An einem stillen Sommernachmittag

Helmut D.

Mitglied
An einem stillen Sommernachmittag

Vor vielen Jahren kam ich einmal bei einem Spaziergang an einer alten Turnhalle vorbei. Schon von weiten hörte ich ein komisches Geräusch, das ich nicht näher zu definieren vermochte. Deswegen begab ich mich zu einem kleinen Fenster, um hineinzusehen. Dazu muß noch gesagt werden, daß sich besagte Turnhalle in einer alten Gasse unserer Stadt befindet, in die sich kaum jemand verirrt. Ich stellte mich also auf den Sims vor dem Fenster, um hineinsehen zu können. Und was sah ich da? Keiner, dem ich das erzähle wird es mir glauben: Da saßen auf langen Bänken in schwarzen Turnhosen lauter große Generaldirektoren und heulten!
Und wie sie alle flennten und jammerten! Es war schrecklich mitanzuhören. All die hohen Herren, alle diese seriösen Männer saßen da und heulten. Eiskalt lief es mir den Rücken herunter. Unheimlich war dieses Geschehen. Was kann so schrecklich sein, daß so viele Generaldirektoren auf einmal weinen?
Noch ehe ich länger darüber nachdenken konnte, wechselte überraschend die Stimmung. Der ganze Saal voller weinender Generaldirektoren hob plötzlich zu einem atemberaubenden Gelächter an. Und wie sie alle lachten! Hauten sich vor Freude immer wieder auf die Schenkel und fingen gar zu brüllen an. Manche lachten so sehr, daß sie das Gleichgewicht verloren und rücklings von den Bänken fielen. Rücklings! Die ganze Turnhalle bebte vor Geschrei. Und ich wurde immer ratloser. Weshalb lachten die vormals so traurigen Konzernbosse jetzt plötzlich? Was war geschehen?
Doch bevor ich mich näher mit der Lösung dieser Frage beschäftigen konnte, wechselte die Stimmung erneut. Nun hob ein großes Stöhnen an! Sie keuchten und röhrten , als wenn die furchtbarsten Schmerzen sie quälen würden. Allesamt. Mir ging das Geräusch durch Mark und Bein und ich werde es bestimmt mein Lebtag nicht mehr vergessen. War das ein Jammer und Geächze! Ich mußte tief durchatmen, um die Situation zu überstehen. Das geht einen bis ins Innerste. Lauter hohe, ausgepuffte Generaldirektoren in Turnhosen keuchen zu seh'n!
Bis zu diesem Augenblick war mir immer noch nicht klar, was diese Herren so außer Fassung brachte. Doch schon bald sollte ich die Lösung dieser einzigartigen Situation erfahren. Es gelang mir nämlich mich etwas nach oben zu hangeln, so daß ich einen größeren Einblick in den Raum hatte. Und da sah ich doch- mittlerweile war das Stöhnen wieder in ein Geheule übergegangen- also, da sah ich zu meiner größten Verblüffung, aber ich schwöre bei meinem und meiner Tante Ullas Leben, daß dies die reine Wahrheit ist, da sah ich also, weit vorne den Grund für ihr außergewöhnliches Verhalten: Ein Kasperletheater! Jawohl! Mit Seppl, Kasperl und dem Krokodil!
Und wer mir das alles, trotz meines Schwures nicht glaubt, der möge doch selbst einmal an jener alten Turnhalle in dieser menschenleeren Gasse unserer Stadt, die fast jeder kennt, vorbeigehen. An einem stillen Sommernachmittag, wohlgemerkt!
 



 
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