Abschied

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balsam

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Teil 17 – Abschied

Der Abschied ist ein scharfes Schwert. So sagt man und diese Worte können nicht annähernd das Gefühl beschreiben welches dabei gefühlt wird. Alles was sich in einem befindet, wird angeregt, weil etwas in einen ausgelöschten Zustand übertreten will. Alles, was man eben noch erlebte, findet ihr baldiges Ende.
Jetzt. Gleich.
Kurz bevor steht das Ende, dem ich entgegensehe. Es verwandelt mich in einen andersartigen Zustand, den zu erleben auch zu meinem Erleben gehört, auch wenn ich diesen Zustand nicht gerade liebe. So liebe ich doch dieses Gefühl, denn es ist ein unsagbar tiefes Gefühl. Eine tiefe Berührung die mein Wesen erlebt, eine Berührung die sich in mir abspielt, ein Gefühl, in dem ich mich aufhalten darf, etwas das ich erleben darf. Auch wenn es etwas ist, was nicht mehr wiederkehrt, etwas was sich umdreht und sich augenblicklich verändert in ein nicht mehr Dasein, etwas was sich entfernt von meinem Erleben in ein Erlebtes.
Trauer umschweift mein Gewissen und mein Erleben in solchen Stunden die dem Ende nahen. Sie schweift und zieht nicht nur durch mein Gehirn, sie schweift und zieht durch mein Gefühl, welches sich unabänderlich ausserhalb meines Verstandes befindet und nicht fassen kann wie die weitere Zukunft aussehen mag. Ein Loch. Dunkel und schwarz, mit Schwere belegt, mit Abschied nehmen beschäftigt bewegt es sich durch Raum und Zeit, gerade in solch einem konzentrierten Moment der unabänderlichen Haltbarkeiten, die weiterziehen wollen wie ein reissender Fluss. Aufhalten scheint ein unmögliches Verlangen zu sein, so stirbt es noch in diesem Moment in dem es auftauchte, während die Schwere weiter nach unten drückt, weiter nach Bewegung strebt, weiter sich in einem neuen Erleben wiederfinden möchte, mit Unwissenheit belegt ob dieses eintreten wird. Abgesondert von den erlebten Erfahrungen drängt es nach vorne und ein Stehenbleiben wird ungeduldig ausgemerzt. Es schiebt und drückt in eine Richtung die noch so weit entfernt scheint und die sich noch nicht vorstellen lässt. Es ist vorbei. Es scheint vorbei zu sein. Es wird bald vorbei sein. Eine unmögliche Unfassbarkeit durchzieht alles gleichzeitig und umkreist mein Verlangen und meinen Willen, welcher nicht mehr weiß was er tun wollte. Er ist ausgesetzt, abgesetzt, geradezu wie ausgenockt taumelt er von einer Ecke zur anderen um sich an den Seilen noch in einem Rahmen zu bewegen damit er nicht in die Tiefe abstürzen muss. Die Seile halten ihn noch in einer Fassung, in einer Haltung ohne den tiefen Schrei spüren zu müssen, wenn er tiefer hinein in dieses dunkle Loch fallen müsste.
Es ist noch ein spürbarer Hoffnungsschimmer in dem Taumeln enthalten und kann mich in meiner Fassung belassen, kann sie noch aufrechterhalten, doch weiter und weiter zieht die Zeit nach vorne und geht nach Wechselhaftigkeit die bald eintritt. Bald. Bald ist sie da und es wird soweit sein. Es wird vorbei sein. Es wird beendet, was einmal da gewesen scheint. Der Schein wird gewandelt in gewesen Sein.
Die Existenz nimmt ihren Abschied und ich schwimme gefühlsmäßig darin, unbeweglich. Mich dem Strom hingebend lasse ich mich umspülen von den gerade gefühlten Erlebnissen, während sich die Erlebnisse in kurzer Kürze auf Nimmerwiedersehen verabschieden.
Ich beende das ganze endgültig und nehme den letzten Schluck aus meiner Flasche Wein und hoffe, dass das Leben trotzdem irgendwie weitergehen wird. Tränen kullern über meine Wange und mein Gefühl rinnt mit dem letzten Tropfen durch meinen Hals. Ein letztes Erleben dieses Genusses durchdringt mein Innerstes und will ihn mit jedem Winkel aufsaugen um ihn zu einem unvergesslich gespürten Erleben hinzuzählen zu dürfen. Es rinnt und rinnt tief hinab in einer besonderen Langsamkeit bei dem jeder Millimeter mit einer Tiefe feucht berührt wird, bevor er seine Lebendigkeit in tote Vergangenheit verwandelt. Er hatte mich einst berührt, dieser Tropfen, nun ist er entschwunden, verstorben. Das Erleben war ein Genuss und das Verschwinden wird zu einem Fluch der sich in meinem Inneren tummelt und sich ausbreitet und mich nicht in Ruhe einkehren lässt. In Stille trauere ich nach. Nach und nach empört mich diese Stille und spüre sie immer deutlicher, wie sie sich breit macht in meinem gesamten Befinden. Kann mich nicht damit abfinden, kann mich nicht damit arrangieren, mit dem Verschwundensein des gerade Erlebten, weil die Empörung weitere Wellen schlägt und mich tiefer in mir zusammensacken lässt. So nervös und unabänderlich betroffen von diesem Vorgang, der Tag für Tag irgendwo auf der Welt vonstatten geht, versuche ich mich in Überwindung zu üben, doch erkenne gleichzeitig meine Kläglichkeit bei diesem Versuch und versuche sie mir einzugestehen. Nichts kann ihn aufhalten und ablenken. Er ist da. So präsent wie jeder Tropfen der in meiner Sehnsucht auftaucht, so präsent wie alle Glücksgefühle die ich einst erlebte und die genauso verstarben wie dieser. Keine Hoffnung kann es wieder zurückholen, keine Unternehmung kann es wiederbeleben. Es ist vorbei. Aus und vorbei. Geschehen. Beendet. Vernichtet. Verstorben.
Und, damit einhergehend sichtbar, wird auch die grausige Wahrheit, der ich mich nun stellen muss. Es ist keine nächste Flasche in Sicht.
Noch nicht.
 

Clara

Mitglied
so ein Drama um einen Tropfen Wein zu machen, der der letzte sein soll, ist irgendwie kontraproduktiv zum nicht saufen sollen.

anfänglich dachte ich tatsächlich an einen Wurm, der sich vor Trauer windet, das unfassbare nicht versteht : den Tod.

Das er aber genau das tut, nämlich seinen Tod heraufzubeschwören durch das Trinken?

Es beginnt eher wie jemand in Erklärungsnot.
Also mehr sachbezogen. In der Mitte "kullern" dann Tränen.
etwas unwirklich für jemanden, der trinkt.

Ein Gefühl zu beschreiben, ist wahrlich schwer.
 



 
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