Alleingang

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Duisburger

Mitglied
Draußen sind Schritte zu hören. Kommen näher. Das Stimmengewirr ist verstummt, die Radios schweigen. Jemand hustet unterdrückt. Die Zwischentür zum Zellengang wird aufgeschlossen. Wie oft habe ich dieses Geräusch gehört? Sie öffnet zum sich letzten Mal. Für mich. Ich schaue durch das Gitterfenster nach draußen.
Die Sonne scheint. Na und?

„Machs gut.“
„Bald hast du es hinter dir.“
„Kann ich deine Poster haben?“


Mein Blick hastet durch die Ecken der Zelle, streicht über die Kalkwand und verfängt sich am Türspion. Ein dunkler Kreis. Lässt mich nicht los. Die Gittertür auf dem Gang schlägt zu, der Rahmen ächzt protestierend. Schlüssel klappern vor der Zelle und mit einem schabenden Geräusch wird die Sichtklappe vom Spion weg gedreht.
Dunkel. Hell. Dunkel.
Da ist ein Auge. Starrt mich an. Auch wenn ich es nicht wirklich sehe. Es ist da und fixiert mich.
Dunkel. Hell. Dunkel.

Es wird laut. Ein Schlüssel sucht sich seinen Weg zu den Schließriegeln. Es klackert dreimal im Schloss, knallend werden die beiden Vorreiber nach hinten geschoben.

Die Tür öffnet sich quietschend nach außen. Mir ist kalt. Im Scherenschnitt steht ein Mann, die Hände in die Hüften gestemmt. Er winkt mich hinaus.
Ich mache mich kleiner, die Knie an die Brust, will nicht. Warum schon jetzt? Doch der Mann lässt nicht locker und winkt noch einmal. Unwillig. Ich stehe auf, greife mein kleines Paket, folge, ohne zur Seite zu sehen. Gang für Gang, Treppe auf und ab, den Blick starr nach vorn. Gittertüren knallen hinter mir zu. Kein Wort fällt. Man reicht mir einen Umschlag.

Mein Name steht drauf. Die Hand zittert. Aber ...
Ein Stahltor schwingt zur Seite und ich werde ein paar Schritte nach vorne geschoben. Hinter mir fällt sie sofort wieder krachend ins Schloss.
Ich bin allein. Mein Herz krampft.

Was soll ich mit der Freiheit anfangen?


Vertonung: http://www.gruppe-vier-w.org/audio_upload/Oldy__Alleingang.mp3
 

petrasmiles

Mitglied
Eindringliche Schilderung!
Ich frage mich nur, wie ein Mensch sein muss, der 1. im Knast landet und 2. dann so auf Freiheit reagiert.
Man möchte mehr erfahren.

Gruß
Petra
 

Duisburger

Mitglied
Die idee kam mir, als ich eine kurze zeitungsnotiz laß, in der berichtet wurde, dass vermehrt "sozial gestrandete" (o-ton des redakteurs) haftbewehrte straftaten begehen, um in den knast zu kommen.
Das dort geregelte leben würden diese leute der von der regierung "aufgezwungenen armut" (o-ton ...) vorziehen. Innerhalb dieser haftzeit kommt es vermehrt vor, das dort kleiner delikte begangen werden, um nicht vorzeitig entlassen zu werden.
Sie dieses werk also als gesellschaftkritik an. Ich finde es schon bedenklich, das menschen diesen weg wählen (müssen).

lg
duisburger
 

Zaunkönig

Mitglied
Lieber Duisburger

Eines der großen Menschheitsthemen, das Du da in Deinem Text als Ich-Erzähler aufgreifst: die Freiheit des Menschen, seine Befreiung von Zwängen und Fesseln. Der nachdenklich stimmende Text schließt mit der Frage: "Was soll ich mit der Freiheit anfangen?" Eine Frage, die man auch auf das Leben mit seinen vielfältigen Zwängen anwenden könnte. Man stelle sich vor, der Mensch würde absolute Freiheit erlangen. Das erste, was er täte, wäre vermutlich, sich nach einem Zwang umzusehen, an dem er Halt finden könnte in seiner Orientierungslosigkeit. Eng verknüpft mit dem Thema Freiheit ist das Problem des Alleinseins, was in Deiner Überschrift knapp und aussagekräftig zum Ausdruck kommt. Ein lesens- und kommentierenswerter Text mit quasi philosophischem Hintergrund.

Einen lieben Gruß
Zaunkönig
 
H

Haki

Gast
der text ist "bedeutungsschwanger" ;) und gerade deswegen gefällt er mir!
schöne kritik an der gesellschaft verpackt in eindringliche sprache. gefällt mir!
 



 
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