Ach, Mutter

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H

HFleiss

Gast
Weiß und makellos,
sind deine Hände, Mutter,
über dein Alter schön,
als hätten sie nie geschuftet
für dein unverhofftes Glück,
für dein renitentes Schock Gören.

Alt bist du jetzt und
In die Breite gegangen.
Aber einmal
Warst auch du jung.
Wir kennen das Foto,
das mit den Ohrringen,
den spanischen.
Schlank sitzt du da in dem
schwarzen Kleid
(Oder war es ein rotes? Es hätte
gepasst zu deinem Kastanienhaar)
und blickst in die Kamera,
unbekümmert und voller Erwartung.
Alles lag noch vor dir:
Der Sonntagstanz am Wedding,
und das Kinderkriegen,
das Anstehen bei Kaufmann Kluge,
das Wäscheschrubben,
das kitschige Kino an der Ecke
die Oper für den kleinen Mann,
in die man ging, solange Frieden war,
und der Ärger mit der Schwiegermutter.
Und du hattest so viel erwartet.

Die Kinder kamen,
eins in jedem Jahr, manchmal auch zwei.
Und dann -
ahnungslos und verschreckt, wie du warst,
wie fluchtest du der Nazibande -
wurde anders alles als bisher:
Dann kam der Krieg.
Vater an der Ostfront
Und du, allein in Berlin,
mit deiner Angst und
mit uns Murkeln.
Wie weiß ich es noch.
Zum Bunker hetzten wir,
Schwerbepackt
Und mit allerletztem Atem,
Sirenen grölten,
bis uns das Blut erstarrte.
Rot der Himmel über der brennenden Stadt.
Du in der Kabinenecke, du, die niemals
Fromm, schriest ein Gebet:
Vater unser, der du bist im Himmel!
Aber am Himmel nur das Feuer
Und das Bomberdröhnen.

Später, erkläre es mir,
Vater war schon
Lange wieder zu Haus, schrecklich
verändert vom Krieg,
meist schlug er zu, ehe er verstand,
war ich dir nicht mehr so wichtig.
Schnell war ein
Katzenkopf zur Hand statt
Klärender Worte,
Jahre zwischen Liebe und Hass.
Jung war ich - zu jung,
um zu verstehen.

Und immer noch kamen Geschwister.
Fremd sahst du mich einmal an
Und sagtest gequält:
Du, Tochter, du bist - wie Ditte Menschenkind.
Da wusste ich: Noch immer
War ich deine Große.

Die Arbeit, die Versammlungen,
die Scheidung dann,
und jetzt Zeit genug
für dich und dafür,
über Gottweißwas zu spinnen.
Bange kann uns darüber werden.

Komm doch öfter, bittest du.
Schäbig fühle ich mich,
sehe ich dich vor dem Fernseher,
allein, tagelang, ohne ein Wort.
Nur der Fernseher und die vier Wände.
Die Beine wollen nicht mehr.

Hart hat dich dein Leben gemacht.
Und faltig wie einen alten Eichenstamm.
Wie Neuschnee weiß
dein Kastanienhaar,
nach innen geht dein Blick,
als suchtest du, was einmal war.
Niemand außer uns - du lächelst?,
der das Foto sieht von einst,
wird wissen, dass du es warst.

Ach, Mutter, gib mir deine Hand,
die schöne, die makellose.
Auch falls es dir peinlich ist:
Lass sie mich drücken - und
Küssen.
 



 
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