Am Fluss

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Am Fluss

Es ging auf neun zu. Ich stand bei 'Elviras Büdchen' und wartete auf meine Verabredung für eine Radtour am Main. Ich bin aufgeregt, unsicher. Es ist meine erste Verabredung seit meine Frau gestorben ist. Ich drehte mich nach Osten, blinzelte hinüber zum Hafen und genoss die Morgensonne auf meinem Gesicht. Ein Holländer lag am Schüttgutkai. Wird die Nacht schon dort gelegen haben, dachte ich. Auf Deck; das übliche. Ein Auto, an der Kabine lehnte ein Fahrrad, Wäsche flatterte im Wind. Ein Mädchen spielte mit einem Hund. Sie rannten an den Ladeluken entlang bis zum Bug, wendeten dort und rannten wieder zurück. Als das Mädchen mich sah, winkte sie mir zu. Ich winkte zurück. Von Westen her schnaufte ein Kahn flussaufwärts, passierte den Holländer und ließ das Horn drei Mal tuten. Kähne, die von irgendwoher kamen und nach irgendwohin gingen, treffen auf Kähne, die von irgendwoher kamen und nach irgendwohin gingen. Es gibt schlechtere Jobs, Charly, 's gibt wahrlich schlechtere.

Ich lehnte mein Rad an die Kioskwand und ging zum Fenster. Elvira wuchtete sich in die kleine Luke. Viel Oberarm, viel Dauerwelle, viel Busen. Von allem zu viel.
„Charly, ei gude. Trainierst' für de Tour?“ Sie zeigte auf mein Fahrrad.
Elvira ist 'ne Revolverschnauze, sagt man. Ich mag sie. Wir sind im selben Viertel aufgewachsen, zusammen in die Grundschule gegangen, und sind nun eine Art Kollegen. Sie bringt 'Bild', Croissants und Doornkaat an den Mann; ich versuche mich mit einer kleinen Weinhandlung über Wasser zu halten.
„Gibst mir mal 'en Kaffee, 'ne Fünfer Moods und den 'Kicker'.“ Ich lächelte sie an.
„'ne Fünfer? Damit kommste awwer net üwwers Woche'end.“
„Ich muss 'en bisschen kürzer treten. Weißt ja, man wird nicht jünger.“
„Wem saachstes? Awwer aan Mann werd ja erscht so rischtisch interessant wenn de Schlääfe graa geworde sinn.“
„Für die städtische Pietät vielleicht.“
Ich zahlte mit einem großen Schein. Sie gab mir drei, vier Scheine zurück. Feucht. Kalt. Lappig.
Dann feuerte sie eine letzte Salve: „Des kemmt vom Fluss. Inner Stund' sinnse trocke.“

Der Holländer machte sich zum Auslaufen klar. Der Bordhund lag nun träge an Deck und das Mädchen rannte aufgeregt zwischen Steuer- und Backbord hin und her. Sie gab mal hier ein Zeichen mit der Hand, schaute mal dort nach dem Rechten und signalisierte dem Skipper mit gestreckten Daumen, dass es wohl so passt. Sie hatte kein Auge mehr für mich. Ich schaute ihnen noch eine Weile nach und dachte an die Kähne, die von irgendwoher kommen und nach irgendwohin gingen.
Werd' wach, Charly!
Ich nahm Kaffee, Zeitung und die Zigarillos und ging zum kleinen Stehtisch. Dort zündete ich mir eine an, schaute hinüber zur Kreuzung und wartete. Lass uns am Samstag mit den Rädern raus fahren, hatte sie gesagt. So gegen neun, am Büdchen. Ja, so gegen neun, ich bin da.
Wenn sie kommt, kommt sie von dort.
Wenn sie kommt.
Sie kommt.
Biste sicher?
Warum sollte sie nicht?
Warum sollte sie? Kennst sie kaum.
Weil sie's gesagt hat.
Gegen neun, hat sie gesagt. Guck auf die Uhr.
Iss noch Zeit. Sie wird kommen.
Träumer.
Kähne die von irgendwoher...
...Hör auf!
Ich versuchte an etwas zu denken. Susanne. Den Krebs. Vielleicht den letzten Sommer. Es gelang mir nicht. Zu viel für einen Kopf, zu viel, Charly, denk an die Kleine, lass die alten Zeiten, ist Zeit nun, aber Zeit lässt alles verblassen, alles, Sommerkleider, Erinnerungen, Narben, iss gut so, Charly, iss gut so..

Ich trank einen Schluck Kaffee und schaute weite auf die Kreuzung.
Eine Stimme von hinten: “Na, hast wohl deine Kaffeemaschine zur Inspektion,?“
Ich brauchte mich nicht um zu drehen, und wusste doch sofort, wer in meinem Rücken stand.
Ilja; wir waren Freunde, sagenumwobenes Bouleteam, ungeschlagene Stadtmeister. Er hat seinen Laden nur ein paar Meter neben meinem. Tabak, Zigarette, Zigarren. Sehnsüchte aller Art, wie er sagt. Seit Weihnachten, als ich erfahren hatte, dass Ilja mit Susanne eine kurze heftige Liaison verband, versuchten wir uns aus dem Weg zu gehen. Nun stand er mit einem Becher Kaffee neben mir.
„Lange nicht gesehen.“ Pause. Er schaute mich an, kratzte sich verlegen auf dem Handrücken und fragte: „Ist's okay, wenn ich mich dazu stelle?“
Nichts ist okay, aber auch gar nicht. Ich zeigte mit der Hand zum Tisch und nickte.
„Hastes Spiel gesehen?“ Er deutete auf den 'Kicker'.
„Hab ich.“
„Und?“
„War nix.“
„Und, sonst so?“ Er trank einen Schluck und griff nach einem Zigarillo aus meiner Packung.
Ich gab ihm Feuer, wir rauchten und ich schaute ihn an: „Soll heißen?“
„Na ja, was machsten noch so?“
Ich schwieg. Ilja schaute sich ein paar Mal verlegen um.
„Ich mein“, sagte er, „Ich kann verstehen, wenn da gerade nichts geht. Aber wir sollten uns da nochmal zusammen setzen ...“
„Bin gespannt wie der Satz weitergeht.“
„... und nochmal drüber reden. Das geht mir schon ein bisschen an die Nieren. Wir sollten einfach mal wieder zusammen zum Boule.“
„Du hast doch nun diesen Scheich.“
„Scheich?“
„Na diesen Ali.“
„Er heißt Metin, ist Bussfahrer und im übrigen ein prima Kerl. Uns 'en Auge hat der; wie ein Adler.“
Ilja schaut mich an: „Du bist so bitter geworden, Charly. So voller Bitternis. Du rennst umher und erzählst der ganzen Welt wie ungerecht man dich doch behandelt hat. Mensch, ... wird Zeit, dass du wieder auf die Beine kommst, dass du wieder der wirst, der du mal warst. Verstehste?“
Ich legte den Zigarillo in den Aschenbecher und schaute die Straße hinunter.
„Weißt du“, sagte ich, „Ich hab gerade hier gestanden und versucht an all das zu denken. An Susanne, an dich, den ganzen Mist halt.“ Ich nahm den Zigarillo wieder auf und zog einmal. „Und weißt du was?“
„Was?“
„Da war gerade nichts. Stopp; 'nichts' ist das falsche Wort. Eine alter Vers von Brecht kam mir in den Sinn. Seit jenem Tag sind viele, viele Monde, geschwommen still hinunter und vorbei. Die Pflaumenbäume sind wohl abgehauen und fragst du mich, was mit der Liebe sei? So sag ich dir: ...“
„Ich kann mich nicht erinnern.“, fiel er mir ins Wort. „Und doch gewiss, ich weiß schon, was du meinst. Doch ihr Gesicht, das weiß ich...“. Die letzten Worte sprachen wir zusammen: „wirklich nimmer. Ich weiß nur mehr: Ich küsste es dereinst.“
Schweigen. Wie sahen uns nicht an.
Dann ich: „Na ja, ich denke, es geht so... manchmal“
Pause.
„Und bei dir?“, fragte ich.
„Wie gehabt. ...lass uns doch einfach mal wieder was zusammen machen, Charly. Ich denke, dass wird dann schon wieder. Wir bräuchten halt noch so'n Wurfarm wie deinen.“
Ich hob den rechten Arm. „Der ist momentan damit beschäftigt die Frauenquote im Bett zu erfüllen.“
„Iss aber auch keine Lösung.“
„Sag das mal dem Arm.“
Er schaute auf die Uhr: „Du ich muss los. Der Laden, duweissja. Ruf mich mal an, machst du?“
„Mal sehen.“
„Komm.“
„Vielleicht.“
„Versprochen?“
„Versprochen.“

Ich schaute wieder hinüber zur Kreuzung, drückte den Zigarillo in den Aschenbecher und erkannte nun einen kleinen Punkt der ungelenk hin und her pendelte. Der Punkt kam näher, und ich konnte die freche Kurzhaarfrisur erkennen. Sie kommt, Charly, tatsächlich, sie kommt, hat's ja gesagt.
Sie hob den Arm und winkte . Ich zögerte, steckte den 'Kicker' und die Zigarillos in die Fahrradtasche und winkte zurück. In meinem Rücken tutete ein Kahn, der von irgendwoher nach irgendwohin fuhr, zu einem Kahn, der von irgendwoher nach irgendwohin fuhr. Ich verlor noch einen flüchtigen Gedanken an das Mädchen und den Hund, winkte und winkte. Ich winkte, bis sie direkt neben mir stand.
 

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Hallo, die Kurzgeschichte knüpft formal an "Spieltag" an, greift aber thematisch noch einmal in den "Dezemberblues". Vagant.
 

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Es ging auf neun zu. Ich stand bei 'Elviras Büdchen' und wartete auf meine Verabredung für eine Radtour am Main. Ich bin aufgeregt, unsicher. Es ist meine erste Verabredung seit meine Frau gestorben ist. Ich drehte mich nach Osten, blinzelte hinüber zum Hafen und genoss die Morgensonne auf meinem Gesicht. Ein Holländer lag am Schüttgutkai. Wird die Nacht schon dort gelegen haben, dachte ich. Auf Deck; das übliche. Ein Auto, an der Kabine lehnte ein Fahrrad, Wäsche flatterte im Wind. Ein Mädchen spielte mit einem Hund. Sie rannten an den Ladeluken entlang bis zum Bug, wendeten dort und rannten wieder zurück. Als das Mädchen mich sah, winkte sie mir zu. Ich winkte zurück. Von Westen her schnaufte ein Kahn flussaufwärts, passierte den Holländer und ließ das Horn drei Mal tuten. Kähne, die von irgendwoher kamen und nach irgendwohin gingen, treffen auf Kähne, die von irgendwoher kamen und nach irgendwohin gingen. Es gibt schlechtere Jobs, Charly, 's gibt wahrlich schlechtere.

Ich lehnte mein Rad an die Kioskwand und ging zum Fenster. Elvira wuchtete sich in die kleine Luke. Viel Oberarm, viel Dauerwelle, viel Busen. Von allem zu viel.
„Charly, ei gude. Trainierst' für de Tour?“ Sie zeigte auf mein Fahrrad.
Elvira ist 'ne Revolverschnauze, sagt man. Ich mag sie. Wir sind im selben Viertel aufgewachsen, zusammen in die Grundschule gegangen, und sind nun eine Art Kollegen. Sie bringt 'Bild', Croissants und Doornkaat an den Mann; ich versuche mich mit einer kleinen Weinhandlung über Wasser zu halten.
„Gibst mir mal 'en Kaffee, 'ne Fünfer Moods und den 'Kicker'.“ Ich lächelte sie an.
„'ne Fünfer? Damit kommste awwer net üwwers Woche'end.“
„Ich muss 'en bisschen kürzer treten. Weißt ja, man wird nicht jünger.“
„Wem saachstes? Awwer aan Mann werd ja erscht so rischtisch interessant wenn de Schlääfe graa geworde sinn.“
„Für die städtische Pietät vielleicht.“
Ich zahlte mit einem großen Schein. Sie gab mir drei, vier Scheine zurück. Feucht. Kalt. Lappig.
Dann feuerte sie eine letzte Salve: „Des kemmt vom Fluss. Inner Stund' sinnse trocke.“

Der Holländer machte sich zum Auslaufen klar. Der Bordhund lag nun träge an Deck und das Mädchen rannte aufgeregt zwischen Steuer- und Backbord hin und her. Sie gab mal hier ein Zeichen mit der Hand, schaute mal dort nach dem Rechten und signalisierte dem Skipper mit gestreckten Daumen, dass es wohl so passt. Sie hatte kein Auge mehr für mich. Ich schaute ihnen noch eine Weile nach und dachte an die Kähne, die von irgendwoher kommen und nach irgendwohin gingen.
Werd' wach, Charly!
Ich nahm Kaffee, Zeitung und die Zigarillos und ging zum kleinen Stehtisch. Dort zündete ich mir eine an, schaute hinüber zur Kreuzung und wartete. Lass uns am Samstag mit den Rädern raus fahren, hatte sie gesagt. So gegen neun, am Büdchen. Ja, so gegen neun, ich bin da.
Wenn sie kommt, kommt sie von dort.
Wenn sie kommt.
Sie kommt.
Biste sicher?
Warum sollte sie nicht?
Warum sollte sie? Kennst sie kaum.
Weil sie's gesagt hat.
Gegen neun, hat sie gesagt. Guck auf die Uhr.
Iss noch Zeit. Sie wird kommen.
Träumer.
Kähne die von irgendwoher...
...Hör auf!
Ich versuchte an etwas zu denken. Susanne. Den Krebs. Vielleicht den letzten Sommer. Es gelang mir nicht. Zu viel für einen Kopf, zu viel, Charly, denk an die Kleine, lass die alten Zeiten, ist Zeit nun, aber Zeit lässt alles verblassen, alles, Sommerkleider, Erinnerungen, Narben, iss gut so, Charly, iss gut so..

Ich trank einen Schluck Kaffee und schaute weite auf die Kreuzung.
Eine Stimme von hinten: “Na, hast wohl deine Kaffeemaschine zur Inspektion,?“
Ich brauchte mich nicht um zu drehen, und wusste doch sofort, wer in meinem Rücken stand.
Ilja; wir waren Freunde, sagenumwobenes Bouleteam, ungeschlagene Stadtmeister. Er hat seinen Laden nur ein paar Meter neben meinem. Tabak, Zigarette, Zigarren. Sehnsüchte aller Art, wie er sagt. Seit Weihnachten, als ich erfahren hatte, dass Ilja mit Susanne eine kurze heftige Liaison verband, versuchten wir uns aus dem Weg zu gehen. Nun stand er mit einem Becher Kaffee neben mir.
„Lange nicht gesehen.“ Pause. Er schaute mich an, kratzte sich verlegen auf dem Handrücken und fragte: „Ist's okay, wenn ich mich dazu stelle?“
Nichts ist okay, aber auch gar nicht. Ich zeigte mit der Hand zum Tisch und nickte.
„Hastes Spiel gesehen?“ Er deutete auf den 'Kicker'.
„Hab ich.“
„Und?“
„War nix.“
„Und, sonst so?“ Er trank einen Schluck und griff nach einem Zigarillo aus meiner Packung.
Ich gab ihm Feuer, wir rauchten und ich schaute ihn an: „Soll heißen?“
„Na ja, was machsten noch so?“
Ich schwieg. Ilja schaute sich ein paar Mal verlegen um.
„Ich mein“, sagte er, „Ich kann verstehen, wenn da gerade nichts geht. Aber wir sollten uns da nochmal zusammen setzen ...“
„Bin gespannt wie der Satz weitergeht.“
„... und nochmal drüber reden. Das geht mir schon ein bisschen an die Nieren. Wir sollten einfach mal wieder zusammen zum Boule.“
„Du hast doch nun diesen Scheich.“
„Scheich?“
„Na diesen Ali.“
„Er heißt Metin, ist Bussfahrer und im übrigen ein prima Kerl. Und 'en Auge hat der; wie ein Adler.“
Ilja schaut mich an: „Du bist so bitter geworden, Charly. So voller Bitternis. Du rennst umher und erzählst der ganzen Welt wie ungerecht man dich doch behandelt hat. Mensch, ... wird Zeit, dass du wieder auf die Beine kommst, dass du wieder der wirst, der du mal warst. Verstehste?“
Ich legte den Zigarillo in den Aschenbecher und schaute die Straße hinunter.
„Weißt du“, sagte ich, „Ich hab gerade hier gestanden und versucht an all das zu denken. An Susanne, an dich, den ganzen Mist halt.“ Ich nahm den Zigarillo wieder auf und zog einmal. „Und weißt du was?“
„Was?“
„Da war gerade nichts. Stopp; 'nichts' ist das falsche Wort. Eine alter Vers von Brecht kam mir in den Sinn. Seit jenem Tag sind viele, viele Monde, geschwommen still hinunter und vorbei. Die Pflaumenbäume sind wohl abgehauen und fragst du mich, was mit der Liebe sei? So sag ich dir: ...“
„Ich kann mich nicht erinnern.“, fiel er mir ins Wort. „Und doch gewiss, ich weiß schon, was du meinst. Doch ihr Gesicht, das weiß ich...“. Die letzten Worte sprachen wir zusammen: „wirklich nimmer. Ich weiß nur mehr: Ich küsste es dereinst.“
Schweigen. Wie sahen uns nicht an.
Dann ich: „Na ja, ich denke, es geht so... manchmal“
Pause.
„Und bei dir?“, fragte ich.
„Wie gehabt. ...lass uns doch einfach mal wieder was zusammen machen, Charly. Ich denke, dass wird dann schon wieder. Wir bräuchten halt noch so'n Wurfarm wie deinen.“
Ich hob den rechten Arm. „Der ist momentan damit beschäftigt die Frauenquote im Bett zu erfüllen.“
„Iss aber auch keine Lösung.“
„Sag das mal dem Arm.“
Er schaute auf die Uhr: „Du ich muss los. Der Laden, duweissja. Ruf mich mal an, machst du?“
„Mal sehen.“
„Komm.“
„Vielleicht.“
„Versprochen?“
„Versprochen.“

Ich schaute wieder hinüber zur Kreuzung, drückte den Zigarillo in den Aschenbecher und erkannte nun einen kleinen Punkt der ungelenk hin und her pendelte. Der Punkt kam näher, und ich konnte die freche Kurzhaarfrisur erkennen. Sie kommt, Charly, tatsächlich, sie kommt, hat's ja gesagt.
Sie hob den Arm und winkte . Ich zögerte, steckte den 'Kicker' und die Zigarillos in die Fahrradtasche und winkte zurück. In meinem Rücken tutete ein Kahn, der von irgendwoher nach irgendwohin fuhr, zu einem Kahn, der von irgendwoher nach irgendwohin fuhr. Ich verlor noch einen flüchtigen Gedanken an das Mädchen und den Hund, winkte und winkte. Ich winkte, bis sie direkt neben mir stand.
 

Vagant

Mitglied
Am Fluss

Es ging auf neun zu. Ich stand bei 'Elviras Büdchen' und wartete auf meine Verabredung für eine Radtour am Main. Ich bin aufgeregt, unsicher. Es ist meine erste Verabredung seit meine Frau gestorben ist. Ich drehte mich nach Osten, blinzelte hinüber zum Hafen und genoss die Morgensonne auf meinem Gesicht. Ein Holländer lag am Schüttgutkai. Wird die Nacht schon dort gelegen haben, dachte ich. Auf Deck; das übliche. Ein Auto, an der Kabine lehnte ein Fahrrad, Wäsche flatterte im Wind. Ein Mädchen spielte mit einem Hund. Sie rannten an den Ladeluken entlang bis zum Bug, wendeten dort und rannten wieder zurück. Als das Mädchen mich sah, winkte sie mir zu. Ich winkte zurück. Von Westen her schnaufte ein Kahn flussaufwärts, passierte den Holländer und ließ das Horn drei Mal tuten. Kähne, die von irgendwoher kamen und nach irgendwohin gingen, treffen auf Kähne, die von irgendwoher kamen und nach irgendwohin gingen. Es gibt schlechtere Jobs, Charly, 's gibt wahrlich schlechtere.

Ich lehnte mein Rad an die Kioskwand und ging zum Fenster. Elvira wuchtete sich in die kleine Luke. Viel Oberarm, viel Dauerwelle, viel Busen. Von allem zu viel.
„Charly, ei gude. Trainierst' für de Tour?“ Sie zeigte auf mein Fahrrad.
Elvira ist 'ne Revolverschnauze, sagt man. Ich mag sie. Wir sind im selben Viertel aufgewachsen, zusammen in die Grundschule gegangen, und sind nun eine Art Kollegen. Sie bringt 'Bild', Croissants und Doornkaat an den Mann; ich versuche mich mit einer kleinen Weinhandlung über Wasser zu halten.
„Gibst mir mal 'en Kaffee, 'ne Fünfer Moods und den 'Kicker'.“ Ich lächelte sie an.
„'ne Fünfer? Damit kommste awwer net üwwers Woche'end.“
„Ich muss 'en bisschen kürzer treten. Weißt ja, man wird nicht jünger.“
„Wem saachstes? Awwer aan Mann werd ja erscht so rischtisch interessant wenn de Schlääfe graa geworde sinn.“
„Für die städtische Pietät vielleicht.“
Ich zahlte mit einem großen Schein. Sie gab mir drei, vier Scheine zurück. Feucht. Kalt. Lappig.
Dann feuerte sie eine letzte Salve: „Des kemmt vom Fluss. Inner Stund' sinnse trocke.“

Der Holländer machte sich zum Auslaufen klar. Der Bordhund lag nun träge an Deck und das Mädchen rannte aufgeregt zwischen Steuer- und Backbord hin und her. Sie gab mal hier ein Zeichen mit der Hand, schaute mal dort nach dem Rechten und signalisierte dem Skipper mit gestreckten Daumen, dass es wohl so passt. Sie hatte kein Auge mehr für mich. Ich schaute ihnen noch eine Weile nach und dachte an die Kähne, die von irgendwoher kommen und nach irgendwohin gingen.
Werd' wach, Charly!
Ich nahm Kaffee, Zeitung und die Zigarillos und ging zum kleinen Stehtisch. Dort zündete ich mir eine an, schaute hinüber zur Kreuzung und wartete. Lass uns am Samstag mit den Rädern raus fahren, hatte sie gesagt. So gegen neun, am Büdchen. Ja, so gegen neun, ich bin da.
Wenn sie kommt, kommt sie von dort.
Wenn sie kommt.
Sie kommt.
Biste sicher?
Warum sollte sie nicht?
Warum sollte sie? Kennst sie kaum.
Weil sie's gesagt hat.
Gegen neun, hat sie gesagt. Guck auf die Uhr.
Iss noch Zeit. Sie wird kommen.
Träumer.
Kähne die von irgendwoher...
...Hör auf!
Ich versuchte an etwas zu denken. Susanne. Den Krebs. Vielleicht den letzten Sommer. Es gelang mir nicht. Zu viel für einen Kopf, zu viel, Charly, denk an die Kleine, lass die alten Zeiten, ist Zeit nun, aber Zeit lässt alles verblassen, alles, Sommerkleider, Erinnerungen, Narben, iss gut so, Charly, iss gut so..

Ich trank einen Schluck Kaffee und schaute weite auf die Kreuzung.
Eine Stimme von hinten: “Na, hast wohl deine Kaffeemaschine zur Inspektion,?“
Ich brauchte mich nicht um zu drehen, und wusste doch sofort, wer in meinem Rücken stand.
Ilja; wir waren Freunde, sagenumwobenes Bouleteam, ungeschlagene Stadtmeister. Er hat seinen Laden nur ein paar Meter neben meinem. Tabak, Zigarette, Zigarren. Sehnsüchte aller Art, wie er sagt. Seit Weihnachten, als ich erfahren hatte, dass Ilja mit Susanne eine kurze heftige Liaison verband, versuchten wir uns aus dem Weg zu gehen. Nun stand er mit einem Becher Kaffee neben mir.
„Lange nicht gesehen.“ Pause. Er schaute mich an, kratzte sich verlegen auf dem Handrücken und fragte: „Ist's okay, wenn ich mich dazu stelle?“
Nichts ist okay, aber auch gar nicht. Ich zeigte mit der Hand zum Tisch und nickte.
„Hastes Spiel gesehen?“ Er deutete auf den 'Kicker'.
„Hab ich.“
„Und?“
„War nix.“
„Und, sonst so?“ Er trank einen Schluck und griff nach einem Zigarillo aus meiner Packung.
Ich gab ihm Feuer, wir rauchten und ich schaute ihn an: „Soll heißen?“
„Na ja, was machsten noch so?“
Ich schwieg. Ilja schaute sich ein paar Mal verlegen um.
„Ich mein“, sagte er, „Ich kann verstehen, wenn da gerade nichts geht. Aber wir sollten uns da nochmal zusammen setzen ...“
„Bin gespannt wie der Satz weitergeht.“
„... und nochmal drüber reden. Das geht mir schon ein bisschen an die Nieren. Wir sollten einfach mal wieder zusammen zum Boule.“
„Du hast doch nun diesen Scheich.“
„Scheich?“
„Na diesen Ali.“
„Er heißt Metin, ist Bussfahrer und im übrigen ein prima Kerl. Und 'en Auge hat der; wie ein Adler.“
Ilja schaut mich an: „Du bist so bitter geworden, Charly. So voller Bitternis. Du rennst umher und erzählst der ganzen Welt wie ungerecht man dich doch behandelt hat. Mensch, ... wird Zeit, dass du wieder auf die Beine kommst, dass du wieder der wirst, der du mal warst. Verstehste?“
Ich legte den Zigarillo in den Aschenbecher und schaute die Straße hinunter.
„Weißt du“, sagte ich, „Ich hab gerade hier gestanden und versucht an all das zu denken. An Susanne, an dich, den ganzen Mist halt.“ Ich nahm den Zigarillo wieder auf und zog einmal. „Und weißt du was?“
„Was?“
„Da war gerade nichts. Stopp; 'nichts' ist das falsche Wort. Eine alter Vers von Brecht kam mir in den Sinn. Seit jenem [/i]Tag sind viele, viele Monde, geschwommen still hinunter und vorbei. Die Pflaumenbäume sind wohl abgehauen und fragst du mich, was mit der Liebe sei? So sag ich dir: ...
Ich kann mich nicht erinnern.“, fiel er mir ins Wort. „Und doch gewiss, ich weiß schon, was du meinst. Doch ihr Gesicht, das weiß ich...“. Die letzten Worte sprachen wir zusammen: „wirklich nimmer. Ich weiß nur mehr: Ich küsste es dereinst.“
Schweigen. Wie sahen uns nicht an.
Dann ich: „Na ja, ich denke, es geht so... manchmal“
Pause.
„Und bei dir?“, fragte ich.
„Wie gehabt. ...lass uns doch einfach mal wieder was zusammen machen, Charly. Ich denke, dass wird dann schon wieder. Wir bräuchten halt noch so'n Wurfarm wie deinen.“
Ich hob den rechten Arm. „Der ist momentan damit beschäftigt die Frauenquote im Bett zu erfüllen.“
„Iss aber auch keine Lösung.“
„Sag das mal dem Arm.“
Er schaute auf die Uhr: „Du ich muss los. Der Laden, duweissja. Ruf mich mal an, machst du?“
„Mal sehen.“
„Komm.“
„Vielleicht.“
„Versprochen?“
„Versprochen.“

Ich schaute wieder hinüber zur Kreuzung, drückte den Zigarillo in den Aschenbecher und erkannte nun einen kleinen Punkt der ungelenk hin und her pendelte. Der Punkt kam näher, und ich konnte die freche Kurzhaarfrisur erkennen. Sie kommt, Charly, tatsächlich, sie kommt, hat's ja gesagt.
Sie hob den Arm und winkte . Ich zögerte, steckte den 'Kicker' und die Zigarillos in die Fahrradtasche und winkte zurück. In meinem Rücken tutete ein Kahn, der von irgendwoher nach irgendwohin fuhr, zu einem Kahn, der von irgendwoher nach irgendwohin fuhr. Ich verlor noch einen flüchtigen Gedanken an das Mädchen und den Hund, winkte und winkte. Ich winkte, bis sie direkt neben mir stand.
 

Vagant

Mitglied
Am Fluss

Es ging auf neun zu. Ich stand bei 'Elviras Büdchen' und wartete auf meine Verabredung für eine Radtour am Main. Ich bin aufgeregt, unsicher. Es ist meine erste Verabredung seit meine Frau gestorben ist. Ich drehte mich nach Osten, blinzelte hinüber zum Hafen und genoss die Morgensonne auf meinem Gesicht. Ein Holländer lag am Schüttgutkai. Wird die Nacht schon dort gelegen haben, dachte ich. Auf Deck; das übliche. Ein Auto, an der Kabine lehnte ein Fahrrad, Wäsche flatterte im Wind. Ein Mädchen spielte mit einem Hund. Sie rannten an den Ladeluken entlang bis zum Bug, wendeten dort und rannten wieder zurück. Als das Mädchen mich sah, winkte sie mir zu. Ich winkte zurück. Von Westen her schnaufte ein Kahn flussaufwärts, passierte den Holländer und ließ das Horn drei Mal tuten. Kähne, die von irgendwoher kamen und nach irgendwohin gingen, treffen auf Kähne, die von irgendwoher kamen und nach irgendwohin gingen. Es gibt schlechtere Jobs, Charly, 's gibt wahrlich schlechtere.

Ich lehnte mein Rad an die Kioskwand und ging zum Fenster. Elvira wuchtete sich in die kleine Luke. Viel Oberarm, viel Dauerwelle, viel Busen. Von allem zu viel.
„Charly, ei gude. Trainierst' für de Tour?“ Sie zeigte auf mein Fahrrad.
Elvira ist 'ne Revolverschnauze, sagt man. Ich mag sie. Wir sind im selben Viertel aufgewachsen, zusammen in die Grundschule gegangen, und sind nun eine Art Kollegen. Sie bringt 'Bild', Croissants und Doornkaat an den Mann; ich versuche mich mit einer kleinen Weinhandlung über Wasser zu halten.
„Gibst mir mal 'en Kaffee, 'ne Fünfer Moods und den 'Kicker'.“ Ich lächelte sie an.
„'ne Fünfer? Damit kommste awwer net üwwers Woche'end.“
„Ich muss 'en bisschen kürzer treten. Weißt ja, man wird nicht jünger.“
„Wem saachstes? Awwer aan Mann werd ja erscht so rischtisch interessant wenn de Schlääfe graa geworde sinn.“
„Für die städtische Pietät vielleicht.“
Ich zahlte mit einem großen Schein. Sie gab mir drei, vier Scheine zurück. Feucht. Kalt. Lappig.
Dann feuerte sie eine letzte Salve: „Des kemmt vom Fluss. Inner Stund' sinnse trocke.“

Der Holländer machte sich zum Auslaufen klar. Der Bordhund lag nun träge an Deck und das Mädchen rannte aufgeregt zwischen Steuer- und Backbord hin und her. Sie gab mal hier ein Zeichen mit der Hand, schaute mal dort nach dem Rechten und signalisierte dem Skipper mit gestreckten Daumen, dass es wohl so passt. Sie hatte kein Auge mehr für mich. Ich schaute ihnen noch eine Weile nach und dachte an die Kähne, die von irgendwoher kommen und nach irgendwohin gingen.
Werd' wach, Charly!
Ich nahm Kaffee, Zeitung und die Zigarillos und ging zum kleinen Stehtisch. Dort zündete ich mir eine an, schaute hinüber zur Kreuzung und wartete. Lass uns am Samstag mit den Rädern raus fahren, hatte sie gesagt. So gegen neun, am Büdchen. Ja, so gegen neun, ich bin da.
Wenn sie kommt, kommt sie von dort.
Wenn sie kommt.
Sie kommt.
Biste sicher?
Warum sollte sie nicht?
Warum sollte sie? Kennst sie kaum.
Weil sie's gesagt hat.
Gegen neun, hat sie gesagt. Guck auf die Uhr.
Iss noch Zeit. Sie wird kommen.
Träumer.
Kähne die von irgendwoher...
...Hör auf!
Ich versuchte an etwas zu denken. Susanne. Den Krebs. Vielleicht den letzten Sommer. Es gelang mir nicht. Zu viel für einen Kopf, zu viel, Charly, denk an die Kleine, lass die alten Zeiten, ist Zeit nun, aber Zeit lässt alles verblassen, alles, Sommerkleider, Erinnerungen, Narben, iss gut so, Charly, iss gut so..

Ich trank einen Schluck Kaffee und schaute weite auf die Kreuzung.
Eine Stimme von hinten: “Na, hast wohl deine Kaffeemaschine zur Inspektion,?“
Ich brauchte mich nicht um zu drehen, und wusste doch sofort, wer in meinem Rücken stand.
Ilja; wir waren Freunde, sagenumwobenes Bouleteam, ungeschlagene Stadtmeister. Er hat seinen Laden nur ein paar Meter neben meinem. Tabak, Zigarette, Zigarren. Sehnsüchte aller Art, wie er sagt. Seit Weihnachten, als ich erfahren hatte, dass Ilja mit Susanne eine kurze heftige Liaison verband, versuchten wir uns aus dem Weg zu gehen. Nun stand er mit einem Becher Kaffee neben mir.
„Lange nicht gesehen.“ Pause. Er schaute mich an, kratzte sich verlegen auf dem Handrücken und fragte: „Ist's okay, wenn ich mich dazu stelle?“
Nichts ist okay, aber auch gar nicht. Ich zeigte mit der Hand zum Tisch und nickte.
„Hastes Spiel gesehen?“ Er deutete auf den 'Kicker'.
„Hab ich.“
„Und?“
„War nix.“
„Und, sonst so?“ Er trank einen Schluck und griff nach einem Zigarillo aus meiner Packung.
Ich gab ihm Feuer, wir rauchten und ich schaute ihn an: „Soll heißen?“
„Na ja, was machsten noch so?“
Ich schwieg. Ilja schaute sich ein paar Mal verlegen um.
„Ich mein“, sagte er, „Ich kann verstehen, wenn da gerade nichts geht. Aber wir sollten uns da nochmal zusammen setzen ...“
„Bin gespannt wie der Satz weitergeht.“
„... und nochmal drüber reden. Das geht mir schon ein bisschen an die Nieren. Wir sollten einfach mal wieder zusammen zum Boule.“
„Du hast doch nun diesen Scheich.“
„Scheich?“
„Na diesen Ali.“
„Er heißt Metin, ist Bussfahrer und im übrigen ein prima Kerl. Und 'en Auge hat der; wie ein Adler.“
Ilja schaut mich an: „Du bist so bitter geworden, Charly. So voller Bitternis. Du rennst umher und erzählst der ganzen Welt wie ungerecht man dich doch behandelt hat. Mensch, ... wird Zeit, dass du wieder auf die Beine kommst, dass du wieder der wirst, der du mal warst. Verstehste?“
Ich legte den Zigarillo in den Aschenbecher und schaute die Straße hinunter.
„Weißt du“, sagte ich, „Ich hab gerade hier gestanden und versucht an all das zu denken. An Susanne, an dich, den ganzen Mist halt.“ Ich nahm den Zigarillo wieder auf und zog einmal. „Und weißt du was?“
„Was?“
„Da war gerade nichts. Stopp; 'nichts' ist das falsche Wort. Eine alter Vers von Brecht kam mir in den Sinn. Seit jenem Tag sind viele, viele Monde, geschwommen still hinunter und vorbei. Die Pflaumenbäume sind wohl abgehauen und fragst du mich, was mit der Liebe sei? So sag ich dir: ...“
„Ich kann mich nicht erinnern.“, fiel er mir ins Wort. „Und doch gewiss, ich weiß schon, was du meinst. Doch ihr Gesicht, das weiß ich...“. Die letzten Worte sprachen wir zusammen: „wirklich nimmer. Ich weiß nur mehr: Ich küsste es dereinst.“
Schweigen. Wie sahen uns nicht an.
Dann ich: „Na ja, ich denke, es geht so... manchmal“
Pause.
„Und bei dir?“, fragte ich.
„Wie gehabt. ...lass uns doch einfach mal wieder was zusammen machen, Charly. Ich denke, dass wird dann schon wieder. Wir bräuchten halt noch so'n Wurfarm wie deinen.“
Ich hob den rechten Arm. „Der ist momentan damit beschäftigt die Frauenquote im Bett zu erfüllen.“
„Iss aber auch keine Lösung.“
„Sag das mal dem Arm.“
Er schaute auf die Uhr: „Du ich muss los. Der Laden, duweissja. Ruf mich mal an, machst du?“
„Mal sehen.“
„Komm.“
„Vielleicht.“
„Versprochen?“
„Versprochen.“

Ich schaute wieder hinüber zur Kreuzung, drückte den Zigarillo in den Aschenbecher und erkannte nun einen kleinen Punkt der ungelenk hin und her pendelte. Der Punkt kam näher, und ich konnte die freche Kurzhaarfrisur erkennen. Sie kommt, Charly, tatsächlich, sie kommt, hat's ja gesagt.
Sie hob den Arm und winkte . Ich zögerte, steckte den 'Kicker' und die Zigarillos in die Fahrradtasche und winkte zurück. In meinem Rücken tutete ein Kahn, der von irgendwoher nach irgendwohin fuhr, zu einem Kahn, der von irgendwoher nach irgendwohin fuhr. Ich verlor noch einen flüchtigen Gedanken an das Mädchen und den Hund, winkte und winkte. Ich winkte, bis sie direkt neben mir stand.
 

Vagant

Mitglied
Am Fluss

Es ging auf neun zu. Ich stand bei 'Elviras Büdchen' und wartete auf meine Verabredung für eine Radtour am Main. Ich bin aufgeregt, unsicher. Es ist meine erste Verabredung seit meine Frau gestorben ist. Ich drehte mich nach Osten, blinzelte hinüber zum Hafen und genoss die Morgensonne auf meinem Gesicht. Ein Holländer lag am Schüttgutkai. Wird die Nacht schon dort gelegen haben, dachte ich. Auf Deck; das übliche. Ein Auto, an der Kabine lehnte ein Fahrrad, Wäsche flatterte im Wind. Ein Mädchen spielte mit einem Hund. Sie rannten an den Ladeluken entlang bis zum Bug, wendeten dort und rannten wieder zurück. Als das Mädchen mich sah, winkte sie mir zu. Ich winkte zurück. Von Westen her schnaufte ein Kahn flussaufwärts, passierte den Holländer und ließ das Horn drei Mal tuten. Kähne, die von irgendwoher kamen und nach irgendwohin gingen, treffen auf Kähne, die von irgendwoher kamen und nach irgendwohin gingen. Es gibt schlechtere Jobs, Charly, 's gibt wahrlich schlechtere.

Ich lehnte mein Rad an die Kioskwand und ging zum Fenster. Elvira wuchtete sich in die kleine Luke. Viel Oberarm, viel Dauerwelle, viel Busen. Von allem zu viel.
„Charly, ei gude. Trainierst' für de Tour?“ Sie zeigte auf mein Fahrrad.
Elvira ist 'ne Revolverschnauze, sagt man. Ich mag sie. Wir sind im selben Viertel aufgewachsen, zusammen in die Grundschule gegangen, und sind nun eine Art Kollegen. Sie bringt 'Bild', Croissants und Doornkaat an den Mann; ich versuche mich mit einer kleinen Weinhandlung über Wasser zu halten.
„Gibst mir mal 'en Kaffee, 'ne Fünfer Moods und den 'Kicker'.“ Ich lächelte sie an.
„'ne Fünfer? Damit kommste awwer net üwwers Woche'end.“
„Ich muss 'en bisschen kürzer treten. Weißt ja, man wird nicht jünger.“
„Wem saachstes? Awwer aan Mann werd ja erscht so rischtisch interessant wenn de Schlääfe graa geworde sinn.“
„Für die städtische Pietät vielleicht.“
Ich zahlte mit einem großen Schein. Sie gab mir drei, vier Scheine zurück. Feucht. Kalt. Lappig.
Dann feuerte sie eine letzte Salve: „Des kemmt vom Fluss. Inner Stund' sinnse trocke.“

Der Holländer machte sich zum Auslaufen klar. Der Bordhund lag nun träge an Deck und das Mädchen rannte aufgeregt zwischen Steuer- und Backbord hin und her. Sie gab mal hier ein Zeichen mit der Hand, schaute mal dort nach dem Rechten und signalisierte dem Skipper mit gestreckten Daumen, dass es wohl so passt. Sie hatte kein Auge mehr für mich. Ich schaute ihnen noch eine Weile nach und dachte an die Kähne, die von irgendwoher kommen und nach irgendwohin gingen.
Werd' wach, Charly!
Ich nahm Kaffee, Zeitung und die Zigarillos und ging zum kleinen Stehtisch. Dort zündete ich mir eine an, schaute hinüber zur Kreuzung und wartete. Lass uns am Samstag mit den Rädern raus fahren, hatte sie gesagt. So gegen neun, am Büdchen. Ja, so gegen neun, ich bin da.
Wenn sie kommt, kommt sie von dort.
Wenn sie kommt.
Sie kommt.
Biste sicher?
Warum sollte sie nicht?
Warum sollte sie? Kennst sie kaum.
Weil sie's gesagt hat.
Gegen neun, hat sie gesagt. Guck auf die Uhr.
Iss noch Zeit. Sie wird kommen.
Träumer.
Kähne die von irgendwoher...
...Hör auf!
Ich versuchte an etwas zu denken. Susanne. Den Krebs. Vielleicht den letzten Sommer. Es gelang mir nicht. Zu viel für einen Kopf, zu viel, Charly, denk an die Kleine, lass die alten Zeiten, ist Zeit nun, aber Zeit lässt alles verblassen, alles, Sommerkleider, Erinnerungen, Narben, iss gut so, Charly, iss gut so..

Ich trank einen Schluck Kaffee und schaute weite auf die Kreuzung.
Eine Stimme von hinten: “Na, hast wohl deine Kaffeemaschine zur Inspektion,?“
Ich brauchte mich nicht um zu drehen, und wusste doch sofort, wer in meinem Rücken stand.
Ilja; wir waren Freunde, sagenumwobenes Bouleteam, ungeschlagene Stadtmeister. Er hat seinen Laden nur ein paar Meter neben meinem. Tabak, Zigarette, Zigarren. Sehnsüchte aller Art, wie er sagt. Seit Weihnachten, als ich erfahren hatte, dass Ilja mit Susanne eine kurze heftige Liaison verband, versuchten wir uns aus dem Weg zu gehen. Nun stand er mit einem Becher Kaffee neben mir.
„Lange nicht gesehen.“ Pause. Er schaute mich an, kratzte sich verlegen auf dem Handrücken und fragte: „Ist's okay, wenn ich mich dazu stelle?“
Nichts ist okay, aber auch gar nicht. Ich zeigte mit der Hand zum Tisch und nickte.
„Hastes Spiel gesehen?“ Er deutete auf den 'Kicker'.
„Hab ich.“
„Und?“
„War nix.“
„Und, sonst so?“ Er trank einen Schluck und griff nach einem Zigarillo aus meiner Packung.
Ich gab ihm Feuer, wir rauchten und ich schaute ihn an: „Soll heißen?“
„Na ja, was machsten noch so?“
Ich schwieg. Ilja schaute sich ein paar Mal verlegen um.
„Ich mein“, sagte er, „Ich kann verstehen, wenn da gerade nichts geht. Aber wir sollten uns da nochmal zusammen setzen ...“
„Bin gespannt wie der Satz weitergeht.“
„... und nochmal drüber reden. Das geht mir schon ein bisschen an die Nieren. Wir sollten einfach mal wieder zusammen zum Boule.“
„Du hast doch nun diesen Scheich.“
„Scheich?“
„Na diesen Ali.“
„Er heißt Metin, ist Bussfahrer und im übrigen ein prima Kerl. Und 'en Auge hat der; wie ein Adler.“
Ilja schaut mich an: „Du bist so bitter geworden, Charly. So voller Bitternis. Du rennst umher und erzählst der ganzen Welt wie ungerecht man dich doch behandelt hat. Mensch, ... wird Zeit, dass du wieder auf die Beine kommst, dass du wieder der wirst, der du mal warst. Verstehste?“
Ich legte den Zigarillo in den Aschenbecher und schaute die Straße hinunter.
„Weißt du“, sagte ich, „Ich hab gerade hier gestanden und versucht an all das zu denken. An Susanne, an dich, den ganzen Mist halt.“ Ich nahm den Zigarillo wieder auf und zog einmal. „Und weißt du was?“
„Was?“
„Da war gerade nichts. Stopp; 'nichts' ist das falsche Wort. Eine alter Vers von Brecht kam mir in den Sinn. Seit jenem Tag sind viele, viele Monde, geschwommen still hinunter und vorbei. Die Pflaumenbäume sind wohl abgehauen und fragst du mich, was mit der Liebe sei? So sag ich dir: ...“
„Ich kann mich nicht erinnern.“, fiel er mir ins Wort. „Und doch gewiss, ich weiß schon, was du meinst. Doch ihr Gesicht, das weiß ich...“. Die letzten Worte sprachen wir zusammen: „wirklich nimmer. Ich weiß nur mehr: Ich küsste es dereinst.“
Schweigen. Wie sahen uns nicht an.
Dann ich: „Na ja, ich denke, es geht so... manchmal“
Pause.
„Und bei dir?“, fragte ich.
„Wie gehabt. ...lass uns doch einfach mal wieder was zusammen machen, Charly. Ich denke, dass wird dann schon wieder. Wir bräuchten halt noch so'n Wurfarm wie deinen.“
Ich hob den rechten Arm. „Der ist momentan damit beschäftigt die Frauenquote im Bett zu erfüllen.“
„Iss aber auch keine Lösung.“
„Sag das mal dem Arm.“
Er schaute auf die Uhr: „Du ich muss los. Der Laden, duweissja. Ruf mich mal an, machst du?“
„Mal sehen.“
„Komm.“
„Vielleicht.“
„Versprochen?“
„Versprochen.“

Ich schaute wieder hinüber zur Kreuzung, drückte den Zigarillo in den Aschenbecher und erkannte nun einen kleinen Punkt der ungelenk hin und her pendelte. Der Punkt kam näher, und ich konnte die freche Kurzhaarfrisur erkennen. Sie kommt, Charly, tatsächlich, sie kommt, hat's ja gesagt.
Sie hob den Arm und winkte . Ich zögerte, steckte den 'Kicker' und die Zigarillos in die Fahrradtasche und winkte zurück. In meinem Rücken tutete ein Kahn, der von irgendwoher nach irgendwohin fuhr, zu einem Kahn, der von irgendwoher nach irgendwohin fuhr. Ich verlor noch einen flüchtigen Gedanken an das Mädchen und den Hund, winkte und winkte. Ich winkte, bis sie direkt neben mir stand.
 

Vagant

Mitglied
Am Fluss

Es ging auf neun zu. Ich stand bei 'Elviras Büdchen' und wartete auf meine Verabredung für eine Radtour am Main. Ich bin aufgeregt, unsicher. Es ist meine erste Verabredung seit meine Frau gestorben ist. Ich drehte mich nach Osten, blinzelte hinüber zum Hafen und genoss die Morgensonne auf meinem Gesicht. Ein Holländer lag am Schüttgutkai. Wird die Nacht schon dort gelegen haben, dachte ich. Auf Deck; das übliche. Ein Auto, an der Kabine lehnte ein Fahrrad, Wäsche flatterte im Wind. Ein Mädchen spielte mit einem Hund. Sie rannten an den Ladeluken entlang bis zum Bug, wendeten dort und rannten wieder zurück. Als das Mädchen mich sah, winkte sie mir zu. Ich winkte zurück. Von Westen her schnaufte ein Kahn flussaufwärts, passierte den Holländer und ließ das Horn drei Mal tuten. Kähne, die von irgendwoher kamen und nach irgendwohin gingen, treffen auf Kähne, die von irgendwoher kamen und nach irgendwohin gingen. Es gibt schlechtere Jobs, Charly, 's gibt wahrlich schlechtere.

Ich lehnte mein Rad an die Kioskwand und ging zum Fenster. Elvira wuchtete sich in die kleine Luke. Viel Oberarm, viel Dauerwelle, viel Busen. Von allem zu viel.
„Charly, ei gude. Trainierst' für de Tour?“ Sie zeigte auf mein Fahrrad.
Elvira ist 'ne Revolverschnauze, sagt man. Ich mag sie. Wir sind im selben Viertel aufgewachsen, zusammen in die Grundschule gegangen, und sind nun eine Art Kollegen. Sie bringt 'Bild', Croissants und Doornkaat an den Mann; ich versuche mich mit einer kleinen Weinhandlung über Wasser zu halten.
„Gibst mir mal 'en Kaffee, 'ne Fünfer Moods und den 'Kicker'.“ Ich lächelte sie an.
„'ne Fünfer? Damit kommste awwer net üwwers Woche'end.“
„Ich muss 'en bisschen kürzer treten. Weißt ja, man wird nicht jünger.“
„Wem saachstes? Awwer aan Mann werd ja erscht so rischtisch interessant wenn de Schlääfe graa geworde sinn.“
„Für die städtische Pietät vielleicht.“
Ich zahlte mit einem großen Schein. Sie gab mir drei, vier Scheine zurück. Feucht. Kalt. Lappig.
Dann feuerte sie eine letzte Salve: „Des kemmt vom Fluss. Inner Stund' sinnse trocke.“

Der Holländer machte sich zum Auslaufen klar. Der Bordhund lag nun träge an Deck und das Mädchen rannte aufgeregt zwischen Steuer- und Backbord hin und her. Sie gab mal hier ein Zeichen mit der Hand, schaute mal dort nach dem Rechten und signalisierte dem Skipper mit gestreckten Daumen, dass es wohl so passt. Sie hatte kein Auge mehr für mich. Ich schaute ihnen noch eine Weile nach und dachte an die Kähne, die von irgendwoher kommen und nach irgendwohin gingen.
Werd' wach, Charly!
Ich nahm Kaffee, Zeitung und die Zigarillos und ging zum kleinen Stehtisch. Dort zündete ich mir eine an, schaute hinüber zur Kreuzung und wartete. Lass uns am Samstag mit den Rädern raus fahren, hatte sie gesagt. So gegen neun, am Büdchen. Ja, so gegen neun, ich bin da.
Wenn sie kommt, kommt sie von dort.
Wenn sie kommt.
Sie kommt.
Biste sicher?
Warum sollte sie nicht?
Warum sollte sie? Kennst sie kaum.
Weil sie's gesagt hat.
Gegen neun, hat sie gesagt. Guck auf die Uhr.
Iss noch Zeit. Sie wird kommen.
Träumer.
Kähne die von irgendwoher...
...Hör auf!
Ich versuchte an etwas zu denken. Susanne. Den Krebs. Vielleicht den letzten Sommer. Es gelang mir nicht. Zu viel für einen Kopf, zu viel, Charly, denk an die Kleine, lass die alten Zeiten, ist Zeit nun, aber Zeit lässt alles verblassen, alles, Sommerkleider, Erinnerungen, Narben, iss gut so, Charly, iss gut so..

Ich trank einen Schluck Kaffee und schaute weite auf die Kreuzung.
Eine Stimme von hinten: “Na, hast wohl deine Kaffeemaschine zur Inspektion,?“
Ich brauchte mich nicht um zu drehen, und wusste doch sofort, wer in meinem Rücken stand.
Ilja; wir waren Freunde, sagenumwobenes Bouleteam, ungeschlagene Stadtmeister. Er hat seinen Laden nur ein paar Meter neben meinem. Tabak, Zigarette, Zigarren. Sehnsüchte aller Art, wie er sagt. Seit Weihnachten, als ich erfahren hatte, dass Ilja mit Susanne eine kurze heftige Liaison verband, versuchten wir uns aus dem Weg zu gehen. Nun stand er mit einem Becher Kaffee neben mir.
„Lange nicht gesehen.“ Pause. Er schaute mich an, kratzte sich verlegen auf dem Handrücken und fragte: „Ist's okay, wenn ich mich dazu stelle?“
Nichts ist okay, aber auch gar nicht. Ich zeigte mit der Hand zum Tisch und nickte.
„Hastes Spiel gesehen?“ Er deutete auf den 'Kicker'.
„Hab ich.“
„Und?“
„War nix.“
„Und, sonst so?“ Er trank einen Schluck und griff nach einem Zigarillo aus meiner Packung.
Ich gab ihm Feuer, wir rauchten und ich schaute ihn an: „Soll heißen?“
„Na ja, was machsten noch so?“
Ich schwieg. Ilja schaute sich ein paar Mal verlegen um.
„Ich mein“, sagte er, „Ich kann verstehen, wenn da gerade nichts geht. Aber wir sollten uns da nochmal zusammen setzen ...“
„Bin gespannt wie der Satz weitergeht.“
„... und nochmal drüber reden. Das geht mir schon ein bisschen an die Nieren. Wir sollten einfach mal wieder zusammen zum Boule.“
„Du hast doch nun diesen Scheich.“
„Scheich?“
„Na diesen Ali.“
„Er heißt Metin, ist Bussfahrer und im übrigen ein prima Kerl. Und 'en Auge hat der; wie ein Adler.“
Ilja schaut mich an: „Du bist so bitter geworden, Charly. So voller Bitternis. Du rennst umher und erzählst der ganzen Welt wie ungerecht man dich doch behandelt hat. Mensch, ... wird Zeit, dass du wieder auf die Beine kommst, dass du wieder der wirst, der du mal warst. Verstehste?“
Ich legte den Zigarillo in den Aschenbecher und schaute die Straße hinunter.
„Weißt du“, sagte ich, „Ich hab gerade hier gestanden und versucht an all das zu denken. An Susanne, an dich, den ganzen Mist halt.“ Ich nahm den Zigarillo wieder auf und zog einmal. „Und weißt du was?“
„Was?“
„Da war gerade nichts. Stopp; 'nichts' ist das falsche Wort. Eine alter Vers von Brecht kam mir in den Sinn. - Seit jenem Tag sind viele, viele Monde, geschwommen still hinunter und vorbei. Die Pflaumenbäume sind wohl abgehauen und fragst du mich, was mit der Liebe sei? So sag ich dir: ... - “
„ -Ich kann mich nicht erinnern. - “, fiel er mir ins Wort. „ - Und doch gewiss, ich weiß schon, was du meinst. Doch ihr Gesicht, das weiß ich... - “. Die letzten Worte sprachen wir zusammen: „ - wirklich nimmer. Ich weiß nur mehr: Ich küsste es dereinst. - “
Schweigen. Wie sahen uns nicht an.
Dann ich: „Na ja, ich denke, es geht so... manchmal“
Pause.
„Und bei dir?“, fragte ich.
„Wie gehabt. ...lass uns doch einfach mal wieder was zusammen machen, Charly. Ich denke, dass wird dann schon wieder. Wir bräuchten halt noch so'n Wurfarm wie deinen.“
Ich hob den rechten Arm. „Der ist momentan damit beschäftigt die Frauenquote im Bett zu erfüllen.“
„Iss aber auch keine Lösung.“
„Sag das mal dem Arm.“
Er schaute auf die Uhr: „Du ich muss los. Der Laden, duweissja. Ruf mich mal an, machst du?“
„Mal sehen.“
„Komm.“
„Vielleicht.“
„Versprochen?“
„Versprochen.“

Ich schaute wieder hinüber zur Kreuzung, drückte den Zigarillo in den Aschenbecher und erkannte nun einen kleinen Punkt der ungelenk hin und her pendelte. Der Punkt kam näher, und ich konnte die freche Kurzhaarfrisur erkennen. Sie kommt, Charly, tatsächlich, sie kommt, hat's ja gesagt.
Sie hob den Arm und winkte . Ich zögerte, steckte den 'Kicker' und die Zigarillos in die Fahrradtasche und winkte zurück. In meinem Rücken tutete ein Kahn, der von irgendwoher nach irgendwohin fuhr, zu einem Kahn, der von irgendwoher nach irgendwohin fuhr. Ich verlor noch einen flüchtigen Gedanken an das Mädchen und den Hund, winkte und winkte. Ich winkte, bis sie direkt neben mir stand.
 

Vagant

Mitglied
Am Fluss

Es ging auf neun zu. Ich stand bei 'Elviras Büdchen' und wartete auf meine Verabredung für eine Radtour am Main. Bist aufgeregt, dachte ich, unsicher. Ist die erste Verabredung seit Susannes Tod. Wird schon, Charly, wird schon. Ich drehte mich nach Osten, blinzelte hinüber zum Hafen und genoss die Morgensonne auf meinem Gesicht. Ein Holländer lag am Schüttgutkai. Wird die Nacht schon dort gelegen haben, dachte ich. Auf Deck; das übliche. Ein Auto, an der Kabine lehnte ein Fahrrad, Wäsche flatterte im Wind. Ein Mädchen spielte mit einem Hund. Sie rannten an den Ladeluken entlang bis zum Bug, wendeten dort und rannten wieder zurück. Als das Mädchen mich sah, winkte sie mir zu. Ich winkte zurück. Von Westen her schnaufte ein Kahn flussaufwärts, passierte den Holländer und ließ das Horn drei Mal tuten. Kähne, die von irgendwoher kamen und nach irgendwohin gingen, treffen auf Kähne, die von irgendwoher kamen und nach irgendwohin gingen. Es gibt schlechtere Jobs, Charly, 's gibt wahrlich schlechtere.

Ich lehnte mein Rad an die Kioskwand und ging zum Fenster. Elvira wuchtete sich in die kleine Luke. Viel Oberarm, viel Dauerwelle, viel Busen. Von allem zu viel.
„Charly, ei gude. Trainierst' für de Tour?“ Sie zeigte auf mein Fahrrad.
Elvira ist 'ne Revolverschnauze, sagt man. Ich mag sie. Wir sind im selben Viertel aufgewachsen, zusammen in die Grundschule gegangen, und sind nun eine Art Kollegen. Sie bringt 'Bild', Croissants und Doornkaat an den Mann; ich versuche mich mit einer kleinen Weinhandlung über Wasser zu halten.
„Gibst mir mal 'en Kaffee, 'ne Fünfer Moods und den 'Kicker'.“ Ich lächelte sie an.
„'ne Fünfer? Damit kommste awwer net üwwers Woche'end.“
„Ich muss 'en bisschen kürzer treten. Weißt ja, man wird nicht jünger.“
„Wem saachstes? Awwer aan Mann werd ja erscht so rischtisch interessant wenn de Schlääfe graa geworde sinn.“
„Für die städtische Pietät vielleicht.“
Ich zahlte mit einem großen Schein. Sie gab mir drei, vier Scheine zurück. Feucht. Kalt. Lappig.
Dann feuerte sie eine letzte Salve: „Des kemmt vom Fluss. Inner Stund' sinnse trocke.“

Der Holländer machte sich zum Auslaufen klar. Der Bordhund lag nun träge an Deck und das Mädchen rannte aufgeregt zwischen Steuer- und Backbord hin und her. Sie gab mal hier ein Zeichen mit der Hand, schaute mal dort nach dem Rechten und signalisierte dem Skipper mit gestreckten Daumen, dass es wohl so passt. Sie hatte kein Auge mehr für mich. Ich schaute ihnen noch eine Weile nach und dachte an die Kähne, die von irgendwoher kommen und nach irgendwohin gingen.
Werd' wach, Charly!
Ich nahm Kaffee, Zeitung und die Zigarillos und ging zum kleinen Stehtisch. Dort zündete ich mir eine an, schaute hinüber zur Kreuzung und wartete. Lass uns am Samstag mit den Rädern raus fahren, hatte sie gesagt. So gegen neun, am Büdchen. Ja, so gegen neun, ich bin da.
Wenn sie kommt, kommt sie von dort.
Wenn sie kommt.
Sie kommt.
Biste sicher?
Warum sollte sie nicht?
Warum sollte sie? Kennst sie kaum.
Weil sie's gesagt hat.
Gegen neun, hat sie gesagt. Guck auf die Uhr.
Iss noch Zeit. Sie wird kommen.
Träumer.
Kähne die von irgendwoher...
...Hör auf!
Ich versuchte an etwas zu denken. Susanne. Den Krebs. Vielleicht den letzten Sommer. Es gelang mir nicht. Zu viel für einen Kopf, zu viel, Charly, denk an die Kleine, lass die alten Zeiten, ist Zeit nun, aber Zeit lässt alles verblassen, alles, Sommerkleider, Erinnerungen, Narben, iss gut so, Charly, iss gut so..

Ich trank einen Schluck Kaffee und schaute weite auf die Kreuzung.
Eine Stimme von hinten: “Na, hast wohl deine Kaffeemaschine zur Inspektion,?“
Ich brauchte mich nicht um zu drehen, und wusste doch sofort, wer in meinem Rücken stand.
Ilja; wir waren Freunde, sagenumwobenes Bouleteam, ungeschlagene Stadtmeister. Er hat seinen Laden nur ein paar Meter neben meinem. Tabak, Zigarette, Zigarren. Sehnsüchte aller Art, wie er sagt. Seit Weihnachten, als ich erfahren hatte, dass Ilja mit Susanne eine kurze heftige Liaison verband, versuchten wir uns aus dem Weg zu gehen. Nun stand er mit einem Becher Kaffee neben mir.
„Lange nicht gesehen.“ Pause. Er schaute mich an, kratzte sich verlegen auf dem Handrücken und fragte: „Ist's okay, wenn ich mich dazu stelle?“
Nichts ist okay, aber auch gar nicht. Ich zeigte mit der Hand zum Tisch und nickte.
„Hastes Spiel gesehen?“ Er deutete auf den 'Kicker'.
„Hab ich.“
„Und?“
„War nix.“
„Und, sonst so?“ Er trank einen Schluck und griff nach einem Zigarillo aus meiner Packung.
Ich gab ihm Feuer, wir rauchten und ich schaute ihn an: „Soll heißen?“
„Na ja, was machsten noch so?“
Ich schwieg. Ilja schaute sich ein paar Mal verlegen um.
„Ich mein“, sagte er, „Ich kann verstehen, wenn da gerade nichts geht. Aber wir sollten uns da nochmal zusammen setzen ...“
„Bin gespannt wie der Satz weitergeht.“
„... und nochmal drüber reden. Das geht mir schon ein bisschen an die Nieren. Wir sollten einfach mal wieder zusammen zum Boule.“
„Du hast doch nun diesen Scheich.“
„Scheich?“
„Na diesen Ali.“
„Er heißt Metin, ist Bussfahrer und im übrigen ein prima Kerl. Und 'en Auge hat der; wie ein Adler.“
Ilja schaut mich an: „Du bist so bitter geworden, Charly. So voller Bitternis. Du rennst umher und erzählst der ganzen Welt wie ungerecht man dich doch behandelt hat. Mensch, ... wird Zeit, dass du wieder auf die Beine kommst, dass du wieder der wirst, der du mal warst. Verstehste?“
Ich legte den Zigarillo in den Aschenbecher und schaute die Straße hinunter.
„Weißt du“, sagte ich, „Ich hab gerade hier gestanden und versucht an all das zu denken. An Susanne, an dich, den ganzen Mist halt.“ Ich nahm den Zigarillo wieder auf und zog einmal. „Und weißt du was?“
„Was?“
„Da war gerade nichts. Stopp; 'nichts' ist das falsche Wort. Eine alter Vers von Brecht kam mir in den Sinn. - Seit jenem Tag sind viele, viele Monde, geschwommen still hinunter und vorbei. Die Pflaumenbäume sind wohl abgehauen und fragst du mich, was mit der Liebe sei? So sag ich dir: ... - “
„ -Ich kann mich nicht erinnern. - “, fiel er mir ins Wort. „ - Und doch gewiss, ich weiß schon, was du meinst. Doch ihr Gesicht, das weiß ich... - “. Die letzten Worte sprachen wir zusammen: „ - wirklich nimmer. Ich weiß nur mehr: Ich küsste es dereinst. - “
Schweigen. Wie sahen uns nicht an.
Dann ich: „Na ja, ich denke, es geht so... manchmal“
Pause.
„Und bei dir?“, fragte ich.
„Wie gehabt. ...lass uns doch einfach mal wieder was zusammen machen, Charly. Ich denke, dass wird dann schon wieder. Wir bräuchten halt noch so'n Wurfarm wie deinen.“
Ich hob den rechten Arm. „Der ist momentan damit beschäftigt die Frauenquote im Bett zu erfüllen.“
„Iss aber auch keine Lösung.“
„Sag das mal dem Arm.“
Er schaute auf die Uhr: „Du ich muss los. Der Laden, duweissja. Ruf mich mal an, machst du?“
„Mal sehen.“
„Komm.“
„Vielleicht.“
„Versprochen?“
„Versprochen.“

Ich schaute wieder hinüber zur Kreuzung, drückte den Zigarillo in den Aschenbecher und erkannte nun einen kleinen Punkt der ungelenk hin und her pendelte. Der Punkt kam näher, und ich konnte die freche Kurzhaarfrisur erkennen. Sie kommt, Charly, tatsächlich, sie kommt, hat's ja gesagt.
Sie hob den Arm und winkte . Ich zögerte, steckte den 'Kicker' und die Zigarillos in die Fahrradtasche und winkte zurück. In meinem Rücken tutete ein Kahn, der von irgendwoher nach irgendwohin fuhr, zu einem Kahn, der von irgendwoher nach irgendwohin fuhr. Ich verlor noch einen flüchtigen Gedanken an das Mädchen und den Hund, winkte und winkte. Ich winkte, bis sie direkt neben mir stand.
 

Vagant

Mitglied
Am Fluss

Es ging auf neun zu. Ich stand bei 'Elviras Büdchen' und wartete auf meine Verabredung für eine Radtour am Main. Bist aufgeregt, dachte ich, unsicher. Ist die erste Verabredung seit Susannes Tod. Wird schon, Charly, wird schon. Ich drehte mich nach Osten, blinzelte hinüber zum Hafen und genoss die Morgensonne auf meinem Gesicht. Ein Holländer lag am Schüttgutkai. Wird die Nacht schon dort gelegen haben. Auf Deck; das übliche. Ein Auto, an der Kabine lehnte ein Fahrrad, Wäsche flatterte im Wind. Ein Mädchen spielte mit einem Hund. Sie rannten an den Ladeluken entlang bis zum Bug, wendeten dort und rannten wieder zurück. Als das Mädchen mich sah, winkte sie mir zu. Ich winkte zurück. Von Westen her schnaufte ein Kahn flussaufwärts, passierte den Holländer und ließ das Horn drei Mal tuten. Kähne, die von irgendwoher kamen und nach irgendwohin gingen, treffen auf Kähne, die von irgendwoher kamen und nach irgendwohin gingen. Es gibt schlechtere Jobs, Charly, 's gibt wahrlich schlechtere.

Ich lehnte mein Rad an die Kioskwand und ging zum Fenster. Elvira wuchtete sich in die kleine Luke. Viel Oberarm, viel Dauerwelle, viel Busen. Von allem zu viel.
„Charly, ei gude. Trainierst' für de Tour?“ Sie zeigte auf mein Fahrrad.
Elvira ist 'ne Revolverschnauze, sagt man. Ich mag sie. Wir sind im selben Viertel aufgewachsen, zusammen in die Grundschule gegangen, und sind nun eine Art Kollegen. Sie bringt 'Bild', Croissants und Doornkaat an den Mann; ich versuche mich mit einer kleinen Weinhandlung über Wasser zu halten.
„Gibst mir mal 'en Kaffee, 'ne Fünfer Moods und den 'Kicker'.“ Ich lächelte sie an.
„'ne Fünfer? Damit kommste awwer net üwwers Woche'end.“
„Ich muss 'en bisschen kürzer treten. Weißt ja, man wird nicht jünger.“
„Wem saachstes? Awwer aan Mann werd ja erscht so rischtisch interessant wenn de Schlääfe graa geworde sinn.“
„Für die städtische Pietät vielleicht.“
Ich zahlte mit einem großen Schein. Sie gab mir drei, vier Scheine zurück. Feucht. Kalt. Lappig.
Dann feuerte sie eine letzte Salve: „Des kemmt vom Fluss. Inner Stund' sinnse trocke.“

Der Holländer machte sich zum Auslaufen klar. Der Bordhund lag nun träge an Deck und das Mädchen rannte aufgeregt zwischen Steuer- und Backbord hin und her. Sie gab mal hier ein Zeichen mit der Hand, schaute mal dort nach dem Rechten und signalisierte dem Skipper mit gestreckten Daumen, dass es wohl so passt. Sie hatte kein Auge mehr für mich. Ich schaute ihnen noch eine Weile nach und dachte an die Kähne, die von irgendwoher kommen und nach irgendwohin gingen.
Werd' wach, Charly!
Ich nahm Kaffee, Zeitung und die Zigarillos und ging zum kleinen Stehtisch. Dort zündete ich mir eine an, schaute hinüber zur Kreuzung und wartete. Lass uns am Samstag mit den Rädern raus fahren, hatte sie gesagt. So gegen neun, am Büdchen. Ja, so gegen neun, ich bin da.
Wenn sie kommt, kommt sie von dort.
Wenn sie kommt.
Sie kommt.
Biste sicher?
Warum sollte sie nicht?
Warum sollte sie? Kennst sie kaum.
Weil sie's gesagt hat.
Gegen neun, hat sie gesagt. Guck auf die Uhr.
Iss noch Zeit. Sie wird kommen.
Träumer.
Kähne die von irgendwoher...
...Hör auf!
Ich versuchte an etwas zu denken. Susanne. Den Krebs. Vielleicht den letzten Sommer. Es gelang mir nicht. Zu viel für einen Kopf, zu viel, Charly, denk an die Kleine, lass die alten Zeiten, ist Zeit nun, aber Zeit lässt alles verblassen, alles, Sommerkleider, Erinnerungen, Narben, iss gut so, Charly, iss gut so..

Ich trank einen Schluck Kaffee und schaute weite auf die Kreuzung.
Eine Stimme von hinten: “Na, hast wohl deine Kaffeemaschine zur Inspektion,?“
Ich brauchte mich nicht um zu drehen, und wusste doch sofort, wer in meinem Rücken stand.
Ilja; wir waren Freunde, sagenumwobenes Bouleteam, ungeschlagene Stadtmeister. Er hat seinen Laden nur ein paar Meter neben meinem. Tabak, Zigarette, Zigarren. Sehnsüchte aller Art, wie er sagt. Seit Weihnachten, als ich erfahren hatte, dass Ilja mit Susanne eine kurze heftige Liaison verband, versuchten wir uns aus dem Weg zu gehen. Nun stand er mit einem Becher Kaffee neben mir.
„Lange nicht gesehen.“ Pause. Er schaute mich an, kratzte sich verlegen auf dem Handrücken und fragte: „Ist's okay, wenn ich mich dazu stelle?“
Nichts ist okay, aber auch gar nicht. Ich zeigte mit der Hand zum Tisch und nickte.
„Hastes Spiel gesehen?“ Er deutete auf den 'Kicker'.
„Hab ich.“
„Und?“
„War nix.“
„Und, sonst so?“ Er trank einen Schluck und griff nach einem Zigarillo aus meiner Packung.
Ich gab ihm Feuer, wir rauchten und ich schaute ihn an: „Soll heißen?“
„Na ja, was machsten noch so?“
Ich schwieg. Ilja schaute sich ein paar Mal verlegen um.
„Ich mein“, sagte er, „Ich kann verstehen, wenn da gerade nichts geht. Aber wir sollten uns da nochmal zusammen setzen ...“
„Bin gespannt wie der Satz weitergeht.“
„... und nochmal drüber reden. Das geht mir schon ein bisschen an die Nieren. Wir sollten einfach mal wieder zusammen zum Boule.“
„Du hast doch nun diesen Scheich.“
„Scheich?“
„Na diesen Ali.“
„Er heißt Metin, ist Bussfahrer und im übrigen ein prima Kerl. Und 'en Auge hat der; wie ein Adler.“
Ilja schaut mich an: „Du bist so bitter geworden, Charly. So voller Bitternis. Du rennst umher und erzählst der ganzen Welt wie ungerecht man dich doch behandelt hat. Mensch, ... wird Zeit, dass du wieder auf die Beine kommst, dass du wieder der wirst, der du mal warst. Verstehste?“
Ich legte den Zigarillo in den Aschenbecher und schaute die Straße hinunter.
„Weißt du“, sagte ich, „Ich hab gerade hier gestanden und versucht an all das zu denken. An Susanne, an dich, den ganzen Mist halt.“ Ich nahm den Zigarillo wieder auf und zog einmal. „Und weißt du was?“
„Was?“
„Da war gerade nichts. Stopp; 'nichts' ist das falsche Wort. Eine alter Vers von Brecht kam mir in den Sinn. - Seit jenem Tag sind viele, viele Monde, geschwommen still hinunter und vorbei. Die Pflaumenbäume sind wohl abgehauen und fragst du mich, was mit der Liebe sei? So sag ich dir: ... - “
„ -Ich kann mich nicht erinnern. - “, fiel er mir ins Wort. „ - Und doch gewiss, ich weiß schon, was du meinst. Doch ihr Gesicht, das weiß ich... - “. Die letzten Worte sprachen wir zusammen: „ - wirklich nimmer. Ich weiß nur mehr: Ich küsste es dereinst. - “
Schweigen. Wie sahen uns nicht an.
Dann ich: „Na ja, ich denke, es geht so... manchmal“
Pause.
„Und bei dir?“, fragte ich.
„Wie gehabt. ...lass uns doch einfach mal wieder was zusammen machen, Charly. Ich denke, dass wird dann schon wieder. Wir bräuchten halt noch so'n Wurfarm wie deinen.“
Ich hob den rechten Arm. „Der ist momentan damit beschäftigt die Frauenquote im Bett zu erfüllen.“
„Iss aber auch keine Lösung.“
„Sag das mal dem Arm.“
Er schaute auf die Uhr: „Du ich muss los. Der Laden, duweissja. Ruf mich mal an, machst du?“
„Mal sehen.“
„Komm.“
„Vielleicht.“
„Versprochen?“
„Versprochen.“

Ich schaute wieder hinüber zur Kreuzung, drückte den Zigarillo in den Aschenbecher und erkannte nun einen kleinen Punkt der ungelenk hin und her pendelte. Der Punkt kam näher, und ich konnte die freche Kurzhaarfrisur erkennen. Sie kommt, Charly, tatsächlich, sie kommt, hat's ja gesagt.
Sie hob den Arm und winkte . Ich zögerte, steckte den 'Kicker' und die Zigarillos in die Fahrradtasche und winkte zurück. In meinem Rücken tutete ein Kahn, der von irgendwoher nach irgendwohin fuhr, zu einem Kahn, der von irgendwoher nach irgendwohin fuhr. Ich verlor noch einen flüchtigen Gedanken an das Mädchen und den Hund, winkte und winkte. Ich winkte, bis sie direkt neben mir stand.
 

Vagant

Mitglied
Am Fluss

Es ging auf neun zu. Ich stand bei 'Elviras Büdchen' und wartete auf meine Verabredung für eine Radtour am Main. Bist aufgeregt, dachte ich, unsicher. Ist die erste Verabredung seit Susannes Tod. Wird schon, Charly, wird schon. Ich drehte mich nach Osten, blinzelte hinüber zum Hafen und genoss die Morgensonne auf meinem Gesicht. Ein Holländer lag am Schüttgutkai. Wird die Nacht schon dort gelegen haben. Auf Deck; das übliche. Ein Auto, an der Kabine lehnte ein Fahrrad, Wäsche flatterte im Wind. Ein Mädchen spielte mit einem Hund. Sie rannten an den Ladeluken entlang bis zum Bug, wendeten dort und rannten wieder zurück. Als das Mädchen mich sah, winkte sie mir zu. Ich winkte zurück. Von Westen her schnaufte ein Kahn flussaufwärts, passierte den Holländer und ließ das Horn drei Mal tuten. Kähne, die von irgendwoher kamen und nach irgendwohin gingen, treffen auf Kähne, die von irgendwoher kamen und nach irgendwohin gingen. Es gibt schlechtere Jobs, Charly, 's gibt wahrlich schlechtere.

Ich lehnte mein Rad an die Kioskwand und ging zum Fenster. Elvira wuchtete sich in die kleine Luke. Viel Oberarm, viel Dauerwelle, viel Busen. Von allem zu viel.
„Charly, ei gude. Trainierst' für de Tour?“ Sie zeigte auf mein Fahrrad.
Elvira ist 'ne Revolverschnauze, sagt man. Ich mag sie. Wir sind im selben Viertel aufgewachsen, zusammen in die Grundschule gegangen, und sind nun eine Art Kollegen. Sie bringt 'Bild', Croissants und Doornkaat an den Mann; ich versuche mich mit einer kleinen Weinhandlung über Wasser zu halten.
„Gibst mir mal 'en Kaffee, 'ne Fünfer Moods und den 'Kicker'.“ Ich lächelte sie an.
„'ne Fünfer? Damit kommste awwer net üwwers Woche'end.“
„Ich muss 'en bisschen kürzer treten. Weißt ja, man wird nicht jünger.“
„Wem saachstes? Awwer aan Mann werd ja erscht so rischtisch interessant wenn de Schlääfe graa geworde sinn.“
„Für die städtische Pietät vielleicht.“
Ich zahlte mit einem großen Schein. Sie gab mir drei, vier Scheine zurück. Feucht. Kalt. Lappig.
Dann feuerte sie eine letzte Salve: „Des kemmt vom Fluss. Inner Stund' sinnse trocke.“

Der Holländer machte sich zum Auslaufen klar. Der Bordhund lag nun träge an Deck und das Mädchen rannte aufgeregt zwischen Steuer- und Backbord hin und her. Sie gab mal hier ein Zeichen mit der Hand, schaute mal dort nach dem Rechten und signalisierte dem Skipper mit gestreckten Daumen, dass es wohl so passt. Sie hatte kein Auge mehr für mich. Ich schaute ihnen noch eine Weile nach und dachte an die Kähne, die von irgendwoher kommen und nach irgendwohin gingen.
Werd' wach, Charly!
Ich nahm Kaffee, Zeitung und die Zigarillos und ging zum kleinen Stehtisch. Dort zündete ich mir eine an, schaute hinüber zur Kreuzung und wartete. Lass uns am Samstag mit den Rädern raus fahren, hatte sie gesagt. So gegen neun, am Büdchen. Ja, so gegen neun, ich bin da. Ich schaute zur Kreuzung.
Wenn sie kommt, kommt sie von dort.
Wenn sie kommt.
Sie kommt.
Biste sicher?
Warum sollte sie nicht?
Warum sollte sie? Kennst sie kaum.
Weil sie's gesagt hat.
Gegen neun, hat sie gesagt. Guck auf die Uhr.
Iss noch Zeit. Sie wird kommen.
Träumer.
Kähne die von irgendwoher...
...Hör auf!
Ich versuchte an etwas zu denken. Susanne. Den Krebs. Vielleicht den letzten Sommer. Es gelang mir nicht. Zu viel für einen Kopf, zu viel, Charly, denk an die Kleine, lass die alten Zeiten, ist Zeit nun, aber Zeit lässt alles verblassen, alles, Sommerkleider, Erinnerungen, Narben, iss gut so, Charly, iss gut so..

Ich trank einen Schluck Kaffee und schaute weite auf die Kreuzung.
Eine Stimme von hinten: “Na, hast wohl deine Kaffeemaschine zur Inspektion,?“
Ich brauchte mich nicht um zu drehen, und wusste doch sofort, wer in meinem Rücken stand.
Ilja; wir waren Freunde, sagenumwobenes Bouleteam, ungeschlagene Stadtmeister. Er hat seinen Laden nur ein paar Meter neben meinem. Tabak, Zigarette, Zigarren. Sehnsüchte aller Art, wie er sagt. Seit Weihnachten, als ich erfahren hatte, dass Ilja mit Susanne eine kurze heftige Liaison verband, versuchten wir uns aus dem Weg zu gehen. Nun stand er mit einem Becher Kaffee neben mir.
„Lange nicht gesehen.“ Pause. Er schaute mich an, kratzte sich verlegen auf dem Handrücken und fragte: „Ist's okay, wenn ich mich dazu stelle?“
Nichts ist okay, aber auch gar nicht. Ich zeigte mit der Hand zum Tisch und nickte.
„Hastes Spiel gesehen?“ Er deutete auf den 'Kicker'.
„Hab ich.“
„Und?“
„War nix.“
„Und, sonst so?“ Er trank einen Schluck und griff nach einem Zigarillo aus meiner Packung.
Ich gab ihm Feuer, wir rauchten und ich schaute ihn an: „Soll heißen?“
„Na ja, was machsten noch so?“
Ich schwieg. Ilja schaute sich ein paar Mal verlegen um.
„Ich mein“, sagte er, „Ich kann verstehen, wenn da gerade nichts geht. Aber wir sollten uns da nochmal zusammen setzen ...“
„Bin gespannt wie der Satz weitergeht.“
„... und nochmal drüber reden. Das geht mir schon ein bisschen an die Nieren. Wir sollten einfach mal wieder zusammen zum Boule.“
„Du hast doch nun diesen Scheich.“
„Scheich?“
„Na diesen Ali.“
„Er heißt Metin, ist Bussfahrer und im übrigen ein prima Kerl. Und 'en Auge hat der; wie ein Adler.“
Ilja schaut mich an: „Du bist so bitter geworden, Charly. So voller Bitternis. Du rennst umher und erzählst der ganzen Welt wie ungerecht man dich doch behandelt hat. Mensch, ... wird Zeit, dass du wieder auf die Beine kommst, dass du wieder der wirst, der du mal warst. Verstehste?“
Ich legte den Zigarillo in den Aschenbecher und schaute die Straße hinunter.
„Weißt du“, sagte ich, „Ich hab gerade hier gestanden und versucht an all das zu denken. An Susanne, an dich, den ganzen Mist halt.“ Ich nahm den Zigarillo wieder auf und zog einmal. „Und weißt du was?“
„Was?“
„Da war gerade nichts. Stopp; 'nichts' ist das falsche Wort. Eine alter Vers von Brecht kam mir in den Sinn. - Seit jenem Tag sind viele, viele Monde, geschwommen still hinunter und vorbei. Die Pflaumenbäume sind wohl abgehauen und fragst du mich, was mit der Liebe sei? So sag ich dir: ... - “
„ -Ich kann mich nicht erinnern. - “, fiel er mir ins Wort. „ - Und doch gewiss, ich weiß schon, was du meinst. Doch ihr Gesicht, das weiß ich... - “. Die letzten Worte sprachen wir zusammen: „ - wirklich nimmer. Ich weiß nur mehr: Ich küsste es dereinst. - “
Schweigen. Wie sahen uns nicht an.
Dann ich: „Na ja, ich denke, es geht so... manchmal“
Pause.
„Und bei dir?“, fragte ich.
„Wie gehabt. ...lass uns doch einfach mal wieder was zusammen machen, Charly. Ich denke, dass wird dann schon wieder. Wir bräuchten halt noch so'n Wurfarm wie deinen.“
Ich hob den rechten Arm. „Der ist momentan damit beschäftigt die Frauenquote im Bett zu erfüllen.“
„Iss aber auch keine Lösung.“
„Sag das mal dem Arm.“
Er schaute auf die Uhr: „Du ich muss los. Der Laden, duweissja. Ruf mich mal an, machst du?“
„Mal sehen.“
„Komm.“
„Vielleicht.“
„Versprochen?“
„Versprochen.“

Ich schaute wieder hinüber zur Kreuzung, drückte den Zigarillo in den Aschenbecher und erkannte nun einen kleinen Punkt der ungelenk hin und her pendelte. Der Punkt kam näher, und ich konnte die freche Kurzhaarfrisur erkennen. Sie kommt, Charly, tatsächlich, sie kommt, hat's ja gesagt.
Sie hob den Arm und winkte . Ich zögerte, steckte den 'Kicker' und die Zigarillos in die Fahrradtasche und winkte zurück. In meinem Rücken tutete ein Kahn, der von irgendwoher nach irgendwohin fuhr, zu einem Kahn, der von irgendwoher nach irgendwohin fuhr. Ich verlor noch einen flüchtigen Gedanken an das Mädchen und den Hund, winkte und winkte. Ich winkte, bis sie direkt neben mir stand.
 

Vagant

Mitglied
Am Fluss

Es ging auf neun zu. Ich stand bei 'Elviras Büdchen' und wartete auf meine Verabredung für eine Radtour am Main. Bist aufgeregt, dachte ich, unsicher. Ist die erste Verabredung seit Susannes Tod. Wird schon, Charly, wird schon. Ich drehte mich nach Osten, blinzelte hinüber zum Hafen und genoss die Morgensonne auf meinem Gesicht. Ein Holländer lag am Schüttgutkai. Wird die Nacht schon dort gelegen haben. Auf Deck; das übliche. Ein Auto, an der Kabine lehnte ein Fahrrad, Wäsche flatterte im Wind. Ein Mädchen spielte mit einem Hund. Sie rannten an den Ladeluken entlang bis zum Bug, wendeten dort und rannten wieder zurück. Als das Mädchen mich sah, winkte sie mir zu. Ich winkte zurück. Von Westen her schnaufte ein Kahn flussaufwärts, passierte den Holländer und ließ das Horn drei Mal tuten. Kähne, die von irgendwoher kamen und nach irgendwohin gingen, treffen auf Kähne, die von irgendwoher kamen und nach irgendwohin gingen. Es gibt schlechtere Jobs, Charly, 's gibt wahrlich schlechtere.

Ich lehnte mein Rad an die Kioskwand und ging zum Fenster. Elvira wuchtete sich in die kleine Luke. Viel Oberarm, viel Dauerwelle, viel Busen. Von allem zu viel.
„Charly, ei gude. Trainierst' für de Tour?“ Sie zeigte auf mein Fahrrad.
Elvira ist 'ne Revolverschnauze, sagt man. Ich mag sie. Wir sind im selben Viertel aufgewachsen, zusammen in die Grundschule gegangen, und sind nun eine Art Kollegen. Sie bringt 'Bild', Croissants und Doornkaat an den Mann; ich versuche mich mit einer kleinen Weinhandlung über Wasser zu halten.
„Gibst mir mal 'en Kaffee, 'ne Fünfer Moods und den 'Kicker'.“ Ich lächelte sie an.
„'ne Fünfer? Damit kommste awwer net üwwers Woche'end.“
„Ich muss 'en bisschen kürzer treten. Weißt ja, man wird nicht jünger.“
„Wem saachstes? Awwer aan Mann werd ja erscht so rischtisch interessant wenn de Schlääfe graa geworde sinn.“
„Für die städtische Pietät vielleicht.“
Ich zahlte mit einem großen Schein. Sie gab mir drei, vier Scheine zurück. Feucht. Kalt. Lappig.
Dann feuerte sie eine letzte Salve: „Des kemmt vom Fluss. Inner Stund' sinnse trocke.“

Der Holländer machte sich zum Auslaufen klar. Der Bordhund lag nun träge an Deck und das Mädchen rannte aufgeregt zwischen Steuer- und Backbord hin und her. Sie gab mal hier ein Zeichen mit der Hand, schaute mal dort nach dem Rechten und signalisierte dem Skipper mit gestreckten Daumen, dass es wohl so passt. Sie hatte kein Auge mehr für mich. Ich schaute ihnen noch eine Weile nach und dachte an die Kähne, die von irgendwoher kommen und nach irgendwohin gingen.
Werd' wach, Charly!
Ich nahm Kaffee, Zeitung und die Zigarillos und ging zum kleinen Stehtisch. Dort zündete ich mir eine an, schaute hinüber zur Kreuzung und wartete. Lass uns am Samstag mit den Rädern raus fahren, hatte sie gesagt. So gegen neun, am Büdchen. Ja, so gegen neun, ich bin da. Ich schaute zur Kreuzung.
Wenn sie kommt, kommt sie von dort.
Wenn sie kommt.
Sie kommt.
Biste sicher?
Warum sollte sie nicht?
Warum sollte sie? Kennst sie kaum.
Weil sie's gesagt hat.
Gegen neun, hat sie gesagt. Guck auf die Uhr.
Iss noch Zeit. Sie wird kommen.
Träumer.
Kähne die von irgendwoher...
...Hör auf!
Ich versuchte an etwas zu denken. Susanne. Den Krebs. Vielleicht den letzten Sommer. Es gelang mir nicht. Zu viel für einen Kopf, zu viel, Charly, denk an die Kleine, lass die alten Zeiten, ist Zeit nun, aber Zeit lässt alles verblassen, alles, Sommerkleider, Erinnerungen, Narben, iss gut so, Charly, iss gut so..

Ich trank einen Schluck Kaffee und schaute weite auf die Kreuzung.
Eine Stimme von hinten: “Na, hast wohl deine Kaffeemaschine zur Inspektion,?“
Ich brauchte mich nicht um zu drehen, und wusste doch sofort, wer in meinem Rücken stand.
Ilja; wir waren Freunde, sagenumwobenes Bouleteam, ungeschlagene Stadtmeister. Er hat seinen Laden nur ein paar Meter neben meinem. Tabak, Zigarette, Zigarren. Sehnsüchte aller Art, wie er sagt. Seit Weihnachten, als ich erfahren hatte, dass Ilja mit Susanne eine kurze heftige Liaison verband, versuchten wir uns aus dem Weg zu gehen. Nun stand er mit einem Becher Kaffee neben mir.
„Lange nicht gesehen.“ Pause. Er schaute mich an, kratzte sich verlegen auf dem Handrücken und fragte: „Ist's okay, wenn ich mich dazu stelle?“
Nichts ist okay, aber auch gar nicht. Ich zeigte mit der Hand zum Tisch und nickte.
„Hastes Spiel gesehen?“ Er deutete auf den 'Kicker'.
„Hab ich.“
„Und?“
„War nix.“
„Und, sonst so?“ Er trank einen Schluck und griff nach einem Zigarillo aus meiner Packung.
Ich gab ihm Feuer, wir rauchten und ich schaute ihn an: „Soll heißen?“
„Na ja, was machsten noch so?“
Ich schwieg. Ilja schaute sich ein paar Mal verlegen um.
„Ich mein“, sagte er, „Ich kann verstehen, wenn da gerade nichts geht. Aber wir sollten uns da nochmal zusammen setzen ...“
„Bin gespannt wie der Satz weitergeht.“
„... und nochmal drüber reden. Das geht mir schon ein bisschen an die Nieren. Wir sollten einfach mal wieder zusammen zum Boule.“
„Du hast doch nun diesen Scheich.“
„Scheich?“
„Na diesen Ali.“
„Er heißt Metin, ist Bussfahrer und im übrigen ein prima Kerl. Und 'en Auge hat der, wie ein Adler.“
Ilja schaut mich an: „Du bist so bitter geworden, Charly. So voller Bitternis. Du rennst umher und erzählst der ganzen Welt wie ungerecht man dich doch behandelt hat. Mensch, ... wird Zeit, dass du wieder auf die Beine kommst, dass du wieder der wirst, der du mal warst. Verstehste?“
Ich legte den Zigarillo in den Aschenbecher und schaute die Straße hinunter.
„Weißt du“, sagte ich, „Ich hab gerade hier gestanden und versucht an all das zu denken. An Susanne, an dich, den ganzen Mist halt.“ Ich nahm den Zigarillo wieder auf und zog einmal. „Und weißt du was?“
„Was?“
„Da war gerade nichts. Stopp; 'nichts' ist das falsche Wort. Eine alter Vers von Brecht kam mir in den Sinn. - Seit jenem Tag sind viele, viele Monde, geschwommen still hinunter und vorbei. Die Pflaumenbäume sind wohl abgehauen und fragst du mich, was mit der Liebe sei? So sag ich dir: ... - “
„ -Ich kann mich nicht erinnern. - “, fiel er mir ins Wort. „ - Und doch gewiss, ich weiß schon, was du meinst. Doch ihr Gesicht, das weiß ich... - “. Die letzten Worte sprachen wir zusammen: „ - wirklich nimmer. Ich weiß nur mehr: Ich küsste es dereinst. - “
Schweigen. Wie sahen uns nicht an.
Dann ich: „Na ja, ich denke, es geht so... manchmal“
Pause.
„Und bei dir?“, fragte ich.
„Wie gehabt. ...lass uns doch einfach mal wieder was zusammen machen, Charly. Ich denke, dass wird dann schon wieder. Wir bräuchten halt noch so'n Wurfarm wie deinen.“
Ich hob den rechten Arm. „Der ist momentan damit beschäftigt die Frauenquote im Bett zu erfüllen.“
„Iss aber auch keine Lösung.“
„Sag das mal dem Arm.“
Er schaute auf die Uhr: „Du ich muss los. Der Laden, duweissja. Ruf mich mal an, machst du?“
„Mal sehen.“
„Komm.“
„Vielleicht.“
„Versprochen?“
„Versprochen.“

Ich schaute wieder hinüber zur Kreuzung, drückte den Zigarillo in den Aschenbecher und erkannte nun einen kleinen Punkt der ungelenk hin und her pendelte. Der Punkt kam näher, und ich konnte die freche Kurzhaarfrisur erkennen. Sie kommt, Charly, tatsächlich, sie kommt, hat's ja gesagt.
Sie hob den Arm und winkte . Ich zögerte, steckte den 'Kicker' und die Zigarillos in die Fahrradtasche und winkte zurück. In meinem Rücken tutete ein Kahn, der von irgendwoher nach irgendwohin fuhr, zu einem Kahn, der von irgendwoher nach irgendwohin fuhr. Ich verlor noch einen flüchtigen Gedanken an das Mädchen und den Hund, winkte und winkte. Ich winkte, bis sie direkt neben mir stand.
 

Vagant

Mitglied
Am Fluss

Es ging auf neun zu. Ich stand bei 'Elviras Büdchen' und wartete auf meine Verabredung für eine Radtour am Main. Bist aufgeregt, dachte ich, unsicher. Ist die erste Verabredung seit Susannes Tod. Wird schon, Charly, wird schon. Ich drehte mich nach Osten, blinzelte hinüber zum Hafen und genoss die Morgensonne auf meinem Gesicht. Ein Holländer lag am Schüttgutkai. Wird die Nacht schon dort gelegen haben. Auf Deck; das übliche. Ein Auto, an der Kabine lehnte ein Fahrrad, Wäsche flatterte im Wind. Ein Mädchen spielte mit einem Hund. Sie rannten an den Ladeluken entlang bis zum Bug, wendeten dort und rannten wieder zurück. Als das Mädchen mich sah, winkte sie mir zu. Ich winkte zurück. Von Westen her schnaufte ein Kahn flussaufwärts, passierte den Holländer und ließ das Horn drei Mal tuten. Kähne, die von irgendwoher kamen und nach irgendwohin gingen, treffen auf Kähne, die von irgendwoher kamen und nach irgendwohin gingen. Es gibt schlechtere Jobs, Charly, 's gibt wahrlich schlechtere.

Ich lehnte mein Rad an die Kioskwand und ging zum Fenster. Elvira wuchtete sich in die kleine Luke. Viel Oberarm, viel Dauerwelle, viel Busen. Von allem zu viel.
„Charly, ei gude. Trainierst' für de Tour?“ Sie zeigte auf mein Fahrrad.
Elvira ist 'ne Revolverschnauze, sagt man. Ich mag sie. Wir sind im selben Viertel aufgewachsen, zusammen in die Grundschule gegangen, und sind nun eine Art Kollegen. Sie bringt 'Bild', Croissants und Doornkaat an den Mann; ich versuche mich mit einer kleinen Weinhandlung über Wasser zu halten.
„Gibst mir mal 'en Kaffee, 'ne Fünfer Moods und den 'Kicker'.“ Ich lächelte sie an.
„'ne Fünfer? Damit kommste awwer net üwwers Woche'end.“
„Ich muss 'en bisschen kürzer treten. Weißt ja, man wird nicht jünger.“
„Wem saachstes? Awwer aan Mann werd ja erscht so rischtisch interessant wenn de Schlääfe graa geworde sinn.“
„Für die städtische Pietät vielleicht.“
Ich zahlte mit einem großen Schein. Sie gab mir drei, vier Scheine zurück. Feucht. Kalt. Lappig.
Dann feuerte sie eine letzte Salve: „Des kemmt vom Fluss. Inner Stund' sinnse trocke.“

Der Holländer machte sich zum Auslaufen klar. Der Bordhund lag nun träge an Deck und das Mädchen rannte aufgeregt zwischen Steuer- und Backbord hin und her. Sie gab mal hier ein Zeichen mit der Hand, schaute mal dort nach dem Rechten und signalisierte dem Skipper mit gestreckten Daumen, dass es wohl so passt. Sie hatte kein Auge mehr für mich. Ich schaute ihnen noch eine Weile nach und dachte an die Kähne, die von irgendwoher kommen und nach irgendwohin gingen.
Werd' wach, Charly!
Ich nahm Kaffee, Zeitung und die Zigarillos und ging zum kleinen Stehtisch. Dort zündete ich mir eine an, schaute hinüber zur Kreuzung und wartete. Lass uns am Samstag mit den Rädern raus fahren, hatte sie gesagt. So gegen neun, am Büdchen. Ja, so gegen neun, ich bin da. Ich schaute zur Kreuzung.
Wenn sie kommt, kommt sie von dort.
Wenn sie kommt.
Sie kommt.
Biste sicher?
Warum sollte sie nicht?
Warum sollte sie? Kennst sie kaum.
Weil sie's gesagt hat.
Gegen neun, hat sie gesagt. Guck auf die Uhr.
Iss noch Zeit. Sie wird kommen.
Träumer.
Kähne die von irgendwoher...
...Hör auf!
Ich versuchte an etwas zu denken. Susanne. Den Krebs. Vielleicht den letzten Sommer. Es gelang mir nicht. Zu viel für einen Kopf, zu viel, Charly, denk an die Kleine, lass die alten Zeiten, ist Zeit nun, aber Zeit lässt alles verblassen, alles, Sommerkleider, Erinnerungen, Narben, iss gut so, Charly, iss gut so..

Ich trank einen Schluck Kaffee und schaute weite auf die Kreuzung.
Eine Stimme von hinten: “Na, hast wohl deine Kaffeemaschine zur Inspektion,?“
Ich brauchte mich nicht um zu drehen, und wusste doch sofort, wer in meinem Rücken stand.
Ilja; wir waren Freunde, sagenumwobenes Bouleteam, ungeschlagene Stadtmeister. Er hat seinen Laden nur ein paar Meter neben meinem. Tabak, Zigarette, Zigarren. Sehnsüchte aller Art, wie er sagt. Seit Weihnachten, als ich erfahren hatte, dass Ilja mit Susanne eine kurze heftige Liaison verband, versuchten wir uns aus dem Weg zu gehen. Nun stand er mit einem Becher Kaffee neben mir.
„Lange nicht gesehen.“ Pause. Er schaute mich an, kratzte sich verlegen auf dem Handrücken und fragte: „Ist's okay, wenn ich mich dazu stelle?“
Nichts ist okay, aber auch gar nicht. Ich zeigte mit der Hand zum Tisch und nickte.
„Hastes Spiel gesehen?“ Er deutete auf den 'Kicker'.
„Hab ich.“
„Und?“
„War nix.“
„Und, sonst so?“ Er trank einen Schluck und griff nach einem Zigarillo aus meiner Packung.
Ich gab ihm Feuer, wir rauchten und ich schaute ihn an: „Soll heißen?“
„Na ja, was machsten noch so?“
Ich schwieg. Ilja schaute sich ein paar Mal verlegen um.
„Ich mein“, sagte er, „Ich kann verstehen, wenn da gerade nichts geht. Aber wir sollten uns da nochmal zusammen setzen ...“
„Bin gespannt wie der Satz weitergeht.“
„... und nochmal drüber reden. Das geht mir schon ein bisschen an die Nieren. Wir sollten einfach mal wieder zusammen zum Boule.“
„Du hast doch nun diesen Scheich.“
„Scheich?“
„Na diesen Ali.“
„Er heißt Metin, ist Bussfahrer und im übrigen ein prima Kerl. Und 'en Auge hat der, wie ein Adler.“
Ilja schaut mich an: „Du bist so bitter geworden, Charly. So voller Bitternis. Du rennst umher und erzählst der ganzen Welt wie ungerecht man dich doch behandelt hat. Mensch, ... wird Zeit, dass du wieder auf die Beine kommst, dass du wieder der wirst, der du mal warst. Verstehste?“
Ich legte den Zigarillo in den Aschenbecher und schaute die Straße hinunter.
„Weißt du“, sagte ich, „Ich hab gerade hier gestanden und versucht an all das zu denken. An Susanne, an dich, den ganzen Mist halt.“ Ich nahm den Zigarillo wieder auf und zog einmal. „Und weißt du was?“
„Was?“
„Da war gerade nichts. Stopp; 'nichts' ist das falsche Wort. Eine alter Vers von Brecht kam mir in den Sinn. - Seit jenem Tag sind viele, viele Monde, geschwommen still hinunter und vorbei. Die Pflaumenbäume sind wohl abgehauen und fragst du mich, was mit der Liebe sei? So sag ich dir: ... - “
„ -Ich kann mich nicht erinnern. - “, fiel er mir ins Wort. „ - Und doch gewiss, ich weiß schon, was du meinst. Doch ihr Gesicht, das weiß ich... - “.
Die letzten Worte sprachen wir zusammen: „ - wirklich nimmer. Ich weiß nur mehr: Ich küsste es dereinst. - “
Schweigen. Wie sahen uns nicht an.
Dann ich: „Na ja, ich denke, es geht so... manchmal“
Pause.
„Und bei dir?“, fragte ich.
„Wie gehabt. ...lass uns doch einfach mal wieder was zusammen machen, Charly. Ich denke, dass wird dann schon wieder. Wir bräuchten halt noch so'n Wurfarm wie deinen.“
Ich hob den rechten Arm. „Der ist momentan damit beschäftigt die Frauenquote im Bett zu erfüllen.“
„Iss aber auch keine Lösung.“
„Sag das mal dem Arm.“
Er schaute auf die Uhr: „Du ich muss los. Der Laden, duweissja. Ruf mich mal an, machst du?“
„Mal sehen.“
„Komm.“
„Vielleicht.“
„Versprochen?“
„Versprochen.“

Ich schaute wieder hinüber zur Kreuzung, drückte den Zigarillo in den Aschenbecher und erkannte nun einen kleinen Punkt der ungelenk hin und her pendelte. Der Punkt kam näher, und ich konnte die freche Kurzhaarfrisur erkennen. Sie kommt, Charly, tatsächlich, sie kommt, hat's ja gesagt.
Sie hob den Arm und winkte . Ich zögerte, steckte den 'Kicker' und die Zigarillos in die Fahrradtasche und winkte zurück. In meinem Rücken tutete ein Kahn, der von irgendwoher nach irgendwohin fuhr, zu einem Kahn, der von irgendwoher nach irgendwohin fuhr. Ich verlor noch einen flüchtigen Gedanken an das Mädchen und den Hund, winkte und winkte. Ich winkte, bis sie direkt neben mir stand.
 

Vagant

Mitglied
Am Fluss

Es ging auf neun zu. Ich stand bei 'Elviras Büdchen' und wartete auf meine Verabredung für eine Radtour am Main. Bist aufgeregt, dachte ich, unsicher. Ist die erste Verabredung seit Susannes Tod. Wird schon, Charly, wird schon. Ich drehte mich nach Osten, blinzelte hinüber zum Hafen und genoss die Morgensonne auf meinem Gesicht. Ein Holländer lag am Schüttgutkai. Wird die Nacht schon dort gelegen haben. Auf Deck; das übliche. Ein Auto, an der Kabine lehnte ein Fahrrad, Wäsche flatterte im Wind. Ein Mädchen spielte mit einem Hund. Sie rannten an den Ladeluken entlang bis zum Bug, wendeten dort und rannten wieder zurück. Als das Mädchen mich sah, winkte sie mir zu. Ich winkte zurück. Von Westen her schnaufte ein Kahn flussaufwärts, passierte den Holländer und ließ das Horn drei Mal tuten. Kähne, die von irgendwoher kamen und nach irgendwohin gingen, treffen auf Kähne, die von irgendwoher kamen und nach irgendwohin gingen. Es gibt schlechtere Jobs, Charly, 's gibt wahrlich schlechtere.

Ich lehnte mein Rad an die Kioskwand und ging zum Fenster. Elvira wuchtete sich in die kleine Luke. Viel Oberarm, viel Dauerwelle, viel Busen. Von allem zu viel.
„Charly, ei gude. Trainierst' für de Tour?“ Sie zeigte auf mein Fahrrad.
Elvira ist 'ne Revolverschnauze, sagt man. Ich mag sie. Wir sind im selben Viertel aufgewachsen, zusammen in die Grundschule gegangen, und sind nun eine Art Kollegen. Sie bringt 'Bild', Croissants und Doornkaat an den Mann; ich versuche mich mit einer kleinen Weinhandlung über Wasser zu halten.
„Gibst mir mal 'en Kaffee, 'ne Fünfer Moods und den 'Kicker'.“ Ich lächelte sie an.
„'ne Fünfer? Damit kommste awwer net üwwers Woche'end.“
„Ich muss 'en bisschen kürzer treten. Weißt ja, man wird nicht jünger.“
„Wem saachstes? Awwer aan Mann werd ja erscht so rischtisch interessant wenn de Schlääfe graa geworde sinn.“
„Für die städtische Pietät vielleicht.“
Ich zahlte mit einem großen Schein. Sie gab mir drei, vier Scheine zurück. Feucht. Kalt. Lappig.
Dann feuerte sie eine letzte Salve: „Des kemmt vom Fluss. Inner Stund' sinnse trocke.“

Der Holländer machte sich zum Auslaufen klar. Der Bordhund lag nun träge an Deck und das Mädchen rannte aufgeregt zwischen Steuer- und Backbord hin und her. Sie gab mal hier ein Zeichen mit der Hand, schaute mal dort nach dem Rechten und signalisierte dem Skipper mit gestreckten Daumen, dass es wohl so passt. Sie hatte kein Auge mehr für mich. Ich schaute ihnen noch eine Weile nach und dachte an die Kähne, die von irgendwoher kommen und nach irgendwohin gingen.
Werd' wach, Charly!
Ich nahm Kaffee, Zeitung und die Zigarillos und ging zum kleinen Stehtisch. Dort zündete ich mir eine an, schaute hinüber zur Kreuzung und wartete. Lass uns am Samstag mit den Rädern raus fahren, hatte sie gesagt. So gegen neun, am Büdchen. Ja, so gegen neun, ich bin da. Ich schaute zur Kreuzung.
Wenn sie kommt, kommt sie von dort.
Wenn sie kommt.
Sie kommt.
Biste sicher?
Warum sollte sie nicht?
Warum sollte sie? Kennst sie kaum.
Weil sie's gesagt hat.
Gegen neun, hat sie gesagt. Guck auf die Uhr.
Iss noch Zeit. Sie wird kommen.
Träumer.
Kähne die von irgendwoher...
...Hör auf!
Ich versuchte an etwas zu denken. Susanne. Den Krebs. Vielleicht den letzten Sommer. Es gelang mir nicht. Zu viel für einen Kopf, zu viel, Charly, denk an die Kleine, lass die alten Zeiten, ist Zeit nun, aber Zeit lässt alles verblassen, alles, Sommerkleider, Erinnerungen, Narben, iss gut so, Charly, iss gut so..

Ich trank einen Schluck Kaffee und schaute weite auf die Kreuzung.
Eine Stimme von hinten: “Na, hast wohl deine Kaffeemaschine zur Inspektion,?“
Ich brauchte mich nicht um zu drehen, und wusste doch sofort, wer in meinem Rücken stand.
Ilja; wir waren Freunde, sagenumwobenes Bouleteam, ungeschlagene Stadtmeister. Er hat seinen Laden nur ein paar Meter neben meinem. Tabak, Zigarette, Zigarren. Sehnsüchte aller Art, wie er sagt. Seit Weihnachten, als ich erfahren hatte, dass Ilja mit Susanne eine kurze heftige Liaison verband, versuchten wir uns aus dem Weg zu gehen. Nun stand er mit einem Becher Kaffee neben mir.
„Lange nicht gesehen.“ Pause. Er schaute mich an, kratzte sich verlegen auf dem Handrücken und fragte: „Ist's okay, wenn ich mich dazu stelle?“
Nichts ist okay, aber auch gar nicht. Ich zeigte mit der Hand zum Tisch und nickte.
„Hastes Spiel gesehen?“ Er deutete auf den 'Kicker'.
„Hab ich.“
„Und?“
„War nix.“
„Und, sonst so?“ Er trank einen Schluck und griff nach einem Zigarillo aus meiner Packung.
Ich gab ihm Feuer, wir rauchten und ich schaute ihn an: „Soll heißen?“
„Na ja, was machsten noch so?“
Ich schwieg. Ilja schaute sich ein paar Mal verlegen um.
„Ich mein“, sagte er, „Ich kann verstehen, wenn da gerade nichts geht. Aber wir sollten uns da nochmal zusammen setzen ...“
„Bin gespannt wie der Satz weitergeht.“
„... und nochmal drüber reden. Das geht mir schon ein bisschen an die Nieren. Wir sollten einfach mal wieder zusammen zum Boule.“
„Du hast doch nun diesen Scheich.“
„Scheich?“
„Na diesen Ali.“
„Er heißt Metin, ist Bussfahrer und im übrigen ein prima Kerl. Und 'en Auge hat der, wie ein Adler.“
Ilja schaut mich an: „Du bist so bitter geworden, Charly. So voller Bitternis. Du rennst umher und erzählst der ganzen Welt wie ungerecht man dich doch behandelt hat. Mensch, ... wird Zeit, dass du wieder auf die Beine kommst, dass du wieder der wirst, der du mal warst. Verstehste?“
Ich legte den Zigarillo in den Aschenbecher und schaute die Straße hinunter.
„Weißt du“, sagte ich, „Ich hab gerade hier gestanden und versucht an all das zu denken. An Susanne, an dich, den ganzen Mist halt.“ Ich nahm den Zigarillo wieder auf und zog einmal. „Und weißt du was?“
„Was?“
„Da war gerade nichts. Stopp; 'nichts' ist das falsche Wort. Eine alter Vers von Brecht kam mir in den Sinn. - Seit jenem Tag sind viele, viele Monde, geschwommen still hinunter und vorbei. Die Pflaumenbäume sind wohl abgehauen und fragst du mich, was mit der Liebe sei? So sag ich dir: ... - “
„ -Ich kann mich nicht erinnern. - “, fiel er mir ins Wort. „ - Und doch gewiss, ich weiß schon, was du meinst. Doch ihr Gesicht, das weiß ich... - “.
Die letzten Worte sprachen wir zusammen: „ - wirklich nimmer. Ich weiß nur mehr: Ich küsste es dereinst. - “
Schweigen. Wie sahen uns nicht an.
Dann ich: „Na ja, ich denke, es geht so... manchmal“
Pause.
„Und bei dir?“, fragte ich.
„Wie gehabt. ...lass uns doch einfach mal wieder was zusammen machen, Charly. Ich denke, dass wird dann schon wieder. Wir bräuchten halt noch so'n Wurfarm wie deinen.“
Ich hob den rechten Arm. „Der ist momentan damit beschäftigt die Frauenquote im Bett zu erfüllen.“
„Iss aber auch keine Lösung.“
„Sag das mal dem Arm.“
Er schaute auf die Uhr: „Du ich muss los. Der Laden, duweissja. Ruf mich mal an, machst du?“
„Mal sehen.“
„Komm.“
„Vielleicht.“
„Versprochen?“
„Versprochen.“

Ich schaute wieder hinüber zur Kreuzung, drückte den Zigarillo in den Aschenbecher und erkannte nun einen kleinen Punkt der ungelenk hin und her pendelte. Der Punkt kam näher, und ich konnte die freche Kurzhaarfrisur erkennen. Sie kommt, Charly, tatsächlich, sie kommt, hat's ja gesagt.
Sie hob den Arm und winkte . Ich zögerte, steckte den 'Kicker' und die Zigarillos in die Fahrradtasche und winkte zurück. In meinem Rücken tutete ein Kahn, der von irgendwoher nach irgendwohin fuhr, zu einem Kahn, der von irgendwoher nach irgendwohin fuhr. Ich verlor noch einen flüchtigen Gedanken an das Mädchen und den Hund, winkte und winkte. Ich winkte bis sie direkt neben mir stand.
 

Vagant

Mitglied
Am Fluss

Es ging auf neun zu. Ich stand bei 'Elviras Büdchen' und wartete auf meine Verabredung für eine Radtour am Main. Bist aufgeregt, dachte ich, unsicher. Ist die erste Verabredung seit Susannes Tod. Wird schon, Charly, wird schon. Ich drehte mich nach Osten, blinzelte hinüber zum Hafen und genoss die Morgensonne auf meinem Gesicht. Ein Holländer lag am Schüttgutkai. Wird die Nacht schon dort gelegen haben. Auf Deck; das übliche. Ein Auto, an der Kabine lehnte ein Fahrrad, Wäsche flatterte im Wind. Ein Mädchen spielte mit einem Hund. Sie rannten an den Ladeluken entlang bis zum Bug, wendeten dort und rannten wieder zurück. Als das Mädchen mich sah, winkte sie mir zu. Ich winkte zurück. Von Westen her schnaufte ein Kahn flussaufwärts, passierte den Holländer und ließ das Horn drei Mal tuten. Kähne, die von irgendwoher kamen und nach irgendwohin gingen, treffen auf Kähne, die von irgendwoher kamen und nach irgendwohin gingen. Es gibt schlechtere Jobs, Charly, 's gibt wahrlich schlechtere.

Ich lehnte mein Rad an die Kioskwand und ging zum Fenster. Elvira wuchtete sich in die kleine Luke. Viel Oberarm, viel Dauerwelle, viel Busen. Von allem zu viel.
„Charly, ei gude. Trainierst' für de Tour?“ Sie zeigte auf mein Fahrrad.
Elvira ist 'ne Revolverschnauze, sagt man. Ich mag sie. Wir sind im selben Viertel aufgewachsen, zusammen in die Grundschule gegangen, und sind nun eine Art Kollegen. Sie bringt 'Bild', Croissants und Doornkaat an den Mann; ich versuche mich mit einer kleinen Weinhandlung über Wasser zu halten.
„Gibst mir mal 'en Kaffee, 'ne Fünfer Moods und den 'Kicker'.“ Ich lächelte sie an.
„'ne Fünfer? Damit kommste awwer net üwwers Woche'end.“
„Ich muss 'en bisschen kürzer treten. Weißt ja, man wird nicht jünger.“
„Wem saachstes? Awwer aan Mann werd ja erscht so rischtisch interessant wenn de Schlääfe graa geworde sinn.“
„Für die städtische Pietät vielleicht.“
Ich zahlte mit einem großen Schein. Sie gab mir drei, vier Scheine zurück. Feucht. Kalt. Lappig.
Dann feuerte sie eine letzte Salve: „Des kemmt vom Fluss. Inner Stund' sinnse trocke.“

Der Holländer machte sich zum Auslaufen klar. Der Bordhund lag nun träge an Deck und das Mädchen rannte aufgeregt zwischen Steuer- und Backbord hin und her. Sie gab mal hier ein Zeichen mit der Hand, schaute mal dort nach dem Rechten und signalisierte dem Skipper mit gestreckten Daumen, dass es wohl so passt. Sie hatte kein Auge mehr für mich. Ich schaute ihnen noch eine Weile nach und dachte an die Kähne, die von irgendwoher kommen und nach irgendwohin gingen.
Werd' wach, Charly!
Ich nahm Kaffee, Zeitung und die Zigarillos und ging zum kleinen Stehtisch. Dort zündete ich mir eine an, schaute hinüber zur Kreuzung und wartete. Lass uns am Samstag mit den Rädern raus fahren, hatte sie gesagt. So gegen neun, am Büdchen. Ja, so gegen neun, ich bin da. Ich schaute zur Kreuzung.
Wenn sie kommt, kommt sie von dort.
Wenn sie kommt.
Sie kommt.
Biste sicher?
Warum sollte sie nicht?
Warum sollte sie? Kennst sie kaum.
Weil sie's gesagt hat.
Gegen neun, hat sie gesagt. Guck auf die Uhr.
Iss noch Zeit. Sie wird kommen.
Träumer.
Kähne die von irgendwoher...
...Hör auf!
Ich versuchte an etwas zu denken. Susanne. Den Krebs. Vielleicht den letzten Sommer. Es gelang mir nicht. Zu viel für einen Kopf, zu viel, Charly, denk an die Kleine, lass die alten Zeiten, ist Zeit nun, aber Zeit lässt alles verblassen, alles, Sommerkleider, Erinnerungen, Narben, iss gut so, Charly, iss gut so..

Ich trank einen Schluck Kaffee und schaute weite auf die Kreuzung.
Eine Stimme von hinten: “Na, hast wohl deine Kaffeemaschine zur Inspektion,?“
Ich brauchte mich nicht um zu drehen, und wusste doch sofort, wer in meinem Rücken stand.
Ilja; wir waren Freunde, sagenumwobenes Bouleteam, ungeschlagene Stadtmeister. Er hat seinen Laden nur ein paar Meter neben meinem. Tabak, Zigarette, Zigarren. Sehnsüchte aller Art, wie er sagt. Seit Weihnachten, als ich erfahren hatte, dass Ilja mit Susanne eine kurze heftige Liaison verband, versuchten wir uns aus dem Weg zu gehen. Nun stand er mit einem Becher Kaffee neben mir.
„Lange nicht gesehen.“ Pause. Er schaute mich an, kratzte sich verlegen auf dem Handrücken und fragte: „Ist's okay, wenn ich mich dazu stelle?“
Nichts ist okay, aber auch gar nichts. Ich zeigte mit der Hand zum Tisch und nickte.
„Hastes Spiel gesehen?“ Er deutete auf den 'Kicker'.
„Hab ich.“
„Und?“
„War nix.“
„Und, sonst so?“ Er trank einen Schluck und griff nach einem Zigarillo aus meiner Packung.
Ich gab ihm Feuer, wir rauchten und ich schaute ihn an: „Soll heißen?“
„Na ja, was machsten noch so?“
Ich schwieg. Ilja schaute sich ein paar Mal verlegen um.
„Ich mein“, sagte er, „Ich kann verstehen, wenn da gerade nichts geht. Aber wir sollten uns da nochmal zusammen setzen ...“
„Bin gespannt wie der Satz weitergeht.“
„... und nochmal drüber reden. Das geht mir schon ein bisschen an die Nieren. Wir sollten einfach mal wieder zusammen zum Boule.“
„Du hast doch nun diesen Scheich.“
„Scheich?“
„Na diesen Ali.“
„Er heißt Metin, ist Bussfahrer und im übrigen ein prima Kerl. Und 'en Auge hat der, wie ein Adler.“
Ilja schaut mich an: „Du bist so bitter geworden, Charly. So voller Bitternis. Du rennst umher und erzählst der ganzen Welt wie ungerecht man dich doch behandelt hat. Mensch, ... wird Zeit, dass du wieder auf die Beine kommst, dass du wieder der wirst, der du mal warst. Verstehste?“
Ich legte den Zigarillo in den Aschenbecher und schaute die Straße hinunter.
„Weißt du“, sagte ich, „Ich hab gerade hier gestanden und versucht an all das zu denken. An Susanne, an dich, den ganzen Mist halt.“ Ich nahm den Zigarillo wieder auf und zog einmal. „Und weißt du was?“
„Was?“
„Da war gerade nichts. Stopp; 'nichts' ist das falsche Wort. Eine alter Vers von Brecht kam mir in den Sinn. - Seit jenem Tag sind viele, viele Monde, geschwommen still hinunter und vorbei. Die Pflaumenbäume sind wohl abgehauen und fragst du mich, was mit der Liebe sei? So sag ich dir: ... - “
„ -Ich kann mich nicht erinnern. - “, fiel er mir ins Wort. „ - Und doch gewiss, ich weiß schon, was du meinst. Doch ihr Gesicht, das weiß ich... - “.
Die letzten Worte sprachen wir zusammen: „ - wirklich nimmer. Ich weiß nur mehr: Ich küsste es dereinst. - “
Schweigen. Wie sahen uns nicht an.
Dann ich: „Na ja, ich denke, es geht so... manchmal“
Pause.
„Und bei dir?“, fragte ich.
„Wie gehabt. ...lass uns doch einfach mal wieder was zusammen machen, Charly. Ich denke, dass wird dann schon wieder. Wir bräuchten halt noch so'n Wurfarm wie deinen.“
Ich hob den rechten Arm. „Der ist momentan damit beschäftigt die Frauenquote im Bett zu erfüllen.“
„Iss aber auch keine Lösung.“
„Sag das mal dem Arm.“
Er schaute auf die Uhr: „Du ich muss los. Der Laden, duweissja. Ruf mich mal an, machst du?“
„Mal sehen.“
„Komm.“
„Vielleicht.“
„Versprochen?“
„Versprochen.“

Ich schaute wieder hinüber zur Kreuzung, drückte den Zigarillo in den Aschenbecher und erkannte nun einen kleinen Punkt der ungelenk hin und her pendelte. Der Punkt kam näher, und ich konnte die freche Kurzhaarfrisur erkennen. Sie kommt, Charly, tatsächlich, sie kommt, hat's ja gesagt.
Sie hob den Arm und winkte . Ich zögerte, steckte den 'Kicker' und die Zigarillos in die Fahrradtasche und winkte zurück. In meinem Rücken tutete ein Kahn, der von irgendwoher nach irgendwohin fuhr, zu einem Kahn, der von irgendwoher nach irgendwohin fuhr. Ich verlor noch einen flüchtigen Gedanken an das Mädchen und den Hund, winkte und winkte. Ich winkte bis sie direkt neben mir stand.
 
U

USch

Gast
Hallo Vagant,
Ein paar kleine Fehlerchen und Verbesserungsvorschläge, wenn du magst. Klar, dem Text ist anzumerken, dass er Teil einer längeren Erzählung werden soll. Locker flockig geschrieben. Mal sehen, wie dann das Gesamtwerk aussieht.

Von Westen her [red]schnaufte [/red]ein Kahn flussaufwärts,
Die Kähne sind heutzutage doch eher leise, und sie [blue]tuckern[/blue] mehr oder weniger sanft vor sich hin.

Kähne, die von irgendwoher kamen und nach irgendwohin [red]gingen[/red], treffen auf Kähne, die von irgendwoher kamen und nach irgendwohin [red]gingen[/red].
Kähne können nicht gehen, sondern allenfalls fahren oder schwimmen.

Wir sind im selben Viertel aufgewachsen, zusammen in die Grundschule gegangen, und [strike]sind [/strike]nun eine Art Kollegen.
[strike]Warum sollte sie?[/strike] Kennst sie kaum.
Weil sie's gesagt hat.
[blue]Doppelung würde ich streichen[/blue]

Ich trank einen Schluck Kaffee und schaute weite[blue]r[/blue] auf die Kreuzung.
Eine Stimme von hinten: “Na, hast wohl deine Kaffeemaschine zur Inspektion[red],[/red][blue]streichen![/blue]?“
Tabak, Zigarette[blue]n,[/blue] Zigarren.
Ein[red]e[/red][blue] ohne e! [/blue]alter Vers von Brecht kam mir in den Sinn.
Wi[red][strike]e[/strike][/red][blue]r[/blue] sahen uns nicht an.
LG USch
 

Vagant

Mitglied
Am Fluss

Es ging auf neun zu. Ich stand bei 'Elviras Büdchen' und wartete auf meine Verabredung für eine Radtour am Main. Bist aufgeregt, dachte ich, unsicher. Ist die erste Verabredung seit Susannes Tod. Wird schon, Charly, wird schon. Ich drehte mich nach Osten, blinzelte hinüber zum Hafen und genoss die Morgensonne auf meinem Gesicht. Ein Holländer lag am Schüttgutkai. Wird die Nacht schon dort gelegen haben. Auf Deck; das übliche. Ein Auto, an der Kabine lehnte ein Fahrrad, Wäsche flatterte im Wind. Ein Mädchen spielte mit einem Hund. Sie rannten an den Ladeluken entlang bis zum Bug, wendeten dort und rannten wieder zurück. Als das Mädchen mich sah, winkte sie mir zu. Ich winkte zurück. Von Westen her schnaufte ein Kahn flussaufwärts, passierte den Holländer und ließ das Horn drei Mal tuten. Kähne, die von irgendwoher kamen und nach irgendwohin gingen, treffen auf Kähne, die von irgendwoher kamen und nach irgendwohin gingen. Es gibt schlechtere Jobs, Charly, 's gibt wahrlich schlechtere.

Ich lehnte mein Rad an die Kioskwand und ging zum Fenster. Elvira wuchtete sich in die kleine Luke. Viel Oberarm, viel Dauerwelle, viel Busen. Von allem zu viel.
„Charly, ei gude. Trainierst' für de Tour?“ Sie zeigte auf mein Fahrrad.
Elvira ist 'ne Revolverschnauze, sagt man. Ich mag sie. Wir sind im selben Viertel aufgewachsen, zusammen in die Grundschule gegangen, und nun eine Art Kollegen. Sie bringt 'Bild', Croissants und Doornkaat an den Mann; ich versuche mich mit einer kleinen Weinhandlung über Wasser zu halten.
„Gibst mir mal 'en Kaffee, 'ne Fünfer Moods und den 'Kicker'.“ Ich lächelte sie an.
„'ne Fünfer? Damit kommste awwer net üwwers Woche'end.“
„Ich muss 'en bisschen kürzer treten. Weißt ja, man wird nicht jünger.“
„Wem saachstes? Awwer aan Mann werd ja erscht so rischtisch interessant wenn de Schlääfe graa geworde sinn.“
„Für die städtische Pietät vielleicht.“
Ich zahlte mit einem großen Schein. Sie gab mir drei, vier Scheine zurück. Feucht. Kalt. Lappig.
Dann feuerte sie eine letzte Salve: „Des kemmt vom Fluss. Inner Stund' sinnse trocke.“

Der Holländer machte sich zum Auslaufen klar. Der Bordhund lag nun träge an Deck und das Mädchen rannte aufgeregt zwischen Steuer- und Backbord hin und her. Sie gab mal hier ein Zeichen mit der Hand, schaute mal dort nach dem Rechten und signalisierte dem Skipper mit gestreckten Daumen, dass es wohl so passt. Sie hatte kein Auge mehr für mich. Ich schaute ihnen noch eine Weile nach und dachte an die Kähne, die von irgendwoher kommen und nach irgendwohin gingen.
Werd' wach, Charly!
Ich nahm Kaffee, Zeitung und die Zigarillos und ging zum kleinen Stehtisch. Dort zündete ich mir eine an, schaute hinüber zur Kreuzung und wartete. Lass uns am Samstag mit den Rädern raus fahren, hatte sie gesagt. So gegen neun, am Büdchen. Ja, so gegen neun, ich bin da. Ich schaute zur Kreuzung.
Wenn sie kommt, kommt sie von dort.
Wenn sie kommt.
Sie kommt.
Biste sicher?
Warum sollte sie nicht?
Kennst sie kaum.
Weil sie's gesagt hat.
Gegen neun, hat sie gesagt. Guck auf die Uhr.
Iss noch Zeit. Sie wird kommen.
Träumer.
Kähne die von irgendwoher...
...Hör auf!
Ich versuchte an etwas zu denken. Susanne. Den Krebs. Vielleicht den letzten Sommer. Es gelang mir nicht. Zu viel für einen Kopf, zu viel, Charly, denk an die Kleine, lass die alten Zeiten, ist Zeit nun, aber Zeit lässt alles verblassen, alles, Sommerkleider, Erinnerungen, Narben, iss gut so, Charly, iss gut so..

Ich trank einen Schluck Kaffee und schaute weite auf die Kreuzung.
Eine Stimme von hinten: “Na, hast wohl deine Kaffeemaschine zur Inspektion,?“
Ich brauchte mich nicht um zu drehen, und wusste doch sofort, wer in meinem Rücken stand.
Ilja; wir waren Freunde, sagenumwobenes Bouleteam, ungeschlagene Stadtmeister. Er hat seinen Laden nur ein paar Meter neben meinem. Tabak, Zigarette, Zigarren. Sehnsüchte aller Art, wie er sagt. Seit Weihnachten, als ich erfahren hatte, dass Ilja mit Susanne eine kurze heftige Liaison verband, versuchten wir uns aus dem Weg zu gehen. Nun stand er mit einem Becher Kaffee neben mir.
„Lange nicht gesehen.“ Pause. Er schaute mich an, kratzte sich verlegen auf dem Handrücken und fragte: „Ist's okay, wenn ich mich dazu stelle?“
Nichts ist okay, aber auch gar nichts. Ich zeigte mit der Hand zum Tisch und nickte.
„Hastes Spiel gesehen?“ Er deutete auf den 'Kicker'.
„Hab ich.“
„Und?“
„War nix.“
„Und, sonst so?“ Er trank einen Schluck und griff nach einem Zigarillo aus meiner Packung.
Ich gab ihm Feuer, wir rauchten und ich schaute ihn an: „Soll heißen?“
„Na ja, was machsten noch so?“
Ich schwieg. Ilja schaute sich ein paar Mal verlegen um.
„Ich mein“, sagte er, „Ich kann verstehen, wenn da gerade nichts geht. Aber wir sollten uns da nochmal zusammen setzen ...“
„Bin gespannt wie der Satz weitergeht.“
„... und nochmal drüber reden. Das geht mir schon ein bisschen an die Nieren. Wir sollten einfach mal wieder zusammen zum Boule.“
„Du hast doch nun diesen Scheich.“
„Scheich?“
„Na diesen Ali.“
„Er heißt Metin, ist Bussfahrer und im übrigen ein prima Kerl. Und 'en Auge hat der, wie ein Adler.“
Ilja schaut mich an: „Du bist so bitter geworden, Charly. So voller Bitternis. Du rennst umher und erzählst der ganzen Welt wie ungerecht man dich doch behandelt hat. Mensch, ... wird Zeit, dass du wieder auf die Beine kommst, dass du wieder der wirst, der du mal warst. Verstehste?“
Ich legte den Zigarillo in den Aschenbecher und schaute die Straße hinunter.
„Weißt du“, sagte ich, „Ich hab gerade hier gestanden und versucht an all das zu denken. An Susanne, an dich, den ganzen Mist halt.“ Ich nahm den Zigarillo wieder auf und zog einmal. „Und weißt du was?“
„Was?“
„Da war gerade nichts. Stopp; 'nichts' ist das falsche Wort. Ein alter Vers von Brecht kam mir in den Sinn. - Seit jenem Tag sind viele, viele Monde, geschwommen still hinunter und vorbei. Die Pflaumenbäume sind wohl abgehauen und fragst du mich, was mit der Liebe sei? So sag ich dir: ... - “
„ -Ich kann mich nicht erinnern. - “, fiel er mir ins Wort. „ - Und doch gewiss, ich weiß schon, was du meinst. Doch ihr Gesicht, das weiß ich... - “.
Die letzten Worte sprachen wir zusammen: „ - wirklich nimmer. Ich weiß nur mehr: Ich küsste es dereinst. - “
Schweigen. Wie sahen uns nicht an.
Dann ich: „Na ja, ich denke, es geht so... manchmal“
Pause.
„Und bei dir?“, fragte ich.
„Wie gehabt. ...lass uns doch einfach mal wieder was zusammen machen, Charly. Ich denke, dass wird dann schon wieder. Wir bräuchten halt noch so'n Wurfarm wie deinen.“
Ich hob den rechten Arm. „Der ist momentan damit beschäftigt die Frauenquote im Bett zu erfüllen.“
„Iss aber auch keine Lösung.“
„Sag das mal dem Arm.“
Er schaute auf die Uhr: „Du ich muss los. Der Laden, duweissja. Ruf mich mal an, machst du?“
„Mal sehen.“
„Komm.“
„Vielleicht.“
„Versprochen?“
„Versprochen.“

Ich schaute wieder hinüber zur Kreuzung, drückte den Zigarillo in den Aschenbecher und erkannte nun einen kleinen Punkt der ungelenk hin und her pendelte. Der Punkt kam näher, und ich konnte die freche Kurzhaarfrisur erkennen. Sie kommt, Charly, tatsächlich, sie kommt, hat's ja gesagt.
Sie hob den Arm und winkte . Ich zögerte, steckte den 'Kicker' und die Zigarillos in die Fahrradtasche und winkte zurück. In meinem Rücken tutete ein Kahn, der von irgendwoher nach irgendwohin fuhr, zu einem Kahn, der von irgendwoher nach irgendwohin fuhr. Ich verlor noch einen flüchtigen Gedanken an das Mädchen und den Hund, winkte und winkte. Ich winkte bis sie direkt neben mir stand.
 

Vagant

Mitglied
Am Fluss

Es ging auf neun zu. Ich stand bei 'Elviras Büdchen' und wartete auf meine Verabredung für eine Radtour am Main. Bist aufgeregt, dachte ich, unsicher. Ist die erste Verabredung seit Susannes Tod. Wird schon, Charly, wird schon. Ich drehte mich nach Osten, blinzelte hinüber zum Hafen und genoss die Morgensonne auf meinem Gesicht. Ein Holländer lag am Schüttgutkai. Wird die Nacht schon dort gelegen haben. Auf Deck; das übliche. Ein Auto, an der Kabine lehnte ein Fahrrad, Wäsche flatterte im Wind. Ein Mädchen spielte mit einem Hund. Sie rannten an den Ladeluken entlang bis zum Bug, wendeten dort und rannten wieder zurück. Als das Mädchen mich sah, winkte sie mir zu. Ich winkte zurück. Von Westen her schnaufte ein Kahn flussaufwärts, passierte den Holländer und ließ das Horn drei Mal tuten. Kähne, die von irgendwoher kamen und nach irgendwohin gingen, treffen auf Kähne, die von irgendwoher kamen und nach irgendwohin gingen. Es gibt schlechtere Jobs, Charly, 's gibt wahrlich schlechtere.

Ich lehnte mein Rad an die Kioskwand und ging zum Fenster. Elvira wuchtete sich in die kleine Luke. Viel Oberarm, viel Dauerwelle, viel Busen. Von allem zu viel.
„Charly, ei gude. Trainierst' für de Tour?“ Sie zeigte auf mein Fahrrad.
Elvira ist 'ne Revolverschnauze, sagt man. Ich mag sie. Wir sind im selben Viertel aufgewachsen, zusammen in die Grundschule gegangen, und nun eine Art Kollegen. Sie bringt 'Bild', Croissants und Doornkaat an den Mann; ich versuche mich mit einer kleinen Weinhandlung über Wasser zu halten.
„Gibst mir mal 'en Kaffee, 'ne Fünfer Moods und den 'Kicker'.“ Ich lächelte sie an.
„'ne Fünfer? Damit kommste awwer net üwwers Woche'end.“
„Ich muss 'en bisschen kürzer treten. Weißt ja, man wird nicht jünger.“
„Wem saachstes? Awwer aan Mann werd ja erscht so rischtisch interessant wenn de Schlääfe graa geworde sinn.“
„Für die städtische Pietät vielleicht.“
Ich zahlte mit einem großen Schein. Sie gab mir drei, vier Scheine zurück. Feucht. Kalt. Lappig.
Dann feuerte sie eine letzte Salve: „Des kemmt vom Fluss. Inner Stund' sinnse trocke.“

Der Holländer machte sich zum Auslaufen klar. Der Bordhund lag nun träge an Deck und das Mädchen rannte aufgeregt zwischen Steuer- und Backbord hin und her. Sie gab mal hier ein Zeichen mit der Hand, schaute mal dort nach dem Rechten und signalisierte dem Skipper mit gestreckten Daumen, dass es wohl so passt. Sie hatte kein Auge mehr für mich. Ich schaute ihnen noch eine Weile nach und dachte an die Kähne, die von irgendwoher kommen und nach irgendwohin gingen.
Werd' wach, Charly!
Ich nahm Kaffee, Zeitung und die Zigarillos und ging zum kleinen Stehtisch. Dort zündete ich mir eine an, schaute hinüber zur Kreuzung und wartete. Lass uns am Samstag mit den Rädern raus fahren, hatte sie gesagt. So gegen neun, am Büdchen. Ja, so gegen neun, ich bin da. Ich schaute zur Kreuzung.
Wenn sie kommt, kommt sie von dort.
Wenn sie kommt.
Sie kommt.
Biste sicher?
Warum sollte sie nicht?
Kennst sie kaum.
Weil sie's gesagt hat.
Gegen neun, hat sie gesagt. Guck auf die Uhr.
Iss noch Zeit. Sie wird kommen.
Träumer.
Kähne die von irgendwoher...
...Hör auf!
Ich versuchte an etwas zu denken. Susanne. Den Krebs. Vielleicht den letzten Sommer. Es gelang mir nicht. Zu viel für einen Kopf, zu viel, Charly, denk an die Kleine, lass die alten Zeiten, ist Zeit nun, aber Zeit lässt alles verblassen, alles, Sommerkleider, Erinnerungen, Narben, iss gut so, Charly, iss gut so..

Ich trank einen Schluck Kaffee und schaute weite auf die Kreuzung.
Eine Stimme von hinten: “Na, hast wohl deine Kaffeemaschine zur Inspektion,?“
Ich brauchte mich nicht um zu drehen, und wusste doch sofort, wer in meinem Rücken stand.
Ilja; wir waren Freunde, sagenumwobenes Bouleteam, ungeschlagene Stadtmeister. Er hat seinen Laden nur ein paar Meter neben meinem. Tabak, Zigarette, Zigarren. Sehnsüchte aller Art, wie er sagt. Seit Weihnachten, als ich erfahren hatte, dass Ilja mit Susanne eine kurze heftige Liaison verband, versuchten wir uns aus dem Weg zu gehen. Nun stand er mit einem Becher Kaffee neben mir.
„Lange nicht gesehen.“ Pause. Er schaute mich an, kratzte sich verlegen auf dem Handrücken und fragte: „Ist's okay, wenn ich mich dazu stelle?“
Nichts ist okay, aber auch gar nichts. Ich zeigte mit der Hand zum Tisch und nickte.
„Hastes Spiel gesehen?“ Er deutete auf den 'Kicker'.
„Hab ich.“
„Und?“
„War nix.“
„Und, sonst so?“ Er trank einen Schluck und griff nach einem Zigarillo aus meiner Packung.
Ich gab ihm Feuer, wir rauchten und ich schaute ihn an: „Soll heißen?“
„Na ja, was machsten noch so?“
Ich schwieg. Ilja schaute sich ein paar Mal verlegen um.
„Ich mein“, sagte er, „Ich kann verstehen, wenn da gerade nichts geht. Aber wir sollten uns da nochmal zusammen setzen ...“
„Bin gespannt wie der Satz weitergeht.“
„... und nochmal drüber reden. Das geht mir schon ein bisschen an die Nieren. Wir sollten einfach mal wieder zusammen zum Boule.“
„Du hast doch nun diesen Scheich.“
„Scheich?“
„Na diesen Ali.“
„Er heißt Metin, ist Bussfahrer und im übrigen ein prima Kerl. Und 'en Auge hat der, wie ein Adler.“
Ilja schaut mich an: „Du bist so bitter geworden, Charly. So voller Bitternis. Du rennst umher und erzählst der ganzen Welt wie ungerecht man dich doch behandelt hat. Mensch, ... wird Zeit, dass du wieder auf die Beine kommst, dass du wieder der wirst, der du mal warst. Verstehste?“
Ich legte den Zigarillo in den Aschenbecher und schaute die Straße hinunter.
„Weißt du“, sagte ich, „Ich hab gerade hier gestanden und versucht an all das zu denken. An Susanne, an dich, den ganzen Mist halt.“ Ich nahm den Zigarillo wieder auf und zog einmal. „Und weißt du was?“
„Was?“
„Da war gerade nichts. Stopp; 'nichts' ist das falsche Wort. Ein alter Vers von Brecht kam mir in den Sinn. - Seit jenem Tag sind viele, viele Monde, geschwommen still hinunter und vorbei. Die Pflaumenbäume sind wohl abgehauen und fragst du mich, was mit der Liebe sei? So sag ich dir: ... - “
„ -Ich kann mich nicht erinnern. - “, fiel er mir ins Wort. „ - Und doch gewiss, ich weiß schon, was du meinst. Doch ihr Gesicht, das weiß ich... - “.
Die letzten Worte sprachen wir zusammen: „ - wirklich nimmer. Ich weiß nur mehr: Ich küsste es dereinst. - “
Schweigen. Wie sahen uns nicht an.
Dann ich: „Na ja, ich denke, es geht so... manchmal“
Pause.
„Und bei dir?“, fragte ich.
„Wie gehabt. ...lass uns doch einfach mal wieder was zusammen machen, Charly. Ich denke, dass wird dann schon wieder. Wir bräuchten halt noch so'n Wurfarm wie deinen.“
Ich hob den rechten Arm. „Der ist momentan damit beschäftigt die Frauenquote im Bett zu erfüllen.“
„Iss aber auch keine Lösung.“
„Sag das mal dem Arm.“
Er schaute auf die Uhr: „Du ich muss los. Der Laden, duweissja. Ruf mich mal an, machst du?“
„Mal sehen.“
„Komm.“
„Vielleicht.“
„Versprochen?“
„Versprochen.“

Ich schaute wieder hinüber zur Kreuzung, drückte den Zigarillo in den Aschenbecher und erkannte nun einen kleinen Punkt der ungelenk hin und her pendelte. Der Punkt kam näher, und ich konnte die freche Kurzhaarfrisur erkennen. Sie kommt, Charly, tatsächlich, sie kommt, hat's ja gesagt.
Sie hob den Arm und winkte . Ich zögerte, steckte den 'Kicker' und die Zigarillos in die Fahrradtasche und winkte zurück. In meinem Rücken tutete ein Kahn, der von irgendwoher nach irgendwohin fuhr, zu einem Kahn, der von irgendwoher nach irgendwohin fuhr. Ich verlor noch einen flüchtigen Gedanken an das Mädchen und den Hund, winkte und winkte. Ich winkte bis sie direkt neben mir stand.
 

Vagant

Mitglied
Am Fluss

Es ging auf neun zu. Ich stand bei 'Elviras Büdchen' und wartete auf meine Verabredung für eine Radtour am Main. Bist aufgeregt, dachte ich, unsicher. Ist die erste Verabredung seit Susannes Tod. Wird schon, Charly, wird schon. Ich drehte mich nach Osten, blinzelte hinüber zum Hafen und genoss die Morgensonne auf meinem Gesicht. Ein Holländer lag am Schüttgutkai. Wird die Nacht schon dort gelegen haben. Auf Deck; das übliche. Ein Auto, an der Kabine lehnte ein Fahrrad, Wäsche flatterte im Wind. Ein Mädchen spielte mit einem Hund. Sie rannten an den Ladeluken entlang bis zum Bug, wendeten dort und rannten wieder zurück. Als das Mädchen mich sah, winkte sie mir zu. Ich winkte zurück. Von Westen her schnaufte ein Kahn flussaufwärts, passierte den Holländer und ließ das Horn drei Mal tuten. Kähne, die von irgendwoher kamen und nach irgendwohin gingen, treffen auf Kähne, die von irgendwoher kamen und nach irgendwohin gingen. Es gibt schlechtere Jobs, Charly, 's gibt wahrlich schlechtere.

Ich lehnte mein Rad an die Kioskwand und ging zum Fenster. Elvira wuchtete sich in die kleine Luke. Viel Oberarm, viel Dauerwelle, viel Busen. Von allem zu viel.
„Charly, ei gude. Trainierst' für de Tour?“ Sie zeigte auf mein Fahrrad.
Elvira ist 'ne Revolverschnauze, sagt man. Ich mag sie. Wir sind im selben Viertel aufgewachsen, zusammen in die Grundschule gegangen, und nun eine Art Kollegen. Sie bringt 'Bild', Croissants und Doornkaat an den Mann; ich versuche mich mit einer kleinen Weinhandlung über Wasser zu halten.
„Gibst mir mal 'en Kaffee, 'ne Fünfer Moods und den 'Kicker'.“ Ich lächelte sie an.
„'ne Fünfer? Damit kommste awwer net üwwers Woche'end.“
„Ich muss 'en bisschen kürzer treten. Weißt ja, man wird nicht jünger.“
„Wem saachstes? Awwer aan Mann werd ja erscht so rischtisch interessant wenn de Schlääfe graa geworde sinn.“
„Für die städtische Pietät vielleicht.“
Ich zahlte mit einem großen Schein. Sie gab mir drei, vier Scheine zurück. Feucht. Kalt. Lappig.
Dann feuerte sie eine letzte Salve: „Des kemmt vom Fluss. Inner Stund' sinnse trocke.“

Der Holländer machte sich zum Auslaufen klar. Der Bordhund lag nun träge an Deck und das Mädchen rannte aufgeregt zwischen Steuer- und Backbord hin und her. Sie gab mal hier ein Zeichen mit der Hand, schaute mal dort nach dem Rechten und signalisierte dem Skipper mit gestreckten Daumen, dass es wohl so passt. Sie hatte kein Auge mehr für mich. Ich schaute ihnen noch eine Weile nach und dachte an die Kähne, die von irgendwoher kommen und nach irgendwohin gingen.
Werd' wach, Charly!
Ich nahm Kaffee, Zeitung und die Zigarillos und ging zum kleinen Stehtisch. Dort zündete ich mir eine an, schaute hinüber zur Kreuzung und wartete. Lass uns am Samstag mit den Rädern raus fahren, hatte sie gesagt. So gegen neun, am Büdchen. Ja, so gegen neun, ich bin da. Ich schaute zur Kreuzung.
Wenn sie kommt, kommt sie von dort.
Wenn sie kommt.
Sie kommt.
Biste sicher?
Warum sollte sie nicht?
Kennst sie kaum.
Weil sie's gesagt hat.
Gegen neun, hat sie gesagt. Guck auf die Uhr.
Iss noch Zeit. Sie wird kommen.
Träumer.
Kähne die von irgendwoher...
...Hör auf!
Ich versuchte an etwas zu denken. Susanne. Den Krebs. Vielleicht den letzten Sommer. Es gelang mir nicht. Zu viel für einen Kopf, zu viel, Charly, denk an die Kleine, lass die alten Zeiten, ist Zeit nun, aber Zeit lässt alles verblassen, alles, Sommerkleider, Erinnerungen, Narben, iss gut so, Charly, iss gut so..

Ich trank einen Schluck Kaffee und schaute weite auf die Kreuzung.
Eine Stimme von hinten: “Na, hast wohl deine Kaffeemaschine zur Inspektion,?“
Ich brauchte mich nicht um zu drehen, und wusste doch sofort, wer in meinem Rücken stand.
Ilja; wir waren Freunde, sagenumwobenes Bouleteam, ungeschlagene Stadtmeister. Er hat seinen Laden nur ein paar Meter neben meinem. Tabak, Zigarette, Zigarren. Sehnsüchte aller Art, wie er sagt. Seit Weihnachten, als ich erfahren hatte, dass Ilja mit Susanne eine kurze heftige Liaison verband, versuchten wir uns aus dem Weg zu gehen. Nun stand er mit einem Becher Kaffee neben mir.
„Lange nicht gesehen.“ Pause. Er schaute mich an, kratzte sich verlegen auf dem Handrücken und fragte: „Ist's okay, wenn ich mich dazu stelle?“
Nichts ist okay, aber auch gar nichts. Ich zeigte mit der Hand zum Tisch und nickte.
„Hastes Spiel gesehen?“ Er deutete auf den 'Kicker'.
„Hab ich.“
„Und?“
„War nix.“
„Und, sonst so?“ Er trank einen Schluck und griff nach einem Zigarillo aus meiner Packung.
Ich gab ihm Feuer, wir rauchten und ich schaute ihn an: „Soll heißen?“
„Na ja, was machsten noch so?“
Ich schwieg. Ilja schaute sich ein paar Mal verlegen um.
„Ich mein“, sagte er, „Ich kann verstehen, wenn da gerade nichts geht. Aber wir sollten uns da nochmal zusammen setzen ...“
„Bin gespannt wie der Satz weitergeht.“
„... und nochmal drüber reden. Das geht mir schon ein bisschen an die Nieren. Wir sollten einfach mal wieder zusammen zum Boule.“
„Du hast doch nun diesen Scheich.“
„Scheich?“
„Na diesen Ali.“
„Er heißt Metin, ist Bussfahrer und im übrigen ein prima Kerl. Und 'en Auge hat der, wie ein Adler.“
Ilja schaut mich an: „Du bist so bitter geworden, Charly. So voller Bitternis. Du rennst umher und erzählst der ganzen Welt wie ungerecht man dich doch behandelt hat. Mensch, ... wird Zeit, dass du wieder auf die Beine kommst, dass du wieder der wirst, der du mal warst. Verstehste?“
Ich legte den Zigarillo in den Aschenbecher und schaute die Straße hinunter.
„Weißt du“, sagte ich, „Ich hab gerade hier gestanden und versucht an all das zu denken. An Susanne, an dich, den ganzen Mist halt.“ Ich nahm den Zigarillo wieder auf und zog einmal. „Und weißt du was?“
„Was?“
„Da war gerade nichts. Stopp; 'nichts' ist das falsche Wort. Ein alter Vers von Brecht kam mir in den Sinn. - Seit jenem Tag sind viele, viele Monde, geschwommen still hinunter und vorbei. Die Pflaumenbäume sind wohl abgehauen und fragst du mich, was mit der Liebe sei? So sag ich dir: ... - “
„ -Ich kann mich nicht erinnern. - “, fiel er mir ins Wort. „ - Und doch gewiss, ich weiß schon, was du meinst. Doch ihr Gesicht, das weiß ich... - “.
Die letzten Worte sprachen wir zusammen: „ - wirklich nimmer. Ich weiß nur mehr: Ich küsste es dereinst. - “
Schweigen. Wir sahen uns nicht an.
Dann ich: „Na ja, ich denke, es geht so... manchmal“
Pause.
„Und bei dir?“, fragte ich.
„Wie gehabt. ...lass uns doch einfach mal wieder was zusammen machen, Charly. Ich denke, dass wird dann schon wieder. Wir bräuchten halt noch so'n Wurfarm wie deinen.“
Ich hob den rechten Arm. „Der ist momentan damit beschäftigt die Frauenquote im Bett zu erfüllen.“
„Iss aber auch keine Lösung.“
„Sag das mal dem Arm.“
Er schaute auf die Uhr: „Du ich muss los. Der Laden, duweissja. Ruf mich mal an, machst du?“
„Mal sehen.“
„Komm.“
„Vielleicht.“
„Versprochen?“
„Versprochen.“

Ich schaute wieder hinüber zur Kreuzung, drückte den Zigarillo in den Aschenbecher und erkannte nun einen kleinen Punkt der ungelenk hin und her pendelte. Der Punkt kam näher, und ich konnte die freche Kurzhaarfrisur erkennen. Sie kommt, Charly, tatsächlich, sie kommt, hat's ja gesagt.
Sie hob den Arm und winkte . Ich zögerte, steckte den 'Kicker' und die Zigarillos in die Fahrradtasche und winkte zurück. In meinem Rücken tutete ein Kahn, der von irgendwoher nach irgendwohin fuhr, zu einem Kahn, der von irgendwoher nach irgendwohin fuhr. Ich verlor noch einen flüchtigen Gedanken an das Mädchen und den Hund, winkte und winkte. Ich winkte bis sie direkt neben mir stand.
 

Vagant

Mitglied
hallo uwe, vielen dank für das zeigen der fehler. da habe ich mal wieder schluderich gearbeitet. die gröbsten fehler habe ich gleich korrigiert. bin aber momenta unterwegs - und mit dem tablet ist das so eine müssigen sache. ich melde mich in den nächsten tagen mal. vagant.
 

Vagant

Mitglied
Am Fluss

Es ging auf neun zu. Ich stand bei 'Elviras Büdchen' und wartete auf meine Verabredung für eine Radtour am Main. Bist aufgeregt, dachte ich, unsicher. Ist die erste Verabredung seit Susannes Tod. Wird schon, Charly, wird schon. Ich drehte mich nach Osten, blinzelte hinüber zum Hafen und genoss die Morgensonne auf meinem Gesicht. Ein Holländer lag am Schüttgutkai. Wird die Nacht schon dort gelegen haben. Auf Deck; das übliche. Ein Auto, an der Kabine lehnte ein Fahrrad, Wäsche flatterte im Wind. Ein Mädchen spielte mit einem Hund. Sie rannten an den Ladeluken entlang bis zum Bug, wendeten dort und rannten wieder zurück. Als das Mädchen mich sah, winkte sie mir zu. Ich winkte zurück. Von Westen her schnaufte ein Kahn flussaufwärts, passierte den Holländer und ließ das Horn drei Mal tuten. Kähne, die von irgendwoher kamen und nach irgendwohin gingen, treffen auf Kähne, die von irgendwoher kamen und nach irgendwohin gingen. Es gibt schlechtere Jobs, Charly, 's gibt wahrlich schlechtere.

Ich lehnte mein Rad an die Kioskwand und ging zum Fenster. Elvira wuchtete sich in die kleine Luke. Viel Oberarm, viel Dauerwelle, viel Busen. Von allem zu viel.
„Charly, ei gude. Trainierst' für de Tour?“ Sie zeigte auf mein Fahrrad.
Elvira ist 'ne Revolverschnauze, sagt man. Ich mag sie. Wir sind im selben Viertel aufgewachsen, zusammen in die Grundschule gegangen, und nun eine Art Kollegen. Sie bringt 'Bild', Croissants und Doornkaat an den Mann; ich versuche mich mit einer kleinen Weinhandlung über Wasser zu halten.
„Gibst mir mal 'en Kaffee, 'ne Fünfer Moods und den 'Kicker'.“ Ich lächelte sie an.
„'ne Fünfer? Damit kommste awwer net üwwers Woche'end.“
„Ich muss 'en bisschen kürzer treten. Weißt ja, man wird nicht jünger.“
„Wem saachstes? Awwer aan Mann werd ja erscht so rischtisch interessant wenn de Schlääfe graa geworde sinn.“
„Für die städtische Pietät vielleicht.“
Ich zahlte mit einem großen Schein. Sie gab mir drei, vier Scheine zurück. Feucht. Kalt. Lappig.
Dann feuerte sie eine letzte Salve: „Des kemmt vom Fluss. Inner Stund' sinnse trocke.“

Der Holländer machte sich zum Auslaufen klar. Der Bordhund lag nun träge an Deck und das Mädchen rannte aufgeregt zwischen Steuer- und Backbord hin und her. Sie gab mal hier ein Zeichen mit der Hand, schaute mal dort nach dem Rechten und signalisierte dem Skipper mit gestreckten Daumen, dass es wohl so passt. Sie hatte kein Auge mehr für mich. Ich schaute ihnen noch eine Weile nach und dachte an die Kähne, die von irgendwoher kommen und nach irgendwohin gingen.
Werd' wach, Charly!
Ich nahm Kaffee, Zeitung und die Zigarillos und ging zum kleinen Stehtisch. Dort zündete ich mir eine an, schaute hinüber zur Kreuzung und wartete. Lass uns am Samstag mit den Rädern raus fahren, hatte sie gesagt. So gegen neun, am Büdchen. Ja, so gegen neun, ich bin da. Ich schaute zur Kreuzung.
Wenn sie kommt, kommt sie von dort.
Wenn sie kommt.
Sie kommt.
Biste sicher?
Warum sollte sie nicht?
Kennst sie kaum.
Weil sie's gesagt hat.
Gegen neun, hat sie gesagt. Guck auf die Uhr.
Iss noch Zeit. Sie wird kommen.
Träumer.
Kähne die von irgendwoher...
...Hör auf!
Ich versuchte an etwas zu denken. Susanne. Den Krebs. Vielleicht den letzten Sommer. Es gelang mir nicht. Zu viel für einen Kopf, zu viel, Charly, denk an die Kleine, lass die alten Zeiten, ist Zeit nun, aber Zeit lässt alles verblassen, alles, Sommerkleider, Erinnerungen, Narben, iss gut so, Charly, iss gut so..

Ich trank einen Schluck Kaffee und schaute weite auf die Kreuzung.
Eine Stimme von hinten: “Na, hast wohl deine Kaffeemaschine zur Inspektion,?“
Ich brauchte mich nicht um zu drehen, und wusste doch sofort, wer in meinem Rücken stand.
Ilja; wir waren Freunde, sagenumwobenes Bouleteam, ungeschlagene Stadtmeister. Er hat seinen Laden nur ein paar Meter neben meinem. Tabak, Zigaretten, Zigarren. Sehnsüchte aller Art, wie er sagt. Seit Weihnachten, als ich erfahren hatte, dass Ilja mit Susanne eine kurze heftige Liaison verband, versuchten wir uns aus dem Weg zu gehen. Nun stand er mit einem Becher Kaffee neben mir.
„Lange nicht gesehen.“ Pause. Er schaute mich an, kratzte sich verlegen auf dem Handrücken und fragte: „Ist's okay, wenn ich mich dazu stelle?“
Nichts ist okay, aber auch gar nichts. Ich zeigte mit der Hand zum Tisch und nickte.
„Hastes Spiel gesehen?“ Er deutete auf den 'Kicker'.
„Hab ich.“
„Und?“
„War nix.“
„Und, sonst so?“ Er trank einen Schluck und griff nach einem Zigarillo aus meiner Packung.
Ich gab ihm Feuer, wir rauchten und ich schaute ihn an: „Soll heißen?“
„Na ja, was machsten noch so?“
Ich schwieg. Ilja schaute sich ein paar Mal verlegen um.
„Ich mein“, sagte er, „Ich kann verstehen, wenn da gerade nichts geht. Aber wir sollten uns da nochmal zusammen setzen ...“
„Bin gespannt wie der Satz weitergeht.“
„... und nochmal drüber reden. Das geht mir schon ein bisschen an die Nieren. Wir sollten einfach mal wieder zusammen zum Boule.“
„Du hast doch nun diesen Scheich.“
„Scheich?“
„Na diesen Ali.“
„Er heißt Metin, ist Bussfahrer und im übrigen ein prima Kerl. Und 'en Auge hat der, wie ein Adler.“
Ilja schaut mich an: „Du bist so bitter geworden, Charly. So voller Bitternis. Du rennst umher und erzählst der ganzen Welt wie ungerecht man dich doch behandelt hat. Mensch, ... wird Zeit, dass du wieder auf die Beine kommst, dass du wieder der wirst, der du mal warst. Verstehste?“
Ich legte den Zigarillo in den Aschenbecher und schaute die Straße hinunter.
„Weißt du“, sagte ich, „Ich hab gerade hier gestanden und versucht an all das zu denken. An Susanne, an dich, den ganzen Mist halt.“ Ich nahm den Zigarillo wieder auf und zog einmal. „Und weißt du was?“
„Was?“
„Da war gerade nichts. Stopp; 'nichts' ist das falsche Wort. Ein alter Vers von Brecht kam mir in den Sinn. - Seit jenem Tag sind viele, viele Monde, geschwommen still hinunter und vorbei. Die Pflaumenbäume sind wohl abgehauen und fragst du mich, was mit der Liebe sei? So sag ich dir: ... - “
„ -Ich kann mich nicht erinnern. - “, fiel er mir ins Wort. „ - Und doch gewiss, ich weiß schon, was du meinst. Doch ihr Gesicht, das weiß ich... - “.
Die letzten Worte sprachen wir zusammen: „ - wirklich nimmer. Ich weiß nur mehr: Ich küsste es dereinst. - “
Schweigen. Wir sahen uns nicht an.
Dann ich: „Na ja, ich denke, es geht so... manchmal“
Pause.
„Und bei dir?“, fragte ich.
„Wie gehabt. ...lass uns doch einfach mal wieder was zusammen machen, Charly. Ich denke, dass wird dann schon wieder. Wir bräuchten halt noch so'n Wurfarm wie deinen.“
Ich hob den rechten Arm. „Der ist momentan damit beschäftigt die Frauenquote im Bett zu erfüllen.“
„Iss aber auch keine Lösung.“
„Sag das mal dem Arm.“
Er schaute auf die Uhr: „Du ich muss los. Der Laden, duweissja. Ruf mich mal an, machst du?“
„Mal sehen.“
„Komm.“
„Vielleicht.“
„Versprochen?“
„Versprochen.“

Ich schaute wieder hinüber zur Kreuzung, drückte den Zigarillo in den Aschenbecher und erkannte nun einen kleinen Punkt der ungelenk hin und her pendelte. Der Punkt kam näher, und ich konnte die freche Kurzhaarfrisur erkennen. Sie kommt, Charly, tatsächlich, sie kommt, hat's ja gesagt.
Sie hob den Arm und winkte . Ich zögerte, steckte den 'Kicker' und die Zigarillos in die Fahrradtasche und winkte zurück. In meinem Rücken tutete ein Kahn, der von irgendwoher nach irgendwohin fuhr, zu einem Kahn, der von irgendwoher nach irgendwohin fuhr. Ich verlor noch einen flüchtigen Gedanken an das Mädchen und den Hund, winkte und winkte. Ich winkte bis sie direkt neben mir stand.
 



 
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