Abschied von Elena

Reka

Mitglied
Da stand er nun, inmitten eines Blumenmeeres, der kleine weiße Sarg. Über und über geschmückt mit vielen weißen und rosafarbenen Rosen und grünem Efeu. Serena und Martin Lehnert, zwischen sich die dreijährige Eva-Maria, standen fassungslos dahinter. Die Aussegungshalle war voller Menschen und trotzdem herrschte eine geradezu unheimliche Stille.

Serena hatte das Gefühl, als gehöre sie gar nicht hierher. Warum? Diese Frage beschäftigte sie Tag und Nacht. Wie hatte das nur passieren können? Hatten sie etwas falsch gemacht oder hatte Gott einen Fehler gemacht? Sie war doch noch so klein… In Gedanken erlebte sie noch einmal die vergangenen drei Monate.

„Eva-Maria, komm einmal her. Ich möchte dir etwas sagen“, rief Serena lachend ihrer kleinen Tochter zu. Sie war gerade von einer Untersuchung bei ihrem Frauenarzt zurückgekommen und hatte dort freudestrahlend erfahren, dass sie wieder ein Baby bekommen würde. Ein Kind, dass Martin und sie sich von ganzem Herzen gewünscht hatten.

Liebevoll nahm Serena ihr Töchterchen in den Arm. Mit ihren dunklen Locken, dem herzförmigen Gesichtchen und den großen braunen Augen sah sie allerliebst aus.

„Eva-Maria, Mami bekommt ein Baby. Du wirst also bald ein Brüderchen oder ein Schwesterchen bekommen. Freust du dich?“

„Kann das Baby dann mit mir spielen?“ fragte Eva-Maria hoffnungsvoll. Die Aussicht einen Spielkameraden zu bekommen, freute sie sehr.

Serena musste lachen. „Nein, mein Kleines. Erst muss es ein bisschen wachsen. Doch du darfst ihm die Flasche geben und beim Baden und Wickeln helfen.“

Die Zeit bis zur Geburt war wie im Flug vergangen. Am Morgen des elften Februars spürte Serena die ersten Wehen, noch unregelmäßig und in größeren Abständen, jedoch schon ziemlich heftig. Zwei Stunden später rief sie erst ihren Mann im Geschäft an, danach Eva-Marias Oma, die sie mit zu sich nehmen würde.

Martin nahm die bereits seit ein paar Wochen fertig gepackte Tasche und ging mit Serena zum Auto. Die Fahrt in die Klinik dauerte nur etwa zehn Minuten. Martin half Serena liebevoll aus dem Wagen und brachte sie zur Entbindungsstation der Klinik. Dort wurden sie von der diensthabenden Hebamme empfangen, die gleich beruhigend auf Serena einsprach.

„Kommen Sie nur mit, junge Frau. Wir werden Sie gleich einmal an den Wehenschreiber anschließen, damit wir sehen, ob es Ihrem Baby gut geht und wie stark Ihre Wehen schon sind. Aber Sie kennen das ja alles bereits vom ersten Mal.“, meinte die Hebamme.

„Sieht ja schon ganz gut aus, der Muttermund ist bereits etwa vier Zentimeter offen, die Herztöne sind ganz regelmäßig und die Wehen sind auch schon recht stark. Allerdings eine Weile wird es schon noch dauern und Sie können, wenn Sie möchten, noch etwas spazieren gehen“, sagte die Hebamme nach der Untersuchung zufrieden lächelnd. „Bitte aber nicht zu weit entfernen“, fügte sie mit einem Schmunzeln hinzu.

Serena und Martin waren etwa eine Stunde im Park der Klinik spazieren gegangen, als Serena zunehmend schweigsamer wurde. Sie hatte nun starke Schmerzen und musste bei jeder Wehe stehen bleiben. „Bitte, lass uns zurück gehen“, bat Serena mit zusammengepressten Lippen. „Ich glaube, jetzt wird es ernst.“

Die Hebamme stellte bei der erneuten Untersuchung fest, dass der Muttermund nun bereits fast vollständig geöffnet war und brachte Serena und Martin in den nebenan liegenden Kreissaal. In dem Moment, als Serena sich auf das Bett gelegt hatte, begannen bereits die Presswehen. Doch, so sehr sich Serena auch anstrengte, das Baby wollte einfach nicht kommen. Es schien, als würde es sich mit aller Kraft sträuben sein schützendes Heim zu verlassen. Der hinzugezogene Arzt entschied die Geburt mit der Zange zu beenden.

Mit einem Mal ging es dann ganz schnell und die kleine Elena war geboren. Serena liefen vor lauter Freude die Tränen über die Wangen. Es war, genau wie bereits beim ersten Mal, wieder ein überwältigendes Gefühl so einen kleinen Mensch in den Armen zu halten und zu wissen, das ist ein Teil von unserer Liebe. Auch Martin schämte sich seiner Tränen nicht.

„So eine Geburt ist doch immer wieder ein kleines Wunder“, sagte Serena leise. Klein und rosig lag Elena da, mit vielen schwarzen Haaren und großen, weit geöffneten Augen. Sie war eine richtige kleine Schönheit.

Eine Woche später war Serena mit Elena wieder zu Hause. Eva-Maria war glücklich ihre Mami wieder zu haben und auch über ihre kleine Schwester freute sie sich sehr. Behutsam streichelte sie das Baby und half, so gut sie es eben mit ihren drei Jahren schon konnte, bei der Babypflege mit.

Als Elena sechs Wochen alt war, bekam sie ihre erste starke Erkältung. Mit vom Fieber hochroten Wangen lag sie ganz apathisch in ihrem Bettchen. Trockener Husten schüttelte den kleinen Körper und die kleine Nase war vom Schnupfen wund und verkrustet. Serena und Martin machten sich große Sorgen um ihren kleinen Liebling. Doch, nachdem der Arzt Antibiotika verordnet hatte, ging es Elena bald wieder besser.

Doch währen der nächsten Wochen bekam sie immer wieder solche schweren Erkältungen und mehrmals kämpfte sie gegen eine schlimme Bronchitis. Um das in den Griff zu bekommen, war immer wieder Antibiotika nötig.

Serena fragte den Kinderarzt mehrmals, ob es eigentlich normal wäre, dass ein Baby fast ständig krank ist. Bei Eva-Maria war es schließlich auch nicht so gewesen. Doch der Kinderarzt beruhigte die besorgte Mutter. „Es liegt einfach an der Jahreszeit, da sind viele Menschen, besonders aber Säuglinge, Kleinkinder und alte Menschen krank. Je älter sie wird, umso mehr Abwehrkräfte wird sie entwickeln.“

Am achten April, abends um sieben Uhr, dieses Datum würde Serena in ihrem ganzen Leben nie wieder vergessen, machte sie die Flasche für Elena. Martin hatte die Kleine auf dem Arm und wollte ihr das Fläschchen geben. Serena prüfte die Temperatur der Milch und brachte sie ins Wohnzimmer.

Was für ein schönes Bild, dachte sie. Martin mit dem Baby auf dem Arm und neben ihm auf dem Boden spielte Eva-Maria selbstvergessen mit ihren bunten Bauklötzen. Serena war unbeschreiblich glücklich.

Während ihr Mann Elena fütterte, ging sie in die Küche um das Abendessen vorzubereiten.

„Serena, sieh mal, Elena hat die ganze Flasche getrunken“, rief Martin erfreut.

„Naja, vielleicht wird das ja nun besser mit dem Essen“, antwortete Serena.

Plötzlich war nichts mehr wie vorher.

„Serena, schnell, Elena atmet so eigenartig“, schrie Martin voller Angst. Serena rannte schnell ins Wohnzimmer und genau in dem Moment als sie dort ankam, setzte Elenas Atmung vollends aus.

„Um Gottes Willen, sie atmet nicht mehr“, schrie Martin hysterisch. „Schnell ruf den Notarzt.“

Er legte Elena auf den Teppich und fing an sie zu beatmen. Nach einigen Atemstößen drückte er behutsam auf ihren kleinen Brustkorb, um anschließend wieder Luft in ihre kleinen Lungen zu blasen.

Der Notarzt war in wenigen Minuten da und übernahm die weitere Behandlung. Verbissen kämpfte er um das Leben der kleinen Elena. Doch nach ungefähr einer halben Stunde, die Serena wie eine Ewigkeit vorkam, stand er auf und sagte leise: „Es tut mir so leid. Ihr kleines Herz will einfach nicht mehr. Ich kann ihr nicht mehr helfen.“

„Was heißt, Sie können ihr nicht mehr helfen?“ fragte Serena mit tonloser Stimme. Sie kniete nieder und nahm Elena in ihre Arme. Ganz schlaff lag sie in ihren Armen, ihre wunderschönen brauen Augen waren geschlossen. Für immer? Das konnte, nein, das durfte nicht sein. Da war doch etwas entsetzlich falsch. Vor zwei Stunden da war sie doch noch…. Nein, Neinnnnn! Der Notarzt musste sich irren. Serena küsste die kleine Stirn und drückte Elena fest an sich.

„Bitte, bitte, so tun Sie doch etwas“, flehte sie den Arzt an, der aber nur bedauernd den Kopf schüttelte. Serena begann hemmungslos zu weinen und wiegte dabei Elena in ihren Armen. „Keine Angst meine Kleine“, flüsterte sie Elena ins Ohr, „bald geht es dir wieder besser.“

Der Arzt legte Serena die Hand auf die Schulter und sagte leise:“ Bitte erschrecken Sie jetzt nicht, aber ich muss die Polizei informieren. Das ist bei einem plötzlichen Kindstod so Vorschrift.“

„Die Polizei“, fragte Martin entsetzt, er war leichenblass. „Wir haben doch unserem Baby nichts getan!“ schrie er plötzlich auf. „Bitte, Herr Lehnert, beruhigen Sie sich. Keiner will Ihnen etwas unterstellen. Die Polizei soll Sie nicht belasten sondern entlasten.“

Wenige Minuten später kamen zwei Kriminalbeamten. Der Notarzt informierte die Beiden über die, von ihm vorgefundene Situation.

„Wir müssen Ihnen leider ein paar Fragen stellen und dann wird man Ihr Baby zur genaueren Untersuchung mit in die Klinik nehmen. Vorher aber dürfen Sie sich noch in aller Ruhe von Ihrem Baby verabschieden“, erklärte einer der beiden Beamten leise. Er sprach langsam, mit behutsam gewählten Worten.

Während der ganzen Zeit hatte keiner auf Eva-Maria geachtet, die immer noch bei ihren Bauklötzen auf dem Boden saß. Sie wirkte verstört und konnte nicht verstehen, warum Papa und Mama weinten und auf einmal so viele fremde Männer da waren. Plötzlich fing sie an zu weinen und Martin nahm sie liebevoll in seine Arme.

„Nicht weinen Schätzchen. Elena ist krank, sehr krank. Wir rufen jetzt die Omi an, damit sie dich mit zu sich nimmt. Morgen holt dich Papi dann wieder heim“, versuchte er Eva- Maria zu beruhigen.

Nachdem die Beamten ihre Arbeit beendet hatten, verließen sie den Raum, um Serena und Martin Abschied von ihrer kleinen Elena nehmen zu lassen.

Ein halbe Stunde später öffnete Martin die Türe. „Sie können…“, ein gewaltiger Kloß im Hals ließ ihn verstummen.

Der Arzt nahm Serena vorsichtig, beinahe zärtlich, das Baby aus dem Arm, wickelte es behutsam in eine kleine Decke. Dann trug er es zum Rettungswagen, der immer noch mit eingeschaltetem Blaulicht vor der Türe stand und ein gespenstisches Lichtspiel an die Hauswände warf.

Mittlerweile hatten sich Nachbarn in Grüppchen versammelt und redeten aufgeregt durcheinander. Serena stand in der Haustüre. „Das ist nur ein böser Traum. Gleich werde ich aufwachen und alles ist gut“, flüsterte sie.

Nichts war gut! Es war kein Traum, sondern bittere Wirklichkeit. Sie standen neben dem kleinen weißen Sarg, in dem ihre kleine Elena lag. Die Worte des Pfarrers rauschten an ihren Ohren vorbei. Serena war wie versteinert. Wie eine Marionette, die an unsichtbaren Fäden gezogen wird, ging sie anschließen hinter dem Sarg her.

Dumpf polterte die Erde auf den Sarg. Serena und Martin wanden sich ab und gingen mit Eva-Maria nach Hause. Dort würden sie Elena ganz nahe sein. Ihre Flasche, ihr Geruch, ja, sogar noch ihre letzte Windel, alles war noch da. Nur Elena nicht mehr….

„Ich möchte sie so gerne noch einmal sehen. Nur ein einziges Mal, damit ich weiß, dass es ihr gut geht, da, wo sie jetzt ist“, schluchzte Serena verzweifelt.

Schweigend drückte Martin ihre Hand. Auch er fand keine Worte, wo es keine geben konnte……
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Reka, ich kreise schon länger um die Geschichte herum und weiß nicht so recht, was ich von ihr halten soll. Es ist schwer, die Gefühle bei einem sehr frühen Kindstod zu beschreiben. Vielleicht geht das gar nicht. Ich habe beim Lesen das Gefühl, als stünde ich zu weit außen und werde nicht genug in die Geschichte hineingezogen.

Verändere den "Kreissaal" in den Kreißsaal, im ersteren werden nur Ratsbeschlüsse geboren.
:)

LG Doc
 

Reka

Mitglied
Da stand er nun, inmitten eines Blumenmeeres, der kleine weiße Sarg. Über und über geschmückt mit vielen weißen und rosafarbenen Rosen und grünem Efeu. Serena und Martin Lehnert, zwischen sich die dreijährige Eva-Maria, standen fassungslos dahinter. Die Aussegungshalle war voller Menschen und trotzdem herrschte eine geradezu unheimliche Stille.

Serena hatte das Gefühl, als gehöre sie gar nicht hierher. Warum? Diese Frage beschäftigte sie Tag und Nacht. Wie hatte das nur passieren können? Hatten sie etwas falsch gemacht oder hatte Gott einen Fehler gemacht? Sie war doch noch so klein… In Gedanken erlebte sie noch einmal die vergangenen drei Monate.

„Eva-Maria, komm einmal her. Ich möchte dir etwas sagen“, rief Serena lachend ihrer kleinen Tochter zu. Sie war gerade von einer Untersuchung bei ihrem Frauenarzt zurückgekommen und hatte dort freudestrahlend erfahren, dass sie wieder ein Baby bekommen würde. Ein Kind, dass Martin und sie sich von ganzem Herzen gewünscht hatten.

Liebevoll nahm Serena ihr Töchterchen in den Arm. Mit ihren dunklen Locken, dem herzförmigen Gesichtchen und den großen braunen Augen sah sie allerliebst aus.

„Eva-Maria, Mami bekommt ein Baby. Du wirst also bald ein Brüderchen oder ein Schwesterchen bekommen. Freust du dich?“

„Kann das Baby dann mit mir spielen?“ fragte Eva-Maria hoffnungsvoll. Die Aussicht einen Spielkameraden zu bekommen, freute sie sehr.

Serena musste lachen. „Nein, mein Kleines. Erst muss es ein bisschen wachsen. Doch du darfst ihm die Flasche geben und beim Baden und Wickeln helfen.“

Die Zeit bis zur Geburt war wie im Flug vergangen. Am Morgen des elften Februars spürte Serena die ersten Wehen, noch unregelmäßig und in größeren Abständen, jedoch schon ziemlich heftig. Zwei Stunden später rief sie erst ihren Mann im Geschäft an, danach Eva-Marias Oma, die sie mit zu sich nehmen würde.

Martin nahm die bereits seit ein paar Wochen fertig gepackte Tasche und ging mit Serena zum Auto. Die Fahrt in die Klinik dauerte nur etwa zehn Minuten. Martin half Serena liebevoll aus dem Wagen und brachte sie zur Entbindungsstation der Klinik. Dort wurden sie von der diensthabenden Hebamme empfangen, die gleich beruhigend auf Serena einsprach.

„Kommen Sie nur mit, junge Frau. Wir werden Sie gleich einmal an den Wehenschreiber anschließen, damit wir sehen, ob es Ihrem Baby gut geht und wie stark Ihre Wehen schon sind. Aber Sie kennen das ja alles bereits vom ersten Mal.“, meinte die Hebamme.

„Sieht ja schon ganz gut aus, der Muttermund ist bereits etwa vier Zentimeter offen, die Herztöne sind ganz regelmäßig und die Wehen sind auch schon recht stark. Allerdings eine Weile wird es schon noch dauern und Sie können, wenn Sie möchten, noch etwas spazieren gehen“, sagte die Hebamme nach der Untersuchung zufrieden lächelnd. „Bitte aber nicht zu weit entfernen“, fügte sie mit einem Schmunzeln hinzu.

Serena und Martin waren etwa eine Stunde im Park der Klinik spazieren gegangen, als Serena zunehmend schweigsamer wurde. Sie hatte nun starke Schmerzen und musste bei jeder Wehe stehen bleiben. „Bitte, lass uns zurück gehen“, bat Serena mit zusammengepressten Lippen. „Ich glaube, jetzt wird es ernst.“

Die Hebamme stellte bei der erneuten Untersuchung fest, dass der Muttermund nun bereits fast vollständig geöffnet war und brachte Serena und Martin in den nebenan liegenden Kreißsaal. In dem Moment, als Serena sich auf das Bett gelegt hatte, begannen bereits die Presswehen. Doch, so sehr sich Serena auch anstrengte, das Baby wollte einfach nicht kommen. Es schien, als würde es sich mit aller Kraft sträuben sein schützendes Heim zu verlassen. Der hinzugezogene Arzt entschied die Geburt mit der Zange zu beenden.

Mit einem Mal ging es dann ganz schnell und die kleine Elena war geboren. Serena liefen vor lauter Freude die Tränen über die Wangen. Es war, genau wie bereits beim ersten Mal, wieder ein überwältigendes Gefühl so einen kleinen Mensch in den Armen zu halten und zu wissen, das ist ein Teil von unserer Liebe. Auch Martin schämte sich seiner Tränen nicht.

„So eine Geburt ist doch immer wieder ein kleines Wunder“, sagte Serena leise. Klein und rosig lag Elena da, mit vielen schwarzen Haaren und großen, weit geöffneten Augen. Sie war eine richtige kleine Schönheit.

Eine Woche später war Serena mit Elena wieder zu Hause. Eva-Maria war glücklich ihre Mami wieder zu haben und auch über ihre kleine Schwester freute sie sich sehr. Behutsam streichelte sie das Baby und half, so gut sie es eben mit ihren drei Jahren schon konnte, bei der Babypflege mit.

Als Elena sechs Wochen alt war, bekam sie ihre erste starke Erkältung. Mit vom Fieber hochroten Wangen lag sie ganz apathisch in ihrem Bettchen. Trockener Husten schüttelte den kleinen Körper und die kleine Nase war vom Schnupfen wund und verkrustet. Serena und Martin machten sich große Sorgen um ihren kleinen Liebling. Doch, nachdem der Arzt Antibiotika verordnet hatte, ging es Elena bald wieder besser.

Doch währen der nächsten Wochen bekam sie immer wieder solche schweren Erkältungen und mehrmals kämpfte sie gegen eine schlimme Bronchitis. Um das in den Griff zu bekommen, war immer wieder Antibiotika nötig.

Serena fragte den Kinderarzt mehrmals, ob es eigentlich normal wäre, dass ein Baby fast ständig krank ist. Bei Eva-Maria war es schließlich auch nicht so gewesen. Doch der Kinderarzt beruhigte die besorgte Mutter. „Es liegt einfach an der Jahreszeit, da sind viele Menschen, besonders aber Säuglinge, Kleinkinder und alte Menschen krank. Je älter sie wird, umso mehr Abwehrkräfte wird sie entwickeln.“

Am achten April, abends um sieben Uhr, dieses Datum würde Serena in ihrem ganzen Leben nie wieder vergessen, machte sie die Flasche für Elena. Martin hatte die Kleine auf dem Arm und wollte ihr das Fläschchen geben. Serena prüfte die Temperatur der Milch und brachte sie ins Wohnzimmer.

Was für ein schönes Bild, dachte sie. Martin mit dem Baby auf dem Arm und neben ihm auf dem Boden spielte Eva-Maria selbstvergessen mit ihren bunten Bauklötzen. Serena war unbeschreiblich glücklich.

Während ihr Mann Elena fütterte, ging sie in die Küche um das Abendessen vorzubereiten.

„Serena, sieh mal, Elena hat die ganze Flasche getrunken“, rief Martin erfreut.

„Naja, vielleicht wird das ja nun besser mit dem Essen“, antwortete Serena.

Plötzlich war nichts mehr wie vorher.

„Serena, schnell, Elena atmet so eigenartig“, schrie Martin voller Angst. Serena rannte schnell ins Wohnzimmer und genau in dem Moment als sie dort ankam, setzte Elenas Atmung vollends aus.

„Um Gottes Willen, sie atmet nicht mehr“, schrie Martin hysterisch. „Schnell ruf den Notarzt.“

Er legte Elena auf den Teppich und fing an sie zu beatmen. Nach einigen Atemstößen drückte er behutsam auf ihren kleinen Brustkorb, um anschließend wieder Luft in ihre kleinen Lungen zu blasen.

Der Notarzt war in wenigen Minuten da und übernahm die weitere Behandlung. Verbissen kämpfte er um das Leben der kleinen Elena. Doch nach ungefähr einer halben Stunde, die Serena wie eine Ewigkeit vorkam, stand er auf und sagte leise: „Es tut mir so leid. Ihr kleines Herz will einfach nicht mehr. Ich kann ihr nicht mehr helfen.“

„Was heißt, Sie können ihr nicht mehr helfen?“ fragte Serena mit tonloser Stimme. Sie kniete nieder und nahm Elena in ihre Arme. Ganz schlaff lag sie in ihren Armen, ihre wunderschönen brauen Augen waren geschlossen. Für immer? Das konnte, nein, das durfte nicht sein. Da war doch etwas entsetzlich falsch. Vor zwei Stunden da war sie doch noch…. Nein, Neinnnnn! Der Notarzt musste sich irren. Serena küsste die kleine Stirn und drückte Elena fest an sich.

„Bitte, bitte, so tun Sie doch etwas“, flehte sie den Arzt an, der aber nur bedauernd den Kopf schüttelte. Serena begann hemmungslos zu weinen und wiegte dabei Elena in ihren Armen. „Keine Angst meine Kleine“, flüsterte sie Elena ins Ohr, „bald geht es dir wieder besser.“

Der Arzt legte Serena die Hand auf die Schulter und sagte leise:“ Bitte erschrecken Sie jetzt nicht, aber ich muss die Polizei informieren. Das ist bei einem plötzlichen Kindstod so Vorschrift.“

„Die Polizei“, fragte Martin entsetzt, er war leichenblass. „Wir haben doch unserem Baby nichts getan!“ schrie er plötzlich auf. „Bitte, Herr Lehnert, beruhigen Sie sich. Keiner will Ihnen etwas unterstellen. Die Polizei soll Sie nicht belasten sondern entlasten.“

Wenige Minuten später kamen zwei Kriminalbeamten. Der Notarzt informierte die Beiden über die, von ihm vorgefundene Situation.

„Wir müssen Ihnen leider ein paar Fragen stellen und dann wird man Ihr Baby zur genaueren Untersuchung mit in die Klinik nehmen. Vorher aber dürfen Sie sich noch in aller Ruhe von Ihrem Baby verabschieden“, erklärte einer der beiden Beamten leise. Er sprach langsam, mit behutsam gewählten Worten.

Während der ganzen Zeit hatte keiner auf Eva-Maria geachtet, die immer noch bei ihren Bauklötzen auf dem Boden saß. Sie wirkte verstört und konnte nicht verstehen, warum Papa und Mama weinten und auf einmal so viele fremde Männer da waren. Plötzlich fing sie an zu weinen und Martin nahm sie liebevoll in seine Arme.

„Nicht weinen Schätzchen. Elena ist krank, sehr krank. Wir rufen jetzt die Omi an, damit sie dich mit zu sich nimmt. Morgen holt dich Papi dann wieder heim“, versuchte er Eva- Maria zu beruhigen.

Nachdem die Beamten ihre Arbeit beendet hatten, verließen sie den Raum, um Serena und Martin Abschied von ihrer kleinen Elena nehmen zu lassen.

Ein halbe Stunde später öffnete Martin die Türe. „Sie können…“, ein gewaltiger Kloß im Hals ließ ihn verstummen.

Der Arzt nahm Serena vorsichtig, beinahe zärtlich, das Baby aus dem Arm, wickelte es behutsam in eine kleine Decke. Dann trug er es zum Rettungswagen, der immer noch mit eingeschaltetem Blaulicht vor der Türe stand und ein gespenstisches Lichtspiel an die Hauswände warf.

Mittlerweile hatten sich Nachbarn in Grüppchen versammelt und redeten aufgeregt durcheinander. Serena stand in der Haustüre. „Das ist nur ein böser Traum. Gleich werde ich aufwachen und alles ist gut“, flüsterte sie.

Nichts war gut! Es war kein Traum, sondern bittere Wirklichkeit. Sie standen neben dem kleinen weißen Sarg, in dem ihre kleine Elena lag. Die Worte des Pfarrers rauschten an ihren Ohren vorbei. Serena war wie versteinert. Wie eine Marionette, die an unsichtbaren Fäden gezogen wird, ging sie anschließen hinter dem Sarg her.

Dumpf polterte die Erde auf den Sarg. Serena und Martin wanden sich ab und gingen mit Eva-Maria nach Hause. Dort würden sie Elena ganz nahe sein. Ihre Flasche, ihr Geruch, ja, sogar noch ihre letzte Windel, alles war noch da. Nur Elena nicht mehr….

„Ich möchte sie so gerne noch einmal sehen. Nur ein einziges Mal, damit ich weiß, dass es ihr gut geht, da, wo sie jetzt ist“, schluchzte Serena verzweifelt.

Schweigend drückte Martin ihre Hand. Auch er fand keine Worte, wo es keine geben konnte……
 



 
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