An Irish Memory

FlohFan

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Prolog:
Langsam, verlassen schlendert die junge Frau über die steilen, schroffen Klippen. Der raue Wind lässt ihre langen, rötlich schimmernden Haare fliegen und ihre Bluse flattern. Ohne Vorwarnung bleibt sie stehen, dreht sich zum weiten Meer und blickt in die Ferne.
Würde man dieser Frau in die geheimnisvollen grünen Augen blicken, würde man dort Tränen glitzern sehen- und Traurigkeit. Der schlanke, zierliche Körper scheint kaum dem Wind standhalten zu können, der unerbärmlich über die wildromantische Landschaft bläst.
Doch so verloren sie dort auf den Klippen auch wirkt- ihrem Aussehen nach passt sie genau dorthin. Langsam hebt sich ein zierlicher Arm, streicht durch die wehenden, rötlich schimmernden Haare, macht einen vergeblichen Versuch die Mähne zu bändigen. Der plötzliche Hauch eines Lächelns zaubert sich um ihren Mund.
Dann werden die weichen Züge ihres feinen Gesichtes hart. Der Schmerz wird von Entschlossenheit verdrängt, die letzte Träne, die einzige Träne, zeichnet ihre fein-silbrige Spur über die Wange, bevor sie in ihren Lippen verschwindet.
„Niemals… Niemals werde ich mich dem Schmerz beugen!“, flüstert ihre Stimme erst leise, dann verstärkt sie sich und schließlich schreit sie es in den Wind hinaus, der ihr die Worte sofort von den Lippen reißt. Stolz tritt in ihre Augen, ein helloderndes Feuer, das ihr Mut gibt, entfacht sich in ihrer Brust, ihrem Herzen. Sie weiß, es wird all ihre Kraft kosten- und noch mehr.

Kapitel I: Der Schatten der Vergangenheit


„... If anyone can aid me, t\'is my brother in the army,
If I can find his station in Cork or in Killarney.
And if he\'ll go with me, we\'ll go roving in Kilkenny,
And I\'m sure he\'ll treat me better than me darling sportling

musha ring dumma do damma da
whack for the daddy \'ol
whack for the daddy \'ol
there\'s whiskey in the jar!”


Eine klare Stimme klingt durch den Pub, während eine schlanke Frau mit einem Wischmopp in der Hand über die Fliesen schwebt. Man spürt auch ohne Begleitmusik die Energie und Fröhlichkeit dieses Songs. Gerade als ihr Gesang verstummt, quietscht eine Tür und eine große Gestalt tritt ein. Das eben noch so glückselige Lächeln im Gesicht der Frau verschwindet und weicht Wut und Zorn, doch ein leiser Hauch der Angst und des Schreckens überschatten den herausfordernden Blick. Sie fühlt sich einerseits in die Enge gedrängt, obwohl sie mitten in dem weiten Raum steht, doch ein Gefühl der Schutzlosigkeit vertreibt dies und lässt sie erschaudern. Bevor sie jedoch reagieren kann, wird sie grob gegen die Wand geschleudert.
„Was denkst du dir eigentlich dabei?“, eine harte Stimme donnert durch den eben noch so behaglichen Raum. Keine Antwort ertönt. Schwere Schritte nähern sich der zierlichen Frau, die sich plötzlich aufrichtet. Ihr Blick zeigt Stolz und Entschlossenheit, Trotz tritt in ihre weichen Gesichtszüge und ihre Schultern lassen keinen Zweifel an ihrer Selbstsicherheit zu. Nur die verspannten Kiefer lassen Angst vermuten.
„Was ich mir wobei denke?“, die eben noch so klare, fröhliche Stimme klirrt vor Kälte. Ein leichtes Zögern des Mannes, der kurz darauf seine Schritte stoppt. „Warum bist du einfach abgehauen? Und warum gerade nach IRLAND?“
„Weil ich es nicht mehr ertragen hab, deine Tyrannei, Mutters Feigheit, eure Oberflächlichkeit. Und außerdem solltest du bedenken, dass ich 23 bin! Ich bin kein kleines Kind mehr, das du rumschubsen kannst! Auch wenn es bis jetzt so schien, als wenn ich kein Rückgrat hätte- ich habe eins! Nur habe ich nie gelernt es zu gebrauchen! Aber das ist vorbei!“ Ihre Augen blitzen, ihre Bewegungen werden heftig.
„Und Irland? Nun, Großmutter hat mir in einem ihrer Briefe geschrieben, wie wunderbar es hier ist, wie freundlich die Menschen sind und wie gut man hier sein wahres Ich entdecken kann!“ Der Gedanke an die verstorbene Großmutter, die ihr ein kleines Cottage vererbt hat, lässt alte Wunden wieder aufreißen und nimmt ihrem Blick das gefährliche Blitzen. Noch kein Halbes Jahr ist es her, seitdem sie den Brief geöffnet hat, der ihr schon beim bloßen Anblick kalte, vorahnende Schauer über den Rücken jagte.
Er war sehr formell gehalten worden und teilte ihr mit, dass ihre Großmutter Abigail Faldon verstorben war und ihr, ihrer einzigen Enkelin, zu der sie nur sehr spärlichen Briefkontakt gehabt hatte, ihr gesamtes Vermögen und das kleine Fairy-Hill-Cottage vermacht hat. Ihr Vater hat natürlich sofort das Haus zu Geld machen wollen. Doch Samantha sträubte sich beharrlich, litt mehr und mehr unter dem bestimmenden Wesen ihres Vaters. Schließlich ist es zum endgültigen Krach gekommen- Samantha brach ihr Tiermedizin-Studium ab, ist Hals über Kopf abgehauen und schließlich hier gelandet- in dem kleinen Örtchen Sráidbhaile, Bezirk Green-Hill. Das Fairy-Hill-Cottage gefiel ihr sofort mit seiner Heimeligkeit und so hatte sie sich hier eingerichtet, hatte gelernt mit der Einfachheit des Häuschens umzugehen und hatte sich niemals zuvor so zu Hause gefühlt, wie hier. Schließlich hat sie im Pub angefangen und total in der Arbeit, von der sie niemals gedacht hatte, dass sie ihr auf Dauer gefallen könnte, aufgegangen. Sie genießt es durch den kleinen, gemütlichen Raum zu wirbeln, mit den Gästen zu scherzen und nebenbei zu Kellnern.

Doch jetzt holt sie die Vergangenheit ein- ihr Vater taucht so urplötzlich auf, wie sie verschwunden ist. Und so, wie ihr letztes Bild von ihm ist, so steht er nun auch vor ihr- Zornesröte liegt auf seiner sonst sanft gebräunten Haut, die Muskeln an den Armen sind gespannt, der Blick hart und kalt und eine Ader an seinem Schläfe pocht heftig, wie sie es immer tut, wenn er außer sich vor Wut ist. Was trieb ihn bloß dazu, ihr zu folgen? Die Besorgnis um sie wohl kaum.
„Ahnst du überhaupt, was du für einen Scherbenhaufen zurückgelassen hast?“, die Stimme ihres Vater klingt mühsam beherrscht. „Das Studium? Denkst du immer nur an den guten Ruf?“, leichte Verzweiflung schwingt in ihrer Stimme mit.
„Nein! Deine Mutter…“ „…was ist mit ihr?“
„Sie hat sich umgebracht!“

Dieser eine Satz hallt in ihrem Kopf wider, kalt und unwirklich. Sie will es nicht glauben, fühlt Kälte und Übelkeit in sich aufsteigen. Doch anstatt seine Tochter zu umarmen, es ihr einfacher zu machen, verschlimmert Joe noch ihre innere Pein. „Sie hat sich umgebracht, nachdem du einfach so verschwunden bist… sie hat dich geliebt, hat dich bewundert, dich aufgezogen!“ Die junge Frau windet sich wie unter höllischen Qualen, will nicht weiterhören und muss es doch. „Sie wurde aphatisch, hat Nahrung verweigert… dann hat sie sich in dein Bett gelegt und Schlaftabletten geschluckt…“
„Nein!“, die zierliche Gestalt gibt ein Keuchen von sich. „Hör auf damit!“ Die ganze aufgebaute Energie, den Absprung zu schaffen, entschwindet ihr und sie fühlt, wie sie wieder klein wird, ganz dem Willen ihres Vaters gebeugt. „Sie hat sich für dich aufgeopfert und ist an deiner Undankbarkeit gestorben!“ Der schlanke Körper zittert ein letztes Mal aufbäumend, sinkt dann jedoch gebrochen zu Boden. Ihr ganzer Widerstand ist dahin, sie vergräbt den Kopf in ihren Händen, nimmt nicht das spöttische Lächeln, welches auf Joes Lippen liegt, wahr.
Nun hat er sie da, wo er sie hinhaben wollte- schwach, formbar und ihm völlig ausgeliefert. Die inneren Qualen die er ihr mit dieser grausamen Schilderung aufzwingt, erfüllen ihn mit Macht und machen ihn glücklich, stark, herrisch.
 



 
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