Ambitionen

Grayson

Mitglied
Ein erhöhtes Stück PVC-Boden, das als Bühne qualifizieren soll, ganz hinten in der Ecke. Besteckgeklacker, Geschnacke, Gemampfe, der Geruch von generischer brauner Soße Nummer Zweiundzwanzig: eine Uni-Mensa. An diesem Ort beginnt die große Karriere des aufstrebenden Hobbyslammers Max Michel. Seine Eltern betiteln ihn als besonders talentiert, Mama konnte kaum mit dem Klatschen aufhören, als sie zum ersten Mal seine Zeilen beim letzten großen Familientreffen hören durfte. Die eigene Sippe gilt bekanntermaßen als nicht allzu großer Gradmesser, immerhin wird Max von allen Michels geliebt.
Er steht da mit verkrampften Armen, die angezogen sind, als würde er zwei Waffeln Eis in seinen Händen halten. Das Gefühl von innerer Leere, das Hirn arbeitet nicht mehr, die Zahnräder stehen, die Maschine pustet ihren letzten Hauch Leben aus - ist das das berühmte Lampenfieber, von dem man überall liest? Sein Mikrofonständer will sich nicht richtig einstellen lassen, erhebt sich und rutscht wieder runter wie das Spielzeugschwert seines kleinen Cousins, wenn er es in seinen weiten Khakishorts fallen lässt; eine Bewegung, die Vetter Ferdl regelmäßig im Kampf gegen die unsichtbaren Drachen, die geschwungene Hörner wie Nussschnecken hatten, geübt hat.
Zurück zu Max: er hat sich entschlossen, das Mikro in die Hand zu nehmen und lässt den Ständer in seiner Unentschlossenheit über die eigene Körpergröße zurück. Ein paar Schwinger mit dem rechten Arm, das Mikrofonkabel soll ja nicht zur Stolperfalle in die artistische Irrelevanz werden; perfekt. Heute will Max eine kleine Standup-Routine darbieten. Bisschen mehr Witz als das sonstige emotional-liebliche Beziehungsgeschmachte, mit dem er die gescheiterte Liebe zu Clara verarbeiten wollte. Verarbeiten ... welch euphemistische Äußerung für das Gefühl, abgelehnt worden zu sein, die verbale Ohrfeige, die noch Tage später im Kopf wie die Nachwirkung eines Knalltraumas dröhnt. Max wurde abserviert nach zwei - für ihn - sehr schönen Wochen voller Sex und gemeinsamen Frühstücks/Mittagessens/Vespers/Kaffee und Kuchens/Abendessens und ist nun verbittert. Was fällt Clara ein, jetzt mit diesem Surferschnösel Ron zu gehen? Was hat er so tolles an sich, außer eine gewellte blonde Mähne und ein Zahnpastalächeln?
Die Welt ist ungerecht und Max wollte der Welt in all ihrer Ungerechtigkeit in den Hintern treten, der unausgeglichenen Waage ihre Balance zurückgeben, indem er einmal draufhaut. Diese Comedy-Show soll ihm neues Leben einhauchen, ein Richtungswechsel: Wenn das Navi im Auto "Rechts" sagt, fahr links, und so. Zwei Klopfer auf das Mikrofon, ein erwürgtes "Test Test", so leitet Max seine Vorstellung ein, die sich verstörenderweise mehr wie eine unerwartete Vorladung im Gericht anfühlt, nur, dass die Anwesenden essen und die meisten ihn nicht beachten. An den Tischen ganz vorne schauen einige zu ihm, er kennt diese Leute nicht. Allgemein kennt Max erschreckend wenig Menschen an dieser Uni, sieht man von den paar Zweckfreundschaften ab, die von gemeinsamen Referaten dominiert sind. Einmal tief durchatmen, los gehts, die Eröffnung muss sitzen:

"Hey, wie gehts euch? Mein Name ist Max Michel und ich studiere hier an der Uni Medienwissenschaften. Es sind ja ganz schön viele erschienen. Auf den Tafeln draußen stand "Heute: Semmelknödel in Curry-Geschnetzeltem" Meine Werbung hat wohl gewirkt, hehe."

Das Besteckgeklacker hält an, als wäre das hier ein Sweatshop für Gastronomiebedarf. Keine Reaktion. Kam das "Hehe?" zu schwächlich rüber, wie eine verzweifelte Suche nach externer Bestätigung?

Endlich. Ein dickbebrilltes, kleines, brünettes Mädchen mit Pagenschnitt kichert verstohlen. In ihren Händen ein Sandwich, das vom Druck ihres Griffs die Mayonnaise rausquetschen muss.

"Puh, ihr seid ja ein ganz schön hartes Publikum. Eigentlich wollte ich die Show heute in die Bibliothek verlegen, doch irgendjemand hat meinen Platz mit seinen Büchern besetzt ..."

An der Ausgabe zerklirrt ein Teller. Das Monster der Nonreaktion terrorisiert weiterhin dieses Gebiet. "Halt endlich die Fresse!", brüllt eine unbekannte Arschlochstimme aus der Ferne. Ein paar Mampfende quittieren diesen Ruf mit Gelächter. Diese Gleichgültigkeit unter den Kommilitonen zerfrisst Max in all seinem Ehrgeiz. Ist das wirklich der erste Schritt ins Showgeschäft? Fangen alle so an? In einer Essenshalle in einer Hunderttausend-Einwohner-Stadt? All die tagelange Grübelei, nur um sich Profanitäten an den Kopf werfen zu lassen? Für was mache ich diese Kacke hier eigentlich?! Mama hat doch recht, Ingenieur sollte ich werden. Wieder erklingt ein einsames kleines Kichern, als würde die kleinste Triangel der Welt die Stimmbänder dieses Menschens ersetzen. Scheiß drauf, ich zieh das jetzt durch.

"Hui, da ist aber jemand schlecht gelaunt. Du hast wohl auch keinen Platz in der Bib bekommen. Ich bin seit diesem Semester übrigens Narkoleptiker - schlafkrank - wollte zumindest mein Arzt mir weismachen. 'Haben sie in letzter Zeit vielleicht besonderen Stress oder so, Herr Michel? Hat sich irgendwas in ihrem Leben schlagartig verändert?', fragte er mich. Ich antwortete: 'Nein, abgesehen vom neuen Analyseseminar bei Herrn Ross.' Und daraufhin sagte er: 'Ach da haben sie ihre Antwort!'"

"Haaaha!", lärmt es sarkastisch aus der Arschlochstimme. Die Studenten an der Salatbar interessieren sich mehr für das Gewicht ihres Schälchens als für die geistigen Ergüsse eines Möchtegernkomödianten. Doch der kleine Pagenkopf kichert wieder ...
 



 
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