Anna

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Anna,

ich bin betroffen. Ich weiss nicht mehr, was passiert ist, wie es passiert ist.
Was ich noch weiss, dass Nebel war. Alles weiss. Schnee. Anna, ich sehe deinen Atem und deine rote Aura.
Bitte ruf mich gleich an, Anna, wenn du das hier liest. Du musst einfach! Ich werde die Welt hassen, wenn das jetzt einfach alles so vorüber geht. Wir haben beide nichts Schlimmes getan. Und du machst es durch dein Schweigen nicht besser.
Versprich mir, dass du gleich kommst und deine weichen Hände mitbringst! Dann rennen wir durch den Schnee, durch eine sterbende Welt, und rufen gemeinsam etwas ganz Neues aus. Schwörs mir!

Ich will dich nur sehen.
 
Ich denke voller Sorge noch an dein letztes Gesicht. Es kommt mir vor, als wolltest du sagen: Na. Stirb doch!
Weinend stehen die Bäume im Park und ich laufe unter ihnen weg. Ich sehe dich im Schnee spielen und auf der Bank sitzen und eine alte Oma umstoßen, Anna. Das sollst du alles nicht. Wenn du nicht hier wärest...
Bald stirbt der Tag und mit jedem Dunkel mein Auge.
Ich will jetzt dass du zu mir kommst, schreie ich laut. Ich werfe mir Schnee auf den Kopf, der in meinem hellen Haar nicht auffällt. Dann wünsche ich mir, deine Wimpern auszureißen. Lidlos will ich dich sehen. Dafür lasse ich mich auch schlagen.
 
Am dritten Tag nach deinem letzten Wort fängt die Welt an zu zerbröseln. Es beginnt in einer Ecke meines Wohnzimmers.
Ich weiss, du sitzt jetzt irgendwo und weinst. Und deine Seele wogt und rauscht wie Pappeln im Sturm.
Ich sitze neben dir und lutsche Marmelade von deinem Daumen. Im Fernseher läuft eine Brecht-Inszenierung. Der Kräutertee auf dem Glastisch ist kalt geworden. Und der Goldfisch in deinem Herzen ist verhungert. Du weinst noch.
 
Der eisige Atem deines Winters bringt uns fast um. Er füllt meine Manteltaschen mit Zauber.
Anna, du schämst dich sogar, mit mir einkaufen zu gehn. Wir sollten nicht gesehen werden. Das sagst du immer. Deshalb wünsche ich mir ewige Nacht. Das ist Selbstverleugnung, denn ich bin ein Kind der Sonne.
Nun denkst du, es ist überstanden? Hast dein kleines dummes Herz ausgebaut und gut weggeschlossen?
Ich finde dich noch. Und dann nehme ich dich dir weg.




hmmm?
 
Da Feuer ißt mich langsam auf. Anna, du stehst und weinst. Dein Mund zieht sich dabei ganz weit nach unten. Als ob dein Gesicht zerbrechen will. Das lasse ich nicht geschehen. Von wegen.
Ich zerre dich noch einmal in diesen Winterpark. Und ich will dich tragen. Wenn schon unmöglich, dann ganz und gar. Also trage ich dich und kreische dabei und alle Leute schauen zu uns. Ich schreie und küsse dich und werfe dich dann in den Schnee. Und trete vor lauter Wut nach dir. Und weine vor Freude oder was sonst. Dann ist für lange, schlimme Tage Stille.
 
Unsere erste Begegnung war schön, Anna. Ich hab deine Füße in weissen Seidenstrümpfen gesehen in einer Umkleidekabine im Karstadthaus. Unter der Kabinentür hindurch. Ich hab die Tür aufgerissen, sehe dich noch im Unterrock, eine Hose in der Hand haltend, den Mund ein wenig offen und sprachlos. ich hab dich noch gefragt, ob ich dich küssen darf, bevor mich das Personal entfernt hat. Und dann habe ich eine halbe Stunde unten vor der Tür gewartet, um dich zu einem Kaffee einladen und deine leuchtenden Augen sehen zu dürfen. Und du hast mir nie gesagt, wieso du überhaupt noch mitgekommen bist. Du hast den ganzen Abend gezetert wegen diesem Auftritt, und mir dann deine Nummer gegeben.
Ich schreibe dir das nur, damit du das wieder vor Augen hast. Damit du mich noch wieder siehst. Das will ich nämlich.
 
Du bist so sensibel. Man muß eigentlich vorsichtiger mit dir umgehen als ich Lust dazu hatte.
Nach dem ersten Mal mit mir hast du lange geweint. Dann nach mir geschlagen und geworfen. Du wolltest meine Mutter anrufen. Ich weiss gar nicht warum. Anna, du bist dumm und ich will dich im Schnee ersticken. Oder mit dir rodeln gehn. Vielleicht hälst du das alles für eine Katastrophe. Aber ich sag dir, es ist einfach nur anders als vorher. Und etwas schöner.
 
Sehr gut.

Ich finde die Texte sehr beeindruckend. Sie haben eine eigene Sprache und Haltung, und das ist das, was mich an Literatur interessiert. Kompliment.
 
Vielen Dank, Stefan. Ich hatte mich schon gefragt, wann sich mal jemand traut, in meine Textreihe rein zu platzen.
Doch zurück zu dir, Anna. Ich bin mit dir noch nicht fertig. Ich glaube, du hältst mich nur für einen ganz normalen, vielleicht etwas verruchten Menschen. Traust mir nicht zu, daß mir vielleicht irgendwo in den Bergen eine verwunschene Grotte gehört. Oder daß in meinem Appartement ein fliegendes Pferd versteckt ist, oder sowas. Versprechen kann ich dir nichts. Aber neugierig will ich dich auf mich machen. Deine tiefen Augen vor Gier glänzen sehen. Vor lauter Gier auf mich. Das wäre ein Traum.
 
Ich sehe dich. Ich trete von hinten an dich heran und umarme dich lustvoll. Ich fühle deine Brüste und beiße sanft in deinen weißen Hals. Zornig und erregt läufst du davon.
Sowas träume ich immer wieder, Anna. Komisch, nicht? Ich glaube fast, daß du etwas zu idealistisch für mich bist. Das werde ich erst an dir kaputtmachen, bevor ich glücklich mit dir werde.
 

ferni

Mitglied
eine art hass-liebe?

hallo!

hab' gerade die beiträge gelesen und find' sie toll geschrieben! soll es sich da um eine hass-liebe drehen? als ich die kleinen geschichten las, kam es für mich so rüber. auf jeden fall ganz toll! :)

gruß,

mareike
 
Eine Geschichte von Verführung und Flucht

Es ist schwer, das zu fassen, Mareike. Es geht wohl hauptsächlich um Ängste und vorgeprägte Sittenregeln. Ich versuche zu zeigen, wie jemand Stück für Stück gegen das vorgeht, was über Jahre hinweg in ihn (oder sie) als moralisch verwerflich eingepflanzt wurde. Es ist der Versuch, einer persönlichen Befreiung zu zu sehen. Leider laufen solche Prozesse nicht imme ohne Schmerzen ab. Und manchmal braucht man einfach noch jemand anderen, der als Katalysator das Ganze etwas ins Rollen bringt.
So stehen sich dann anerzogene Vorstellungen und Menschen, die etwas anderes darstellen und damit sowohl ruchlos als auch faszinierend wirken, gegenüber.
 

Suzie

Mitglied
dark secret love

Hallo,
ich verfolge deine "Briefe" an Anna schon eine Weile, wollte aber diese Monologe irgendwie nicht unterbrechen...
mir gefallen die Texte auf eine seltsame Art und Weise... mich schaudert's...
die Sprache ist sehr... beißend und bohrend...
 
Hallo Suzie,

das beißend und bohrend musst du mir glaub ich näher erklären. Nicht unbedingt, weil ich mir nichts darunter vorstellen könnte. Vielleicht will ich es aber etwas genauer wissen.
Jedenfalls freut es mich sehr, daß man die Entwicklung meiner kleinen Anna-Serie verfolgt.

Liebe Grüße. Magdalena
 
Die Welt schwitzt kalten Nebel aus, Anna. Sie sehnt sich nach dir. Wann hat dich zum letzten Mal ein lebendes Wesen gesehn?
Ich reiße die Arme nach oben und genieße mit Wollust, wie die Regentropfen an meinen Handgelenken abwärts rinnen. So will ich stehen bleiben, bis meine Arme völlig nass sind. Jemand bewundert gerade meine schönen Augen und freut sich, wie ich im Regen lachen kann. Ich schlage ihm übermütig ins Gesicht, beginne wie toll zu lachen und laufe ins Weite. Ich laufe aus dem Bild raus. Ach Anna!
 
Nun sags mir schon! Sag mir, was du verstehst. Daswillst du doch gefragt werden, nicht wahr? Bin schon neugierig. Deine Antwort ist so kryptisch wie spartanisch.

Gruß, Magdalena
 
Aha. Na wenigstens lächelt der Kleine.
Anna kann ihre Gefühle auch nicht zeigen. Aber es blitzt und rumort so in ihren Augen. Man müsste auf ihr liegen, ihre weißen Arme nach rechts und links zur Seite drücken und sie in Ruhe betrachten, dieses störrische Wesen. Dann könnte man das alles bemerken. Aber zumeist sind ihre Arme vor der Brust verschränkt und sagen: "Los, hol mich erst hier raus!" Wenn sie weint, habe ich Angst, sie schwemmt die Welt weg. Ich habe dann nichts Festes mehr unter den Füßen.
 
Anna,

ich rauche zuviel wegen dir. Was es mit dir zu tun hat, kann ich im Moment nicht genau erklären. Aber es ist eine Tatsache. Und ich werde immer blasser vor Begierde.
Demnächst wird es wieder warm, dann gehen wir beide zusammen baden, ja? Ich will neben dir gesehen werden, neben deinem Körper. Und dich unter Wasser mit meinen Beinen umklammern. Ertränken.
Oder wir probieren etwas ganz anderes, Anna. Ich komm zu dir rüber und bitte dich um Verzeihung, sobald ich weiß, weswegen. Und dann schneiden wir zusammen lachend Brüste, Lottozahlen und Papstmützen aus der Bildzeitung aus und kleben sie dicht an dicht auf ein Blatt Papier. Dann werfen wir es zum Fenster hinaus, irgendwann abends. Du rauchst und ich sterbe.
 



 
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