Am Ende des Regenbogens

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Es war einer dieser schönen Sommerabende, wie ich sie liebe. Nicht zu heiß, nicht zu kalt und vor allen Dingen ohne Regen. Ich genoss es, mit meinem jungen Groenendael-Rüden einen Spaziergang durch unseren kleinen Park zu machen. An dem klaren Teich die Enten zu füttern und mich einfach nur umzusehen.
Wer teilte den Park mit uns beiden?
Wen kannten wir und mit wem konnten wir uns nett unterhalten?
Ich mit dem Zweibeiner und Rondo, mein treuer Gefährte, mit dem anderen Vierbeiner. Doch auch an diesem Abend sah ich nur den alten Mann, der mit seinem großen Mischlingshund auf der Bank saß. Er blickte auf das Wasser, beobachtete die Enten und schien seine Umwelt nicht wahr zu nehmen. Ebenso reagierte sein Hund. Er war schon alt – vielleicht in Hundejahren genauso alt wie der Mann, der wohl seine achtzig Sommer erlebt haben mochte. Diese zwei waren ein Gespann, die ich oft in diesem Park sah.
Es schien wie ein Ritual.
Der Mann stützte sich schwer auf seinen Stock und schlurfte über den Schotterweg – Abend für Abend. Stets begleitet von diesem lustig aussehenden Hund. Er schien nicht Schäferhund zu sein und auch nicht Boxer, Windhund oder Collie. Irgendwie vereinte er alle diese Rassen in sich. Doch sein Stolz hatte darunter nicht gelitten. Immer, wenn ich ihn sah, hielt er aufmerksam den Kopf erhoben und die kleinen, edel geschnittenen Ohren gespitzt. Sein Blick war neugierig und doch gleichzeitig wissend. Vieles mochte dieser Methusalem der Hunde schon erlebt haben.
Ebenso, wie der alte Mann. Schweigend saß er auf der Bank und beobachtete die Enten. Ab und zu glitt ein Lächeln über seine faltigen Züge. Die eine Hand umklammerte den Spazierstock, während die andere auf dem Kopf des großen Hundes lag, der geduldig neben ihm saß. Ich hatte den Alten noch nie reden gehört. Und im Laufe der vielen Wochen war meine Neugierde gewachsen. Langsam – zögernd, ging ich mit meinem Hund zu ihm. Er beachtete mich nicht, sondern sah in die Weite des Parks. Dabei spielte dieses undefinierbare Lächeln um seine Lippen. Fast schien es so, als sei er in einer anderen Welt. Vielleicht in der Vergangenheit. In einem Leben, welches ihm mehr geboten hatte, als das jetzige.
Unsicher setzte ich mich neben ihm auf die Bank. Er schien mich nicht zu bemerken. Wohl aber der große Hund, dessen dunkle Augen aufmerksam auf Rondo und mir ruhten. Der fremde Vierbeiner machte keine Anstalten, uns zu begrüßen – sah uns nur abschätzend und abwartend an.
Ebenso schweigend und abwartend verhielt ich mich. Aus den Augenwinkeln beobachtete ich den alten Herrn. Und irgendwann – überraschend – sprach er mit mir. Doch selbst bei diesen Worten schien er in einer anderen Welt zu sein. Er redete so, als würde er der untergehenden Sonne seine Geschichte erzählen. Oder vielleicht seinem treuen Hund, der ihn nun mit liebevollem Blick ansah und mit gespitzten Ohren seinen Worten lauschte.
Der alte Mann erzählte von früher – von seinen kleinen Haus und seiner geliebten Frau Martha. Wie sie das Essen liebevoll bereitete und sich um ihn sorgte und ihn liebte. Und er sprach von ihrem Tod vor einem Jahr – von seiner Einsamkeit und Angst danach. Er lebte nun alleine in diesem Haus, welches ihm mit jedem Tag größer und verlassener erschien. Der einzige, mit dem er sich unterhalten konnte, war sein Hund Tim.
Ich unterbrach den Alten nicht. Sicherlich lagen mir tausend Fragen auf der Zunge, doch ich spürte, dass es ihm gut tat zu reden. Und so ließ ich ihn.
Lange Zeit saßen wir an diesem Abend auf der Bank. Schweigend hörte ich seine Worte, die mittlerweile sein ganzes Leben vor meinem inneren Auge ablaufen ließen. Irgendwann seufzte er schwer auf und erhob sich. Sofort war der große Hund an seiner Seite. Der Alte ging ein paar Schritte, dann drehte er sich noch einmal um. Nachdenklich ruhte sein Blick auf mir.
„Ich danke Ihnen für die Zeit, die Sie sich für einen alten Mann und seine Geschichte genommen haben.“
Ich lächelte schweigend und nickte dankend. Ich weiß nicht, warum in diesem Augenblick kein Wort über meine Lippen drang. Dabei hätte ich so viel sagen können.
Jeden Abend ging ich nun in den Park. Ich wartete auf den Alten und seinen Hund. Doch immer blieb die Bank leer. Das leise Schlurfen über dem Schotter war verklungen.
Dann sprachen sie bei dem Bäcker von einem alten Mann. Die Polizei hatte ihn tot in seinem Haus aufgefunden. Neben seiner Leiche lag ein alter Hund. Den Kopf auf die Brust des Toten gebettet und leise weinend. Den alten Mann hatte man in die Leichenhalle gebracht – den Hund in das Tierheim.
Und dort fand ich Tim.
Seine dunklen, seelenvollen Augen blickten mich an und sein leises Fiepen drang mir bis ins Herz. Ohne zu zögern holte ich ihn zu mir. Seine letzten Wochen oder Monate durfte er nicht in einem Zwinger verbringen. Er sollte den weichen Boden unter seinen Pfoten spüren und die würzige Luft der Freiheit atmen können. All´ das konnte ich ihm geben.
Was ich an diesem Tag nicht sah oder verstand, war der Blick des Hundes. Tief, dunkel, sehnsuchtsvoll und in eine weite Ferne gerichtet. In eine Welt, eine Zeit, die längst schon vergangen. In ein Leben, welches hinter ihm lag – und in eine Zukunft: zusammen mit seinem geliebten Herrchen und seiner Frau.
So, wie es bei dem alten Mann war, der die Trauer um seine geliebte Frau im Herzen trug.
Ich begrub Tim wenige Tage später in meinem Garten.
Es war ein trauriger Augenblick. Doch ich weiß, dass er am Ende vom Regenbogen seine Menschen wiedergefunden hat.
Die Treue eines Hundes überwindet alle Grenzen!
 

bosbach46

Mitglied
hallo Imke,
Tränen haben für mich fast Seltenheitswert, aber deine Geschichte hat mich gerührt. Meine Gefühle wurden durch deinen Text auf der "siebten Sohle" erreicht, also ganz unten. Schön geschrieben. Gruß J.B.
 

Querdenker

Mitglied
Hallo Imke,

ein Lob hat bei mir Seltensheitwert. Die Geschichte ist Dir rundum gelungen. Du kannst erzählen wie ein Profi. Nur schiet, dass heutzutage die Moneten vor der Qualität rangieren.Wenn ich könnte, würde ich Dich bei einem Verlag unterbringen, aber leider, kein Schwein interessiert sich heute für Kurzgeschichten.Nur eines noch:Lass den letzten Satz weg,der ist völlig überflüssig und außerdem verbraucht.

Nette Grüße vom Querdenker
 



 
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