Am Fenster

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Inu

Mitglied
Liebe Hanna

Am Fenster

Traurig wie der Katze,
Die durch die Gärten streunt,
Nässt der späte April
Der Straße das Fell.
Ein Flüstern und Wispern
In den Wipfeln der Ahornbäume
Ein Flügelschlag in den Zweigen,
Trostlos das angstvolle Zwitschern
Der Sperlinge auf den Dächern
[blue]Und aus der Regenrinne
springt ein schauriger Schatten.[/blue]

Das letzte kann ich nicht nachvollziehen. Ein 'schauriger Schatten' ist mir zu vage. Die Sperlinge haben vor etwas Angst. Es könnte die Katze sein, ist es aber nicht weil sie erstens: springend, mehr als ein Schatten wäre. Weil sie zweitens: gerade dabei ist, durch die GÄRTEN zu streunen. Sie kann also nicht gleichzeitig in der Regenrinne auf dem Dach lauern. Wer oder was könnte es sonst sein? ein Raubvogel? Nur einfach 'schauriger Schatten' zieht mir das Gedicht zu sehr ins Vage, Gespensterhafte und das passt nicht zu den übrigen Zeilen.

Auch kann ich 'trostlos' und 'angstvolles Zwitschern' gefühlsmäßig nicht zusammenbringen. Die Atmosphäre, die die beiden Begriffe verströmen, ist zu verschieden. trostlos ist ein fast nicht endender depressiver Zustand, während ein angstvolles Zwitschern voller Leben, Lärm und Bewegung ist.

Die ersten vier Zeilen finde ich wunderbar

Liebe Grüße
Inu
 
H

HFleiss

Gast
Liebe Inu - schon mal was von Ratten gehört? Oder ganz ähnlichem Viehzeug? Das alles gibt es in der Stadt. Das trostlos bezieht sich nicht auf das Zwitschern der Spatzen, wie du annimmst, sondern auf die Gefühlslage des LI, wie es übrigens das ganze Gedicht tut. Einen lieben Gruß an dich.

Hanna
 

Inu

Mitglied
Liebe Hannah

Ja, wie Du das jetzt so erläuterst, passt das 'trostlos' dann doch. Auch der Schatten bekommt nun Sinn.

Aber so hatte ich das Gedicht beim ersten Lesen nicht empfunden, eher wie eine Schilderung dessen, was jemand ( als sachlicher Beobachter am Fenster ) sah und hörte.

Mein reines Bauchgefühl fand da keinen so ganz richtigen Zugang.
Aber, wie so oft, nach einer kleinen Erläuterung des Autors und nochmaligem Lesen wird vor meinem inneren Auge das ganze Bild doch bedeutend runder. Vielleicht solltest Du im Titel die Gemütslage dieser beobachtenden Person schon andeuten??

ich grüße Dich
Inu
 
H

HFleiss

Gast
Inu, natürlich stimmt beides, sowohl als auch. Ich weiß nicht, ob es Sinn gibt, wenn man bei einem Gedicht jede Aussage hinterfragt und sie dann wörtlich nimmt. Mir gefallen zum Beispiel Gedichte viel mehr, wo ich im Grunde nichts Konkretes weiß, worum es eigentlich geht (starkes Beispiel Ingeborg Bachmann), ich achte aufs Metrum, ungewöhnliche Wörter, die Stilebene, Wortverknüpfungen, Neubildungen usw. und muss mir den Sinn selbst erarbeiten, mir darf nichts serviert werden. Das Letztere scheint mir am wichtigsten sein, im Grunde braucht man nur einen Anhaltspunkt. Ich weiß natürlich nicht, ob das ein zu freies Herangehen an Lyrik ist, wobei ich überhaupt nicht weiß, weshalb ich mich mit einem Gedicht abplage statt mit einem Prosatext (bei dem ich viel besser durchsehe) und Wörter finde, die ein bestimmtes oder sogar unbestimmtes Anliegen halbwegs präzise ausdrücken. Vorteil der Lyrik gegenüber der Prosa scheint mir das "Ding dazwischen" zu sein, in der Lyrik kann man ausdrücken, was man in der disziplinierten Prosa sich im Grunde verbietet. Ungefähr so sehe ich das, und so gehe ich eben an Gedichte heran. Liebe Inu, zerbrich dir nicht den Kopf, lass das Gedicht wirken (wir sind doch alle keine Germanisten), und wenn du eine einzige Zeile findest, die dir etwas gibt, dann ist es wohlgetan.

Lieben Gruß
Hanna
 



 
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