Amnesia Ferrari - Eine wahre Geschichte

4,00 Stern(e) 1 Stimme
Amnesia Ferrari

Eine wahre Geschichte

Frank und ich wir waren Kumpels. Wir grasten zusammen Billardkneipen, Spielotheken und Billardsalons ab, um zu zocken. Wir liebten Pool Billard – keine Frage – aber es war auch unser Job. O.K., ich spielte noch Backgammon und gewann Einiges mit Sportwetten, aber Pool zahlte die Miete. Frank und ich waren Berliner Meister. Beide um Rang 50 in Deutschland. Das machte uns zwar nicht zu Topprofis, aber zumindest in Berlin pinkelte uns keiner ans Bein. Es existierten zwar etwa ein Dutzend gleichwertige Player in der Stadt, aber mit denen spielte man nicht um Geld. Man maß sich mit ihnen auf Turnieren. Ich fand es blöd, mit jemand zu zocken, wenn meine Chance zu gewinnen unter 80% lag. Um eine Lage, die Tischmiete, ‘nen Fuffie – kein Problem, aber die richtige Kohle machte man mit Freiern. Freier stellten alle Menschen dar, die sich nicht unter den Top 100 der deutschen Rangliste bewegten, aber dennoch dem Trugschluss unterlagen, sie verstünden etwas von Pool Billard: Kneipenbesitzer, Automatenaufsteller, Hobbyspieler, Zuhälter oder die obligatorischen Türken in der Spielothek. Sogar Schauspieler gehörten zu meiner Kundschaft. Ein gewisser M. Carriere schuldet mir immer noch 2.400 Mark von einer durchgekoksten Backgammonnacht. Falls er das liest, soll er die Beute an den Verlag überweisen...
Jeder hat seine eigene Tour drauf. Frank macht immer auf Understatement. Er tut so, als hätte er noch nie ein Queue gesehen und lutscht dann seine Partien mit Safes und geschicktem Stellungsspiel nach Hause. Das habe ich nicht drauf. Ich marschiere mit einem Seidenanzug in einen Billardsalon, schraube ostentativ mein 1000$Queue zusammen und provoziere die anwesenden Spieler: “Ihr seid alle Pfeifen! Keiner von euch hat einen Schimmer von Pool, und ich werde euch den Arsch aufreißen. 100 DM die Partie. Wer von euch Jammerlappen traut sich?” Irgendein armes, profilneurotisches Schwein tritt immer vor, um es mir, dem hochnäsigen, unsympathischen, arroganten Wichser zu zeigen. Nachdem ich seine lumpigen 200 Mark habe, und weiß, wie schlecht er ist, biete ich Quoten an, an denen sich die Anderen beteiligen können: “Die nächste Partie zahle ich doppelt aus.” Und so weiter. Der Vorteil meiner Methode ist, dass sich hinterher keiner beschweren kann, ich hätte ihn nicht gewarnt. Frankie hingegen bekommt oft Probleme, wenn er einen zu guten Zugball spielt, doch der Effekt ist oft derselbe. Beide sind wir schon – Kohle in der einen, Queue in der anderen Hand – aus diversen Etablissements gestürmt, um uns, verfolgt von z. B. einem Rudel wütender Araber, in ein Taxi zu retten. Berufsrisiko.
Frank und ich waren Kumpels, also arbeiteten wir oft zusammen. Kennen Sie “Der Fremde und der Freund”? Unsere Lieblingsnummer. Sie funktioniert so: Ich habe im Norden Berlins einen neuen Billardverein ausgemacht, PBC Reinickendorf oder so. Vereinsspieler halten sich oft für gut, nur weil sie in einem Verein spielen. Ich werde also für 20 Mark passives Mitglied (Aktiv ist nicht möglich, weil ich bereits für den besten Berliner Verein in der Bundesliga spiele, aber das wissen die Trottel natürlich nicht) und lasse mir von den Vereinsmeiern das Spiel erklären. Ich spiele anfangs nur um Lagen, wie das so üblich ist, erst später um kleine Beträge, aber nie mit den “guten” Spielern, schließlich bin ich noch ein halber Anfänger. Dass ich die erste Woche mit der linken Hand spiele (aus Trainingszwecken), fällt niemandem auf. In der zweiten Woche plündere ich die besseren Spieler und wage mich in der dritten sogar an den Wirt heran (der auf seinem Billardtisch schläft). Nicht einmal 2.000 DM hole ich aus der Kneipe, dann haben sie die Nase voll. Aber keiner ist sauer, denn ich spendiere von meinem Gewinn immer genug Getränke. Ich bin akzeptiert. Dann geschieht es. Ein Fremder kommt in die Kneipe, behauptet, er hätte gehört, dass man hier um Kohle spielt. Er ist gut gekleidet und wedelt mit einem Bündel Scheinen herum, um seiner Intention Ausdruck zu verleihen. Zufällig bin ich auch anwesend. Der Wirt stupst mich an, es dem Fremden zu zeigen, aber ich kann diesen großen Einsatz nicht alleine halten.. Ich lege 250 auf den Tisch, alles, was ich habe. Kalle, den ich etwa 400 Mark und 30 Lagen gekostet habe, legt noch einmal 250 drauf und schlägt mir aufmunternd auf die Schulter: “Schnapp ihn dir!” Andere folgen seinem Beispiel, denn zufällig ist Samstag, und zufällig war gestern der Erste. 1.850 Mark kommen so zusammen, alle setzen auf mich. Schließlich grinst der Wirt den Fremden an, nimmt 5.000 Mark (seine Pacht) aus einem speckigen Portemonaie und knallt sie herausfordend auf die Theke: “15 Spiele. Wer zuerst 8 gewinnt! Das Geld kommt unter den Aschenbecher.”
Klare Regeln. So, wie ich es mag. Der Fremde schlägt ein und hält den Einsatz von 6.850 Mark. In einer pathetischen Zeremonie zählen die Kontrahenten ihre Scheine ab und legen sie unter einen dicken Glasaschenbecher. Der noch dickere Manne wurde zum Schiedsrichter auserkoren und bewachte das Teil kompetent, denn er war Kettenraucher. Ich war immerhin mit 250 dabei, aber nicht halb so nervös wie die ganze Kneipe, die auf mich gesetzt hatte.
Der Typ war gut. Ich machte einen kleinen Fehler um ersten Spiel und er beendete das Spiel souverän in einer Aufnahme. Das zweite: Anstoß – Aus. Totenstille in der Kneipe, denn alle sahen ihre Felle davonschwimmen. Das dritte: Anstoß – keine Kugel gefallen. Die Vollen lagen gut, ich versenkte eine nach der anderen und dann die 8. Tosender Applaus. Ich stiess an und beendete auch das nächste Spiel, ohne den Fremden überhaupt an den Tisch zu lassen. Ich war gut drauf. Aber der Fremde auch. Wann immer einer eine Kugel verschoss, gab sein Gegner ihm keine Chance mehr. Am Ende lag ich 6:7 hinten, doch bei seinem letzten Anstoß war die Weiße gefallen. Ich wählte die Halben und schoß aus. 7:7 das entscheidende Spiel. Jetzt kam mir zugute, dass ich das Anstoßrecht erobert hatte. Ich beschleunigte den Spielball mit einem Peitschenknall auf über 100km/h und sprengte den Pulk. Zwei Volle fielen. Siegessicher blickte ich den Fremden an. Die Stellung schien zwar schwierig, aber nicht unlösbar. Die 8 lag mitten in der Tasche, ich musste also nur 5 Volle versenken, und das Match war gewonnen. Die ersten 4 lochte ich sicher, aber die letzte konnte nur in einem extrem spitzen Winkel auf die Mitteltasche versenkt werden. Der entscheidende Ball. Ich spielte ihn sanft, mit viel Gefühl. Er musste kurz vor der hässlichen Kante quasi liegen bleiben und dann abkippen. Alle hielten den Atem an, als die Kugel unaufhaltsam auf die Tasche zurollte, die Ecke berührte und dann vor dem Loch liegen blieb, obwohl die Hälfte schon hineinschaute. Natürlich beendete der Fremde das Spiel. Natürlich steckte er sich die 13.700 DM ein und verliess lächelnd das Lokal. Natürlich trösteten mich alle in meiner jämmerlichen Verzweiflung und gaben mir Getränke aus, hatte doch auch ich all mein Geld verloren. Natürlich traf ich mich eine Stunde später mit Frankie und wir machten Halbe Halbe. Natürlich bepissten wir uns vor Lachen und freuten uns auf die Revanche, die allerdings nur lächerliche 1.800 Eier bringen sollte. Natürlich schöpfte irgendwann irgendwer Verdacht, und wir konnten uns in dieser Gegend nicht mehr blicken lassen. Aber wer will schon freiwillig nach Reinickendorf.
Frank und ich waren Kumpels. Natürlich fuhren wir auch zusammen zur Deutschen Meisterschaft – schon um Spritgeld zu sparen. Der Poolbillardverband gewährt einem nämlich nur 50DM Fahrtkostenzuschuss – für ein Wochenende, das mindestens einen Tausender kostet. Aber, auch wenn wir Gambler waren, gebot die professionelle Eitelkeit, sich in irgendeinem Nest im Ruhrgebiet die Bälle um die Ohren zu hauen, obwohl es nichts zu verdienen gab – beim Pool. Blödsinn, zu zocken, wenn jeder, den du triffst genauso gut ist wie du oder gar besser. Allerdings haben die wenigsten Poolchampions Ahnung von Poker, Black Jack oder Backgammon. Wir sollten zumindest die Reisekosten wieder rausholen... Frank war für 14/1 qualifiziert, ich für 8-Ball, wir konnten einander also bedenkenlos anfeuern. Frankfurt lag (fast) auf dem Weg, und ich schlug vor, dort zu übernachten, denn zum Zocken sollte man nicht übermüdet erscheinen: “Ich kenne dort einen Typen, wo wir pennen können. Wir fahren einen Tag früher los und kommen dafür ausgeruht an.”
“Was issen das für’n Typ?”, wollte Frankie wissen, denn er kannte die zweifelhafte Gesellschaft, in der ich verkehrte.
“Der is cool, Alter, mach dir keinen Kopp!”
Ich musste immer schmunzeln, wenn ich an Egon Tragesser dachte. Also erzählte ich Frank seine Geschichte: “Egon war mal mein Boss. Mit 19 hatte ich mein Studium (Betriebswirtschaft/Marketing) an der TU abgebrochen und war Börsenmakler geworden. Ein hochtrabender Titel für einen, der wildfremde Leute um Geld anhaut, um damit zocken zu dürfen. Warentermingeschäfte, Wall Street, Merryl Lynch, Gewinne steuerfrei. Es gab genug Irre im Lande. Wir riefen sie an und setzten ihnen Flausen in den Kopf: “Der Dollar geht hoch. Heute noch D-Mark Putoptions kaufen!” Wir saßen in einer Art Hühnerkäfig. Zwölf verrückte Typen, jeder hatte etwa 80 Zentimeter im Quadrat, auf denen sich 2 Telefone und ein Reutersmonitor befanden. Am Ende des Raumes saß er: Egon Tragesser, unser Guru, die Legende. Mitte der 70er kam er zu seinem Ruhm. Egon hatte mit 15.000 DM begonnen, auf Silber zu setzen, just als die Gebrüder Hunt begannen, den Silbermarkt zu cornern. Cornern bedeutet aufkaufen. Die Hunts steckten eine halbe Milliarde $ in Silvercalloptions, d. h. sie zockten auf steigendes Silber, und kauften für eine halbe Milliarde $ Silber auf. Ihre kurzfristigen Optionen verzigfachten ihren Wert. Sie splitteten den Gewinn, kauften für die Hälfte weitere Silberoptionen und für die andere Hälfte – Du ahnst es – Silber und so weiter. Egon sah den Trend als Erster und machte aus seinen 15.000 DM anderthalb Millionen – mit Silberoptionen. Das war easy, denn Silber stieg von 5 $ auf über 60 $. Dennoch schaffte das kaum jemand, denn als sich Silber erst mal verdoppelt hatte, traute sich fast niemand, noch einzusteigen. Nicht so Egon. Beinhart realisierte er jede Option, die ins Geld gelaufen war, und kaufte neue davon. Nach knapp einem halben Jahr sagte Egon voraus, dass der Kurs kollabieren würde. Silber war hoffnungslos überbewertet. Egon änderte seine Taktik. Er steckte fast all seine Kohle in Monatsoptionen für fallendes Silber. Nach einem Monat hatte er über eine Million wieder verzockt. Nach 32 Tagen fiel Silber in den Keller. Hätte Egon eine Woche länger gewartet, wäre ein hoher zweistelliger Millionenbetrag dabei rausgesprungen. Egon nahms gelassen. Mit nem Lächeln, wie ein richtiger Spieler. Echte Spieler verlieren immer mit nem Lächeln. Halb so schlimm. War ja nicht mein Geld... Egon verdient nicht schlecht. Fette Villa und Ferrari...”
“Ferrari?”, Frank wurde hellhörig. Er hatte mal KFZ-Mechaniker gelernt und war ein absoluter Autonarr, “Mit dem müssen wir ‘ne Runde drehen! Egal, erzähl weiter!”
“Er ist zurück nach Frankfurt, weil die Berliner damals noch zu konservativ dachten. Lassen ihr Geld lieber auf der Bank, die Idioten. Egon hat mir alles übers Anbaggern beigebracht. Kohle – nicht Frauen. “Letzteres wird durch Vorwegnahme des Ersteren überflüssig.”, behauptete er. Egon ist nicht nur ein Genie, er ist auch ein verrückter Hund. Manchmal, wenn nix los war, und nur die Allerhärtesten noch im Hühnerkäfig saßen, um ihre Opfer anzutelefonieren, rief er uns an seinen Schreibtisch. Meist gegen 21.00. Wir drei oder vier um diese Uhrzeit noch verbliebenen, hartgesottenen Broker schlurften dann erschöpft zu ihm, sahen unseren Meister aus trüben, blutunterlaufenden Augen an und erwarteten eine seiner Motivationspredigten, die einen aufputschten und optimistisch an den Job herangehen ließ. Doch Egon sagte nichts, kippte etwa zwei Gramm Koks auf die Glasplatte seines monumentalen Desks, zerhackte das Zeug wortlos und bot uns allen eine dicke, lange Line an. Natürlich benutzten wir seinen Tausender, um das Kokain zu sniefen – mit ‘nem Zehner kommt das nicht! Er wartete, bis der Effekt einsetzte und hielt dann eine seiner Motivationspredigten, die einen aufputschte und optimistisch an den Job herangehen ließ. Egon schaltete das Telex ein und ließ es rattern (Telex = der heutige Leser möge sich bitte eine primitive Art Faxgerät vorstellen, das damals fast so teuer war wie ein Kleinwagen, so groß wie eine Kopierstation, so leistungsfähig wie das Display eines Billighandys und es machte auch noch ordentlich Krach). Dann gab er uns den Tipp, immer zwei Kunden gleichzeitig anzurufen, extatisch zu klingen und jeden, der unsere Extase nicht nachvollziehen konnte, sofort aus der Leitung zu werfen. Es war ein mächtiges Gebrüll im Hühnerkäfig. Das Opfer hörte Panik im Hintergrund, Stimmen, die sich überschlugen (Egon hatte AFN voll aufgedreht) dann: “Herr Knausrig, wir hatten letzte Woche schon telefoniert...” “Aber ich sagte Ihnen doch schon...” “Ein Tief über Südamerika, Frost in Brasilien! Die Kaffepreise werden explodieren! Sie müssen noch heute... Sekunde, ich bekomme gerade eine Order auf der anderen Leitung.” Dann legt man den Hörer hin und arbeitet an der Geräuschkulisse: “100.000? alles klar, aber sie müssen den Scheck noch heute Nacht vorbeibringen. New York hat gerade eröffnet. Ich kann ihre Order sofort rausschicken. Gut. Dann nehmen Sie sich ein Taxi... Herr Knausrig?” Wenn er jetzt noch nicht aufgelegt hat, stehen die Chancen Fifty Fifty, das er aus der Tasche kommt. “Herr Knausrig, wieviel Kaffeeoptionen wollen sie ordern? Im Moment steht der Preis bei 7.145 $ ...” Egon raschelt mit der Zeitung in den Hörer, lässt freie Telefone klingeln und schreit etwas über die halbe peruanische Ernte, die laut Reuter bereits vernichtet sei. “Herr Knausrig, ich habe keine Zeit. Besitzen Sie ein Auto?” Und so weiter. In dieser Nacht haben wir 135.000 DM aquiriert. Kaffee ist natürlich gefallen, aber wir hatten die Provisionen im Sack und unseren Spaß.”
“Was ist mit dem Ferrari? Hat er den immer noch?”, war Franks einzige Sorge.
“Ich ruf ihn an.”

Am nächsten Freitag fuhren wir in meinem alten Honda Civic nach Frankfurt. Egon, mittlerweile gesetzter Familienvater, war froh, einen der wilden Freaks aus der alten Zeit wiederzusehen und bot uns ein Gästezimmer und diverse Klappbetten an, falls wir unterwegs jemanden kennenlernten. Wir bemühten uns sehr, aber die Anhalterinnen an diesem Freitag trampten nicht nach Frankfurt, und jene, die freundlich winkten, um in die Mainmetropole zu gelangen, sahen potthässlich aus. Pech.
Wenig Baustellen. Nachdem ich den 200DM-Japaner (noch vier Monate TÜV, billiger als die U-Bahn) gut sechs Stunden getreten hatte, empfing uns der Stau am Frankfurter Kreuz. Nur zwei Stunden später waren wir dann in Frankfurt. Frankie lotste mich mit einem Stadtplan durch die verbauten Straßen, bis wir uns in den Vororten befanden. Nach einem unfreiwilligen Exkurs durch Wiesbaden standen wir schließlich nach weiteren zwei Stunden vor Egons Haustür. ”Alpha, mein Junge, komm rein!” Ich stellte ihm Frank vor. Der war beeindruckt: “Nette Hütte, Egon.” “Hält den Regen ab.”, lachte er und führte uns nach hinten zum Pool, “Dort ist der Kühlschrank.” Frankie hielt es nichtmehr aus: “Wo ist der Ferrari?” Egon seufzte: “In der Garage, der Auspuff hat ein Loch. Hört sich an wie ein aufgebohrter Trecker. Hab natürlich sofort einen Werkstatttermin gemacht – in 2 Wochen. Wird mich zwei Riesen kosten...” Frankie winkte ab: “Den kann ich Dir in einer Stunde reparieren. Für knapp 30 Mark.” Egon zog die Augenbraue hoch: “Ihr wollt das Ding fahren?!” Wir hechelten fröhlich wie zwei junge Hunde, die darauf warten, dass man endlich das Stöckchen wirft. “Seht ihn Euch erst mal an!”
Wir folgten ihm zur Gargage, und da stand das Prachtstück: ein schwarzer Testarossa. Frank verzog ein wenig die Miene, denn als Purist bestand er auf Maranello-Rot, doch ein Blick unter die Motorhaube und alle Einwände waren weggewischt. 12-fache Glücksseligkeit. Dann schnappte sich Franky eine Taschenlampe und sah unter das Geschoss: “Fettes Loch im Krümmer. No Problem!” Egon staunte: “Was willst Du machen?
Frank erklärte: “Ich brauche eine leere Bierdose, zwei Schlauchschellen und einen speziellen Reperaturkitt für 19.98. Die Dose wird aufgeschnitten, mit dem Kitt eingeschmiert Kabelschellen rum – fertig. Man muss den Auspuff danach nur noch heiß fahren. Der Kitt wird dadurch gebacken und das Loch ist dicht.” “Am besten auf der Autobahn.”, bemühte ich mich, schnell hinzuzufügen. Unser Gastgeber lachte: “Alles klar. Komm Frank, ich fahr Dich zu ‘nem Autobedarf!”
Neidisch blieb ich zurück, als die Beiden einsstiegen. Der Testarossa ist nun mal keine Familienkutsche. Der Neid legte sich, als Egon den Zündschlüssel umdrehte. Es war die Hölle auf Rädern. Ich dachte, ich befände mich mitten im Auspuff eines Dragsters, und nur die geöffneten Garagentore verhinderten, dass mir das Trommelfell platzte. Egon bekämpfte das Phänomen im Fahrzeuginneren mit einer 600 Watt-Fuge von Bach. Mir blieb nur die Flucht ins Haus – und die unausgesproche, aber selbstverständliche Verpflichtung, einen Joint zu bauen, während die Beiden Kabelschellen und Spezialkitt besorgten. Nachdem ich diese Pflicht erledigt hatte, ging ich zum Kühlschrank, um mich noch nützlicher zu machen – schließlich brauchte Frank eine leere Dose...
Ich hörte sie schon aus vier Blocks Entfernung. Als der Höllenlärm an der Auffahrt verstummte, zündete ich den Doobie an. Wir rauchten ihn am Pool.

15 Minuten später schaute mich Frank aus geröteten Augen an: “Ich wollte noch was erledigen...?” “DEN AUSPUFF!”, riefen wir unisono. Schlagartig ernüchtert sprang Frank auf: “Der Ferrari!”, und sprintete zur Auffahrt, seinem Kindheitstraum folgend. Nach 10 Sekunden war er wieder da. “Das ging aber fix.”, meinten wir unisono, insgeheim nicht sicher, ob die Zeit so schnell verging und wir so stoned waren, dass keiner es so genau mitbekommen hatte, wie schnell... (kann so vorkommen – oder umgekehrt)
“Hast Du ‘ne alte Hose, Egon?”
“Da auf der Leine, die blauen Shorts.”
Frank zog sich in Rekordzeit um und wetzte wieder zu seinem Kindertraum. Wir ließen uns derweil in den Pool gleiten, um einander zu berichten, wie es uns denn so ergangen war in den letzten Jahren. Bei mir das übliche wirre Zeug, bei ihm die übliche Geldscheffelei. Als ich ihn fragte, wo denn seine Frau sei, und er: “Beim Einkaufen.”, antwortete, zerriß ein grauenhafter spitzer Schrei die Idylle unseres gemütlichen Nachmittags. Der Schrei entstammte einer weiblichen Kehle, die sich direkt hinter mir befinden musste. Mir wäre ein Tropfen in die Hose gegangen, aber zum Glück hatte ich keine an und schließlich sind Pools doch genau dafür da, oder? Egon schaute ziemlich blöd, doch nachdem ich mich umgedreht hatte, sah ich seine Frau, die noch viel bescheuerter aus der Wäsche schaute: “Egon, was machst Du denn hier?” “Ich wohne hier, Maren. Erinnerst Du Dich?”
“Und wer ist das unter unserem Auto?”
“Alphas Kumpel, Frank. Er repariert den Auspuff, was ist denn los, Schatz?”
Schatz’ Gesicht lief puterrot an: “Ich habe ihm an den Sack gefasst.”
“DU HAST WAS?”, riefen wir abermals gleichzeitig.
“Sein, ähh, jedenfalls, äh, Deine Shorts, es hing, äh, ich meine, es guckte heraus. Ich dachte, alle Nachbarn, äh... verdammt der Sack war zu sehen und da habe ich in eben wieder hinein äh gest.. hmm, plaziert... äh, hihihihihi...”
Unser Gelächter war mittlerweile immer lauter geworden, hatte die Peinlichkeit vertrieben und sie angesteckt. Wir spritzten einander bei dem sinnlosen Versuch, uns auf die Schenkel zu schlagen, ordentlich nass. Egon wäre vor Lachen fast ertrunken, und auch ich schluckte eine Menge Wasser. Schließlich schnappten wir uns Bademäntel - wobei ich verführerisch mit allem wackelte, was nach einem kühlen Bad eben so übrig bleibt. Doch Egons Frau winkte kichernd ab. Zu dritt gingen wir nach draussen, um Frankie zu interviewen. Hatte ihm bestimmt gefallen. Doch der rührte sich nicht mehr. Wir zogen ihn an den Beinen unter dem am rechten Hinterrad hochgebockten Ferrari hervor. Eine mördermäßige Beule zierte seine Stirn. Er murmelte benommen etwas, Egon und ich sahen uns an, prusteten erneut los und rannten ins Haus.
Maren löste die Situation geschickt: “Entschuldigung, ich wollte Sie nicht erschrecken, was machen Sie unter unserem Wagen?”

Frank erinnerte sich an nichts, nicht einmal an die unsittliche Berührung, die seinen Schädel gegen das frisch reparierte Auspuffrohr knallen ließ. Er denkt bis heute, er sei nur kurz benommen gewesen, denn wir hielten dicht.

Sollten Sie, werter Leser Ihn jemals treffen, so lassen Sie ihn in dem Glauben. Wir haben ihm 5 Minuten seines Lebens gestohlen – die witzigsten. Ich hätte daran zu knabbern...
Dafür holte er bei der Deutschen Meisterschaft Silber und ich flog im Achtelfinale raus.

Und wir durften mal mit Egons Testarossa über die A5 heizen...
 
P

Parsifal

Gast
Hallo Alpha,

wenn man früh am Morgen eine so hinreißend erzählte Geschichte liest, ist der Tag gerettet, auch wenn es der 13. ist. Hier stimmt einfach alles: der Tonfall, das Tempo, die Sprache. Obwohl ich von Pool-Billard so viel verstehe, wie die Kuh vom Eierlegen, und bei Backgammon immer noch die Würfe abzählen muß (auf der Stufe des Verdoppelns bin ich noch nicht angekommen), habe ich Deine Geschichte mit Vergnügen verschlungen, und das will viel bedeuten, da ich eigentlich eine etwas andere Literatur bevorzuge. Man sollte diese Geschichte zur Pflichtlektüre in der LL machen. So schreibt man: nicht tiefsinnig, aber flott, spannend und amüsant!

Herzlichst
Parsifal
 
R

Rote Socke

Gast
Wahrlich ein Lehrstück!

Wie parsifal, verstehe auch ich nichts von Pool-Billiard, aber der Text macht alles verständlich und dazu mit Spannung pur. Zeitweise erinnerte mich die Story an den genialen Film "Der Clou".
In der Tat, der Text offenbart eine besondere Note. Rote Socke wird jetzt unverschämt: Wäre ich ein berühmter Literaturkritiker, würde ich sagen: Dieser Text ist ein zeitgemäßes Meisterwerk. Er entspringt unserer Zeit und unserer Sprache.
Hat große Freude gemacht. Glückwunsch!

Beste Grüße
RS
 



 
Oben Unten