Das Ereignis liegt etwa fünfzig Jahre zurück. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, ob ich es damals nur erträumte. Doch war es meinen Träumen nahe. Wenn ich heute darauf zurückkomme, so deshalb, weil ich gestern, in meinem Lieblingscafé, eine Begegnung mit einem Wesen hatte, das jenem zu gleichen schien, dem ich vor einem halben Leben begegnete.
Ich will sie, liebe Fremde, nicht verwirren, wenn ich ihnen von dieser Begegnung erzähle. Endlich will ich mir selber Klarheit verschaffen. Wir beide kennen einander nicht, denn sonst müßte ich mich schon sehr täuschen. Sind sie zum ersten mal in diesem Café? Jedenfalls habe ich sie noch nie hier gesehen. Jetzt haben sie sich einfach an meinen Tisch gesetzt, ohne mich nach meinem Einverständnis zu fragen. Und so werde auch ich sie nicht danach fragen, ob ich ihnen von meiner merkwürdigen Begegegnung berichten darf, Sie nicken zustimmend. Ich betrachte dies als ihr Einverständnis. Danke willkommene Fremde.
Vor etwa fünfzig Jahren also saß ich hier, hier in diesem meinem Lieblingscafé an diesem Tisch. Ich trank diese gute Wiener Melange, die man hier dem Gast serviert. Das Café war, einige Gäste ausgenommen, noch unbesucht, denn es war früh am Morgen. Dann und wann sah ich von meiner
Zeitung auf, um einen versteckten Blick auf die Gäste zu riskieren. Oder ich schaute durch das große Fenster, wo Passanten noch verpätet zur Arbeit hasten mochten. Die Plüschvorhänge, die das Fenster mit Messingvorhängen zusammen hielten, rahmten viellleicht auch einen müden
von der Liebe Durchnächtigten, der sein Abenteuer vor seiner Frau verbergen wollte, noch ehe sie in ihrem Bett den Betrug entdecken konnte.
Eine ungewisse Langeweile hatte mich befallen, sie kennen das: eine die mit einer vormittäglichen Schläfrigkeit einhergeht. Ich hatte schlecht geschlafen, aber niemand schien Anstoß an meiner Unaufmerksamkeit zu nehmen, die meine Wahrnehmung behinderte.
Dann, mitten in dieser Dösigkeit- ich bin mir sicher, daß ich nicht eingeschlafen war- spürte ich, wie soll ich es nur ausdrücken, daß mich etwas " anzuschweben" schien. Sie lächeln, nein nein, es war kein
kein Vogel, der sich im Café verirrt hatte, kein Engel war das. Doch was immer es war, dem ich damals begegnete, es war mit einer unbeschreiblich angenehmen Empfindung verbunden. Immer, wenn ich es in Augenschein nehmen wollte, schien es flüchtig, zeigte keine Kontur, Farbe, blieb geruchlos, entfernt unwahrnehmbar. Ich hatte das Gefühl, daß sich etwas für mich interessierte, denn es kam wieder, ohne daß es sich mir wirklich zeigte. Und so verbrachte ich den ganzen Tag nur damit auf es zu waren. Hatte ich es verjagt? War ich zu fordernd aufgetreten?
Und obwohl ich nicht wußte, mit wem oder was ich es zu tun hatte, fühlte ich mich ihm vollkommen ausgeliefert. Augenblicklich zeigte es sich wieder einmal überhaupt nicht, blieb nur Erinnerung. Es war weit im Nachmittag, als ich mich endlich wieder einer unfertigen Schreibarbeit zuwendete, zwischen den Pausen die Gäste beobachtete, als es heftig zu regnen begann. Ich war zufrieden trocken am Tisch zu sitzen, mich befiel eine leichte Melancholie nach den Anstrengungen ein wenig Rhythmus in den Tagesablauf zu bringen. Sie schütteln den Kopf Verehrteste, sie scheinen mir nicht zu glauben, daß ich mich noch so langer Zeit an alle diese belanglosen Kleinigkeiten erinnere? Aber bitte, wenn sie es wollen, dann hören sie.
Gestern, wie aus dem Nichts, war es wieder da. Mein "blauer Atem", so nannte ich es inzwischen für mich. Da war es wieder in mir und um mich herum. Mich erfüllte ein Glücksgefühl, ich begann zu schluchzen, ich lachte, an den anderen Tischen wurden die Gäste auf mich aufmerksam. Aber es war mir nicht im mindesten peinlich. War das nicht alles nur mein überreizter Geist, meine überbordende Phantasie, die mit mir spielten. Da schien etwas mit mir zu machen, was es wollte, und es gefiel mir.
Es schien angebracht, daß ich meine Zeche bezahlte und nachhause ging. In meiner Wohnung angekommen ging ich sogleich ins Bett. Ich schlief traumlos. Doch soll es ja vorkommen, daß einer seinen Traum beim Aufwachen nicht nur vergessen hat, sondern behauptet, daß er nicht geträumt habe.
Das alles ist heute vergangen. Völlig sind sie, liebe Unbekannte, an meinen Tisch getreten. Eine mir Fremde also, und doch, etwas mich Beunruhigendes geht von ihnen aus. Nein, sie selbst sollte das nicht beunruhigen, aber was rede ich da, verzeihen sie bitte.Doch etwas von ihnen scheint sich auf geheimnisvolle Weise mit diesem ungreifbaren Wesen verbunden zu haben. Ja, das meine ich, eben diesem Wesen, das mich von Zeit zu Zeit heimsuchte, als wollte es sich in mir einrichten,
sein entgültiges Zuhause suchen. Sie lächeln und schweigen, ihre Augen sind traurig. Aber vermutlich sind sie gelangweilt - Ich muß jetzt ohnehin gehen, sie sind aufgestanden, eine gute Lösung für uns beide. Vergessen sie nicht ihr Buch, das noch auf dem Tisch liegt. Ach es ist für mich? Aber dann bleiben sie noch einen Augenblick, bitte...
.....................................................................
Das Buch, ein Geschenk an mich, lag auf dem Tisch. Die Fremde war ohne
jedes Wort gegangen. Als ich die erste Seite aufschlug, las ich den Namen der Autorin. Eine O. Jung hatte das Buch geschrieben, das den Titel " Anima" trug und ich las:
" Fünfzig Jahre hatte sie diesen Mann in diesem Café beobachtet. Nicht einmal hatte er sie angesehen. Jahrelang hatten sie dasselbe Café besucht. Dieses Buch erzählt vom Ansehen und dem Nichtansehen zweier Menschen."
So las ich die ersten Sätze, schloß das Buch, verließ das Café, das ich danach nie mehr betrat.
Ich will sie, liebe Fremde, nicht verwirren, wenn ich ihnen von dieser Begegnung erzähle. Endlich will ich mir selber Klarheit verschaffen. Wir beide kennen einander nicht, denn sonst müßte ich mich schon sehr täuschen. Sind sie zum ersten mal in diesem Café? Jedenfalls habe ich sie noch nie hier gesehen. Jetzt haben sie sich einfach an meinen Tisch gesetzt, ohne mich nach meinem Einverständnis zu fragen. Und so werde auch ich sie nicht danach fragen, ob ich ihnen von meiner merkwürdigen Begegegnung berichten darf, Sie nicken zustimmend. Ich betrachte dies als ihr Einverständnis. Danke willkommene Fremde.
Vor etwa fünfzig Jahren also saß ich hier, hier in diesem meinem Lieblingscafé an diesem Tisch. Ich trank diese gute Wiener Melange, die man hier dem Gast serviert. Das Café war, einige Gäste ausgenommen, noch unbesucht, denn es war früh am Morgen. Dann und wann sah ich von meiner
Zeitung auf, um einen versteckten Blick auf die Gäste zu riskieren. Oder ich schaute durch das große Fenster, wo Passanten noch verpätet zur Arbeit hasten mochten. Die Plüschvorhänge, die das Fenster mit Messingvorhängen zusammen hielten, rahmten viellleicht auch einen müden
von der Liebe Durchnächtigten, der sein Abenteuer vor seiner Frau verbergen wollte, noch ehe sie in ihrem Bett den Betrug entdecken konnte.
Eine ungewisse Langeweile hatte mich befallen, sie kennen das: eine die mit einer vormittäglichen Schläfrigkeit einhergeht. Ich hatte schlecht geschlafen, aber niemand schien Anstoß an meiner Unaufmerksamkeit zu nehmen, die meine Wahrnehmung behinderte.
Dann, mitten in dieser Dösigkeit- ich bin mir sicher, daß ich nicht eingeschlafen war- spürte ich, wie soll ich es nur ausdrücken, daß mich etwas " anzuschweben" schien. Sie lächeln, nein nein, es war kein
kein Vogel, der sich im Café verirrt hatte, kein Engel war das. Doch was immer es war, dem ich damals begegnete, es war mit einer unbeschreiblich angenehmen Empfindung verbunden. Immer, wenn ich es in Augenschein nehmen wollte, schien es flüchtig, zeigte keine Kontur, Farbe, blieb geruchlos, entfernt unwahrnehmbar. Ich hatte das Gefühl, daß sich etwas für mich interessierte, denn es kam wieder, ohne daß es sich mir wirklich zeigte. Und so verbrachte ich den ganzen Tag nur damit auf es zu waren. Hatte ich es verjagt? War ich zu fordernd aufgetreten?
Und obwohl ich nicht wußte, mit wem oder was ich es zu tun hatte, fühlte ich mich ihm vollkommen ausgeliefert. Augenblicklich zeigte es sich wieder einmal überhaupt nicht, blieb nur Erinnerung. Es war weit im Nachmittag, als ich mich endlich wieder einer unfertigen Schreibarbeit zuwendete, zwischen den Pausen die Gäste beobachtete, als es heftig zu regnen begann. Ich war zufrieden trocken am Tisch zu sitzen, mich befiel eine leichte Melancholie nach den Anstrengungen ein wenig Rhythmus in den Tagesablauf zu bringen. Sie schütteln den Kopf Verehrteste, sie scheinen mir nicht zu glauben, daß ich mich noch so langer Zeit an alle diese belanglosen Kleinigkeiten erinnere? Aber bitte, wenn sie es wollen, dann hören sie.
Gestern, wie aus dem Nichts, war es wieder da. Mein "blauer Atem", so nannte ich es inzwischen für mich. Da war es wieder in mir und um mich herum. Mich erfüllte ein Glücksgefühl, ich begann zu schluchzen, ich lachte, an den anderen Tischen wurden die Gäste auf mich aufmerksam. Aber es war mir nicht im mindesten peinlich. War das nicht alles nur mein überreizter Geist, meine überbordende Phantasie, die mit mir spielten. Da schien etwas mit mir zu machen, was es wollte, und es gefiel mir.
Es schien angebracht, daß ich meine Zeche bezahlte und nachhause ging. In meiner Wohnung angekommen ging ich sogleich ins Bett. Ich schlief traumlos. Doch soll es ja vorkommen, daß einer seinen Traum beim Aufwachen nicht nur vergessen hat, sondern behauptet, daß er nicht geträumt habe.
Das alles ist heute vergangen. Völlig sind sie, liebe Unbekannte, an meinen Tisch getreten. Eine mir Fremde also, und doch, etwas mich Beunruhigendes geht von ihnen aus. Nein, sie selbst sollte das nicht beunruhigen, aber was rede ich da, verzeihen sie bitte.Doch etwas von ihnen scheint sich auf geheimnisvolle Weise mit diesem ungreifbaren Wesen verbunden zu haben. Ja, das meine ich, eben diesem Wesen, das mich von Zeit zu Zeit heimsuchte, als wollte es sich in mir einrichten,
sein entgültiges Zuhause suchen. Sie lächeln und schweigen, ihre Augen sind traurig. Aber vermutlich sind sie gelangweilt - Ich muß jetzt ohnehin gehen, sie sind aufgestanden, eine gute Lösung für uns beide. Vergessen sie nicht ihr Buch, das noch auf dem Tisch liegt. Ach es ist für mich? Aber dann bleiben sie noch einen Augenblick, bitte...
.....................................................................
Das Buch, ein Geschenk an mich, lag auf dem Tisch. Die Fremde war ohne
jedes Wort gegangen. Als ich die erste Seite aufschlug, las ich den Namen der Autorin. Eine O. Jung hatte das Buch geschrieben, das den Titel " Anima" trug und ich las:
" Fünfzig Jahre hatte sie diesen Mann in diesem Café beobachtet. Nicht einmal hatte er sie angesehen. Jahrelang hatten sie dasselbe Café besucht. Dieses Buch erzählt vom Ansehen und dem Nichtansehen zweier Menschen."
So las ich die ersten Sätze, schloß das Buch, verließ das Café, das ich danach nie mehr betrat.