Am Sonnenstrand vor 50 Jahren

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Neulich suchte ich in meinen alten Fotografien nach etwas Bestimmtem und da stieß ich auf mein Album “Sommerurlaub in Bulgarien“. Ich war damals 14-15 Jahre alt und mein Vater wollte uns, den Eltern und mir, eine besondere Reise gönnen, eben diesen Urlaub. Nun war die pauschale Flugreise in jenen Jahren ja noch etwas Exklusives, und wir hatten genug Mut und Geld für einen Aufenthalt im “Ostblock”. Das war für uns eingemauerten Westberliner schon etwas unheimlich. Man traf sich also am Funkturm, ich glaube eine Art Busbahnhof gab es damals schon. Der Reiseleiter wartete bereits und sammelte die Ausweise ein und es ging los. Bald hielt der Bus am Grenzübergang Schönefeld, wo dann die Vopos in den Bus stiegen und die Türen bewachten. Die Ausweise wurden peinlich genau mit ihren Besitzern verglichen, dafür musste sie der Reiseleiter wieder herausrücken. Da weder bekannt staatsfeindliche Sommergäste im Bus waren, noch staatsmüde DDR Bürger in den Bus wollten, ging es zur eigentlichen zügigen Abfertigung. Schon nach wenigen Stunden Wartezeit im sommerlich warmen Glastransitkasten wurde unser Flug aufgerufen. Man ging über das Vorfeld zum Flugzeug, irgendwas mit Operettennamen, Tupolew oder Iljuschin und 2 großen Propellern und passierte beim Einsteigen vorne die beiden Mechaniker, ans Licht gestiegen aus den hydraulischen Innereien unterhalb des Cockpits, auf deren Weg zu neuen Taten. Dialog: “Müßte halten..wa?” “Jo”. Zutiefst beruhigt stiegen wir in die Maschine und es ging tatsächlich los. Ich hatte einen guten Platz, niemand vor mir, nur eine Wand mit einer aufgeschraubten kleinen Metallplatte. Da waren die Schrauben lose und die Platte machte immer “tacktacktacktack”. Ziemlich laut. Jetzt konnte man mit dem Fingernagel die Schrauben anziehen und hatte dann doch 1-2 Minuten Ruhe, dann wurde der Vorgang wiederholt und so verging die Zeit im Flug. Diese Flugzeuge flogen in etwa 3000 m Höhe, so dass man vom Wetter nichts versäumen musste. Der Pilot war sehr erfahren und zeigte uns genau jedes ihm bekannte Luftloch. Es konnte nichts passieren, man musste ja angeschnallt bleiben. Auch konnten wir uns vom gereichten Kaffee nicht den Mund verbrennen, da dieser 1. lauwarm, 2. auf der Hose landete und dort graziöse Flecken bildete. Mit diesen hell- bis dunkelbraunen Flecken auf Hose und Rock versehen, stiegen dann die Passagiere aus dem Flugzeug und sahen aus wie die Teilnehmer einer AOK Durchfallstudie, rochen aber besser.. Nach der Landung wurden die Passagiere durch gründliche Untersuchung vom Verdacht der Volksfeindschaftlichkeit befreit. Da sämtliche Flüge samstags stattfanden war das Heer der Erholungssuchenden beträchtlich. Der Flughafen Burgas hatte damals eine kleine Halle, die bereits völlig gefüllt war. Aber die pfiffigen Bulgaren wussten sich zu helfen. Vor dem Flughafen auf dem Parkplatz waren flohmarktartige Buden aufgestellt, auf deren Tischen man nun den Beamten seine westliche Unterwäsche und anderes Schönes zeigen durfte. Fein, dass das Wetter mitspielte und die Mittagssonne, von Wolken unbehelligt, liebevoll auf uns hinabbrannte. Die Beamten fanden nichts und nach dem Einpacken durften wir alle ziehen. Nun fuhren wir auf guter Strasse zum nahen Sonnenstrand und wurden in den damals nagelneuen Hotels in schönen Parkanlagen ausgeladen. Ich fühlte mich jetset- mäßig ,wie Gunter Sachs, falls den noch jemand kennt. Wir waren angekommen.

Da die Bulgaren nicht umsonst die Preußen des Balkans genannt wurden, haben sie damals ein genaues System zum Genuss der Vollpension erdacht. Die sog. Talons. Bei Ankunft erhält jede Person einen beschrifteten Umschlag vom Reiseleiter. Dame Müller, Herr Müller, Kind Müller, z.B. Darin befindet sich eine Art Spielgeld, abgezählt für die einzelnen Tage. Man kann also mal weniger mal mehr essen, oder nur trinken. Dies natürlich nur in den staatlichen Restaurants, also nicht in den netten Folklorelokalen und gemütlichen Kneipen. Da mein Vater Prokurist und somit gelernter Buchhalter war, saß er abends lange auf dem Bettrand und schichtete aufgeregt die Talons in den Umschlägen hin und her und erteilte Order an uns, bezüglich der am nächsten Tag erlaubten Speisekosten. Vor unserer Reise wurde uns von kundigen
Bekannten empfohlen, das Trinkgeld für die Kellner nicht erst am letzten Ferientag zu überreichen, sondern gleich beim ersten Besuch dem ersten Kellner zu geben, um damit für die ganze Zeit Zuneigung, Treue und gute Bedienung zu erhalten. Dazu seien am besten Strumpfhosen und Kugelschreiber geeignet. Also saßen wir am ersten Abend mit Strumpfhosen und Kugelschreibern am Tisch und warteten auf Dienstleistungen, die wir sofort zukunftssicher belohnen wollten. Nach einigen Pannen erwischten wir einen sehr angenehmen Herrn als “unseren” Kellner, der Herr war Akademiker, einem Studienrat vergleichbar und in den Sommerferien, wie viele andere Bulgaren auch, dienstverpflichtet, da ja die Schulen geschlossen und Kellner am Arbeitsmarkt nicht vorhanden waren. Einmal wöchentlich wurden alle kurz vor Restauranteröffnung politisch geschult und waren dann eine Weile mürrisch, wir waren ja schließlich Feinde. Nur das Geld und die Strumpfhosen waren Freunde.

Wollte man mal ein anderes Lokal, als Selbstzahler, besuchen, die “Windmühle am Hügel”, beispielsweise, konnte man sich ein Taxi nehmen. Taxifahren ging so: Auf dem ausgewiesenen Taxiplatz standen einige Taxen und einige Männer, die sich unheimlich viel zu erzählen hatten. Man versuchte, eine Pause abzupassen und sein Anliegen vorzubringen. Ich konnte ja kein bulgarisch, aber das Gespräch zwischen den Fahrern ging ungefähr so: “Fahr Du ! “ “ Ich? ich bin doch gerade erst gekommen!” “Na und? Dann Du!”” Warum ich? Immer soll ich alles für euch machen!” Meist kam dann ein weiterer Taxifahrer gerade an, der Jüngste in der Gruppe und der wurde gleich wieder von den Kollegen mit den Fahrgästen losgescheucht und die anderen konnten sich wieder auf ihren ursprünglichen spannenden Austausch konzentrieren. Da die Fahrer Prämien für geringen Benzinverbrauch erhielten, fuhren sie generell im 4. Gang oder eben gar nicht.. Auch hügelaufwärts, was der Motor mit freudigem Klingeln begrüßte. Hügelab wurde der Motor abgeschaltet und man raste auf singenden Pneus ansonsten lautlos, nur unterbrochen von schreienden Fußgängern, die uns ja nicht kommen hörten und schnell zur Seite sprangen, die kurvige Strasse hinab. Klingelnd und singend erreichten wir das Ziel. Mein Lieblingsessen dort war eine Art Grillteller und hieß “Allerlei vom Rost”, im Gegensatz zu den Taxen, die ja “Allerlei mit Rost” waren.

Auch unsere Mitdeutschen, denen es nicht so gut ging, konnten dort Urlaub machen. Sie reisten mit dem Trabbi und hoch aufgeschichteten Gepäckstücken auf dem Dach, sowie geräumigen und wohlgefüllten Anhängern an. Der Innenraum des Trabbi bot Platz für zahlreiche Familienmitglieder und den geliebten, reisegeimpften Hund. Um alle vor zersetzendem westlichen Gedankengut zu schützen, mussten sie auf eingezäunter Lichtung campen oder Hütten beziehen und dort ihre Dosen wärmen, was der Urlaubsfreude aber keinen Abbruch tat, glaube ich. Manchmal standen abends einige von ihnen vor den Restaurants und guckten den Westlern beim Essen zu. Es gab auch russische Urlauber dort. Die wurden von ihren Reiseleitern in Marschblöcken aufgestellt und marschierten so durch die Restaurants zum reservierten Langtisch. Jeder bekam ein Glas zu trinken und es wurde jedem ein Teller hingestellt. Nach kurzer Zeit war alles erledigt und die Marschkolonne verließ diszipliniert im Gleichschritt den Speisungsort.

Das Meer und der riesige Strand waren wunderschön und beim Bocciaspielen lernten wir eine nette Schweizer Familie kennen. Am nächsten Tag waren sie wieder da und zum Spiel bereit. In der folgenden Nacht schlief ich wenig und freute mich auf den nächsten Tag, da mir die Tochter der Schweizer gut gefiel. Jedoch, sie kamen nie mehr. Da mir schon bekannt war, dass bei Melancholie auf jeden Fall Alkohol zum Einsatz kommen sollte, probierte ich am Abend zwei Getränke aus. Ein Wodka 100 g. Der Schnaps wird vom Wirt in eine Mensur, wie im Chemiebaukasten, gegossen und füllt dann ein mittleres Zahnputzglas. Aahhh. Nicht schlecht. Die Einheimischen in der Bauernkneipe feixten mir fröhlich zu. Dann gab es noch ein Getränk, das wie Haarwasser riecht, schmeckt und wahrscheinlich auch ist, es heißt dort “Armenischer Kognak”. Meine Melancholie war nun verflogen und meine Gedanken wurden hell, aber meine damals noch jungen Beine wackelig. Die Sicht ließ auch zu wünschen übrig, sie tendierte eindeutig zum Doppelbild, das Hören fand nun mit Halleffekten statt. Auf dem Heimweg durchquerte ich stolpernd das zwar jetzt doppelt sichtbare
aber dennoch von mir ignorierte Rosenbeet- Rondell vor unserem Hotel, riss mich vor der Rezeptionistin zusammen und gelangte ziemlich dornenzerkratzt in mein Zimmer. Die Nacht verbrachte ich, Karussell fahrend, mit Magenaufwallungen und schlechtem Gewissen, aber das geht ja jedem jungen Ausprobierer starker Getränke zunächst so.

Morgens war ich grün im Gesicht, mir war schlecht, und Gedanken an die Schweizerin waren, wie an das Frühstück, nicht willkommen. Am Nachmittag jedoch war mir nur noch kränklich, und ich freute mich auf einen kleinen Imbiß. An der Hauptstrasse des Sonnenstrandes gab es einen Kiosk, ich kannte ihn schon aus gesunden Tagen, der verkaufte, nur wenige Stunden täglich, Würstchen mit Brot und Senf. Meist hieß es: “Heute nix Brott”, oder “heute nix Sennef”. Alle drei Bestandteile gab es eher selten. Dennoch, ich kriegte etwas zu essen.

Abschließend bleibt mir noch über das Geldwechseln zu berichten übrig. Vorbehaltlich möglicher Erinnerungslücken verhielt es sich so: Der legale Wechselkurs in Bulgarien war 1:2. 10 Lewa für 20 DM. Das war durchaus akzeptabel, es gab für einen Lewa Waren und Dienstleistungen wie für zwei DM bei uns. Eher mehr. Man erhielt beim Umtausch einen Beleg, den man eventuell am Flughafen vorzeigen musste, als Plausibilitätsbeweis, so zu sagen. Man musste ja irgendwas ausgegeben haben! Wenn privat getauscht wurde, was streng verboten war, kosteten 10 Lewa etwa 1-2 DM, also quasi nachgeschmissen. Diesbezügliche Angebote wurden einem beim abendlichen Spaziergang bei jeder Gelegenheit von Menschen aller Art zugeraunt. “Wollen tauschen?” War die eigene Gier zu groß, weil der angebotene Wechselkurs noch schöner klang, ging die Sache auch mal schief. Man erhielt dann für seine 100 DM ein Geldscheinbündel, dass sich bei näherer Prüfung als jugoslawische Dinare entpuppte. Leider wurden beim flinken Strassentausch nur die Ziffern der Scheine angeschaut und es waren keine 2000 Lewa, sondern eben Dinare für die man in Deutschland bei seiner Bank irgendwas unter 10 DM erhielt. Es soll auch einen jungen Reisenden gegeben haben, der in Deutschland schon bei seiner Hausbank etliche Lewa bestellte und vor der Reise dort abholte. “Die Einfuhr von Lewa in Bulgarien ist streng verboten!”, sprach der Bankmensch. “Ja”, antwortete der junge Mann. Er war sehr klug und steckte das verpackte Geld in eine Shampoo- Flasche. Beim Aufschneiden der Flasche im Hotelzimmer hielt die Geldverpackung nicht, und er hatte einen schäumenden, klebrigen, nassen Geldhaufen, der angenehm und duftig roch. Alle Scheine wurden gewaschen, gespült und mussten trocknen. Föne in Hotelzimmern gab es damals nicht. Dort nicht. Es war auch mit dem Erscheinen eines Zimmermädchens zu rechnen, oder eines Handwerkers wegen der empfindlichen Installationen, wie dann das im Zimmer verteilte Geld erklären? Fenster zu! Die Meeresbrise bläst die Scheine zum Balkon und vom Nachbarbalkon wird auch schon um die Trennwand gespäht. Wie Fafner bewacht der junge Mann seinen Hort, in stickiger, abgedunkelter Hotelhöhle. So vergingen die ersten zwei Urlaubstage. Dann begann die schöne Urlaubszeit, denn der junge Mann war durch Geldwäsche reich geworden.

Man muß es schon zugeben: Nur dem zufälligen Umstand im Westen geboren worden zu sein, ist es zu verdanken, dass unsereiner sich schon in den 60 igern, in frühen Lebensjahren, am Schwarzen Meer, am feinsandigen Sonnenstrand, mit mehreren kräftigen Mahlzeiten täglich und Pilsner Urquell dazu, wochenlang in der Sonne sorgenfrei räkeln konnte. Jetzt fallen mir gerade wieder die Ostler ein, wie sie abends zuguckten, wie und was ich esse. Das war mir damals schon, zurecht, etwas peinlich. Wie einem Losgewinner auf dem Rummel.
 
R

Reeno RPR

Gast
Am Sonnenstrand vor 50 Jahren

Hallo Herr Werner,

eine sehr lehrreiche Geschichte. Ihre Art zu erzählen und der Humor haben mir sehr gefallen und das Lesen zu einer kurzweiligen Angelegenheit gemacht.
Danke
 



 
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