Am seidenen Faden

4,30 Stern(e) 3 Bewertungen

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ein Bergsteiger. Ein Extrem-Bergsteiger. Er klettert eine steile Felswand hoch, alleine. Er klopft die Haken in die Wand, zieht sich hoch, immer weiter, schweißüberströmt.

Wieder und wieder rutscht er ein Stück ab. Hängt am Seil, fängt sich wieder, bringt die Haken erneut an.

"Ich bezwinge dich!" schreit er den Berg an. Der Berg antwortet nicht. Er scheint mächtiger zu sein als dieser kleine verbissene Mensch.

Es wird schon dunkel. Das Wetter droht umzuschlagen. Das Licht an der Lampe des Bergsteigers flackert unruhig. Viel Kraft hat es auch nicht mehr.

Da stürzt der Mann erneut ab. Haken brechen aus der Wand, er fällt tiefer und tiefer, noch tiefer .... plötzlich strafft sich das Seil und er baumelt hilf- und orientierungslos hin und her. Kann nichts mehr sehen, die Dunkelheit umgibt ihn mit gnadenloser Schwärze. Die Lampe an seinem Helm ist erloschen.

Er schreit um Hilfe.

Noch einmal.

Keine Antwort.


Da bricht es aus ihm heraus:

"Hilf Du mir, Gott!"

Stille.

Dann hört er eine Stimme:


"Ich soll Dir helfen? Meinst Du, das kann ich?"


"Ja! Wer denn sonst?"


"Dann kapp das Seil!"


"NEIN!"

ist die Antwort.


Am nächsten Morgen.

Die Sonne beleuchtet den erfrorenen Leichnam eines jungen Mannes, der in einem Seil hängt.


Einen Meter über dem Boden.
 

Ralf Langer

Mitglied
hallo doc,

gefälltmir ausnahmslos gut.
die fragmentierung ist ein bischen sehr gewollt,
aber .. das ist sch.. egal.

schöne schnelle geschichte über einen der auszog
seine grenzen auszuloten, gott kennenlernte und auch seine
grenzen.
die des glaubens und die seines körpers!

gibt neun punkte

lg
ralf
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Lieber Ralf, das freut mich.
Neun Punkte? Wie viel ist das Höchste?
LG Doc,das System der Bewertung bleibt für mich vorläufig noch ein Rätsel ;-)
 
Hallo,

deine kurze Kurzgeschichte macht neugierig und überrascht am Ende, erfüllt also voll ihren Zweck. Habe sie gern gelesen und so soll es ja sein!
LG Rosa
 
K

KaGeb

Gast
Hallo DocSchneider,

um meine Bewertung aufgrund deiner Nachfrage ein bisschen zu fundieren:

Ich finde den Text von der Idee her sehr gut, aber den (geschriebenen) Weg dorthin teilweise zu umständlich formuliert. Ist natürlich Lese(Ansichts-)sache, aber anbei mal ein paar Hinweise, was ich meine:


Ein Bergsteiger. Ein Extrem-Bergsteiger. Er klettert eine steile Felswand hoch, alleine. Er klopft die Haken in die Wand, zieht sich hoch, immer weiter, schweißüberströmt.
Das birgt mir persönlich zu viele Worte.
Zunächst ist mir als Leser klar, dass es um einen Bergsteiger geht. Der Hinweis auf "Extrem"- ... - ist m.M.n. überflüssig. Dass er "allein" klettert, ist mir spätestens nach den ersten zwei Worten der Geschichte klar. "Ein" Bergsteiger"!
Er zieht sich hoch - alles klar, hab ich verstanden,
"immer weiter" ist schon wieder überflüssig, da er sich ja logischer Weise bereits hochzieht und das bedeutet zwangsläufig, dass er immer weiter hoch kommt.

Beispielhafte Idee:
[red]Ein Bergsteiger klettert eine steile Felswand hoch. Er klopft Haken in Wände, schweißüberströmt ...[/red]


Wieder und wieder rutscht er ein Stück ab. Hängt am Seil, fängt sich wieder, bringt die Haken erneut an.
In zwei aufeinander folgenden Sätzen verwendest du 3x "wieder", was nicht nur das Lesen holprig macht. Eine dermaßen spannungsgeladene Situation wird so passiviert und nahezu vollständig zum Erliegen gebracht. Bleibst du beim erzählerischen Moment, dann anbei ein Beispielvorschlag:

[red]Immer wieder rutscht er ein Stück ab, hängt am Seil, bringt neue Haken an[/red]

"Ich bezwinge dich!" schreit er den Berg an. Der Berg antwortet nicht. Er scheint mächtiger zu sein als dieser kleine verbissene Mensch.
1. Satz ist (m.M.n.) sehr gut, ab dann wird es "fabel"-haft. Der Berg antwortet nicht - ist redundant - wie sollte er auch.
"Er scheint mächtiger zu sein als dieser kleine verbissene Mensch" - dieser Vergleich ist überflüssig. Zunächst wird die bisherige erzählerische Perspektive neu definiert ... dieser kleine verbissene Mensch (wer denkt das???), und dann steht ein solcher Vergleich ohnehin außer Frage. Berg und Mensch - das ist nicht vergleichbar (m.M.n.)

Es wird schon dunkel. Das Wetter droht umzuschlagen. Das Licht an der Lampe des Bergsteigers flackert unruhig. Viel Kraft hat es auch nicht mehr.
Nicht erzählen, dass etwas passiert - lass es einfach passieren. Direkt und mit entsprechendem Spannungsbogen.

Bis hierher erst mal Schluss. Weißt du, was ich meine? Ist natürlich subjektives Empfinden (von mir) - andere lesen es auch wieder anders.

Bin mal gespannt auf deine Antwort,

LG kageb
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Rosa: Vielen Dank! Wundere mich, dass keine theologische Diskussion ausgelöst worden ist.

KaGeb:
Das sind sehr gute Vorschläge. Am Anfang wollte ich klarmachen, dass es auf jeden Fall nur ein einzelner Bergsteiger ist, deshalb dieses Fokussieren auf den Einen.

"Wieder und wieder" ist natürlich bewusst, um das Anstrengende für ihn auszudrücken - und das Vergebliche. Aber ein Mal wieder werde ich streichen.

Das mit dem Berg und dem kleinen Menschen weiß der allwissende Erzähler. Der Vergleich sollte eigentlich die Macht des Berges ausdrücken und die Ohnmacht des Menschen, vor allem, da der Mensch sich alles untertan machen will. (Das ist jetzt natürlich eine ganz neue Perspektive und die müsste noch mehr herauszuarbeiten sein.)

Ich ändere jetzt ein bisschen etwas und dann sehen wir weiter. ;-)

Vielen Dank, dass Du Dir so viele Gedanken machst.

LG Doc
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ein Bergsteiger. Er klettert eine steile Felswand hoch und klopft die Haken in die Wand, zieht sich hoch, schweißüberströmt.

Wieder und wieder rutscht er ein Stück ab. Hängt am Seil, fängt sich, bringt die Haken erneut an.

"Ich bezwinge dich!" schreit er den Berg an. Der Berg antwortet nicht. Wie kann er auch?

Es wird schon dunkel. Das Wetter droht umzuschlagen. Das Licht an der Lampe des Bergsteigers flackert unruhig. Viel Kraft hat es auch nicht mehr.

Da stürzt der Mann erneut ab. Haken brechen aus der Wand, er fällt tiefer und tiefer, noch tiefer .... plötzlich strafft sich das Seil und er baumelt hilf- und orientierungslos hin und her. Kann nichts mehr sehen, die Dunkelheit umgibt ihn mit gnadenloser Schwärze. Die Lampe an seinem Helm ist erloschen.

Er schreit um Hilfe.

Noch einmal.

Keine Antwort.


Da bricht es aus ihm heraus:

"Hilf Du mir, Gott!"

Stille.

Dann hört er eine Stimme:


"Ich soll Dir helfen? Meinst Du, das kann ich?"


"Ja! Wer denn sonst?"


"Dann kapp das Seil!"


"NEIN!"

ist die Antwort.


Am nächsten Morgen.

Die Sonne beleuchtet den erfrorenen Leichnam eines jungen Mannes, der in einem Seil hängt.


Einen Meter über dem Boden.
 



 
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