Anders

Anonym

Gast
Noch fünf Minuten Zeit, um am Firmenrechner meine neuesten Mails abzurufen. Posteingang, eine neue Mail vom Betreiber der Freunde- bleiben- Seite. Nachricht in meinem Postfach aufrufen und anklicken. Post von Karin. Oh, sie hat ein neues Profilbild… Nachricht lesen: „Hi Benny, wie findest du mein neuestes Bild?“
Wie ich es finde? Das kann ich jetzt nicht beantworten. Email- Center schließen und zum Tisch im Aufenthaltsraum der Rettungswache zurück gehen. Ich könnte inzwischen in der Sonntagszeitung blättern…
Karin… das Foto…
Karin… vor zwölf Jahren sah sie ganz anders aus… Sie hatte lange, blond gefärbte Haare, ein rundliches Gesicht… hatte sie über eine Annonce kennen gelernt, wir hatten auch telefoniert… Sexy Stimme, und wie es der Zufall wollte, kam sie aus Borben, dem Ort, an dem ich eine neue Stelle als Rettungsassistent bekommen hatte…
Das erste Treffen… eher zufällig und spontan… Mit Karin geredet, war nett, aber… na ja, als Kumpel vielleicht… Karin, Mutter einer Tochter und gerade geschieden, hatte leider ganz andere Vorstellungen von einer Beziehung… Sie wollte eben mehr als das… Ich nicht. War eben meine Vorgeschichte: nach siebenjähriger Beziehung abserviert worden… Schmerzlich gewesen, aber mit meinem Umzug nach Borben schwor ich mir, ohne eine feste Zweierbeziehung auszukommen, obwohl ich mir meiner Wirkung auf das andere Geschlecht bewusst war… Machtgefühle…
War schon ein erfreuliches Gefühl, Karin abblitzen zu lassen und ihre schmachtenden Blicke zu sehen… Und als ich ihr von meiner festen Freundin erzählte…
Ich verlor Karin aus meinen Augen… war nicht weiter schlimm.
Vor einem Monat erhielt ich auf der Freunde- bleiben- Seite bleiben eine Nachricht von Karin. Sah mir ihr Profilfoto an. Die einzigen Dinge, die an die Karin von damals erinnerten, waren ihr Name und das strahlende Lächeln, das ihre Mundwinkel umspielte. Sehr nett, musste ich mir ja insgeheim eingestehen…
Wie es mir gehen würde… Klar habe ich geantwortet, Zwei, drei Nachrichten später erwähnte ich meine Freundin, und weggezogen… Machtgefühle.
Karins Antwort erstaunte mich schon: Selbst seit zehn Jahren in fester Beziehung, und für mich herzlichen Glückwunsch und so; ach ja, sie hätte nie gedacht, dass ich mein Junggesellenleben an den Nagel hängen würde.
Hatte Karin ein Date vorgeschlagen. Mails gingen hin und her… War ja neugierig, ob Karin nicht doch noch nach mir schmachtete…
Handynummer gab sie mir auch… Wir verabredeten uns vor dem Stadtgeschichte- Museum in der Kreisstadt, an der Stadtwächter- mit –der- Kiepe- Skulptur.
Einen Tag vorher schickte sie mir noch eine MMS. Ein Bild mit besagter Skulptur, und dem Text: „das ist der Stadtwächter… (nur damit du mich nicht mit ihm verwechselst :)
Das Date… ich werde es wohl nie vergessen…
Morgens war es noch kühl gewesen an diesem Frühlingstag, aber als ich am frühen Nachmittag auf dem Parkplatz vorm Museum im Auto wartete, dass Karin sich neben dem Stadtwächter stellt… Mir war vielleicht warm in der Jacke! Und dann hatte ich auch noch einen Pullover darunter… Ich konnte zwischen den Bäumen ungehindert zum Stadtwächter blicken… Klar, war ich nervös, ob Karin es sich nicht doch anders überlegt hatte… Dann sah ich eine Frau auf dem Museumsvorplatz: Kurze, dunkelblonde Haare. Sie trug eine braune Jacke… Ich sah sie rauchen und warten… Karin… Ich stieg aus dem Wagen und schlenderte pfeifend vom Parkplatz aus auf sie zu. Sie drehte sich um und sah mich mit ihren leuchtendblauen Augen an…
Hübscher als vor zwölf Jahren, das konnte ich auf den ersten Blick sehen…
Begrüßung und dann haben wir einen Spaziergang gemacht… Es war wirklich sehr warm… nette Unterhaltung. Ich erzählte vom Job, meiner Freundin und deren Tochter… Seitenblicke auf Karin geworfen, um festzustellen, ob sie irgendwie auf etwas anderes gehofft hatte… na ja, als sie von ihrer Tochter, ihrem Lebensgefährten und dessen Tochter erzählte, dämmerte mir, dass meine Hoffnung vielleicht nur Utopie war. Vielleicht hatte ich aber auch meine Wirkung auf Frauen im Laufe der Jahre eingebüßt, schoss mir durch den Kopf, oder das Registrieren ihrer mimischen Reaktionen war beim Laufen einfach unmöglich…
Wir verließen den Parkplatz vorm Stadtgeschichtemuseum, um zu einem Cafe zu fahren. Karin kannte sich aus, und fuhr in ihrem roten Kleinwagen vor. Während der Fahrt hatte ich so das Gefühl, dass ich im Cafe Karins Gefühle für mich erkennen werde…
Karin bog auf dem Parkplatz vorm Cafe ein und ich folgte. Außer den drei Taxiplätzen gab es keine freie Parklücke! Ich verließ den Parkplatz und suche an der Straße einen Stellplatz, und anschließend zu Fuß den Parkscheinautomaten…
Karin stand jetzt ohne Jacke vorm Cafe und wartete; konnte ich sehen, als ich den Parkschein zog. Meine Jacke ließ ich im Wagen und ging zum Cafe. Ich musste echt schlucken, und kniff mich, um sicher zu sein, dass das, was ich sah, real war! Das, was ich wegen Karins brauner Jacke vorher nicht sehen konnte, war atemberaubend, war zu schön, um wahr zu sein! Hätte mir jemand vor zwölf Jahren gesagt, dass aus der molligen Karin (sie mag mir den Ausdruck verzeihen!) eine so scharfe Schnecke werden würde… ich hätte ihn eigenhändig zur psychiatrischen Klinik geschickt!
Dann saßen wir vorm Cafe an einem der Außentische… Sehr nette Unterhaltung, und Karins Lächeln verschwand für keinen Augenblick aus ihrem Gesicht, wann immer ich auf meiner Freundin zu sprechen kam… Das machte mich nervös… glaube ich… glaubte ich…
Nachdem schon das zweite Taxi auf dem Parkplatz ankam, entschloss Karin sich dazu, ihren Wagen wegzusetzen. Auf den Normalparkplätzen war sogar inzwischen etwas frei geworden. Ich sah ihr nach… So einen knackigen Jeanshintern sah man wirklich nicht alle Tage!
Schließlich saß sie wieder am Tisch… Und ich weiß nicht… hätte echt länger mit ihr reden können… es kamen keinerlei Annäherungsversuche von ihr…
Ich bezahlte unseren Kaffee und nachdem Karin noch was von: „War echt nett, mal wieder mit dir geredet zu haben“, sagte, verabschiedeten wir uns. „Vielleicht sieht man sich ja wieder“, sagte ich, „Oder du kannst dich ja über die Freunde- Seite melden…“
Ich sah noch, wie Karin mit ihrem Wagen abfuhr…
Nachdenklich, und immer noch aufgewühlt von der Begegnung setzte ich mich ins Auto.
Wer als erster eine SMS schrieb, war ich; nettes Date mit dir und so…
Über eine Stunde später kam eine SMS von Karin bei mir an, mit der sie sich für den netten Nachmittag und den spendierten Kaffee bedankte…
Tja… das Date liegt noch nicht einmal eine Woche hinter mir, und jetzt…
Ihr neuestes Profilbild… es erinnert mich an das Date… Nein, es erinnert mich an mehr… Ich will mehr… dabei wollte ich es anders…
 



 
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