Annehmen

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Tehdry

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Goldschatz

Würde sie jemals als gleichwertig respektiert werden? Oliver beobachtete seine kleine Tochter, die vor dem Kaninchenstall auf dem Rasen hockte und vergnügt juchzend in die Hände klatschte. Kindlich unbekümmert, mit ihren zweieinhalb Jahren noch ahnungslos gegenüber dem Leben, was sie vielleicht auf ihre Art bleiben würde. In Momenten wie diesen lösten ihre zuweilen leicht stupide wirkenden Gesichtszüge eine schmerzhafte Zärtlichkeit in Oliver aus. Sein Goldschatz. Das war in den ersten Monaten noch nicht so. Da lag sie ihm bleischwer auf der Seele und nahm ihm die Leichtigkeit seiner Träume. Julia war nicht das Kind, das er sich so sehr gewünscht hatte. Seine Vorstellungen hingen anderen Bildern nach, in denen ihn inmitten von Stupsnäschen und Pausbacken zwei wunderschöne, strahlend blaue Kulleraugen anlachten. Ihre Augen hingegen waren anders, sie selbst war nicht so, wie sie sein sollte, und der Stachel der Enttäuschung saß tief. Er hielt Julia in den Armen, wollte sie aufrichtig lieben, tat es aber nur halbherzig und mit schlechtem Gewissen, seine Frau noch nicht mal das.

An irgendeinem unbefangen sonnigen Morgen vor zwei Jahren, er war mit ihr alleine zu Hause, passierte es. Oliver zog die Vorhänge beiseite, das Sonnenlicht flutete hinein und tauchte das Zimmer in eine fröhliche Unbeschwertheit, in der die Staubpartikelchen in der Luft tanzten. Als er an ihr Bett tritt, liegt sie da, schon wach, reckt ihm die Arme entgegen und strahlt ihn an. So wie sie es schon häufiger getan hatte, nur diesmal war es anders. Diesmal war es befreiend. Mit einmal erschien ihm die Art, wie sie ihre Zunge bewegte, immer nur vor und zurück, als ein Ausdruck unbeschwerter Lebensfreude und nicht länger als das, wie er es sonst empfand – behindert. So, wie die meisten seiner Freunde immer noch empfanden. Seine Frau ging einen Schritt weiter. Julia war für sie ein Klotz am Bein. Und ihr Downsyndrom ein Spiegelbild seines Versagens. Sein Problem. Seine Samen. Sie schaffte es, dass er sich schuldig fühlte. Schlimmer noch, er erniedrigte sich ständig selbst, weil er sie trotzdem wie eh und je begehrte.

Hier, deine Tochter schreit mal wieder, oft gehörte Worte, wenn sie ihm Julia in die Hand drückte, die offensichtlich genau ihre ablehnende Haltung spürte. Barbara hatte ihr Leben verlagert und ging als Agenturchefin konsequent ihrer Karriere nach, während es sein Job war, sich um Haus und Kind zu kümmern. Nach wie vor schlummerte ein Funken Hoffnung in ihm, irgendwann mit ihr diese Freude an Julia teilen zu können. Schließlich hatte er auch seine Zeit gebraucht.
Sein Bruder Thorsten hielt ihn hingegen für rettungslos naiv. Ihr seid nicht zu dritt, du bist zweimal zu zweit. Schalt mal dein Hirn ein. Seine Anmerkung, als er von seinen Urlaubsplänen mit Barbara und Julia erzählte, sie zu dritt zwei Wochen in einer Finca auf Formentera, Pläne, die im Nichts verpufften.

„Mein Gott, wo bist du denn gerade? In irgendeiner Weltuntergangsstimmung gelandet?“
Beates Stimme zerrte ihn wieder aus seiner Versunkenheit heraus. Für Momente hatte er ihre und Thorstens Anwesenheit völlig vergessen, die beide auf Wochenendbesuch waren.
„Entschuldigt, hab gerade über den Urlaub nachgedacht.“
„Du meinst den geplatzten? Das klingt mir nach einer guten Idee. Wie schade nur, dass Barbara gar nicht mehr da ist. Der ist das nämlich furzegal, die weilt bekanntlich schon längst auf einem anderen Planeten. Erst Geschäftsreise, jetzt ein kleiner Segeltörn zur Entspannung.“ Thorsten presste den Handrücken an die Stirn, ihre Geste, in der stets ein Hauch von Drama mitschwang, und ahmte ihren bühnenreifen Tonfall nach. „Ich muss unbedingt mal wieder den Akku aufladen.“
Beate funkelte ihn an.
„Wie wär's zur Abwechslung mal mit einem konstruktiven Beitrag statt ständig auf Barbara rumzuhacken?“
„Ach was? Ich hacke auf Barbara herum?“ spottete er. „Ja verdammt noch mal, wieso denn auch nicht? Und das Ganze mit wachsender Begeisterung. Von Anfang an hat diese wandelnde Diva Julia abgelehnt, sie wollte ihre eigene Tochter ja noch nicht mal stillen!“
Ihm war anzumerken, wie viel Kraft es ihn kostete, nicht die Beherrschung zu verlieren. Er saß vornüber gebeugt, die Hände beschwörend nach vorne gerichtet.
„Egal was, alles bleibt bei Oliver hängen.“ Er zählte an den Fingern ab. „Windeln, Füttern, Trösten, Spielen, hinbringen zum Kindergarten, wieder abholen, Untersuchungen, das volle Programme. Aber was mich beinahe genauso sauer macht, dass sich dieser Traumtänzer hier tatsächlich noch ein zweites Kind wünscht. Das muss der Mensch sich mal auf der Zunge zergehen lassen – ein zweites Kind mit dieser karrieregeilen, durch und durch egomanischen Frau. Und dann diese ständigen...“
„Ist gut jetzt“, unterbrach ihn Oliver. Er tat es reflexhaft, denn insgeheim gefielen ihm die Tiraden seines Bruders. Der nahm wenigstens kein Blatt vor den Mund, ganz im Gegensatz zu ihm, der viel zu viel hinnahm. Der perfekte Hausmann, der ihr den Rücken freihielt. Der Lohn: Haus, Garten, Auto. Mehr, als er sich selbst als freiberuflicher Journalist leisten konnte.

„Thorsten, auch wenn ich mich wiederhole“, fuhr er fort, „du kannst nun mal nicht nachfühlen, wie es ist mit einem behinderten Kind, wie es dein oder besser euer Leben verändert. Was immer du dir vorstellst, es bleibt zwangsläufig oberflächlich. Ihr seht Julia, erlebt wie großartig sie sein kann. Daneben kommt eine Barbara natürlich schlecht weg.“
Oliver atmete tief durch und stieß einen verhaltenen Seufzer aus.
„Okay, sie kann ihrem eigenen Kind offensichtlich keine Liebe schenken. Nur – willst du sie deswegen verurteilen? Wird das der Sache gerecht? Angenommen, du empfindest keinerlei Zuneigung oder Zärtlichkeit für jemanden. Aus welchen Gründen auch immer. Glaubst du allen Ernstes, du kannst dir derartige Gefühle aneignen wie irgendeine Fremdsprache? Wenn dein Kind behindert zur Welt kommt, dann hat das zuallererst etwas Verstörendes. Zumindest bei den meisten wird es so sein. Ich hatte genauso damit zu tun, wie du weißt. Und manche finden da eben nicht wieder raus. So etwas lässt sich nun mal nicht erzwingen.“ Sein Blick wanderte kurz zu Julia, die inzwischen völlig versunken mit ihrer Puppe spielte. „Du könntest platzen vor Glück, möchtest die ganze aufgestaute Liebe kübelweise über dein Baby ausschütten, doch stattdessen, ich weiß gar nicht, wie ich es beschreiben soll, irgendwie fühlt sich alles falsch an, und dir wird gnadenlos bewusst, wie du zögerst. Du zögerst, unvoreingenommen dein Kind in den Arm zu nehmen und zu sagen, hallo mein Engel, schön das du da bist.“
„Das mag ja sein, aber bei Julia fällt es doch kaum auf, dass sie behindert ist. Außerdem, was bedeutet das schon? Mit der richtigen Förderung kann sie genauso leben wie andere auch. Inzwischen sind selbst Abitur und Studium keine unüberwindbaren Hürden mehr. Und selbst wenn Julia dafür die Voraussetzungen fehlen sollten, heißt das letzten Endes auch nichts anderes, als dass sie keine Karriereaussichten bei der Bank hat und ebenso wenig in intellektuellen Kreisen Furore machen wird.“
„Herrgott noch mal, du machst es dir ein bisschen sehr bequem. Eine lockere Bemerkung macht noch kein lockeres Leben.“
Wie so oft reagierte Beate gereizt auf die saloppe Art Thorstens.
„Ich frage mich oft, welche Perspektiven Julia in ihrem Leben haben wird. Wo sich alles um Leistung dreht, um funktionieren, dynamisch sein, Erfolg haben, am besten noch gepaart mit einem attraktiven Äußeren. Dann wieder sag ich mir, dass glücklich sein von anderen Dingen abhängt.“
„Ich wollte auf etwas anderes hinaus“, erwiderte Oliver. „Auf dieses völlig Unvorbereitete, diese schmerzhafte Konfrontation mit deinen eigenen Abgründen. Wenn ich eben von zögern sprach, dann steckt da wesentlich mehr dahinter. Das geht so weit, dass ich mich für meine eigenen Gedanken geschämt habe.“ Er musste kurz schlucken.
„Der Pakt mit dem Teufel. Was gäbe ich darum, könnte ich das Rad zurückdrehen. Dieses deprimierende Hadern mit dem Schicksal. Warum gerade wir. Eine quälende, absolut überflüssige Frage und doch eine, die sich gnadenlos ins Hirn bohrt. Und dann dieses hätte wenn und aber. Wir hätten eine glückliche Familie sein können, mit einem gesunden Kind und tollen Zukunftsplänen. Auch ich musste es erst lernen, Julia wirklich zu lieben. Erst dann wurde mir bewusst, wie kurz davor ich war, mein eigenes Kind zu verraten.“
Aufgewühlt nahm er einen großen Schluck Wein.
„Wirklich, einfach nur unverzeihlich. Umso mehr, weil Julia diejenige ist, die mir überhaupt erst gezeigt hat, was unvoreingenommen lieben heißt. Und dann ihr unglaubliches Gespür für Stimmungslagen. Sie weiß bereits, dass etwas in der Luft liegt, bevor du selbst es merkst.“

Er verstummte und ein nachdenkliches Schweigen setzte ein. Julia pflückte inzwischen Gänseblumen.
„Also, wenn ich dich richtig verstehe, geht es also deiner Frau ähnlich. Oder besser gesagt, sie ist in so einer Art Abwehr stecken geblieben“, nahm Beate nach einer Weile den Gesprächsfaden wieder auf. „Okay, scheint also zu passieren. Nur was ich weniger kapiere: Wieso holt sie sich keine professionelle Hilfe? Oder ihr gemeinsam? Ist doch heutzutage keine Geschichte mehr. Und außerdem, zu verlieren habt ihr doch eh nichts.“
Oliver runzelte die Stirn.
„Ehrlich gesagt, Vorschläge der Kategorie „zu verlieren habt ihr eh nichts“ finde ich problematisch. Das sagt sich so leicht, Therapie machen. Ich entblättere nicht mal so eben meine Seele im Vorübergehen. Und zu zweit dasitzen, endlich mal rauslassen, was schon die ganze Zeit raus wollte, das in Gegenwart eines Menschen, der einfach was Voyeuristisches haben muss, wenn er einen solchen Job macht, der alles über mich weiß, ich aber kaum etwas über ihn, nein danke, das klingt alles andere als verlockend.“ Julia guckte merklich irritiert rüber, weil seine Stimme laut geworden war, und Oliver lächelte ihr winkend zu. „Entschuldigt, gibt keinen Grund laut zu werden. Aber um die Sache mit der professionellen Hilfe abzuschließen, ich bezweifele sowieso, dass ein Gefühl wie die Liebe therapierbar ist.“
Er räusperte sich kurz, wie jedes Mal bei diesem Thema schien ihm der Hals auszutrocknen. „Ich stecke in einer beschissenen Sackgasse fest. Die beiden Menschen, mit denen ich mein Leben teilen will, finden nicht zueinander. Und manchmal denke ich, wer weiß, vielleicht bin ich das eigentliche Hindernis.“
„Natürlich, mea culpa. O Herr, ich versinke in einem Jammertal.“ Der sarkastische Tonfall in Thorstens Stimme war nicht zu überhören.
„Du eierst herum, das ist dein Problem. Stell dich den Realitäten und triff Entscheidungen, zu denen du dann auch stehen kannst.“ Herausfordernd sah er ihn an. „Du hättest so gerne noch weitere Kinder? Vergiss es. Du hoffst, Barbara legt demnächst eine Kehrtwendung hin und ihr werdet eine glückliche Familie? Vergiss es. Du entscheidest dich mit dem hier“, sein Arm wanderte von Julia über den Garten zum Haus, „für das Leben, das du jetzt schon führst. An dem, wie es ist, wird sich nämlich nichts ändern. Also nimm es hin oder bring deinen Arsch in Stellung. Aber tue mir den Gefallen und hör auf im Morast zu wühlen.“

Oliver starrte auf das Glas in seinen Händen und nickte schweigend mit dem Kopf. Er glaubte selbst nicht an den Strohhalm, an den er sich klammerte. Gleichzeitig verunsicherte ihn der Gedanke, mit der Kleinen auf sich allein gestellt zu sein. Auch wenn er sich um fast alles kümmerte, was sie betraf, es machte einen Unterschied, es in jedem Fall zu müssen.
„Papa, für dich!“ Unbemerkt war Julia an ihn herangetreten und hielt ihm strahlend einen Strauß Gänseblümchen vor das Gesicht.
„Oh, was sehe ich denn da? Ein wunderschöner Blumenstrauß, überreicht von meiner edlen Prinzessin. Eure Hoheit machen mich sehr glücklich.“ Bei den letzten Worten machte Oliver im Sitzen eine tiefe Verbeugung, die Julia mit einem Kichern quittierte.
„Wie, und ich?“ Thorsten verzog das Gesicht zu einer traurigen Flunsch und klimperte mit den Augenlidern. Mit einem Glucksen nahm Julia ein paar Blumen aus dem Strauß und ging zu Thorsten rüber. In dem Moment läuteten die Hell Bells von AC/DC. Sein Smartphone, das Foto von Barbara erschien auf dem Display.
 
A

Architheutis

Gast
Hallo und Willkommen Andreas,

ein wagemutiger Text, denn das Thema ist kein leichtes. Solche Texte sind aber enorm wichtig, dafür hast Du schonmal meinen Respekt!

Kümmern wir uns um die literarische Umsetzung:

Würde sie jemals als gleichwertig respektiert werden? Oliver beobachtete seine kleine Tochter, die vor dem Kaninchenstall auf dem Rasen hockte und [strike]vergnügt[/strike] juchzend in die Hände klatschte.
In dem "juchzend" steckt genug vergnügt bereits drinnen, so dass es doppelt ist.

Adjektive beschreiben sehr, nehmen dem Leser daher Raum seines Kopfkinos und sollten daher so sparsam wie irgend möglich verwendet werden. Nur, wenn unbedingt erforderlich, wenn ohne das Bild zu vage bleibt!

Kindlich unbekümmert, mit ihren zweieinhalb Jahren noch ahnungslos gegenüber dem Leben, was sie vielleicht auf ihre Art bleiben würde.
Kindlich - unbekümmert - ahnungslos

Zu viele Adjektive für das selbe Thema, siehe oben. Hier ist es deutlich redundant.

Mein Tipp: Streiche den ersten Absatz komplett!

Fange mal selbst bei Absatz 2 an zu lesen. Hier wird man direkt in die Geschichte gezogen, der Leser fragt sich, was ist "es", das passierte? Und liest weiter!

Auch sind in dem Absatz genug Informationen vorhanden, der Leser begreift den Text auch ohne den erklärenden ersten Absatz. Wiederum werden hier Informationen gedoppelt.

Leser reagieren zornig und/oder gelangweilt auf Doppelungen: Schon wieder! oder Hält der mich für so doof, dass er es ständig wiederholen muss?

Seine Frau ging einen Schritt weiter. Julia war für sie ein Klotz am Bein. Und ihr Downsyndrom ein Spiegelbild seines Versagens. Sein Problem. Seine Samen. Sie schaffte es, dass er sich schuldig fühlte. Schlimmer noch, er erniedrigte sich ständig selbst, weil er sie trotzdem wie eh und je begehrte.
Ja! So geht das, hier ist nichts zu viel, hier öffnest Du eine Welt, in die Dir der Leser gerne folgt. Wunderbar, wie Du es schaffst, "Schuld" in das heikle Thema einzubauen. Erzählerisch gut! ;-)

"es passierte" passt nicht ganz in den Duktus des Versagens. Ich stellte hier den Gegensatz seiner Liebe zum Versagen ein wenig klarer heraus.

Barbara hatte ihr Leben verlagert und ging als Agenturchefin konsequent ihrer Karriere nach, während es sein Job war, sich um Haus und Kind zu kümmern. Nach wie vor schlummerte ein Funken Hoffnung in ihm, irgendwann mit ihr diese Freude an Julia teilen zu können. Schließlich hatte er auch seine Zeit gebraucht.
Sein Bruder Thorsten hielt ihn hingegen für rettungslos naiv. Ihr seid nicht zu dritt, du bist zweimal zu zweit.
Du baust ein weiteres Thema ein: der Mann als Mutter. Das Dilemma des heutigen Mannes. Das ist gekonnt, überfrachtet das Leitthema nicht, sondern macht es durch eine weitere Schattierung reicher, ja verständlicher.

"Du bist zweimal zu zweit" -> grandios! Schöne Eigensprache, das gefällt mir sehr.


Die folgende Dialogszene ist flüssig geschrieben und lockert den Text auf. Auch gut. ;-)

Das muss der Mensch sich mal auf der Zunge zergehen lassen – ein zweites Kind mit dieser karrieregeilen, durch und durch egomanischen Frau. Und dann diese ständigen...“
Ein weiteres Thema wird eingeführt: ein weiteres Kind.

Hier lässt Du für meinen Geschmack etwas liegen. Ich hätte mir gewünscht, hier einen Vorwurf wie "reicht Dir ein behindertes Kind nicht? Die Gene bla..." usw. Du verstehst?

Das machte den Text noch schärfer, noch tiefer. Schade.

„Der Pakt mit dem Teufel. Was gäbe ich darum, könnte ich das Rad zurückdrehen. Dieses deprimierende Hadern mit dem Schicksal. Warum gerade wir. Eine quälende, absolut überflüssige Frage und doch eine, die sich gnadenlos ins Hirn bohrt. Und dann dieses hätte wenn und aber. Wir hätten eine glückliche Familie sein können, mit einem gesunden Kind und tollen Zukunftsplänen. Auch ich musste es erst lernen, Julia wirklich zu lieben. Erst dann wurde mir bewusst, wie kurz davor ich war, mein eigenes Kind zu verraten.“
Hm, ist mir als Dialog ein wenig zu abgeklärt. Wer spricht denn so, vor allem, wenn er innerlich aufgewühlt ist? Die Sprache stimmt hier nicht zum Bild.

„Oh, was sehe ich denn da? Ein wunderschöner Blumenstrauß, überreicht von meiner edlen Prinzessin. Eure Hoheit machen mich sehr glücklich.“
In dem Moment läuteten die Hell Bells von AC/DC. Sein Smartphone, das Foto von Barbara erschien auf dem Display.
Diese kurze Sequenz stellt das Gesamtbild nochmal dar, schliesst den Text sinnvoll ab. Es bleibt etwas im Raum hängen, etwas Unbeantwortetes. Das macht eine gute Kurzgeschichte aus.

Dein Schreibstil ist sicher. Man merkt, dass Du bewusst schreibst, dass der Text hier von Dir sicher mehrfach überarbeitet worden ist. Du weisst, wie man Bilder erzeugt und bist Dir deren Wirkung bewusst.

Mein Rat:

- Prüfe Doppelungen

- Gib den Dialogen einen Sprachstil, der zum Bild passt

Ein heikles Thema, aber in einem gelungenen Text verarbeitet. Weiter so!

Lieben Gruß,
Arhci
 

Happy End

Mitglied
Hallo Tehdry,
eine Geschichte, die von den unbequemen Gefühlen eines Vaters für sein behindertes Kind erzählt.
Ehrlich und glaubwürdig.
Ich habe sie mit Interesse gelesen.
 

Nosie

Mitglied
Ich schätze es sehr, wenn es in einer Geschichte ans „Eingemachte“ geht. Zu erfahren, was ein Mann im Innersten fühlt, ist eine seltene Wohltat, denn allzu oft bekommt man nur die "starke" Seite zu Gesicht. Von daher gefällt mir deine Geschichte sehr gut und ich habe eine ganze Weile darüber nachgedacht.
An deinem Schreibstil gibt es auch nichts zu mäkeln.
Das, was du deinem Protagonisten in direkter Rede in den Mund legst, klingt mir aber z.B. hier zu kopfgesteuert, heroisch und nicht ganz ehrlich:
„Okay, sie kann ihrem eigenen Kind offensichtlich keine Liebe schenken. Nur – willst du sie deswegen verurteilen? Wird das der Sache gerecht? Angenommen, du empfindest keinerlei Zuneigung oder Zärtlichkeit für jemanden. Aus welchen Gründen auch immer. Glaubst du allen Ernstes, du kannst dir derartige Gefühle aneignen wie irgendeine Fremdsprache? Wenn dein Kind behindert zur Welt kommt, dann hat das zuallererst etwas Verstörendes. Zumindest bei den meisten wird es so sein. Ich hatte genauso damit zu tun, wie du weißt. Und manche finden da eben nicht wieder raus. So etwas lässt sich nun mal nicht erzwingen.“
Keine Zuneigung für irgend jemanden zu empfinden, ist nicht verurteilenswert, aber sie für das eigene Kind nicht zu empfinden, doch. Dass er seiner Frau gegenüber keinen Groll hegt, kann ich nicht glauben.
Auch geht sein psychologisches Verständnis weit über das übliche Maß hinaus, da will es mir nicht ganz ins Bild passen, dass er Psychotherapeuten gegenüber so voreingenommen ist und ihnen Voyeurismus unterstellt.
Was ich nicht verstanden habe, ist der Strohhalm, an den er sich zum Schluß klammert. Ist das der Gedanke, seine Frau zu verlassen? Also doch Groll?

Mit großem Interesse gelesen.
Nosie
 



 
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