Amorläufer III

Kölle

Mitglied
AMORLÄUFER III
I
Regina trinkt die Tasse Kräutertee “Magic of Roses” leer und will das Leselicht am Bett ausknipsen, als wie aus dem Nichts ein nackter Mann durch die Tür ins Halbdunkel des Schlafzimmers tritt. Regina schreit kurz und spitz, aber unter dem Eindruck dieser eher unwirklichen Szene fängt sie sich schlagartig. Die Nacktheit des Mannes lässt sie sofort an ihre unfreiwillige sexuelle Enthaltsamkeit der letzten Wochen denken, und sie glaubt, ihrer fleischgewordenen Sehnsucht nach mehr Sex gegenüberzustehen.
“Fürchte dich nicht! Ich bin der Amorläufer, und ich bin gekommen, um mit dir zu schlafen!”
Regina: “Ich fürchte mich nicht! Ich freue mich!!”
Als wollte er ihre Vorfreude ein wenig drosseln: “Doch mach dir kein Bild von mir!”
Sie lächelt so unschuldig sie kann!
Der Amorläufer tritt aus dem Halbdunkel in den Lichthof der Leselampe. Erst jetzt erblickt Regina seinen Bogen und einen pfeilgefüllten Köcher, außerdem eine Armbanduhr, kein billiges Ding… Bestimmt ein Mensch, der in seinem bürgerlichen Leben rund um die Uhr arbeitet und ohne Uhr gar nicht mehr leben kann, weil es minutengenau getaktet ist. Bestimmt so ein Lackaffe aus so einer IT-Firma, ein Blender, ein Nerd, der mit dem Navi nach Hause fährt und genau in dem Moment die Autobahn verlässt, in dem ihn eine Frauenstimme auffordert. Und der daheim keine Topfpflanzen hat, weil die sich nicht richtig abstauben lassen… von seiner Mutter. Regina seufzt.

Und sie seufzt noch einmal, als sie merkt, dass Amorläufer verschwunden ist. Alarmiert wirft sie die Bettdecke zurück, pest durch die Wohnung, kann ihn aber nicht finden. Sie ist wieder allein. Was hat sie falsch gemacht? Was ist schief gelaufen? Zurück im Bett münden ihre langen Überlegungen in ein Gebet, an dessen Ende sie darum bittet, dass sie noch einmal ein Chance bekommt.

II
Und die kommt bereits am nächsten Abend. Die Nacht hat ihr Erholung und der Tag Einsicht gebracht. Als der Amorläufer wie am Abend zuvor durch die Schlafzimmertür tritt, rutscht sie im Bett sofort ein bisschen zur Seite und klopft hektisch mit ihrer rechten Hand an die Bettkante: Bitte bitte setz dich doch! Sie will keine Zeit verlieren, und vor allem will sie nicht wieder ihren Gedanken nachhängen. Sie will ihn so nehmen, wie er kommt, und er kommt mit Pfeil und Bogen und Uhr und beugt sich über sie. Er findet traumwandlerisch sicher ihre richtigen Stellen, damit sie in Schwung kommt, und er findet den richtigen Rhythmus, ein gleichmäßiges Wiegen.
Lange Zeit und zunehmend hektischer werden die Pfeile in dem Köcher durchgeschüttelt, begleitet von Geräuschen des Aneinanderschlagens. Und Regina liebt diesen Mann so wie sie ihren eigenen Körper liebt, der ihr so viel Freude und Ekstase bringt. “Ach”, seufzt sie, “mein Amore-Läufer!”
 



 
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