Angekommen

Amrit

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Er stöhnte innerlich auf. Nicht schon wieder. Er versuchte, in die andere Richtung zu schauen. Irgendeinen Fixpunkt finden. Festhalten und nicht nachgeben. Doch schon während er eingehend das furchige Gesicht des alten Mannes am Fenster betrachtete, sich angewidert vorstellte, wie seine eigene Fratze früher oder später enden würde, sich fragte, woher all das aufgedunsene, schwammige Gewebe zwischen den Furchen im Alter herkam, wusste er genau, dass sein Plan so nicht funktionieren würde. Was anderes konnte er tun als dasitzen und abwarten? Warten, bis die Dinge ihren Lauf nahmen. Schon die Tatsache, dass er hier allein am Tresen dieser schäbigen Bar saß, war Grund genug, den billigen Whisky, den er mit einem energischen Zug runtergewürgt hatte, wieder zu erbrechen. Kraftlos drückte er seine letzte Zigarette aus. Die Bedienung sah nicht so aus, als ob sie schon wieder gestört werden wollte. Kleingeld für eine neue Packung fand sich glücklicherweise, nochmal wollte er auf keinen Fall mit ihr sprechen müssen. Schwerfällig erhob er sich und eierte in Richtung Toiletten. Gott weiß, warum Zigarettenautomaten in schäbigen Bars immer zwischen Toilette und Kondomautomaten plaziert sein. Angestrengt fixierte er den Boden, aber es half alles nichts, sie hatte ihn doch schon lange erspäht. So zielstrebig, wie es eine ungute Menge an Whisky zulässt, schoss sie auf ihn zu und versperrte ihm den Weg. Vorsorglich vermied er es, ihr in das verlebte Gesicht zu sehen. Wollte nichts wissen von Augenringen, aufgeplatzten Adern, hängenden Lidern und anderen Anzeichen eines verlebten Lebens. Sie schaffte es natürlich nicht, rechtzeitig vor ihm anzuhalten. Mit dem anwehenden fauligen Leichengeruch überkam ihn gleichzeitig eine unerbittliche Übelkeit. Diese Frau hatte definitiv schon vor langer Zeit den Sinn für sich selber verloren. „Du piss doch nich von hier, oder?“, lallte sie mit abschätzigem Blick. Er spürte, wie sich der schwerfällige Kloß in seinem Hals regte. Indem er sich vorstellte, wie er dieser Schlampe ganz langsam mit einer Hand die Kehle zudrückte, so dass sich ihre grauen Augen deutlich aus ihrem hängenden Gesicht herauslösten, schaffte er es, sie anzusehen. Ihr Lidschatten, oder das, was davon noch übrig war, bildete traurige Kleckse auf ihrem Tränensäcken. Er hatte gewusst, dass es so kommen würde. Sie wollte nur ein bisschen Zuwendung. Keine Liebe, dafür war sie zu alt und zu leer. Liebe verlangte sie nicht. Nur ein paar Stöße der Zuwendung. Nicht auf die leidenschaftliche Art. Ihr reichte es schon, wenn sein Unterleib sie auf die mechanische Art erledigte. Während ihrer kurzen schweigsamen Zusammenkunft auf der Toilette war er in Gedanken ganz weit weg. Ein Teil von ihm löste sich von seinem Körper, der zielstrebig die faltige Haut ihrer Oberschenkel auf dem Waschbecken ausbreitete, und schwebte über dem Zigarettenautomaten, weit über der traurigen Szenerie, die sie beide boten. Während sein errigierter Penis (Woher kam das bloß?) sich seinen Weg durch die Falten bahnte, spulte sich dort oben sein ganzes Leben ab. Er sah all seine Möglichkeiten, aber besonders die Unmöglichkeiten, alle verpassten, alle nicht genutzten Chancen, all das, was ihn nachts nicht schlafen ließ, an ihm vorbeiziehen. Schließlich war er fertig, zog sich langsam den Hosenschlitz zu und wusch sich die Hände (es war natürlich keine Seife da). Die Bilder waren verschwunden, er war angekommen, fand sich vor dem Waschbecken dieser schäbigen Bar wieder. Müde betrachtete er sie. Im Hinausgehen drehte er sich ein letztes Mal um. Ihre grauen Augen stachen merkwürdig starr aus ihrem hängenden Gesicht hervor. So, als wüssten sie jetzt Bescheid. Ohne zu zahlen, verließ er die Bar. Das aufgewühlte Geschrei der Bedienung überhörte er. Er hörte überhaupt nichts mehr. Er war jetzt da, er war angekommen.
 



 
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