An dich

Allein.
flieg Mädchen erhebe dich
sieh mir nicht in die Augen
ich muss fliehen
halte mich

Ich wache auf – Dunkelheit. Schläfrig taste ich nach dem Wecker; zu spät. Im Schlafanzug trete ich auf kalten Beton. Der Wind streift mich träge, jedoch eiskalt. Am Horizont erstreckt sich Rostock vor mir, präziser: das Rostocker Armutsviertel. Neubauten aus den Achtzigern soweit das Auge reicht, dazwischen Grün. Die Schönheit macht am Tage einen weiten Bogen um diesen Stadtteil, doch jetzt, hier im Halbdunkel des Morgens, sehe ich sie: die Wahrheit. Zitternd greife ich nach dem Feuer und zünde die erste Kippe an. Auf den Straßen ist es still; kein Vogel singt das Lied des Erwachens, keine Katze huscht von A nach B. Welch eine Freude, welch ein Genuss, der Frieden auf Erden erfahren aus einem Einzigen Guss - Nichts ist: Vollkommenheit.
Warme Arme schlingen sich um meinen erstartten Körper – Sie ist hier. Ihre weichen Hände lassen mich erschaudern. Meine Welt zerspringt in abermillionen Scherben, der Moment, jener Augenblick der Wahrheit, ist fort. Geflohen, vergangen im Pfeifen des Windes. Was bleibt?
Langsam drehe ich mich um. Ihre Augen blicken erwartungsvoll in die Meinen, ein ehrliches Lächeln liegt auf Ihren Lippen. Ich hebe die Brauen, schaue sie Fragend, ja beinahe verärgert an. "Hey." Die Worte, ein Kuss, ihre samtenen Lippen. Ich sehe mir selbst aus der Vogelperspektive zu; sehe mich selbst belanglose Worte erwiedern, sehe, wie ich sie in den Arm nehme, sehe uns hineingehen ohne zurück zu Blicken. Die Tür zum Balkon wird geschlossen und die Welt unter mir liegt verlassen da. Ich sehe mich selbst nicht mehr, bin verschwunden in der Wärme meiner eigenen Wohnung. Hier draußen ist es kalt und ich bin allein.

Geminsam.
keinem Himmel entgegen
zeig sie mir
meine Narben
auf den Dächern der Stadt.

Ihr leiser Atem streift mein Ohr. Die Sonnne scheint müde auf ihr Gesicht. Mir ist übel.
Ich wecke sie unsanft und ihrem friedlichen Blick folgt die Wut des Geweckten. In meinem Gedächtnis spielen Affen Bratsche und ein Orchester, dirigiert von einem Bergorilla, spielt Bethovens "Neunte". Es führt letztendlich kein Weg nach Rom; ich muss sie fragen, muss wissen, warum sie hier neben mir liegt. Ich spüre wie die Vernunft in Rinnsalen meinem Verstand entflieht, öffne schon den Mund, da sehe ich plötzlich eine Fliege über ihrem Kopf. Sie fliegt munter im Zimmer herum, mal hier, mal dort, überall und nirgends und beobachtet uns. Ich denke sie beobachtet uns. Im namen der Fliege wahre ich also den Frieden und entschuldige mich. Ihre Miene hellt sich auf. Ich nehme ihre Hand und ziehe sie auf die Beine - Ihr Körper ist schön. Lachend verlassen wir das Schlafzimmer.
Die Fliege folgt uns nicht. Sie nimmt frisch-fröhlich Platz auf der Matratze und erkundet die Berglandschaft eines ungemachten Bettes.
 



 
Oben Unten