Abteilung Fegefeuer - Ein Lokalaugenschein

Pinky

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Trockene, heiße Luft. Hoch loderndes Feuer, wohin man auch blickt. Eine lange Kolonne müder, niedergeschlagener und vor allem nackter Gestalten quält sich zwischen den Flammen dahin und versucht, nicht auf den jammernden Chor gemarterter Seelen zu hören.
Dies ist das Fegefeuer. Ort der Verdammnis, wohin die Geister der Sündigen verbannt werden, um ihre Verbrechen gegen die Gesetze Gottes zu bereuen und ihre gerechte Strafe zu empfangen, bevor sie Einzug ins Paradies halten dürfen.
Hier ist die Ewigkeit, wo unzählige Verstorbene hunderte von Jahren ihre Erlösung erwarten.
Hier ist das Inferno, das mit verzehrenden Flammen die gefallenen Seelen reinigt, zur Vergeltung ihrer Sünden.
Hier ist es wie in einer finnischen Sauna, nur dass die Luft trockener ist und man keinen Eintritt zahlen muss.
Ich melde mich hier direkt aus dem Fegefeuer, von wo wir heute live berichten. Noch nie zuvor ist es einem Reporter gelungen, hierher vorzudringen, um Ihnen, meine Damen und Herren, die schaurigen Szenen in allen Einzelheiten zu schildern.
Ich stehe hier inmitten zahlloser verdammter Seelen und unsere Kolonne kommt nur langsam voran, denn immerhin herrscht hier ein gewisser, wenn auch nicht ganz freiwilliger Andrang. Die Bürokratie hier scheint nicht viel besser zu sein als anderswo, auch wenn man meinen sollte, dass man eigentlich genug Zeit gehabt hätte, das in den Griff zu bekommen. Die Einreiseformalitäten wollen allerdings erledigt werden; sonst könnte ja jeder kommen.
Obwohl das wahrscheinlich keiner tun würde, denn immerhin: Sehr behaglich erscheint das Fegefeuer nicht unbedingt, und das soll es ja auch nicht, denn schließlich ist man ja nicht zur Belohnung hier. Doch sind es immer noch Menschen, die hier landen, meine Damen und Herren. Menschen wie Sie und ich, und als Mensch gewöhnt man sich ja bekanntlich an alles. Natürlich muss es für die armen Seelen furchtbar sein, inmitten von lodernden Flammen gefangen zu sein und langsam geröstet zu werden, ohne jemals gar werden zu können, doch macht man hier das Beste daraus: So sitzen einige mehr oder weniger gemütlich beisammen und spielen Karten, plaudern miteinander oder gehen etwas spazieren. Eine ältere Dame sitzt sogar da und strickt einen Pullover. Die Heizer, die hier nicht nur für die nötige Hitze sondern auch für Ordnung sorgen, wirken etwas wie unterbeschäftigte Gefängniswärter, so wie sie da an den Wänden lehnen.
Jedoch nicht nur die Angestellten wirken hier etwas gelangweilt, auch die Seelen scheinen nichts so recht mit ihrer Zeit anzufangen zu wissen. Verständlich, denn alles was Spaß macht, ist hier nicht möglich: Zigaretten gehen sofort in Flammen auf und Alkohol verschwindet mit einem lauten Buff. Für Sex ist es sowieso zu heiß, und außerdem dürfte körperliche Liebe zwischen Seelen ungefähr so aufregend sein wie eine nachmittägliche Diskussionsrunde im Fernsehen. Sämtliche Laster werden einem hier ausgetrieben, denn dazu ist man ja schließlich hier und Feuer hat ja bekanntlich eine reinigende Wirkung. Allerdings liegt es weniger daran, dass man nicht darf, sondern vielmehr, dass man nicht kann, selbst wenn man möchte. Sämtliche hereingeschmuggelten Laster gehen unweigerlich in Flammen auf, meine Damen und Herren, und zerfallen zu Asche.
Es ist eigentlich eine geniale Strategie der Unternehmensleitung, wie man zugestehen muss, denn immerhin erspart sie sich so, ungeliebte Regeln aufstellen zu müssen, und die Verdammten haben sich pragmatischerweise zu fügen ohne jemandem einen Vorwurf machen zu können und müssen ohne ihre gewohnten Freuden auskommen. Deshalb macht sich hier auch niemand die Mühe, am Eingang die Taschen zu kontrollieren - sie verbrennen ja ohnehin.
Doch nun, meine Damen und Herren, tut sich hier etwas. Die Kolonne, in der ich stehe, hält an, denn eben kommt einer der hier Angestellten mit etwas in der Hand herbei, und, ja, es scheint ein Klemmbrett zu sein. Ein Klemmbrett mit einer Liste darauf. Er stellt sich nun vor eine Gruppe verdammter Seelen und beginnt, von seiner Liste abzulesen, aber hören Sie bitte selbst:
"Sven Olaf Strandnielson, Herbert Frank, Charles Goodbert, Xing Li Wan, Miriam Morteba, Ann deBrink! Und Mugo. Herkommen! Ihr habt eure hundert Jahre abgesessen!"
"Was ist mit mir? Ich müsste eigentlich auch heute rauskommen."
"Name?"
"Kaiser Otto III von Deutschland!"
(Kurze Pause)
"Stehst hier nicht drauf. Wie lange hast du?"
"Tausend Jahre Fegefeuer."
"Die tausend Jahre kommen erst später. Tut mir leid, etwas Geduld noch."
"Kein Problem. Ich sitz ja schon so lange hier."
"Die anderen: Mitkommen!"
Eine weitere Kolonne bildet sich nun und die Aufgerufenen folgen, durchwegs erleichtert, dem Heizer. Einige wirken allerdings auch etwas beunruhigt. Vielleicht ist das auf das gleiche Phänomen zurückzuführen, das sich auch bei Schwerverbrechern zeigt, die nach jahrelanger Haft entlassen werden: Angst vor der Freiheit, oder in diesem Fall, vor dem Paradies. Ich habe eben einen der hier Arbeitenden dazu befragt und er sagte mir, dass es dabei gelegentlich zu ganz hässlichen Szenen kommen kann, die damit enden, dass die betreffenden Seelen mit Gewalt in den Garten Eden gezerrt werden müssen.
Wir können nun weiter und nähern uns langsam dem Ende unseres Marsches. Rund um uns erklingen die schaurigen Stimmen gemarterter Geister, wie sie elende und endlose Qualen erleiden. Doch wie ich eben erkennen muss - stellen Sie sich das vor, meine Damen und Herren -, schreien und jammern hier nur wenige der Verdammten. Genaugenommen ist es nur eine Art Chor, der hier für stimmungsvolle Atmosphäre sorgt. Unmengen ehemaliger Sänger müssen sich hier ununterbrochen in ihrer Kunst üben, ohne jemals Gage dafür zu erhalten. Wenn das keine Qual ist ...
Es erklärt allerdings, warum hier sonst niemand schreit und jammert. Nun, wahrscheinlich kann einer Seele selbst metaphorisches Feuer nicht viel anhaben, da man nach spätestens zwanzig Jahren draufkommt, dass man keine Schmerzen haben muss, wenn man nicht will. Die einzige Qual für die Verbannten hier ist es also, ohne ihre geliebten Laster auszukommen.
Doch komme ich nun zum Ende meiner Berichterstattung. Ich befinde mich direkt vor dem Schalter an dem die Einreisenden registriert werden und ein finster aussehender Heizer blickt mich an. Ich werde -
"Name!"
Äh, wie bitte? Sie werden es nicht glauben, meine Damen und Herren, aber man verlangt tatsächlich, meinen Namen zu wissen. Scheinbar hält man mich ebenfalls für einen Ver-
"Name!"
Verzeihen Sie, das muss ein Irrtum sein. Ich bin nicht tot. Ich bin Reporter und mache hier eine Reportage live aus dem Höllenfeuer.
"Ich weiß. Wir hören den Schund schon die ganze Zeit im Radio. Suchen Sie sich schon mal ein gemütliches Plätzchen. Sie kommen hier so schnell nicht mehr raus!"
 

Englhauser

Mitglied
Fegefeuer

Hi Pinky,
wirklich eine spannende Reportage (schmunzel :)
Ich bin zwar ein begeisteter Saunafan,
(verlockend ...... freier Eintritt)
aber nach diesem aufklärenden Bericht,
überwiegen ja doch die Nachteile und ich werde
freiwillig, auf den Besuch des Fegefeuers verzichten.
Gruß Willi
 

mc poetry

Mitglied
hallo pinky,

vielen dank fuer den anschaulichen
korrespondentenbericht. kennst du die
reportage von karl valentin aus der
hoelle? dort scheint es noch besser
zu sein als im fegefeuer.

ich wuerde mich auf jeden fall da nicht
so festlegen wollen, wo ich hinwill,
weshalb ich fuer schnupperowchen in
himmel, hoelle und fegefeuer plaedieren
wuerde.

die aehnlichkeit sauna-fegefeuer erinnert
mich an ein saunaerlebnis, bei dem ein
typ meinte es sei hier so dunkel.
darauf die aufguss-djane: "wollen sie gucken
oder entspannen?"

liebe grueße, michael
 

Pinky

Mitglied
Höllenberichte

Hallo, mc poetry!
Nein, den Bericht von Karl Valentin kenne ich leider nicht, obwohl er mich sehr interessieren würde. Allerdings möchte ich mich auch noch mit diesem Thema beschäftigen. Und dann ist der Himmel dran ...

Schöne Grüße
 



 
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