Alles Wunderbar

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Es war Montagmorgen neun Uhr, als die sechsköpfige Mannschaft der Werbeagentur „Wunderbar“ in der Sicherheitsschleuse im Gebäude 08, Bauteil UG03 stecken blieb.
Als der Senior Marketing Manager seinen Besucherausweis an den Kartenleser gedrückt hatte, war die Schleusentür in der Tiefgarage wie gewöhnlich aufgegangen. Alle waren eingetreten und die Tür hatte sich hinter ihnen geschlossen. Diszipliniert warteten sie, doch der Schleusenausgang gab den Weg ins Gebäude nicht frei.
Nach fünf Minuten wurde der Junior Marketing Manager unruhig. „Wir sind eingesperrt! Was, was … machen wir jetzt?“, stammelte er.
„Ruhe bewahren, durchatmen und nach einem adäquaten Lösungsansatz suchen“, war die prompte Antwort.
Energisch begann der Senior erst an der einen, dann an der anderen Tür zu rütteln.
Nach weiteren zwanzig Minuten löste sich der Solution & Risk Manager aus der Gruppe und versuchte routiniert das Problem aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten.

Er bemerkte als Erster das Hinweisschild neben der Tür:
Bei Störungen folgende Nummer anrufen oder den roten Alarmknopf drücken.

Sofort zückte der Communication Manager sein Handy und wählte. Aber im Untergeschoss gab es keinen Netzempfang.
Nach einer weiteren Stunde des Wartens, besann sich endlich auch der Senior Project Manager, fasste die momentane Situation zusammen und begann die nötigen zielorientierten Schlüsselfragen zu stellen:

„Wo wollen wir hin?
Was hindert uns daran?
Wie können wir das Problem beseitigen oder umgehen?“

Eifrig zeigte der, wieder einigermaßen gefasste, Junior Marketing Manager was er gelernt hatte:

„Wir stehen gerade in einer Schleuse und wollen eigentlich in den Raum 03.715 zu einer Ausschreibungs-Präsentation. Der Eingang ins Gebäude ist verschlossen. Und …“, er stockte.
„Und, um das Problem zu lösen, müssen wir die Schleuse öffnen.“ Als unterstützende Geste, zeigte er auf den Schleusenausgang.

„Ich schlage vor, den roten Knopf zu drücken“, meldete sich die einzige Frau der Delegation zu Wort.
Die Fachleute runzelten die Stirn und schüttelten voller Unverständnis den Kopf.
„Einfach unvorbereitet vorzupreschen, ist äußerst riskant und entspricht nicht unserer Firmenphilosophie. Sind sie sich über die Tragweite solch einer Entscheidung im Klaren?“, tadelte der Solution & Risk Manager die vorlaute Team-Assistentin.
Der Communication Manager setzte nach: „Wir haben uns Kundenorientierung auf die Fahne geschrieben. Stellen sie sich nur mal vor, welchen Schaden so ein Knopfdruck im großen Rad der hiesigen Firmen-Maschinerie auslösen könnte.“

In diesem Moment schaltete sich der Bewegungssensor für die Beleuchtungsautomatik aus. Stille.

Als das Werkspersonal das Schleusenproblem im Gebäude 08, Bauteil UG03 endlich entdeckt und behoben hatte, war es bereits später Nachmittag. Die Werbeagentur „Wunderbar“ meldete sich ordnungsgemäß bei ihrem Ansprechpartner, überreichte kurz das obligatorische Werbepräsent und verabschiedete sich höflich.
Zwei Tage später erhielt der Kunde ein zwanzigseitiges Protokoll des Tages und ein Dankesschreiben für diese erfolgreiche Zusammenkunft.
Nach intensivem Vergleich mit den Konkurrenz-Präsentationen, entschieden das Management und die verantwortlichen Fachabteilungen einstimmig, der Agentur „Wunderbar“ den Zuschlag für den Millionen-Etat, zur Optimierung der Geschäftsprozesse und internen Kommunikationswege, zu erteilen.
In der Begründung wurde besonders das professionelle Risiko-Management als ausschlaggebender Entscheidungsgrund hervorgehoben.
 



 
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