Am Ufer

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Er stand im Hafen der kleinen Stadt und betrachtete die Schiffe. Viele kannte er; sie legten immer wieder hier an und begaben sich immer wieder auf die gleiche Route. Mit einigen konnte man - über Umwege - nach Holland gelangen. Wahrscheinlich müsste er erst mit einem der Schiffe in einen größeren Hafen einlaufen - Köln, Hamburg oder Kiel oder so - und dann auf einen Kreuzfahrtriesen umsteigen. Er stellte sich vor, wie er auf eines dieser riesengroßen Schiffe gehen würde, mit wiegendem Schritt, lässig, die Hände in den Hosentaschen. "Nach Amsterdam" würde er dem Kapitän oder vielleicht doch eher dem Steward oder wer auch immer dafür zuständig war, nonchalant hinwerfen. Und dieser würde respektvoll nicken und "Selbstverständlich, gerne" sagen. Vielleicht wäre es besser, Englisch zu sprechen, dann könnte der Steward "Yes, Sir", "Of course, Sir" oder so etwas Ähnliches sagen. Hauptsache, es käme das Wort "Sir" darin vor.
In Amsterdam angekommen, würde er alles besichtigen, was sich anbot, vor allen Dingen das Van Gogh-Museum, aber auch die kleineren Museen und natürlich Madame Tussaud, die Zweigstelle in Amsterdam. Ganz bestimmt Madame Tussaud, vielleicht sogar noch vor dem Van Gogh-Museum. Soviel er wusste, war sie 1970 eröffnet worden. Damals war er noch nicht mal geboren worden. Ganz schön lange her.
Und dann, nach all den Besichtigungen, würde er sich mitten ins Stadtleben stürzen. Vielleicht würde er sogar einen Joint rauchen oder ein Freudenhaus aufsuchen. Vielleicht sogar beides. Und einfach das Leben genießen.
Auf dem Weg nach Hause pfiff er ein Liedchen vor sich hin, nach der Melodie des Liedes "Ein Schiff wird kommen". Lale Andersen hatte das gesungen. Wenn auch nicht alles vom Text zu ihm passte, eine Zeile passte besonders gut:
"Ein Schiff wird kommen und meinen Traum erfüllen und meine Sehnsucht stillen, die Sehnsucht mancher Nacht".

Als er die Haustür aufschloss, hörte er schon das Greinen der 2 Monate alten Zwillinge. Offenbar war gerade Zeit, die beiden zu füttern. Seine Frau kam ihm mit dem Jungen auf dem Arm entgegen. Das Mädchen war aus dem Wohnzimmer zu hören, wo es lautstark protestierte.
"Wo warst du denn so lange?"
Doch eine Antwort wartete sie gar nicht ab. "Fütterst du die Kleine? Ich muss Tom wickeln." Sie verschwand im Kinderzimmer. Er ging ins Wohnzimmer und fütterte das Mädchen.

"Ich hatte keine Zeit zum Kochen", sagte seine Frau, als sie mit dem Jungen zurück kam.

Später in der Nacht versuchte er, seine Frau zu streicheln. Sie drehte sich um und schlief weiter.

Aber eigentlich war er sicher, dass sie nur so tat.
 

Silbenstaub

Mitglied
Hallo SilberneDelfine,
so wie alle deine Texte liest sich auch dieser sehr flüssig. Mir hat die Geschichte gut gefallen, vor allem die Schlusspassage, mehr muss zu diesen „Szenen einer Ehe“ nicht geschrieben werden. Das Kopfkino hat funktioniert.
Ein paar Kleinigkeiten:
„Ganz bestimmt Madame Tussaud, vielleicht sogar noch vor dem Van Gogh-Museum. Soviel er wusste, war sie 1970 eröffnet worden.“

Die Sätze finde ich nicht so gut und „Van Gogh-Museum“ würde ich ohne Bindestrich schreiben.

„Auf dem Weg nach Hause pfiff er ein Liedchen vor sich hin, nach der Melodie des Liedes "Ein Schiff wird kommen"

...„des Liedes“ würde ich streichen.

„Als er die Haustür aufschloss, hörte er schon das Greinen der 2 Monate alten Zwillinge.“

Zahlen besser ausschreiben.

Viele Grüße
Silbenstaub
 
Hallo Silbenstaub,

vielen Dank für deinen Kommentar und dein Interesse! Mit deinen Anmerkungen hast du natürlich recht, vor allem mit den Zahlen - die sehen im Text ausgeschrieben wirklich besser aus.

Schön, dass dir der Text gefallen hat!

LG SilberneDelfine
 



 
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