Am Ende der endlosen Straße ist eine Kneipe

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Bunsy

Mitglied
Am Ende der endlosen Straße ist eine Kneipe

Als ich abstieg, den Schlüssel im Schloss umdrehte um das Lenkradschloss festzustellen, wurde mir erst bewusst, wie verdammt kalt es war. Ich war verkatert, aber nicht mehr als üblich und eigentlich sorge der Fahrtwind immer dafür, dass ich einigermaßen frisch an der Arbeit ankam. Heute war es irgendwie anders. Das mag vielleicht zum einen daran liegen, dass ich gestern Whiskey statt Bier getrunken habe, es könnte aber auch daran liegen, dass ich heute das erste mal einen anderen Job übernehmen sollte. Ich weiß es wirklich nicht. Noch vor fünf Stunden saß ich mit einem guten Glas Ranch Wood am Tresen einer eher drittklassigen Bar Kassels, und wenn ich drittklassig und Kassel in einem Satz nenne, dann war dieser Laden auch definitiv drittklassig. So wie der KSV. Ach nein, der ist viertklassig. Na dann eben viertklassig. Also ich saß eben in dieser viertklassigen Bar und trank mein Glas Ranch Wood, als eine Gruppe Mädels quietschend und kichernd die Tür aufschob und sich in der Ecke neben der Dartscheibe an den einzigen richtigen Tisch dieses Ladens setzen und weiter quietschte und kicherte.
An den Blicken der anderen am Tresen konnte man erkennen, dass es eher selten vorkam, dass sich solche hierher verirrten, aber scheinbar war der Pegel in der Gruppe Mädels erreicht, an dem sie nicht mehr bemerkten, dass sie eigentlich unerwünscht waren. Der Hipster, den sie seit Kurzem hier beschäftigen, wischte gerade ein Glas aus, als er wohl feststellte, dass die Mädels tatsächlich davon ausging er würde jetzt an ihren Tisch kommen und ihre Bestellung aufnehmen. Aber so ein charmanter Typ wie er war, stellte er das Glas zu den anderen und ging, während er mit dem Tuch seine Hände abtrocknete, zum Tisch und fing auch völlig befreit an zu quietschen und zu kichern und nahm die Wünsche der Damen entgegen.
Alle anderen die am Tresen saßen, wandten ihre Blicke wieder ab und gaben sich voll und ganz ihren Getränken hin, mit denen sie immer die besseren Gespräche führten. Und der Abend nahm seinen Lauf und das Quietschen und Kichern auch und ich dachte mir, das Problem mit der Geschichte der Menschheit ist, dass sie zu nichts führt als zum sicheren Tod des Individuums und das ist eine öde und widerliche Angelegenheit. Abfallbeseitigung. Aber mit dem nächsten Glas vergingen meine Depressionen und ich fand Interesse an den Damen und versuchte zu verstehen, über was sie redeten. Wie sie da saßen, so jung und frisch und aufgeweckt, und für eine Weile so sagenhaft dekorativ. Aber ich verstand kein Wort. Wieder nur Quietschen und Kichern und geschminkte Gesichter und Highheels in denen sich der große Zeh und der daneben, ich sage immer Zeigezeh, so widerlich durch die kleine Öffnung quetschten.
Und dann bot sich die Gelegenheit mich einzumischen, denn der einen ist ihre hässliche Glitzertasche von der Sitzbank gefallen und der gesamte Inhalt ergoss sich über den seit Wochen, vielleicht sogar seit Monaten nicht mehr gewischten Boden und ich sprang auf und half ihr das ganze Zeug, was die immer mit sich rumschleppen, aufzusammeln. Da war tatsächlich noch ein Fleck von Tills Blut, der vor ein paar Monaten eine Schlägerei anfing mit so einem Typen, wobei es um die Freundin von dem einen ging, die jetzt die Freundin von dem Anderen ist. Naja, auf jeden Fall war da noch ein Blutfleck unweit von dem Lipgloss oder was auch immer das war und ich musste kurz lachen, weil das war echt eine lustige Geschichte mit dem Blut und der Freundin von dem einen, die jetzt die Freundin von dem anderen ist oder vielleicht auch nicht mehr. Vielleicht sind hier noch mehr Blutflecken, und dieses mal die von dem Anderen der sich mit einem geprügelt hat der jetzt mit seiner Freundin zusammen ist. Vielleicht sollte ich mal den Hipster fragen, vielleicht weiß der was. Das sind immer die Geschichten die die Jungens am Tresen so lieben. Weiß auch nicht, wenn sie mal, was von ihren Gläsern aufschauen lässt, dann sind es Frauen oder Schlägereien und am besten noch alles zusammen. Das erzählen sie dann solange, bis wirklich jeder in der Kneipe die Geschichte kennt.
Na und ich fand mich dann auf einmal wieder zwischen den Mädels im Alter von 20, 21 und fühlte mich auf einmal wie Herr Lehmann, und zwar noch bevor seine Eltern ihn in Berlin besuchten. Aber eine von den Mädels schien sich für mich zu interessieren und ich war natürlich auch nicht abgeneigt, so mit Ende Zwanzig und schon gut einem sitzen. Dann war halt gute Miene zu bösem Spiel angesagt und ich ließ den Studenten raushängen, obwohl ich seit drei Semestern eigentlich nur noch eingeschrieben war um die Fahrkarte zu nutzen. Damit hätte die Dame in diesem Etablissement natürlich gar nicht gerechnet und zack gehörte ich dazu. Natürlich hatte ich nie Probleme meinen Charme spielen zu lassen und die Damen wussten auch nicht, dass ich eher dafür bekannt war Leute statt Berge zu versetzen, aber sie nahmen mir mein Spiel ab. So stand ich also kurze Zeit später mit der einen im Gang zu den Toiletten, gleich neben dem Zigarettenautomat und mit meiner Zunge in ihrem Hals. Sie stand an die Wand gelehnt mit ihrer Handtasche unterm Arm und ich wartete darauf das was passierte, denn ich hatte ja schließlich schon den Schritt gemacht und sie geküsst. Aber da konnte ich lange warten. Der Pegel war zwar hoch, aber irgendwo bestand da schon eine gewisse Skepsis, sich in so einer viertklassigen Bar abschleppen zu lassen oder sie war einfach zu jung und wusste nicht mit dem kratzenden Dreitagebart umzugehen. Auf jeden Fall verschwand sie auf der Toilette und sagte, sie käme gleich wieder, aber das tat sie natürlich nicht und nach ein paar Minuten setzte ich mich wieder an den Tresen und bestellte einen Ranch Wood und starrte auf mein Glas. So wie all die anderen Idioten, nur dass sie sich nicht auf so eine eingelassen haben, sondern wussten, dass es keinen Sinn hat, der Reiz aber natürlich da war. Und genau das ist das Problem, wenn solche Mädels in viertklassige Bars kommen. Denn da sitzen Typen, die nichts damit zu tun haben wollen oder zumindest jemanden haben, der zu Hause auf sie wartet und sie wissen um die Probleme mit solchen. Naja, ich bin neu in der Szene, da muss ich wohl auch durch. Nach einer Weile ging dann auch ein anderes Mädel von dem Tisch zur Toilette um nach ihr zu sehen und kam dann auch mit ihr wieder und ohne mich eines Blickes zu würdigen, verließen sie die Bar und nur der Hipster an der Theke bekam einen kleinen Zettel zugesteckt mit einer Telefonnummer. Und genau das ist das Problem mit solchen Typen hinterm Tresen, denn wenn der Typ von vor zwei Wochen noch da gestanden hätte, dann wären die gar nicht erst rein gekommen. Dieses Pack! Was wollen die überhaupt in solchen viertklassigen Kneipen?
Dann wusste ich also davon und würde nie wieder auf die Idee kommen den Lipgloss neben Tills Blutflecken aufzuheben oder den Blutflecken von dem Typ, der sich hier um irgendeine Frau geprügelt hat, nur um zu zeigen dass ich hier, von all den Jungens am Tresen noch der normalste war. Das Nächste mal würde ich einfach meinen Kopf senken und mein Whiskey anstarren und nichts sagen.
 

Wipfel

Mitglied
Sarkasmus, der mir da entgegenschlägt. Aber soetwas von. Ich lese den Text nun zum x. mal - und immer wieder bin ich hin und hergerissen. Gelungen ist, wie du den Ton das ganze Stück stringent durchziehst. Respekt. Aber gut? Liegt es am Thema? Ich geh nie in eine Bar...

Grüße von wipfel
 

Bunsy

Mitglied
Hi Wipfel!
Schön, dass sich mal jemand überwunden hat seine Meinung zu hinterlassen. Hin und her gerissen sein ist ja schon mal nicht schlecht :) Heißt ja immerhin, dass du dich damit auseinander setzt. Ja, der Ton ist Absicht. Ich fand es authentischer vor dem Hintergrund eben dieser Kneipengeschichte auch in einem Ton zu schreiben, der so klingt als ob sie auch von einem Typen erzählt wird der am Tresen einer viertklassigen kneipe seinen Ranch Wood trinkt. Kann mir auch vorstellen, dass so eine Lektüre nicht jeden anspricht, gerade wegen des Sarkasmus.

Viele Grüße
Bunsy
 

revilo

Mitglied
wow, was für ein toller Text.....lebendig, pfiffig geschrieben....hat ein bisschen was von BUK, allerdings ohne ihn zu imitieren....der Clou an der Geschichte ist, dass der Typ die Tussie NICHT gevögelt hat.....hast du noch mehr von solchen Stories auf Lager?

LG revilo
 

Ji Rina

Mitglied
Hallo Bunsy,

Mir hat Deine Geschichte gut gefallen. Es ist der Erzählton den Du nutzt der einen gewissen Sog auslöst; könnte mehrere solcher Geschichten hintereinander lesen.

P.S: Gefällt Dir die Bezeichnung "Frauen" oder "Mädchen" in diesem Text nicht besser als "Mädels"?

Gern gelesen!
Ji
 

Bunsy

Mitglied
Danke!

Hallo! Hallo!
Tut mir leid, dass ich jetzt erst antworte, bin hier nicht so oft online.
Vielen Dank für das Lob. Freut mich wenn meine Stories jemandem gefallen. Würde mich aber natürlich trotzdem über jegliche weitere Kritik freuen.
@revilo Lade gleich noch einen Text hoch den ich in den Tiefen meiner Festplatte wiedergefunden habe. Leider fehlt mir in letzter Zeit etwas die Ruhe um neuere Texte zu schreiben, da ich sehr beschäftigt bin mit studieren. Kommen aber bestimmt auch wieder andere Zeiten :)

Viele Grüße
Busy
 

Bunsy

Mitglied
Am Ende der endlosen Straße ist eine Kneipe

Als ich abstieg, den Schlüssel im Schloss umdrehte um das Lenkradschloss festzustellen, wurde mir erst bewusst, wie verdammt kalt es war. Ich war verkatert, aber nicht mehr als üblich und eigentlich sorgte der Fahrtwind immer dafür, dass ich einigermaßen frisch an der Arbeit ankam. Heute war es irgendwie anders. Das mag vielleicht zum einen daran liegen, dass ich gestern Whiskey statt Bier getrunken habe, es könnte aber auch daran liegen, dass ich heute das erste mal einen anderen Job übernehmen sollte. Ich weiß es wirklich nicht. Noch vor fünf Stunden saß ich mit einem guten Glas Ranch Wood am Tresen einer eher drittklassigen Bar Kassels, und wenn ich drittklassig und Kassel in einem Satz nenne, dann war dieser Laden auch definitiv drittklassig. So wie der KSV. Ach nein, der ist viertklassig. Na dann eben viertklassig. Also ich saß eben in dieser viertklassigen Bar und trank mein Glas Ranch Wood, als eine Gruppe Mädels quietschend und kichernd die Tür aufschob und sich in der Ecke neben der Dartscheibe an den einzigen richtigen Tisch dieses Ladens setzen und weiter quietschte und kicherte.
An den Blicken der anderen am Tresen konnte man erkennen, dass es eher selten vorkam, dass sich solche hierher verirrten, aber scheinbar war der Pegel in der Gruppe Mädels erreicht, an dem sie nicht mehr bemerkten, dass sie eigentlich unerwünscht waren. Der Hipster, den sie seit Kurzem hier beschäftigen, wischte gerade ein Glas aus, als er wohl feststellte, dass die Mädels tatsächlich davon ausging er würde jetzt an ihren Tisch kommen und ihre Bestellung aufnehmen. Aber so ein charmanter Typ wie er war, stellte er das Glas zu den anderen und ging, während er mit dem Tuch seine Hände abtrocknete, zum Tisch und fing auch völlig befreit an zu quietschen und zu kichern und nahm die Wünsche der Damen entgegen.
Alle anderen die am Tresen saßen, wandten ihre Blicke wieder ab und gaben sich voll und ganz ihren Getränken hin, mit denen sie immer die besseren Gespräche führten. Und der Abend nahm seinen Lauf und das Quietschen und Kichern auch und ich dachte mir, das Problem mit der Geschichte der Menschheit ist, dass sie zu nichts führt als zum sicheren Tod des Individuums und das ist eine öde und widerliche Angelegenheit. Abfallbeseitigung. Aber mit dem nächsten Glas vergingen meine Depressionen und ich fand Interesse an den Damen und versuchte zu verstehen, über was sie redeten. Wie sie da saßen, so jung und frisch und aufgeweckt, und für eine Weile so sagenhaft dekorativ. Aber ich verstand kein Wort. Wieder nur Quietschen und Kichern und geschminkte Gesichter und Highheels in denen sich der große Zeh und der daneben, ich sage immer Zeigezeh, so widerlich durch die kleine Öffnung quetschten.
Und dann bot sich die Gelegenheit mich einzumischen, denn der einen ist ihre hässliche Glitzertasche von der Sitzbank gefallen und der gesamte Inhalt ergoss sich über den seit Wochen, vielleicht sogar seit Monaten nicht mehr gewischten Boden und ich sprang auf und half ihr das ganze Zeug, was die immer mit sich rumschleppen, aufzusammeln. Da war tatsächlich noch ein Fleck von Tills Blut, der vor ein paar Monaten eine Schlägerei anfing mit so einem Typen, wobei es um die Freundin von dem einen ging, die jetzt die Freundin von dem Anderen ist. Naja, auf jeden Fall war da noch ein Blutfleck unweit von dem Lipgloss oder was auch immer das war und ich musste kurz lachen, weil das war echt eine lustige Geschichte mit dem Blut und der Freundin von dem einen, die jetzt die Freundin von dem anderen ist oder vielleicht auch nicht mehr. Vielleicht sind hier noch mehr Blutflecken, und dieses mal die von dem Anderen der sich mit einem geprügelt hat der jetzt mit seiner Freundin zusammen ist. Vielleicht sollte ich mal den Hipster fragen, vielleicht weiß der was. Das sind immer die Geschichten die die Jungens am Tresen so lieben. Weiß auch nicht, wenn sie mal, was von ihren Gläsern aufschauen lässt, dann sind es Frauen oder Schlägereien und am besten noch alles zusammen. Das erzählen sie dann solange, bis wirklich jeder in der Kneipe die Geschichte kennt.
Na und ich fand mich dann auf einmal wieder zwischen den Mädels im Alter von 20, 21 und fühlte mich auf einmal wie Herr Lehmann, und zwar noch bevor seine Eltern ihn in Berlin besuchten. Aber eine von den Mädels schien sich für mich zu interessieren und ich war natürlich auch nicht abgeneigt, so mit Ende Zwanzig und schon gut einem sitzen. Dann war halt gute Miene zu bösem Spiel angesagt und ich ließ den Studenten raushängen, obwohl ich seit drei Semestern eigentlich nur noch eingeschrieben war um die Fahrkarte zu nutzen. Damit hätte die Dame in diesem Etablissement natürlich gar nicht gerechnet und zack gehörte ich dazu. Natürlich hatte ich nie Probleme meinen Charme spielen zu lassen und die Damen wussten auch nicht, dass ich eher dafür bekannt war Leute statt Berge zu versetzen, aber sie nahmen mir mein Spiel ab. So stand ich also kurze Zeit später mit der einen im Gang zu den Toiletten, gleich neben dem Zigarettenautomat und mit meiner Zunge in ihrem Hals. Sie stand an die Wand gelehnt mit ihrer Handtasche unterm Arm und ich wartete darauf das was passierte, denn ich hatte ja schließlich schon den Schritt gemacht und sie geküsst. Aber da konnte ich lange warten. Der Pegel war zwar hoch, aber irgendwo bestand da schon eine gewisse Skepsis, sich in so einer viertklassigen Bar abschleppen zu lassen oder sie war einfach zu jung und wusste nicht mit dem kratzenden Dreitagebart umzugehen. Auf jeden Fall verschwand sie auf der Toilette und sagte, sie käme gleich wieder, aber das tat sie natürlich nicht und nach ein paar Minuten setzte ich mich wieder an den Tresen und bestellte einen Ranch Wood und starrte auf mein Glas. So wie all die anderen Idioten, nur dass sie sich nicht auf so eine eingelassen haben, sondern wussten, dass es keinen Sinn hat, der Reiz aber natürlich da war. Und genau das ist das Problem, wenn solche Mädels in viertklassige Bars kommen. Denn da sitzen Typen, die nichts damit zu tun haben wollen oder zumindest jemanden haben, der zu Hause auf sie wartet und sie wissen um die Probleme mit solchen. Naja, ich bin neu in der Szene, da muss ich wohl auch durch. Nach einer Weile ging dann auch ein anderes Mädel von dem Tisch zur Toilette um nach ihr zu sehen und kam dann auch mit ihr wieder und ohne mich eines Blickes zu würdigen, verließen sie die Bar und nur der Hipster an der Theke bekam einen kleinen Zettel zugesteckt mit einer Telefonnummer. Und genau das ist das Problem mit solchen Typen hinterm Tresen, denn wenn der Typ von vor zwei Wochen noch da gestanden hätte, dann wären die gar nicht erst rein gekommen. Dieses Pack! Was wollen die überhaupt in solchen viertklassigen Kneipen?
Dann wusste ich also davon und würde nie wieder auf die Idee kommen den Lipgloss neben Tills Blutflecken aufzuheben oder den Blutflecken von dem Typ, der sich hier um irgendeine Frau geprügelt hat, nur um zu zeigen dass ich hier, von all den Jungens am Tresen noch der normalste war. Das Nächste mal würde ich einfach meinen Kopf senken und mein Whiskey anstarren und nichts sagen.
 



 
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