Abschied

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Warne Marsh

Mitglied
Berlin. Flughafen Tegel.


Wortlos, weil es sein muss und ein Zurück jeglicher Existenz entbehrt. Wie sie mich anschaut. Entschuldigend. Ihre Augen glitzern tränenerfüllt.

„Lebwohl, Ivan.“ Wie sie sieht, dass ich nichts mehr denken kann. Nichts. Meine feuchten Augen – erstarrt. Sie schüttelt den Kopf; drückt mich.

„Ach, Ivan, es tut mir alles so leid“. Wie wir uns anblicken; sich unsere Lippen den letzten Kuss zuhauchen; sie über ihre Schultern zurückschaut, ins Auto steigt.

Weg ist sie.

So war das damals - wenigstens ein Abschied. Wie lange ich ihr nachgedacht habe? Ich erinnere mich, wie ich mit dem Rücken zum Tegel stand.

Der Himmel über Berlin. Tränen liefen, Leute schauten. Wie ich wieder zu denken begann, eincheckte. Wie mir Berlin im Dunkel der Startkurve entglitt.


The Wings of Desire: Faraway, so close.
 
H

HFleiss

Gast
Hallo, hier bin ich noch mal. Ja, das ist ein Abschied, einer von Hunderttausenden. Aber auch Kurzprosa sollte alle Fragen beantworten: wer, wann, wo, wie, warum. Es ist, als ob du mir ein Stück Torte zeigst (hm, Torte!) und sie dann selbst aufisst, ohne auch mir ein Stück zu spendieren. Du hast ein bisschen Schwierigkeiten mit dem Deutschen, bist du englischer Muttersprachler?

Gruß
Hanna
 

GabiSils

Mitglied
Liebe Hanna, hier nochmal das Zitat aus der Forenbeschreibung:

Wie der Name bereits sagt, ist dieses Forum für kurze Prosa vorgesehen.

Zum einen gehören hierzu Kürzestgeschichten und Prosa-Miniaturen, die oft nicht mehr als eine halbe Seite umfassen. Denkbar sind alle Themen, soweit ein Text nicht eindeutig einem Genre wie Krimi, Thriller oder SF zuzuordnen ist. Ein Beispiel für diese Kurzform bietet Bertolt Brecht mit seinen Geschichten von Herrn Keuner, die parabelhaft oder anekdotisch wirken und häufig nur aus wenigen Zeilen bestehen.

Deine W-Fragen sind doch nicht mehr als ein Hilfsmittel. Literatur läßt sich nicht per Checkliste erfassen.

Gruß,
Gabi
 

GabiSils

Mitglied
Warne: fehlt hier ein "Wie"?

"Ach, Ivan, es tut mir alles so leid“. [blue]Wie[/blue] wir uns anblicken; sich unsere Lippen den letzten Kuss zuhauchen; sie über ihre Schultern zurückschaut, ins Auto steigt.
 

Warne Marsh

Mitglied
- Und wie da ein WIE fehlte! Heieiei! Danke.

- Zu den W-Fragen: Wie soll den Kurz-, oder Kürzestprosa kurz oder sehr kurz sein, wenn all diese Fragen beantwortet sein müssen? Brecht wurde zitiert, ich füge Kafka an. Die W-Fragen werden mit zuhnemender Textlänge immer wichtiger; bis zum Punkt, wo man ganze Lebensläufe, Biographien der ProtagonistInnen schreibt, bevor man nur ein Wort des zu schreibenden Textes geschrieben hat.

- "Einer von Hunderttausenden" Gewiss, ja. Millionen werden folgen. Na und???

- Ja, ich schreibe auch nicht mit Checkliste. Mit Do's und Dont's.
 
H

HFleiss

Gast
Warne, "einer von Hunderttausenden": Damit meine ich, dass so, selbstverständlich, Abschiede ablaufen, ganz allgemein. Irgendeinen Grund gibt es immer, weshalb Menschen sich verabschieden. Mir soll aber wenigstens eine Ahnung gegeben werden, weshalb es der Autor für notwendig hält, eine Abschiedsszene zu schreiben. Ich brauche zumindest ein Stichwort, um zu begreifen, was vorher geschehen ist, und die Szene dann wirklich zu verstehen. Hinter einer Geste, einem Wort können sich doch ganze Geschichten verbergen. Und da reichen winzige Andeutungen, und man muss nicht etwa gleich ganze Romane erzählen. Du erwähnst Brecht. Sehr gut. Aber Brecht hat sein Anliegen in knappster Form und mit wenigen Strichen erzählt, man versteht die Hintergründe. In deiner Geschichte verstehe ich sie nicht, ich weiß nur, da haben sich zwei getrennt. Und das ist mir zu allgemein.

Gruß
Hanna
 

Warne Marsh

Mitglied
"Wortlos, weil es sein muss und ein Zurück jeglicher Existenz entbehrt."

"The Wings of Desire: Faraway, so close."

Der Abschied ist somit eingebetet zwischen zwei Hinweisen, welche jedeR LeserIn in persönliche Richtungen, zu ebensolchen Ahnungen leiten, führen kann - so fern man bereit ist, sich darauf einzulassen; damit leben kann, nicht alles zu wissen.

Mit ein Punkt, wo sich Literatur von Reportagen und Gebrauchsanweisungen unterscheidet. Grade die Kurzprosa.
 

Nachtigall

Mitglied
Ich empfinde den Text als gelungen und für mich muß Kurzprosa auch keine W's beantworten. Das Leben tut das auch nicht.
Besonders gefällt mir das Skizzenhafte und das passt auch gut zum Thema. Sprachlich ein lebendiger Text, der ein kurzes Ereignis interessant bringt.

LG
Alma Marie
 
H

HFleiss

Gast
Warne, ich fürchte, wir haben zwei unterschiedliche Ansichten davon, was Kurzprosa eigentlich ist. Genau wie die "lange" Prosa erzählt auch die kurze Prosa eine Geschichte. Sie heißt nicht deshalb Kurzprosa, weil sie nur eine halbe Seite lang ist, sondern weil ihr Inhalt auf wenige Sätze komprimiert ist.
So habe ich es wenigstens gelernt. Und darin besteht die Kunst, viel mit wenigen Worten zu sagen. Aber, entschuldige, ich finde, du sagst einfach zu wenig, als dass daraus eine Geschichte entstanden ist, es ist nur eine halbe, und die Andeutungen, die du erwähnst, sind doch etwas zu allgemein. Vielleicht hätte ein Halbsatz ausgereicht, damit der Leser im Bilde ist, was zwischen den beiden geschehen ist. Das ist nun mal meine Meinung.

Gruß
Hanna
 

Warne Marsh

Mitglied
Es ist eine Definitionsfrage. Kurzprosa und Kurzgeschichte. Kürzestprosa und Kürzestgeschichte. Das sind ebenso zwei verschiedene Welten, wie "Prosa" und "Geschichte". Und genau deswegen steht mein Abschied bei KurzPROSA und nicht bei KurzGESCHICHTE.

Gelernt!? Was ich nicht schon alles gelernt habe. Beiweiten nicht alles entsprach den Tatsachen.

Ich weiss, dass es viele wissende Menschen gibt - weiss ebenfalls, dass ich das Thema hiermit für beendet erklären möchte.

Dem Nachtgezwitscher: Vielen Dank fürs differenzierte Lesen und Kommentieren!!!
 



 
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