Anleitung zum Bau einer Bombe

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rotkehlchen

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An einem fröhlichen Sonntagmorgen im Herzen des Mai – die Sonne strahlte als bekäme sie es bezahlt, die Vögel zwitscherten das Blaue vom Himmel – erhielt ich einen Anruf. Die kratzige Stimme am anderen Ende der Leitung fragte mich, ob ich mir vorstellen könne, eine Bombe zu bauen. Ich erwiderte, dass ich in dergleichen Dingen keinerlei Erfahrung besäße und dass es genug andere Möglichkeiten gebe, für Überraschung zu sorgen. Nichts da! rief die Stimme entschieden, es müsse schon ein richtiger Knaller sein, sonst sei heutzutage niemand mehr zu beeindrucken. Auch mein Einwand, dass ein solches Unterfangen nicht zum Nulltarif zu haben und bei der gegenwärtigen Lage nicht ohne Risiko sei, fruchtete nicht. Die Stimme wurde dringlicher, und schließlich gab ich genervt nach.
Als Einsatztermin wurde das nächste Wochenende, genauer: Sonnabend 15 Uhr, festgesetzt. Das Zielgebiet sollte ein zu der Zeit stark frequentierter Ort sein. Zum Schluss fragte mich der Mann noch, ob er sicher sein könne, dass ich das Gewünschte auch wirklich liefere. Ich antwortete: Aber hundert pro, ich sein ein zuverlässiger Mensch, und wenn er eine Bombe bestelle, werde er auch eine Bombe erhalten.
Einen Tag vor dem Termin, also am Freitag, ging ich frisch ans Werk. Zunächst machte ich mich im Internet kundig. Ich wusste, es gibt da gewisse einschlägige Seiten, auf denen die nötigen Informationen stehen. Ich musste nicht lange suchen, und siehe da, schon hatte ich den richtigen Link auf dem Schirm. Da stand ganz offen, kaum verschlüsselt und leicht verständlich, die Anleitung zur Herstellung solch einer Bombe, wie sie meinem Auftraggeber vorschwebte, sogar mit Abbildungen. Ja, Sie werden es nicht glauben, aber ich war überrascht, wie einfach sich das las. Endlich begriff ich, dass der häufig gehörte Spruch, heute könne jeder halbwegs clevere Schüler eine Bombe bauen, nicht übertrieben ist.
Allerdings – wieder einmal lag der Teufel im Detail, in diesem Falle bei der Materialbeschaffung. Die hatte ich mir erheblich einfacher vorgestellt. Nicht, dass das nötige Material grundsätzlich nicht überall zu haben war. Aber mein Auftraggeber hatte ausdrücklich darauf bestanden, ich solle nur hochwertiges Material verwenden; Geld spiele keine Rolle, hatte er mir eingeschärft, wichtig sei ein perfektes Endprodukt, kein Blindgänger. Das Risiko eines Fehlschlags wollte er auf keinen Fall eingehen, dafür war ihm die Sache zu ernst. Na ja, irgendwie schaffte ich es, trotz zermürbender „Ham wa nich!“, „Is gerade aus“, „Bekomm wa erst Mittwoch wieda rin!“ alles Nötige herbeizuschaffen und auf meinem Arbeitstisch auszubreiten.
Ich wischte mir die Stirn, denn es war brütend heiß, und begann mit der Ausführung. Die Anleitung zum Bau dieser Bombe hatte ich an die Wand geheftet, so dass ich sie immer bequem einsehen konnte.
Zunächst ging mir die Arbeit zügig von der Hand, doch dann trat eine Unterbrechung ein: Es klingelte. Nun lasse ich mich ungern in einer ernsthaften Tätigkeit unterbrechen, erst recht bei einer so sensiblen und eiligen Arbeit wie dieser. Ich beschloss, nicht zu reagieren, doch da klingelte es schon wieder. Genervt legte ich das Werkzeug beiseite, verließ den Raum und blickte durch den Spion. Der Nachbar mit futuristisch verzerrtem Gesicht. Ich öffnete, und er fragte unter allerhand verbalen Verrenkungen, ob ich ihm kurz mal einen Akkuschrauber ausleihen könnte, seiner sei gerade und so weiter und so fort.
Nun saß ich schön in der Bedrouille. Grundsätzlich leihe ich kein Werkzeug aus. Beim einmaligen Ausleihen bleibt´s nämlich nicht, meistens kommen die Leute wieder, zum Beispiel, weil sie noch ein Zusatzteil vergessen haben. Andrerseits wollte ich nicht unhöflich sein; mit meinem Ruf im Haus ist es sowieso schon nicht zum besten bestellt, warum auch immer. Ich überlegte. Sagte ich ja, wäre er mir mit Sicherheit in die Wohnung gefolgt, der neugierige Heini, und das wollte ich unter allen Umständen vermeiden. Ich konnte ihm ja schlecht die Tür vor der Nase zuknallen. Also sagte ich nein und verwies auf den Rentner ein Stockwerk höher. Und es war ja noch nicht einmal gelogen, ich brauche mein Werkzeug wirklich selber.
Endlich war das Werk vollendet. Na gut, ich gebe zu, ein Meisterwerk war es gerade nicht, und als ich es mit der Abbildung auf der Anleitung verglich, kamen mir doch Bedenken, ob es die gewünschte Wirkung erzielen könnte. Doch jetzt einen Rückzieher machen und sagen, hey, liebe Leute, da ist was schiefgelaufen, es muss diesmal ohne gehen, nee, das ist meine Art nun auch nicht. Und ein Meister ist ja bekanntlich noch nie vom Himmel gefallen.
Da der Einsatz der Bombe für den nächsten Tag geplant war, stellte ich sie an einem sicheren Ort ab, wie die Anleitung empfahl, und beseitigte alle Spuren meiner Tätigkeit. Denn ich rechnete stark damit, dass der Nachbar wiederkommen würde, um nach einer Verlängerungsschnur zu fragen und sich dabei dreist hinter meinem Rücken in Wohnung schleichen könnte. Da war es besser, dass der Arbeitstisch sauber und rein war. Der Kerl erzählte sowieso schon alles Mögliche über mich, und ich wollte seine Fantasie nicht noch durch unnötige Details beflügeln.
Nun konnte ich mir Gedanken über Verpackung und Transport machen. Solch ein sensibles Teil kann man ja nicht einfach vor aller Augen zum Auto tragen, schon gar nicht in einer Zeit wie dieser, wo die Leute ständig gereizt sind, und auch auf der Fahrt zum Zielgebiet muss es sicher aufbewahrt werden, damit kein Unglück passiert. Unvorstellbar, wenn es etwa bei einem scharfen Bremsmanöver herunterfiel oder sonstwie beschädigt würde...
Und auch am Einsatzort konnte ich die Bombe natürlich nicht offen zeigen, es wäre sofort zu tumultartigen Szenen gekommen. Die Wirkung stellte ich mir um so größer vor, je ahnungsloser das Publikum war – und auf die Wirkung kam es an, denn mein Auftraggeber legte allerhöchsten Wert auf einen größtmöglichen Überraschungseffekt.
Da war wieder einmal guter Rat teuer. Transport-Behältnisse mit Formen, von denen man leicht auf den Inhalt schießen kann, schieden wegen besagtem Überraschungseffekt von vornherein aus. Dass jemand aus einem Geigenkasten eine Geige hervorholt, ist nicht der Rede wert. Wenn aber ein gebratenes Hähnchen oder – na sagen wir: eine Trennhexe zum Vorschein käme – sehen Sie, dann wäre die Überraschung groß! Die Leute würden sagen: Ha! Großartig! Hätten wir nie gedacht, was man alles in einem Geigenkasten transportieren kann!
Nur, erstens besaß ich keinen Geigenkasten, und zweitens war meine Bombe dafür auch zu unhandlich.
Ich überlegte hin und her, mit Schweißperlen auf der Stirn. Es müsste etwas sein, grübelte ich, das nicht nur jeden Verdacht auf den Inhalt von vornherein ausschloss, sondern die Gedanken in eine völlig andere Richtung drängte. Plötzlich kam mir die zündende Idee. Ja, das ist es! rief ich begeistert und klatschte mit der Hand aufs Knie, der alte Vogelkäfig auf dem Dachboden! Es war ein großer Käfig für Kanarienvögel, der schon seit ewigen Zeiten dort stand und wohl von irgendwelchen Mietern abgestellt und vergessen worden war. Das war doch was! So eine Bombe in einem Vogelkäfig – fast so bizarr wie die Trennhexe im Geigenkasten, und völlig unverdächtig! Ich rannte nach oben: Gottseidank, er war noch da, der Käfig. Jetzt konnte im Grunde nichts mehr schief gehen, es sei denn, ich geriete in einen Stau oder in eine Polizeikontrolle, und den Beamten würde der mit Tüchern verhängte Käfig verdächtig vorkommen und sie würden daraufhin neugierig werden...
Zur festgesetzten Stunde fuhr ich auf den Platz gegenüber dem Einsatzort, und wie es der Teufel wollte: Es war keine Parklücke mehr frei. An alles hatte ich gedacht, nur nicht daran. Auf Risiko gehen und das Fahrzeug irgendwo abstellen wollte ich nicht, denn bei unserer geldgierigen Stadtverwaltung steckt ruckzuck ein Knöllchen hinter Ihrer Windschutzscheibe. Ich war gezwungen, nach einer Parkmöglichkeit zu suchen, wodurch der ganze schöne Zeitplan durcheinandergeriet, außerdem wollte ich das verdammte Ding endlich loswerden. Zum Glück fand ich eine Parklücke in nicht allzu großer Entfernung.
Als ich aus dem Auto stieg, schlug mir die Hitze wie mit Knüppeln entgegen. Höchste Eile war geboten, denn mir wurden allmählich die Knie weich. Ich legte also den Weg, den Käfig am ausgestreckten Arm, so gut es ging im Laufschritt zurück. Schon von weitem hörte ich das unbeschwerte Lachen und Lärmen der Menge. Als ich das Gartentor öffnete, kam mir meine Schwiegertochter mit wehenden Haaren entgegen und rief aufgeregt: „Da bist du ja endlich! Wir dachten schon, du kommst nicht mehr! Die Kinder werden schon ungeduldig! Wo ist denn die Bombe?“ Ich wies auf den Käfig. „Hier drin!“ „Na dann schnell, auf den Tisch damit, eh sie uns noch zerfließt!“

Ich habe lange überlegt, ob ich Ihnen das erzählen soll, denn ich befürchte, damit mache ich mir kaum Freunde. Die einen werden aus Enttäuschung knurren, weil sie sich mehr Insiderinformationen erhofft haben, die anderen werden die Nase rümpfen und rufen: Was für einen Unsinn erzählst du uns da, und eine dritte Gruppe ist überhaupt dagegen, dass über Bombenbauen in geselliger Runde geredet wird. Dabei will ich niemanden anleiten, schon gar nicht verleiten. Ich will nur meine Erfahrungen schildern, und das darf ja wohl erlaubt sein. Außerdem hat mich vorhin jemand danach gefragt.
 

steyrer

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Hallo!

Eine hübsche absurde Story, die rechtzeitig, knapp vor Ende, in die „richtige“ Richtung kippt. Stattdessen wird nun die absurde Rolle dem Leser zugewiesen. Mir gefällt’s zwar, aber empfehlen würde ich das trotzdem eher nicht …

Eine Kleinigkeit:

Aber hundert pro, ich sei[red][strike]n[/strike][/red] ein zuverlässiger Mensch, und wenn er eine Bombe bestelle, werde er auch eine Bombe erhalten.
Schöne Grüße
steyrer
 



 
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