Am Fenster

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lester

Mitglied
Sie steht dort noch und wie an jedem Abend
gehn ihre Blicke zu dem Spiegelbild im Glas,
so sieht sie zu wie Tag um Tag um ihre Augen
die Welt verschwimmt.

Und nimmt nichts wahr, in ihr hat, was zu hoffen war,
der Tag in einen Schlaf gehüllt, der sich ihr naht,
wenn ihre Augen sie im Fenster sehn,
als wären diese ihre ganze Welt.

Erst mit dem Vorhang fällt der Blick,
sie sieht sich um, und sie erschrickt
vor dem Besuch, bis sie erkennt, wer
endlich kam und brachte ihr den Weg zurück.
 

Vera-Lena

Mitglied
vielfältig

Hallo lester,

ich denke diesen Text kann man vielfältig interpretieren. Es könnte so sein, dass diese Frau tatsächlich allmählich erblindet.
Es könnte aber auch sein, dass sie durch Erlebnisse in sich selbst eingeschlossen ist und nicht allein wieder herausfindet.
Der tröstliche Schluss gefällt mir sehr. Brauchen wir nicht immer jemanden, der das wahr nimmt, was wir gerade nicht sehen?

Liebe Grüsse Vera-Lena
 

lester

Mitglied
..Jongleur :) ..ja, 'in' wäre wohl richtiger...

Vera-Lena: danke für den Kommentar (in der Leselupe ist das nicht unbedingt selbstverständlich..)

Gruß
lester
 

lapismont

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo lester,

Deine Texte machen es einem auch wirklich nicht immer leicht, etwas zu ihnen zu schreiben, sie sind oft grazile Momente der Stille, an denen man nicht teilnimmt sondern nur von ferne lugt.

Das ist ein weiteres "Am Fenster" von Dir. Der Schluss mit dem Weg gefällt mir nicht, ist etwas spröde.
Aber trotzdem eine wunderbar dichte und abgeschirrmte Szene.

cu
lap
 

lester

Mitglied
...ja, lapismont, die Fenstergedichte, manche sind recht spröde geraten, deswegen vielleicht auch immer wieder ein neuer Versuch... danke für deine Anmerkungen und mit
Gruß
Lester
 

ziner

Mitglied
Hallo Lester,
es ist - wie schon gesagt - nicht leicht, etwas dazu zu sagen (Aber wer hat denn gesagt, daß es leicht sein muß. Leicht kann jeder...)
Ich will es dennoch versuchen.
Soll ich mit der Interpretation beginnen...? Na gut... ich bin nicht der Meinung - zumindest lese ich den Text so nicht - daß die Frau erblindet. Vielmehr tun dies ihre Fenster... ,-) im Ernst: Diese erste Strophe evoziert das Bild einer Frau, die im Begriff ist, die Vorhänge zu schließen, den Tag zu beschließen. Draußen wird es dunkler, möglicherweise regnet es. Sie steht - wie jeden Tag - am Fenster, denn das Vorhangschließen ist ein alltägliches Ritual. (Eine alte Frau?) Und sie nimmt noch einen kurzen Blick auf sich selbst. Wie immer Tag für Tag, Jahr für Jahr seit ihr Mann starb. Nimmt diesen kurzen Moment der Reflexion um zu sehen, wie sie älter wird. Wie die Welt um ihre Augen verschwimmt, weniger präzise, undifferenzierter, älter wird. (Deswegen halte ich dieses "um" auch für legitim.)

Zu zweiten Strophe: Hier ist es nicht so leicht, zwischen Interpretation und Analyse zu trennen, denn beides liegt eng beieinander -weswegen ich mit der Kritik beginnen will:
"Und" ist so ein schwieriges Wörtchen. Vermaledeites dies! Am Beginn eines Satzes wünschte ich mir geradezu etwas Zwingendes, es zu rechtfertigen... Am Beginn dieses ganz besonders. Ich verstehe, daß sie nichts von dem wahrnimmt, das jenseits des Fensters ist, aber das ist nebensächlich, und, daß sie nichts wahrnimmt, stimmt ja nicht... immerhin sieht sie sich...
Wie wäre es mit:
So hat, was in ihr Hoffen war
der Tag in einen Schlaf gehüllt,
wenn ihre Augen sich im Fenster sehn,
als wären sie die ganze Welt.

Hybrisch, wie ich nun mal bin, geht mir dies leichter, nicht zu sehr gegen die Zunge. (Liest du deine Texte gelegentlich laut, vor dir selbst? Reine Neugier Ich finde, das hilft.

Zur Dritten: Der Weg. Eine Metapher so unergründlich wie ein See und immer dann benutzt, wenn man Unergründliches nicht sagen kann, oder will. Jetzt frage ich mich, ob es nicht ein sinnfälligeres Bild gibt, daß sich einsetzen ließe... Möglicherweise gibt des Spiegel etwas her... da ist alles drin... von Schneewittchen bis Alice hinter den Spiegeln. Jedenfalls genug Metaphern-Material für: um-so-richtig-um-die-Ecke-zum-denken...

Alles in allem hat mich der Text zum Nachdenken angeregt. (Nicht über die Welt und unsere Vergänglichkeit, aber immerhin...) Aber ich finde, du solltest da noch mal ran, das Metrum bearbeiten und die Nebensätze haben in der Lyrik ohnehin nichts verloren. Jedenfalls nicht, wenn man Lyrik als Nebensatz-Poesie begreift... was sich dann von selbst versteht... aber dies nur als Nebensatz...

Gruß flo
 

lester

Mitglied
ziner: danke für die Mühe. Ja, so kann man es (auch) lesen. Deine Bemerkung zur letzte Zeile...die war in der Tat eine öde Baustelle.. statt 'Weg' stand dort mal 'und brachte ihr das Glück Zurück' (schöner Halbreim auf 'Blick'), verschwand dann irgendwann. Ich denke, die wird sich noch mal ändern.

Danke und mit Gruß
Lester
 



 
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