Am Angelfall

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die jutta

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Liebe Freundin!

Vom Orinoco willst Du hören, vom Angelfall? Ach. Zum Orinoco reichte die Zeit nicht, ebenso nicht für Caracas. Denn Manuels Freund Antonio, den ich immer mitnehme auf unsere Reisen, lebt inzwischen in La Paz und mußte von dort nach aus Margarita. Da er seinen Anschlußflug verpaßte und zwei Tage in einem einsamen Hotel in was weiß ich wo in Bolivien verbringen mußte, waren wir einmal vergeblich am Flughafen, um ihn abzuholen, einmal mit Erfolg. Jedenfalls blieben uns nur ein paar Tage für unsere Ausflüge. Keine Piranhas gejagt, keine Fahrt mit dem Einbaum. Aber wird noch, wird noch. Tja, der Angelfall … Ich hatte Angst vor diesem Ausflug schon von dem Tag an, an dem ich die Reise gebucht hattee, bin aber eigentlich nur deshalb nach Margarita gefahren (und weil es noch preiswert ist, wenig Tourismus – Hotel all inclusive. Piña Colada schmeckte nicht, dafür aber Cuba libre, gut gegen jede Art von Infektion, Medizin gar, alle Magenschmerzen und Bauchschmerzen bekämpft mit Cola mit Rum, um es auf gut Deutsch zu sagen).

Ach, schon wieder ach. Ich war mit drei hübschen jungen Männern unterwegs, ein anderer Freund von Manuel war auch mitgekommen. Das hat Spaß gemacht. Im Hotel nette Leute kennengelernt. Alles Weltenbummler, außer die, die unbedingt Schweinebraten mit Sauerkraut essen wollten und enttäuscht waren, weil es das nicht gab. Die fahren nächstesmal wieder in den Harz oder so. Nichts gegen den Harz, ich mag ihn sehr.

Zurück zum Angelfall. Angst gehabt, noch Angst gehabt, als ich in der 767 saß und nach Venezuela flog. Der Flug zum Angelfall sollte mit einer Cessna stattfinden, ach herrjeh, wo die Dinger doch immer abstürzen. Zuhause aber noch Karten gelegt, da stand nichts drin von Absturz. Ein längerer Marsch durch die Savanne und den Dschungel war geplant, und das ich, unsportlich wie ich bin, aber Tour de France schaue ich im Fernsehen und jedes Abfahrtsrennen und Skispringen und alle Arten von Wintersport – da sehne ich mich ja fast schon wieder nach dem Winter –. Und was ist, wenn man zwischendurch aufs Klo muß? Also auf Margarita gewesen, für uns vier den Ausflug gebucht. Unter einem Wasserfall sollten wir entlanggehen, sollten vorher einen Bikini anziehen. Ich im Bikini. Im Badeanzug genauso unglücklich.
Kurz vor sechs Uhr morgens an diesem denkwürdigen Tag schmiß ich die Jungs aus dem Bett, es gab keinen Kaffee im Hotel, nichts zu essen. Zum Flughafen gefahren, eingecheckt bei einem richtigen Abenteurer, ein älterer Herr, aber gestählt von Wind und Wetter und Sonne. "Wir fliegen mit einer Dakota aus dem Jahr 1936", verkündete er fröhlich. Ich das Manuel erzählt "Da kriege ich Panik, ich schlafe die ganze Zeit", er erklärt. Auf dem Rollfeld gestanden, die Maschinen angeschaut, die dort herumstanden, war doch nur ein Scherz, dachten wir, die annehmbaren Flugzeuge flogen alle ab, übrig blieb nur ein vorsintflutlicher Kasten.
Wir stiegen ein, machten vorher ein Abschiedsfoto für die Nachwelt von uns, am Propeller war eine Schraube locker, starrten (fast) unentwegt auf die lose Schraube, stürzten nicht ab. Wurden keine Engel. Sah den Orinoco wenigstens von oben, nach drei Stunden Flug endlich die Tafelberge. Da sind Turbulenzen, hatte im Reiseführer gestanden, sind da wirklich Turbulenzen, hatte ich die nette Dame gefragt, bei der ich gebucht hatte. Ach was, ist nicht schlimm, hatte sie gemeint.
Um den Angelfall zu sehen, mußten wir durch Schluchten fliegen (deshalb auch die kleine Maschine), und rauf ging es und runter. Herrlich war’s. Dem Torsten wurde schlecht, war überhaupt das erste Mal im Leben geflogen, gab aber keine Toilette im Flugzeug. Tüte reichte. Und dann sahen wir den Fall, alles rannte auf die rechte Seite im Flugzeug, wenn’s ein Schiff gewesen wäre, wären wir gekentert. Meistens sieht man ihn nämlich nicht, weil er in den Wolken ist, oder weil er zu wenig Wasser führt. Ein schmales Wässerchen ist es, das einen Kilometer tief von einem Tafelberg stürzt. Ergriffen war ich, mußte schlucken, ich, ja ich, sah ihn mit meinen eigenen Augen, hatte nicht im letzten Augenblick den Ausflug abgesagt.
Auf einer Dschungelpiste landeten wir, unsere Sachen wurden auf einen Laster geladen, erst hieß es, Indianer würden unsere Sachen tragen, das fand Manuel ganz schlimm, war aber nicht so, mußten sie nicht ausbeuten. Erstmal machten wir eine Einbaumfahrt (also wenigsten dort ein Einbaum) auf einer Lagune, marschierten ein bißchen, standen vor dem schönsten See, den ich je gesehen habe, stürzten uns in das Wasser, ein klares Wasser, du ahnst es nicht, so mitten im tiefsten Venezuela an der Grenze zu Brasilien und Guyana, ich mit Shorts und T-Shirt, meine drei Jungs schwammen auf die andere Seite des Sees, waren nicht mehr gesehen. Unser Führer (dieser Wind-Wasser-Sturm-Sonne-Gestählte in einem entzückenden Badehöschen) scheuchte uns weiter, ich schnappte mir drei Rucksäcke, drei Paar stinkende Turnschuhe und kraxelte über Stock und Stein entlang des Sees, aber da es ja nette Menschen gibt, ein Frankfurter war es in diesem Fall, nahm er mir ein Teil der Sachen ab, und dann ging es hinter dem Wasserfall entlang, aber ich suchte doch noch immer meine Jungs, und dann sah ich Manuel, und ich stand in dem Augenblick genau dort, wo der Wasserfall über die Klippe donnerte, und ich wurde nochmal pitschnaß. Hatte aber meine Jungs wieder, ach, war ich glücklich.
Eine Landschaft, man kann sie nicht beschreiben, selbst im Reiseführer steht, daß man sie nicht beschreiben kann. Immer wieder Wasserfälle und hin und wieder eine giftige Ameise oder eine Orchidee. Und wir hatten doch die ganze Zeit kaum was gegessen und nur eine Cola getrunken. Aber das machte nichts, die Landschaft war so eindrucksvoll.
Schließlich kamen wir zu einer Lodge, und es gab Hühnchen und Kartoffelsalat (muß man sich mal vorstellen, mitten in der Pampa), soviel man wollte, und Cola, soviel man wollte, und glaube mir, selten hat mir etwas so gut geschmeckt (na ja, bei dem Essen, das Du gibst, wär ich ja wirklich gerne gewesen, schon alles Drumherum, der Milò, die Bibel, meine Güte, was kennst Du Leute, da würde ich mich ja gar nicht trauen, Dir mein bescheidenes Heim zu zeigen), aber zurück, Hühnchen satt, Cola satt, Kartoffelsalt satt, ein Papagei, nein, nicht satt. Na gut, wieder zurück zur Dakota, auf die lockere Schraube gestarrt, kurz vor dem karibischen Meer in Luftlöcher geraten. In die Hotelanlage gefahren, Cuba libre getrunken. Glücklich gewesen. Habe es doch geschafft. Nun schaffe ich alles, habe ich gedacht. Na ja, war vielleicht ein bißchen zu euphorisch.
Und nächstes Jahr? Mein Traum wäre mit den Jungs auf einer Südseeinsel, das hat was, aber wie kommt Antonio von La Paz dorthin, also etwas, was näher liegt, Afrika, ach Afrika. Obwohl, die karibischen Inseln sind so bunt, so sinnlich. Aber Afrika. Müßte wegen Antonios Fluges Westafrika sein. Südafrika vielleicht. Obwohl ich es mir viel zu europäisch vorstelle. Mitte August gibt es die neuen Reisekataloge, werde in Gedanken um die ganze Welt reisen, liebe Freundin, auch zu Dir.
 



 
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