Am 24.

4,00 Stern(e) 1 Stimme

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
Am 24. Mai
im Jahre 2003
in den Spreewald nei

Gefreut auf die Fahrt hatte ich mich das ganze Jahr. Eine Woche lang überlegte ich, was ich anziehe! Dann war es klar: der blaue Hosenanzug muss es sein. Er hatte ein halbes Jahr im Schrank gelegen, musste also gebügelt werden. Ich mit hopsassa und trallalla an den Kleiderschrank, das gute Stück gegriffen, das Plättbrett aufgebaut und los gings. Das Bügeleisen glitt über die Hosenbeine, meine Gedanken waren teils bei dem Lied, welches ich gerade sang, teils bei der Fernsehsendung, die gerade lief.
Als ich mit der Hose fertig war, sollte das Oberteil dran kommen, aber es war nicht da. Ich also wieder rüber an den Kleiderschrank und gesucht und gesucht, den ganzen Schrank umgekrempelt, nichts gefunden. Hatte ich etwa in sinnloser Aufräumwut das mit breiter Häkelborte versehene Teil weggeworfen? Nachdem ich kürzlich in ähnlicher Wut meinen Mietvertrag entsorgt hatte, wunderte ich mich ja schon über gar nichts mehr, aber bitter war der Verlust doch.
Im Kleiderschrank stand schon seit Jahren eine Tüte mit Kleidern, die mir mein Töchterlein kürzen sollte. Ich dachte mir: Du bist ja in letzter Zeit so furchtbar dick geworden, sieh doch mal nach, ob dir die Dinger nicht inzwischen zu eng geworden sind, dann haste wieder was zum Wegwerfen. Aber – o Wunder – die Kleider waren mir nicht nur nicht zu eng, sondern jetzt auch nicht mehr zu lang! Halbwegs getröstet ging ich in die andere Stube, um das Bügeleisen abzuschalten. Und was seh ich da unter dem Plättbrett an der Erde liegen? Das gesuchte Oberteil! Morgen suche ich mal spaßeshalber nach einem Fünfzig Euro Schein . . .
Ganz pünktlich begab ich mich am anderen Morgen vor die Haustür, wo ich schon von Svalin mit PKW erwartet wurde. Wir sammelten Sanna und Paedag in der Prenzlauer Allee auf, dann ging es bei strahlendem Sonnenschein nach Zenner. Dort stand schon Ralph Ronneberger mit seinem dicken Auto. Wenige Minuten später kamen Renee Hawk, Stefan, Vicell und Maclyn von der S-Bahn. Nun warteten wir nur noch auf Ole, Borax und Nicole. Da haben wir aber gewartet! Ole verspätete sich, weil er am dichtesten dran wohnt, und die beiden Jugendlichen wussten nicht, wo Zenner ist. Aber dann hatten wir endlich alle beisammen und die Fahrt ging weiter in Richtung Spreewald.
Ich erzählte, dass wir im vorigen Jahr einen Staker hatten, der mit Familiennamen Äfer und mit Vornamen Mike hieß. Dauerte ne Weile, aber dann lachten sie doch. Nun sollte ich den Vornamen vom Reh erraten. Ich schlug „Hu“ vor, aber das war falsch. Es heißt Kartoffelpü. Erbspü geht auch, ist die kleine Schwester vom Reh. Was, Püree wird nicht mit h geschrieben? Also, spielt das jetzt vielleicht ne Rolle?
Paedag stellte die Preisfrage: „Du kommst in ein dunkles, kaltes Zimmer und hast nur ein einziges Zündholz. In dem Zimmer gibt es einen Kamin, eine Kerze und eine Petroleumlampe. Was machst du als erstes an?“ Jeder sagte sofort: „Die Kerze, denn mit der Kerze kann man die beiden anderen anmachen.“ Das war daneben, weil man zum Entzünden der Kerze erst Mal das Streichholz in Brand setzt.
Unter diesen und anderen Scherzreden waren wir bald bei Ralphs Arbeitsstelle angelangt, wo Christine neben Ralph ins Auto stieg. Nun ging es weiter nach Alt-Zauche, von wo diesmal unser Kahn ablegte. Es sollte durch den Hochwald gehen und wir waren schon sehr gespannt auf die für uns neue Ecke des Spreewalds. Da es unterwegs keine Einkehrmöglichkeit geben würde, setzten sich die Hungrigen unter uns in das zur Anlegestelle gehörende Gartenlokal und verdrückten die mitgebrachten Stullen, Bouletten und Eier. Nur ich hatte nichts in der Tasche und kaufte eine Bockwurst nebst köstlicher Schmalzstulle.
Das Einsteigen in den Kahn war wieder Mal eine ausgesprochene Plage für mich. Mein rechtes Bein wollte einfach nicht auf die Planken! Ich musste ihm eine Weile gut zureden, dann ging es.
Unterwegs kam der Staker – wie in jedem Jahr – kaum zu Wort. Dabei hatte Ralph uns doch extra darauf hingewiesen, dass die Staker die Pflicht und den Ehrgeiz haben, etwas zur Landschaft usw zu sagen!
Wir waren kaum einen Meter vom Steg weg, da kam schon der running-Gag vom vorigen Jahr: „Nicht schaukeln, Kinder!“ Natürlich musste die dazu gehörige Geschichte erzählt werden. Der Staker Mike Äfer hatte gleich zu Beginn seiner Tätigkeit eine Schulklasse durch den Spreewald zu schieben. Er war sich des Kahnes so sicher und baute auch auf die Vernunft der Teenager, so dass er ihnen das Schaukeln erlaubte. Natürlich brachten sie den Kahn zum Kentern. Von nun an sagte er auf jeder Fahrt: „Nicht schaukeln, Kinder!“, egal, wie alt seine Fahrgäste sind.
Kurz nach der Anlegestelle war das Fließ so breit, dass Frösche sich hier sehr wohl fühlten, das merkten wir an dem ohrenbetäubenden Konzert, welches sie veranstalteten. Wir mühten uns vergebens, die kleinen Radaubrüder zu entdecken.
Der Hochwald ist Naturschutzgebiet und wir genossen die himmlische Ruhe darin. Einziges Geräusch waren die Vogelstimmen. Aus dem einen Baum schallte es „Tschiiiep, tschiiep, tschiep!“ aus dem anderen quäkte es darauf „Wegwegweg!“ Fehlte nur noch, dass der Staker sagt: „Ja doch, ich beeil mich ja schon!“
Natürlich sahen wir wieder viele unterschiedliche Libellen. Wie in den Vorjahren hielten sie uns für Blumen und setzten sich auf uns. Ich habe ja meine Freude daran, aber Nicole und Borax zogen sich ängstlich zusammen, sie mögen keine Insekten und ganz besonders keine Spinnen. Wenn wir so dicht am Ufer vorbeifuhren, dass die Pflanzen uns streichelten, dann rückten die beiden in die Kahnmitte, es könnten ja Spinnen in den Pflanzen sein!
Mit der Fauna sah es diesmal nicht so üppig aus. Beeindruckend waren nur die Schachtelhalme und die Wasserlilien. Die Seerosen hatten schon dicke Knospen, aber bis zu ihrem Erblühen dürften wohl noch ein paar Tage vergehen.
An größeren Tieren erblickten wir nur eine kleine Schafherde und eine ebenso kleine Kuhherde. Was will man da auch von einem dicht stehenden Hochwald anderes erwarten?
Beeindruckend waren auch die dünnen Holzbrücken, die hier die Fließe überspannten. Unter dem einen Spaziergänger drückte sich die Latte so stark durch, dass wir schon dachten, der Mann liegt gleich im Wasser.
Maclyn stimmte etliche englische Songs an. Leider fielen die anderen nicht in den Gesang ein, teils aus Unkenntnis der Texte, teils, weil sie gerade bei anderen Themen waren.
Z.B. bei der Bedeutung der BH-Größen. A – Anfänger, B – besser, C – charmant, D – doll!, E – enorm!, F – Fantastisch!, G – grandios!, H – horrend, I – ideal, J - . . . so schnell fiel niemandem etwas ein. Da sagte Christine: „Jetzt ist jenuch!“ und das Thema war abgehakt. Keiner wies die Scherzkekse darauf hin, dass es auch doppel D und anderes gibt.
Sie unterhielten sich lieber über das sonderbare Wort Erektion. „Woher kommt das nur?“ fragte man sich ganz besorgt. Ich platzte heraus: „Erektion kommt von Erika, das ist doch klar.“ Man stimmte mir zu, denn eine Sabinition gibt es nicht, eine Nicition auch nicht, und wenn, dann hätte es was mit Nikotin zu tun. Kaum ein anderer Mädchenname passte zu Erektion, nicht Mal Christa. Es gibt zwar eine Kristallisation, aber da ist das Reizwort „Stall“ enthalten, und das ist ja ziemlich anrüchig, oder?
Irgendwann wollte jemand von der hintersten Bank etwas von Sanna haben, die mit Paedag unsere Galionsfigur bildete. Ole sagte: „Da gehste aber außen rum und springst hier nicht von Tisch zu Tisch, verstanden!“ Natürlich wurde das Gewünschte durchgereicht.
Auf den Tischen standen Körbchen mit kleinen Likörfläschchen. War lustig anzusehen, deshalb hat auch keiner etwas davon genommen.
Das Aussteigen ging leichter. Ich reichte dem Staker beide Hände und schwupp! war ich an Land. Der Mann, der unseren Kahn festband, wies zwar an, dass nur die Männer am Steg aussteigen dürfen, die Frauen aber die andere Seite zu nehmen haben; darüber lachten wir nur aus Höflichkeit.
In dem Ausflugslokal an der Anlegestelle fand an diesem Tag ein Volksfest statt. Auf einer kleinen Bühne sang ein junger Mann Tanzlieder. Er wurde von einem Akkordeon begleitet. Vor der Bühne saßen zwei Frauen in Spreewäldertracht und spannen. Richtig mittelalterlich mit Spinnrad!
Vor der Bühne war eine Tanzfläche und zwei Frauen tanzten, eine davon ebenfalls in Spreewäldertracht. Sie gehörte vielleicht zu den Musikern und hatte die Aufgabe, die Leute einzutanzen. Wir kamen gerade zurecht zum vorletzten Tanz. Paedag schien gleich loslegen zu wollen, aber er fand keine Partnerin unter uns.
Dann suchten wir unsere Fahrzeuge. Wir konnten uns nicht ins Auto setzen. Es hatte zwar unter einem Baum gestanden, aber dennoch zu viel Sonne abbekommen. Es war derart aufgeheizt, dass wir uns wie auf einer Bratpfanne fühlten. Wir ließen den Wind durch das Auto wehen, nahmen dann allen Mut zusammen und fuhren schwitzend zu Ralphs trautem Heim.
Als wir alle auf der Veranda platz genommen hatten, sagte Ralph: „Wenn jetzt ein Indianer vorbeikäme, der würde euch alle als seine Brüder und Schwestern umarmen.“ Tatsächlich hatten wir das Aussehen von Rothäuten. Selbst bei mir ist ein klein wenig Sonnenbräune haften geblieben!
Christine verteilte kühle Getränke und Ralph nahm den Grill in Betrieb. Es gab herrliche Grillwürste aus Sachsen, zartes Fleisch und gegrilltes Toastbrot. Dazu noch leckeren Kartoffelsalat, einen Gemüsesalat, Baguette mit Kräuterbutter und Kuchen für die Süßschnäbel. Ich dachte: „Himmel, wer soll denn das alles essen?“ und dann blieb doch nur ganz wenig übrig.
Da die Terrasse nicht unendlich ist, konnten Nicole und Borax nur an einem kleinen Nebentisch Platz finden. Sie wurden verglichen mit den beiden Alten aus der Muppetshow, die von ihrer Loge aus das Geschehen kommentieren. Nach dem Essen setzten sie sich zu uns.
Es wurden mehrere Kannen Kaffee gekocht. Einige von uns können ja ohne das schwarze Gebräu nicht leben. Wir redeten über Gott und die Welt, sogar über Politik. Obwohl wir dreizehn Personen waren, gab es keinen Streit. Ist bei uns auch kaum denkbar, dafür sind wir viel zu gerne Komiker.
Erst beim Schein der Abendsonne begannen wir, unsere Schreibaufgaben - Geschichten vorzulesen. Diesmal konnten wir uns auf kein bestimmtes Thema einigen. Zur Debatte standen: Gänseblümchen, Krümel, Venezianische Maske, Vorwort für unsere Anthologie und Abendsonne. Letzteres hatte ich überhört, aber zu allen andern hatte ich eine kleine Geschichte verbrochen. Renee schrieb etwas zum Thema Abendsonne und Vicell auch. Maclyn hatte eine Geschichte zum Thema „Venezianische Maske“, Borax las ein Gänseblümchen und eine Venezianische Maske vor, die dann, wie er freudestrahlend gestand, von Nicole stammten.
Nicole möchte jetzt auch gern Leselupen-Mitglied werden, das geht aber nur von Borax PC aus, weil sie selber keinen besitzt. Nun denken die Admins, dass Borax sich nur mit einem Avatar anmelden will, das stimmt aber nicht. Es handelt sich wirklich um ein neues Mitglied, was anhand der Texte auch bald klar werden würde, Nicole hat einen ganz andern Stil als Borax. Viel lyrischer und anmutiger, eben recht fraulich, wohingegen Borax keinen Zweifel an seiner Männlichkeit lässt.
Dann brachte er noch ein Vorwort und einen Krümel zu Gehör und reichte vom vergangenen Monat eine tolle Geschichte zum Thema „Relativitätstheorie“ nach. Zum Schreien! Also, wer das hier liest, gleich mal bei „Humor und Satire“ reinschauen.
Ole neckte mich, nachdem ich mein Vorwort vorgelesen hatte: „Also, wenn ich gewusst hätte, dass ein Vorwort so kurz sein kann, dann hätte ich auch eins geschrieben.“
Ralph suchte aus seinem DDR-Roman-Projekt ein Kapitel heraus, wo von Brotkrümeln die Rede war, so hatte er auch etwas zu diesem Thema.
Paedag hatte auch ein Vorwort vorbereitet.
Ich hatte als kleine Zugabe wieder eine Oma-Geschichte verbrochen, „Oma erlebt Ungarn“, wobei das Erleben keineswegs aus einem Besuch in Ungarn besteht.
Alles in allem war es ein wunderschöner Tag und ein vergnüglicher Abend. Erst nach Mitternacht dachten wir langsam an unsere Betten. Auf der Heimfahrt fragte Borax, was es denn wohl damit auf sich habe, diese Redensart, dass nie dreizehn zusammen sein können ohne Mord und Totschlag? Ich antwortete müde, dass Jesus und seine zwölf Jünger ja auch dreizehn Personen waren, und von dem Ärger, den es damals gab, kriegen wir eben heute noch was ab.
Ganze sieben Mückenstiche habe ich verpasst bekommen. Fünf davon durch die Kleidung hindurch. Diesmal werde ich sie nicht ein halbes Jahr lang kratzend pflegen!
Als ich mich zum Schlafen niederlegte, hatte ich immer noch das Gefühl, auf dem Kahn zu sitzen, denn das Bett bewegte sich auf und ab, auf und ab, herrlich, dieses Schaukeln, wenn man weiß, dass man im trocknen Zimmer ist!
 

Violetta

Mitglied
Hallo oldicke!

Das habe ich jetzt mit viel Vergnügen gelesen! Und im Nachhinein das Gefühl, als hättest Du es mir gemütlich bei einem Glas Rotwein erzählt. Schön! (Und amüsant auch, im Übrigen.)
Bin mir nur nicht ganz sicher, ob die Geschichte in der Rubrik "Tagebuch" nicht besser aufgehoben wäre!?

Liebe Grüße aus Wien
Violetta
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
hm,

vielen dank fürs lesen und begutachten. sicher ist es eher ein tagebuchtext. aber wer liest denn da?
ganz lieb grüßt
 



 
Oben Unten