet darunter, dass er nicht "privat" Abschied nehmen kann, unter dem Verlust sowieso und ist damit auch zwar willens, aber außerstande systemkonform zu agieren. Das versuche ich herüber zu bringen.
Dazu ist außerdem zu sagen, dass die Geschichte mit dieser Szene beginnt.
Nochmals Danke und ein schönes Wochenende
flying_theo
P.S. bestellt für mich bitte schöneres Wetter, damit ich wieder fliegen
gehen kann.
 
M

mirami

Gast
hallo theo,

ich finde deinen text sehr gut. du schaffst es phantastisch herüberzubringen, dass die angehörigen in einem absoluten ausnahmezustand sind und eben derart betroffen, dass dieser akt der beisetzung nur eine zusätzliche qual ist. ein horrorfilm, der an dem mann vorbeiläuft und in dem er unfreiwillig mitwirken muss. sehr authentisch und nachvollziehbar hast du die ereignisse und gefühle am grab beschrieben. wie jemand äußerlich funktioniert weil er muss obwohl ihm unmenschliches abverlangt wird. auch die szene mit den kindern und den blumen wirkt sehr lebensnah und beschreibt sehr gut wie unwirklich sie dies alles erleben.

vielleicht weil ich beerdigungen unerträglich finde, finde ich viele meiner empfindungen zu diesem thema in deinem text wieder. trauert die große „meute“ wirklich? mit einigen ausnahmen aus dem engsten freundes- und verwandtenkreis wohl kaum. was wollen sie also da? zuschauen? dem verstorbenen die “letzte ehre“ und so etwas wie anerkennung erweisen? nachbarschaftspflichten erfüllen? den angehörigen ihre anteilnahme zu teil werden lassen? abscheid nehmen? ich weiß nicht genau... wieso tun sich angehörige diese zusätzliche grausamkeit einer großen öffentlichen beerdigung an? wahrscheinlich weil sie in so einer extremsituation keine kraft haben sich auch noch gegen konventionen aufzulehnen oder weil es der wunsch des verstorbenen war?

wie dem auch sei, flying theo, ein guter und gelungener text, der zum nachdenken und -fühlen anregt.

lg
mirami

p.s. guten flug!
 

gareth

Mitglied
Hallo theo,

die wesentlichen Aussagen zu Deiner an sich gut geschriebenen kurzen Geschichte sind wohl schon gemacht. Die Frage, warum die Teilnehmer an der Beerdigung vom Vater als widerlich empfunden werden, bleibt in deinem Text in der Tat offen, obwohl solche Empfindungen in Menschen durchaus aufkommen können, auch ohne eine objektive Ursache zu haben. Dein anschließender Hinweis darauf, dass es sich um den Anfang eines längeren Textes handelt, hilft dem Leser da nicht viel.

Was miramis Fragen betrifft, so denke ich, dass alle möglichen, von ihr aufgezählten Motive für die Teilnahme an einer Beerdigung: ...letzte ehre... anerkennung erweisen... nachbarschaftspflichten erfüllen... den angehörigen ihre anteilnahme zu teil werden lassen... abschied nehmen... gültig sind und noch einige mehr, wie z.B. einfach betroffen sein, sich an Gemeinsames erinnern wollen, zeigen, dass man den Verstorbenen geschätzt hat (letzte Gelegenheit) und es gibt noch viele andere (sicher auch weniger ehrenwerte), die in diesen Grenzsituationen gültig und auch auf ihre eigene Weise sinnvoll sind.

Das war jetzt aber mehr zu mirami gesprochen.

Grüße
gareth
 
M

mirami

Gast
hm, gareth. es hat wohl jeder seine eigene art mit trauer umzugehen. mir liegt das trauerverhalten dieses mannes näher, dem es nichts hilft sondern den sogar enorm belastet andere in solch einer situation um sich zu haben. ich kann mir deshalb durchaus vorstellen, dass jemand die umstehenden in diesem moment als “widerliche meute“ empfindet.

die motive der einzelnen an diesem ritual teilzunehmen mögen verschieden sein, eine mögliche betroffenheit will ich dem einzelnen nicht mal absprechen. auch mag es für den ein oder anderen tröstlich sein zu sehen, dass andere den angehörigen geschätzt haben. ich würde mal davon ausgehen, dass das so ist. mir sind diese organisierten rituale ein graus. von der grabrede angefangen über beileidsfloskeln bis zum leichenschmaus. deshalb kann ich den prot. verstehen. ich finde theo hat gerade durch verbitterte ausdrucksweisen wie:

“Leute, die ich am liebsten zum Teufel gejagt hätte“
„Ich stellte fest, dass nun alle auf mich schauten. So als wenn sie auf etwas warteten“,
„Die Menge starrte mich erwartungsvoll an“
“Grund für einen angenehmen Leichenschmaus. Sie würden auf ihre Kos-ten kommen.... “

bemerkenswert gut rübergebracht, wie eine beerdigung für manch einen angehörigen zu einer unmenschlichen tortour werden kann. ein pflichtprogramm zu dem die kraft fehlt. kann so sein, muss nicht so sein. die menschen sind unterschiedlich. was dem einen sein trost- ist dem anderen sein kreuz.

lg
mirami
 



 
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