Alligatoren und Zupfkuchen

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Mazirian

Mitglied
Alligatoren und Zupfkuchen

Zum ersten Mal an diesem Abend ergriff nun der alte Dunkelwolkenprospektor das Wort. Er nahm noch einen tüchtigen Schluck aus seinem Krug, wischte sich bedächtig den Schaum von den Lippen und begann:
"Wisst Ihr Leute, dass erinnert mich doch sehr an die Geschichte, die ich seinerzeit auf Gurkmor erlebt habe. Ist jetzt dreißig Jahre her aber ich weiß es noch wie heut.
Damals waren wir mit der Aphrodite im Schweineschwanznebel unterwegs - allen möglichen Krimskrams einsammeln, der aus den Wurmlöchern dort quillt. Wir waren zu dritt an Bord: Günni Westenhoff, Zwei-Kometen-Bob und ich - und natürlich Winston, Günnis alter Bassetrüde, der die Ratten auf den Frachtdecks in Schach halten sollte.
Wie wir so mittendrin waren und schon eine Menge brauchbarer Sachen gefunden hatten, bekamen wir unverhofft einen Lichtspruch vom Flottenkommando rein, dass wir uns so schnell wie möglich auf den Weg zum Glühwürmchen-Haufen machen sollten. Eine von unseren Spähsonden hatte dort einen Planeten entdeckt, der noch niemandem gehörte - außer den Eingeborenen natürlich. Und wir sollten uns beeilen, denn wie's aussah hatte eine Spähsonde der Zlyhrks den Brocken ebenfalls entdeckt und eine Zlyhrk-Delegation war bereits dorthin unterwegs. Wir waren mit der Aphrodite das Föderations-Schiff, das am nächsten dran war, und damit auch die Einzigen, die den Planeten noch vor den Zlyhrks erreichen und Verträge mit den Eingeborenen abschließen konnten.
Günni, unser Astrogator, hatte zwar keine Lust weil wir abends noch bei seiner Schwester auf Kokabango eingeladen waren. Es war nämlich Ostersonntag und sie hatte extra einen Zupfkuchen für uns gebacken. Der würde nun natürlich trocken werden. Zupfkuchen taugt aber nur etwas, wenn er ganz, ganz frisch ist ... naja, aber wenn die Föderation ruft ...
Günni reißt also das Steuer herum und zielt mit der Bugantenne Richtung Gurkmor, wie der Planet später genannt wurde. Und ab geht's, was die Hadronen-Konverter hergeben.
Eine halbe Stunde später sind wir da. Günni hält sich nicht lange damit auf, in einen Orbit zu gehen. Bob hat nämlich schon längst ein Dorf der Eingeborenen ausgemacht und Günni setzt die Aphrodite punktgenau daneben - Rrrrrummmsssss! - wie der Cowboy das Glas auf die Theke! Keine zweihundert Meter weg von den Strohhütten.
Flink wie die Affen sind wir aus der Schleuse raus, und hol mich der Teufel - da stehen schon die ersten Jungs von der Heimmannschaft vor unserem Schiff und starren uns an. Sehen ein bisschen aus wie Alligatoren auf zwei Beinen: schuppig wie Bobs alte Haarbürste, mit langen breiten Schnauzen, spitzen Zähnen und muskulösen Schwänzen, mit denen sie wahrscheinlich einen Bernhardiner zu Brei schlagen können. Und Knüppel haben sie auch in ihren Pranken.
Jetzt erst merken wir, dass wir gar keine Übersetzungsgeräte dabei haben und wissen nicht recht, was wir sagen sollen. Hätte ja eh niemand verstanden, mein ich.
Bob setzt trotzdem sein gewinnendstes Lächeln auf, hebt die Hand und sagt:
"Hallo erstmal, alles klar bei euch?"
Aber das ist's wohl nicht, was sie hören wollen. Die Alligatorenbrüder werden kein bisschen lockerer. Im Gegenteil, plötzlich machen sie einen ziemlich unentspannten Eindruck und schieben sich langsam näher an uns ran. Klar, wir haben nicht erwartet, dass sie uns gleich um den Hals fallen, aber das hier sieht definitiv bedrohlich aus.
Da stehn wir nun - die Lage wird immer brenzliger, die Luft immer dicker und die Zähne von den Kerlen scheinbar immer länger. Aus den Augenwinkeln seh ich, wie Günnis Finger Richtung Blaster krabbeln - und Bob kaut seinen Kaugummi nur noch im Zeitlupentempo.
"Schieß nur in den Boden!" ruf ich Günni noch zu, doch im nächsten Moment bricht schon die Hölle los. Erdklumpen prasseln uns gegen die Köpfe und die Knüppelhiebe fallen hageldicht auf uns nieder. Jetzt wird's verdammt unlecker. Da hilft auch kein Blaster mehr - nur noch schnelle Flucht!
Mit knapper Not schaffen wir's wieder in die Schleuse und werfen die Tür hinter uns zu, während das ganze Schiff unter den Knüppelschlägen wie eine Glocke dröhnt. Wir müssen schnurstracks weg, wenn wir nicht wollen, dass sie uns die Landestützen abbeißen.
Günni wirft sich in den Pilotensitz und reißt die Aphrodite in den Himmel. Puh - gerade noch mal dem Teufel von der Schippe gesprungen! Minuten später ist Gurkmor nur noch ein kleines leuchtendes Pünktchen hinter unseren Heckdüsen.
So richtig zu uns kommen wir erst wieder, als wir abends bei Günnis Schwester sitzen, Zupfkuchen essen und alles noch mal durchsprechen.
"Also ich weiß nicht", sag ich zu Günni. "Wir haben denen doch rein gar nichts getan, worüber sie sich so hätten aufregen müssen."
Günni schüttelt hilflos den Kopf.
"Weiß Gott nicht. Wegen einem "Hallo" prügelt man jemanden doch nicht grün und blau", er dreht sich zu Bob um und fragt: "Oder hast du irgendeine Idee, was wir falsch gemacht haben könnten?"
"Nee", sagt Bob, legt die Füße auf den Tisch und schaut gedankenverloren auf seine Kroko-Boots. "Keine Ahnung was da schiefgelaufen ist."

(c) Achim Hildebrand 2003

schönen Gruß und frohe Ostern für alle

Achim
 

blaustrumpf

Mitglied
Hallo, Mazirian

Deine amüsante Geschichte hat mich beeindruckt . Sie ist wunderbar leicht und beiläufig erzählt, zeigt einen persönlichen Schreibstil, der sie weit über den leider viel zu verbreiteten Weltraummüll hinaushebt und vor lauter Gefallen am Text fällt mir just nix mehr ein, das ich noch loben könnte. So was aber auch!

Schönen Gruß vom blaustrumpf
 

Mazirian

Mitglied
Hallo Blaubestrumpfte,

das klingt ja ganz, als hättest du beim Lesen ebenso viel Spaß gehabt, wie ich beim Schreiben. Wunderbar, mehr kann man als Amateur nicht erreichen wollen. Da braucht's auch gar kein weiteres Lob mehr. Besonderen Dank aber für den "persönlichen Schreibstil". Auf so was reagier ich normalerweise mit dem Verteilen freier Wünsche. Ich freu mich wie ein Plätzchen!

Mit dem "Weltraummüll" hast du leider nur zu recht (wenn du auch die Weltraumwestern-Endlos-Serien meinst). Da sind schon seit langem nicht nur die Ideen sondern sogar die Schablonen ausgegangen. Bob Sheckley, bitte schreib doch wieder *seufz*...

zauberhafte[1] Grüße

Achim

[1] (Mazirian = bitterböser Magier aus Jack Vance' "Sterbende Erde")
 

Sparky

Mitglied
Hallo Mazirian,

total süße, flüßige Geschichte, die einen heiter lachen läßt.
Hat mich gefreut sie zu lesen.

Leichte Feder weiterhin
Sparky
 
systemmanipulierendes Unbeteiligtsein am System

Ja, so ungefähr meine ich das. Obwohl das auch anders beschreiben kann - gesellschaftlich integrierter Punk.
Ich sehe das so, die Geschichte handelt von Weltraumorganisationen, die auf Teufel komm raus neue Planeten assimilieren wollen und dabei in Konkurenz zueinander stehen(Gedankenstrich: wirtschaftlicher Eroberungsfeldzug - Gedankenstrich: Nahostpolitik).
Ja, das trägt schon irgendwie einen amoralisch müffelnden Grundgedanken in sich.

Aber zum Glück gibt es ja immer noch Leute, die sich dieser Amoralität entziehen -
WEGEN EINES ZUPFKUCHENS!

Gruss Marcus
 

Mazirian

Mitglied
Liebe Gabi,

freu mich, mal wieder von dir zu hören und danke dir für das charmant versteckte Lob.
Naja, zwischen Robert und mir liegen schon noch ein paar Lichtjahre. Wenn ich wüsste, dass er tatsächlich wegen mir nicht mehr schrübe, würd ich die Schreiberei glatt an den Nagel hängen.
Weißt du, ob er überhaupt noch lebt? Ich hab ewig nichts neues mehr von ihm gesehen.

liebe Grüße

Achim
 
E

Edgar Güttge

Gast
Anfang und Ende passen nicht zusammen

Hallo Mazirian,

am 24.12. lese ich einen Ostertext ... ?
Trotzdem hat er mir sehr gut gefallen.
Bis auf folgendes: Dein Text hat einen Knick. Am Anfang ergreift der Dunkelwolkenprospektor das Wort und erzählt eine Geschichte. "Wisst ihr Leute, ..." Wem? Uns nicht. Und dann "Das erinnert mich ..." Das ist zwar ein guter Wachrüttler, aber nach längerem Überlegen stört es mich: An was?
Dann wird die Geschichte indirekt erzählt. Nach einer Weile kommt wörtliche Rede und zum Schluss eine (übrigens wirklich sehr gute) Pointe. Anführungsstriche oben.
Ich habe eine Weile gebraucht, bis ich gemerkt hatte, was fehlt. .... Nämlich die zweiten Anführungsstriche oben. Die des Dunkelwolkenprospektors.
Ich weiß nicht, in welchen Zusammenhang die Erzählung gehört (ein Roman?), aber vielleicht wäre es besser, den Anfang umzustrukturieren und direkt in die Erzählung einzusteigen. Der Erzähler ist dann näher am Leser, und dadurch wird das Ganze spannender.
Dann fiel mir noch etwas auf: Die Knüppel kommen zu früh ins Spiel. Die hatten sie schon in der Hand, bevor sie die Schuhe gesehen haben. Vielleicht solltest du die Allis noch an einer Baustelle vorbeigehen lassen, wo sie sich die passenden Argumente aussuchen können.

Ansonsten wirklich gut: Humor, Wortwahl, Stil ...
Also dann schöne Feiertage!
Gruß
Edgar
 

poppins

Mitglied
Edgar schürft in den unendlichen Tiefen der LL-Foren nach literarischen Kleinodien ;)

Hallo Edgar - Jäger und Sammler der Leselupenklunkerchen ;):D:D

Und auch hallo Achim! ;)

Mir hat damals (... und heute) die Geschichte sehr gut gefallen, bis auf eine Kleinigkeit, die mir auch damals schon etwas den Genuss trübte ;):

Wieso haben die Alligatoraliens so agressiv auf den Anblick der Krokostiefel reagiert? Das fand ich unlogisch, schließlich hätten sie auch denken können "die haben so ähnliche Füsse wie wir, sind also Verwandschaft" (oh, oder HABEN sie das gedacht, und deshalb mit den Knüppeln...?*LOL*)
Und andererseits gibt es ja nahezu perfekte Nachahmungen von Krokoleder - so auf die Entfernung nicht zu erkennen, was echt, und was Imitat ist ...
 

Mazirian

Mitglied
Einwände oder was?

Hallo poppins, hallo Edgar

erstmal Entschuldigung, dass ich so lang nicht geantwortet habe. Und wenn ich noch jemanden beim frohes-neues-Jahr-wünschen vergessen habe, dann sei's hiermit nachgeholt.

Vielen Dank für Eure Kommentare und Hinweise, hab nach all der Zeit gar nicht mehr mit Reaktionen gerechnet.

Edgar hat zuerst geschrieben, also...

du hast natürlich recht, die Anführungsstriche fehlen. Hab ich einfach vergessen und werd's im Original ändern.
Mit dem Einstieg hast du eigentlich genauso recht, aber ich werd versuchen mich drumrum zu mogeln:
Die Geschichte entstand eigentlich als Spontanreaktion auf Kleist's "Anekdote aus dem letzten preußischen Kriege" und ist der Versuch etwas ähnlich Rasantes zuwege zu bringen. Deswegen der etwas atemlose Einstieg. Es ist ein kurzes Schlaglicht auf eine angeheiterte Runde alter Raumfahrer die auf irgendeinem verlorenen Außenposten in der Kneipe sitzen und sich alte Geschichte erzählen. Daher hab ich den Bezug auf den Vorredner weggelassen, weil dessen Geschichte natürlich nichts mit der des Prospektors zu tun hat sondern vielleicht nur als Gelegenheit dient, das Wort zu ergreifen ("Zum erstenmal an diesem Abend..."). Das Ambiente hätte ich vielleicht doch mit ein paar kurzen Worten umreißen sollen, aber... die Geschichte gehört zwar nicht zu einem Roman aber zu einem "Zukunftsentwurf" der mir leider so geläufig ist, dass ich auch das vergessen hab.
Zu den Knüppeln: Es sind ja recht Primitive diese Alligatoren-Aliens. Ich fand es normal, dass man den Knüppel sicherheitshalber gleich mitnimmt, wenn irgendwo innerhalb der Gemeindegrenze jemand Fremdes auftaucht. Wie man sieht rentiert es sich...;)

Und Poppins:

bezgl. der Knüppel siehe oben. Wg. der Stiefel... naja, als Primitive (s.o.) sind sie mit Lederimitaten natürlich nicht so vertraut, das würden sie nicht wohlwollend vermuten können.
Dass sie die Stiefel für angewachsen halten, find ich auch eher unwahrscheinlich, das würde zumindest voraussetzen, dass sie stiefelförmige Füße haben (vorne spitz mit hohen Hacken... nee ne? Stell dir vor du gehst zu den Irokesen und hast einen Irokesenskalp am Gürtel - würden die denken, dass dir Irokesenhaare aus dem Bauch wachsen? Siehst du!
Schade, ich hätte dir so gern irgendwo recht gegeben ;). Aber trotzdem ganz herzlichen Dank für deine Anmerkungen. Hat Spaß gemacht drüber nachzudenken.

liebe Grüße

Achim
 

poppins

Mitglied
Hallo Achim,

na ja - irgendwie hakt dein Vergleich mit dem Irokesenskalp doch ziemlich ;) ... wenn ich mir den als Perücke aufsetzen würde, käme es so in etwa hin - und dann würden die Irokesen mich womöglich in den Stamm aufnehmen :D:D ...
 

Mazirian

Mitglied
...und wegen des strengen irokesischen Matriarchats muss ich dir auch endlich ergebenst recht geben...:D

Gruß

Conayoharodonawatha ("Der dem kein Haar aus dem Bauch wächst")
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
hm,

einfach super. ein echter leckerbissen. und wie genau die außerirdischen ihre irdischen verwandten erkannten!
die geschichte bekommt einen ehrenplatz in meiner sammlung "Lupengold"!
ganz lieb grüßt
 



 
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