Abschiedsmord

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arnoreis

Mitglied
Ich habe dich gemordet, gerichtet, füsiliert
dein Band zertrennt, zerrissen, zernichtet
deine Figur aus Ton zertrümmert, gestürzt, zerworfen
ich habe dich in den Staub zerzerrt, zerschleift, zerwaltet

Dein Herz:
So schwer, so wund, so weiß in formlosem Ton
Dein Haar:
So glatt, so licht, so weiß in nacktem Wind
Deine Stimme:
So schrill, so kalt, so verloren in weißer Nacht

Ich habe dich getrieben:
In die Hölle durch die Öfen aus den geschornten Steinen
Habe dein Herz zerschmolzen:
Aus allen Wunden durch die Poren in neue fossile Gestalten
Habe deine Stimme zerlaufen:
Mit allen Lauten durch die Formen in neue Figuren

Du wolltest sterben voll Zweiflung aus Nadelschmerz:
Ich habe dich vermordet zu neuem Leben
habe dich in Höllen ohne Teufel ohne Pech ohne Schwefel getrieben
in den Öfen verheizt ohne Erinnerung: Du Ton zu reiner Form
Habe dich durch den Schornstein getrieben: Weiße Fahne des Conclave
Du hast dich gefunden, gesammelt, neu gestaltet, wiedererfunden.
Bist erstanden. Zu neuem Leben.
 
H

HFleiss

Gast
Lieber arnoreis, richtig leicht fällt es mir nicht (nach diesem Titel) auf Auschwitz zu kommen. Aber natürlich ist Auschwitz sofort da, wenn man dieses Gedicht liest. Ich weiß natürlich nicht, ob du es so gemeint hast, es könnte sich nämlich (sehr metaphernreich) auch um einen simplen Abschied für immer handeln. Dann allerdings sind es mir zu starke Worte und Wörter. Und vielleicht auch zu viele.

Lieben Gruß
Hanna
 

arnoreis

Mitglied
Ja Holocaust

Kann man danach noch dichten - das war ab 1945 die Frage. Doch selbst Celan konnte es, wenn auch mit Mühen.
Natürlich waren die Lager Auftragsmord.

Und wir haben doch alle in unseren zwischenmenschlichen Beziehungen, wenn wir in die Abgründe zu sehen wagen, etwas davon ins uns.
Deswegen auch die zerkackte und zerfremdete Sprache.
Ich habe mir schon viel dabei gedacht - aber darauf kommt es nicht an. Es kommt auf den Leser an.
 



 
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