Aimbakat -Version 1.1.

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Castellanos

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Aimbakat
- Version 1.1 -

Es klingelt. Ich gehe zur Sprechanlage und melde mich. Vor der Haustür höre ich ein Stöhnen und dann sagt jemand: „Aimbakat!“
– „Wie bitte?“
– „Aimbakat!!“
-„Mein Gott,“ denke ich, „bestimmt sammelt da jemand für Behinderte mit einer Hasenscharte.“
Vorsichtshalber nehme ich einen Euro in die Hand, gehe hinunter und öffne die Haustür. Vor mir steht ein kleiner Afghane oder so in einer riesigen gelben Postjacke, strahlt mich an und sagt: „Aimbakat!“ und hält mir ein Paket entgegen. Ich habe immer noch den Euro in der Hand, und da ich an dem Menschen keine Hasenscharte entdecken kann, lasse ich die Münze diskret in der Hosentasche verschwinden.
Während ich das Paket entgegennehme, überlege ich, wo ich den Afghanen sprachlich hinstecken soll (evtl. eine der turko-tatarischen Sprachen oder eher vielleicht etwas aus der drawidischen Sprachfamilie). Da fällt mir ein, dass ich gelesen habe, dass alle zwei Wochen eine gesprochene Sprache stirbt! Möglicherweise ist seine Sprache schon tot und er hat es bloß noch nicht gemerkt, weil er ja nicht zu Hause, sondern in Deutschland bei der Post ist. Gerade will ich ihn fragen, da merke ich, dass er schon weg ist.
Ich gehe mit dem Paket nach oben. Was wohl drin ist, frage ich mich, denn ich habe bald Geburtstag. Ich schüttle es, aber es klingt nach nichts, was ich mir wünsche! Wahrscheinlich nur etwas zum Anziehen, damit ich nicht so schlampig aussehe. Ich gebe es meiner Frau. Sie sagt: „Das ist nicht für uns! Ruf mal eben bei der Post an und sag ihnen, dass sie es wieder abholen sollen!“
Am nächsten Morgen klingelt es wieder. Bevor ich mich auf Diskussionen an der Sprechanlage einlasse, gehe ich hinunter. Na bitte! Ein Postbote hält mir ein großes Paket entgegen. Er sieht zwar ähnlich aus wie der zarte Afghane von gestern in seiner zu großen Postjacke, aber es ist ein anderer. Bevor er sich diskriminiert fühlt, weil ich sein Deutsch nicht verstehe, krame ich meine Fremdsprachenkenntnisse zusammen und sage: „Hello“ (das ist englisch und heißt Hallo!). Er schaut mich schräg von unten an und sagt dann: „Morsche!“ (das ist hessisch und heißt Guten Morgen) und drückt mir das riesige Paket in die Arme. Dann legt er auch noch einen großen Telefonhörer aufs Paket und einen Schreibstift und bellt: „Unneschrift!“ Als ich noch erwäge, ob ich ihn bitte, mir den Stift zwischen die Zähne zu klemmen, fällt ihm auf, dass das so wohl nicht gehen kann. Er nimmt mir alles wieder ab, dann regeln wir den Bürokram und er gibt mir das Paket wieder.
-„Komisch,“ denke ich, „neue Vorschriften? Dieser Paketbote hier will eine Unterschrift für das Paket, der von gestern aber wollte keine. Na ja, ist eigentlich ganz logisch, das gestrige Paket war ja auch gar nicht für mich!
– „Halt,“ fällt mir ein, „ich habe oben noch das Paket von gestern!“ Ich versuche, um das Paket auf meinen Armen herumzusehen, aber der Afghane ist schon weg.
Am nächsten Morgen klingelt es wieder.
Leicht verschlafen wanke ich zur Türsprechanlage.
-„Hermes! Hermes mit einem Paket!“ schallt es mir fröhlich entgegen.
-„Mannomann,“ denke ich, „der Götterbote persönlich!“
Ich in die Pantoffeln und die Treppe runter, bevor er wieder verschwindet wie die beiden Afghanen. Ich reiße die Haustür auf und rufe aufmunternd: „Kalimera!“ (das ist griechisch und heißt Guten Morgen!). Der Götterbote starrt mich mit offenem Mund an. Er ist kleiner als ich gedacht habe und hat fast kaum noch Haare. Ich will ja nicht behaupten, dass ich erwartet habe, dass er mit Flügeln an den Füßen auftritt oder einen Flügelhelm trägt – ist ja auch nicht mehr zeitgemäß. Außerdem waren die Götter immer schon Meister der Verwandlung, aber etwas griechischer hätte es schon sein dürfen!
-„Ein Paket!“ sagt er in leicht hessischer Aussprache, aber sonst völlig akzentfrei. Eigentlich bin ich ganz froh, dass er so gut deutsch spricht, meine Griechischkenntnisse waren mit dem morgendlichen Gruß auch schon erschöpft. Vorsichtshalber schaue ich noch mal auf das Paket, damit ich nicht noch ein falsches bekomme, aber es ist tatsächlich für meine Frau.
Was sie wohl mit den griechischen Göttern zu schaffen hat? Die haben, was man so hört, den Kontakt zu Frauen (abgesehen von den eigenen) immer recht intensiv gepflegt. Gerade will ich ihn fragen, ob er nicht wenigstens eine Unterschrift möchte oder ob er das andere Paket, das nicht für uns ist, haben will, da ist er schon weg!
Schade!

Nun,inzwischen hat meine Frau festgestellt, dass die Tätigkeit der Paketannahme, die Bearbeitung des Rücksendeantrags und der mit der Rücksendung verbundene Postbesuch die seit meiner Pensionierung brachliegende Verwaltungstätigkeit mich geradezu aufblühen lässt.
Durch immer neue Bestellungen bei den Versandhäusern, deren Kataloge bei uns Wände füllen, sorgt sie für eine stetige verantwortungsvolle Tätigkeit meinerseits.
Kurz und gut: Inzwischen hat sich der Paketdienst institutionalisiert. Die Zusteller haben ihre täglichen Touren umgestellt, sodass wir die letzte Anlaufstation sind. Hier bei uns legen sie eine wohlverdiente ausgiebige Pause ein. Meine Frau bietet dann Kaffee, Tee oder belegte Brote an und wärmt auch wohl mal einen Henkelmann auf, während wir fachsimpeln.
Für unser vertrauenswürdiges Verhältnis spricht, dass unsere Mitarbeiter von der Post unseren Flur als Zwischenlager nutzen und die Pakete, die sie übrig haben, hier aufstapeln. Und wenn wir alle besonders guter Laune sind, machen wir uns auch mal das eine oder andere dieser überzähligen Pakete auf und erfreuen uns an dem Inhalt. Man kann sich kaum vorstellen, was die Leute alles so verschicken. Aber darüber darf ich nicht sprechen, das fällt unters Postgeheimnis – außerdem glaube ich, mein Beamteneid von früher gilt immer noch.
Zusätzlich zu meiner Verantwortung als Paketdienstbotenbetreuer habe ich auch ein wenig die sprachliche Kompetenz unseres kleinen Afghanen verbessert. Er sagt jetzt nicht mehr: „Aimbakat!“, sondern : „Ein Paket!“ und er spricht auch schon fast akzentfrei: „Bitte noch eine Tasse Tee!“
 



 
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