Annem-Trilogie Teil II: Die Macht des Blutes

putorius

Mitglied
Zurück zu Teil 1


Die Macht des Blutes
Zweiter Teil der Annem-Trilogie

PROLOG

Am Abend nach der Schlacht versank die Sonne gleich einem geschwollenen Auge hinter den Ausläufern des Siebenwaldgebirges. Der Kampflärm hatte sich schon beinahe gelegt, war einer hohlen Stille gewichen, die nur von gelegentlichen suchenden Rufen gestört wurde. General Shargar sah vom Burgturm aus auf die Reste der Telfenischen Schutzflotte, die nunmehr zur Gänze aus Treibholz bestand und gestattete sich ein dünnes Lächeln. Ja, die Eroberung war besser als geplant über die Bühne gegangen. Über dem Gerberviertel schwenkte eine Dreiergruppe von Rotdrachen in eine enge Schleife und stieß auf eines der letzten Widerstandsnester hinab. Schwarzer Qualm und geborstene Holzträger, die aus der Entfernung wie eine Handvoll verkohlter Tannennadeln aussahen, stiegen in die Rauch geschwängerte Luft auf, um gleich darauf wieder als feine Aschewolke nieder zu rieseln.
"Meinen Glückwunsch, Shargar."
Shargar drehte sich zu Tost'agir um und senkte demütig das Haupt. "Es hat nichts mit Glück zu tun, Meister. Oft wird die Kampfkraft der Menschen an den Leistungen ihrer Kampfmagier gemessen. Ein leichtfertiger Irrtum, dessen ich mich bedient habe."
"Das wird die Zukunft zeigen. Noch profitieren wir von dem Überraschungsmoment, aber mit Sicherheit werden die Menschen schlagkräftige Truppen aufstellen."
Shargar lächelte und legte den Kopf leicht schief. "Daran habe ich bereits gedacht. Im Westen liegt eine fast endlose Grasebene, die bis zu einem großen Meer reicht. Die Gegend ist praktisch unbewohnt und es gab noch nie Gründe dafür, ein Heer aufzustellen. Am ehesten droht Gefahr aus dem Süden, da dort die Kaiserlichen Truppen der nahen Hauptstadt Kawydor stehen. Sie sind gut ausgebildet und auch deren Magier sollten uns den nötigen Respekt abverlangen. Aber sie werden es schwer haben, nach Telfens zu gelangen, es sei denn, Kaiser Rungal will seine Mannen durch den Nordweg quetschen, der die einzige Verbindung zwischen Südannem und Nordannem darstellt."
Tost'agir nickte zum Hafen hinab. "Es sei denn, man versucht es über den Seeweg, General."
"Ihr sagt es, Meister."

DIE MACHT DES BLUTES

Hrinko Enderlode knallte die schwere Eisentür zu. "Die Vorräte reichen für Monate. Ein Problem weniger. Notiere das, Insro!"
"Klar, schon in Arbeit." Insro Dauling kratzte mit dem Schreibdorn die Symbole für 'gefüllt' und 'Korn' in den Sandstein neben der besagten Türe. Zusammen mit seinem Mentor Hrinko zählte er zu den wenigen Zwergen, die nicht mit den Drachen Farlowees sympathisierten. Und tatsächlich war der Angriff auf die Königsstadt Kalhem unter dem gemeinsamen Beschluß von Drachen und Zwergen erarbeitet und auf den aussagekräftigen Namen 'Operation Brückenkopf' getauft worden. Rotdrachen hatten daher im Schutze der Nacht Dutzende von mit Zwergen besetzten Landungsschiffen über die Meerenge zwischen Farlowee und Annem gezogen während die Rotdrachen unter der Führung Tost'agirs die Stadt dem Erdboden gleich gemacht hatten. Jetzt sicherten die Echsen das Umland, wohingegen die Zwerge die Aufgabe hatten, letzte Widerstandsnester zu eliminieren und Bestandsaufnahmen durchzuführen. Hrinko und Insro waren dazu eingeteilt worden, in den Kellern einer großen Taverne nach Schätzen aller Art zu suchen, wozu besonders Vorräte zählten, die für die bevorstehenden Kämpfe im Augenblick weitaus wichtiger waren als Gold und Juwelen.
Hrinko kramte einen fingerlangen Holzspan aus der Hosentasche und entzündete ihn an einer Wandfackel. Damit wiederum steckte er sich seine Steinpfeife an, aus der er drei tiefe Züge nahm. "Was denkst du, Insro. Wie können wir zwei Winzlinge dieses sinnlose Blutvergießen aufhalten?"
Insro zögerte kurz. Nun ... wir sind zwei gegen tausend. Und es wäre schon mehr als Glück, wenn ..." Hrinko brachte seinen Famulus zum Schwingen, indem er ihm mit dem ausgestreckten Arm gegen die Brust schlug. Der wollte zwar protestieren, aber ein Blick ins Gesicht seines Mentors genügte, um zu schweigen. Hrinko starrte den Gewölbetunnel hinab zu einer Stelle, wo dieser in einen offenbar größeren Quertunnel ausmündete. Insro lauschte. Schritte. Schlurfende Schritte, Metall, das vom harten Stein scharf widerhallte. Und noch mehr. Beide waren inzwischen rückwärts zu einer Stelle gegangen, an der der Tunnel einen scharfen Knick machte und konnten nun gerade noch erkennen, wer oder was da in dem Gewölbe unter der Taverne herumlief. Da! Nur kurz konnte man im huschenden Zwielicht der Pechfackeln einige Gestalten erkennen. Eine kleine Gruppe, die in rascher Gangart durch die Keller zog. Ein kurzes Aufleuchten einer Handfackel, das in Hrinko und Insros Gang züngelte, dann war die Gruppe schon vorbei, und die Geräusche wurden schnell leiser.
"Brat mir nen Erdling, Insro. Das waren Zwerge! Was bei den sieben Höllen haben die hier zu suchen?"
Insro kratzte sich in seinem strohblonden Bart. "Sah nicht so aus, als ob die viel Wert darauf legen, unentdeckt zu bleiben."
"Das sehe ich genau so. Still!" Ein scharfes Klacken ertönte, dann folgte das schwere Ächzen verrosteter Türangeln. Fünf Herzschläge später fiel die Türe laut krachend ins Schloss, das Klacken ertönte erneut und auch die Schritte wurden wieder lauter. Als die seltsame Gruppe wieder an der Ausmündung vorbei gepoltert war, kehrte endlich Ruhe ein. "Soso, da hat jemand was zu verstecken. Wollen doch mal sehen, was es ist." Hrinko wollte los gehen, aber Insro hielt ihn an der Schulter zurück. Der Mentor drehte sich zu seinem Famulus um und schickte ihm einen Blick entgegen, der giftiger war als tausend Vipern; also ließ er ihn los.
"Nun, ... du willst sicher nicht ohne mich gehen."
Ein belustigtes Lächeln huschte über Hrinko Enderlodes bärtiges Gesicht und er mußte amüsiert den Kopf schütteln. "Dann mal los, Insro Dauling!"
Die Türe war schnell gefunden, denn es gab in dem Querkorridor nur eine Türe aus Metall, und von den anderen waren alle aus Holz und so morsch dass diejenigen, die nicht sowieso schon sperrangelweit offenstanden, schon vom ansehen zu Staub zerfielen. Hrinko preßte sein Ohr gegen das kühle Metall und lauschte angestrengt, aber seinem Gesicht konnte man entnehmen, dass er nichts hörte. Also nahm er seine Windaxt vom Rücken und schlug dreimal kräftig mit der breiten Seite gegen die Tür. Dann drückte er sein Ohr erneut dagegen. "Ich kann etwas hören. Klingt so, als ob da jemand geknebelt wäre."
"Und jetzt? Das Schloss sieht recht solide aus."
Hrinko lächelte geheimnisvoll und tippte mit seinen kurzen Fingern ein paar mal auf die blanke Oberfläche. "Als dein Mentor sehe ich nun die Zeit für gekommen an, dich in die Wunderwelt der Runenmagie einzuweihen."
Insros Mund war mit einem Schlag staubtrocken. "Ich, ... ich weiß nicht was ich sagen soll."
"Sei einfach nur ruhig und sieh mir zu." Hrinko zog seinen Metalldorn aus der Gürteltasche und setzte ihn in Augenhöhe an das Metall. Er ließ die Spitze einige Momente darauf ruhen und ritzte dann eine große Raute in die Türe. "Das ist die Grundform. Je größer man sie zeichnet, desto akkurater muß sie sein. Allerdings ist dann auch die Zauberkraft höher." Der Mentor zog einige gebogene Linien in das obere Drittel, die ein wenig an Fischgräten erinnerten, gefolgt von einer Reihe waagrechter Zick-Zack Linien direkt darunter. "Jetzt kommen wir gleich an den Punkt, an dem die Magie zu wirken beginnt. Du gehst besser einen Schritt zurück. Insro nickte still und befolgte die Anweisung prompt. Hrinko zog einen perfekten Kreis durch die Ecken der Raute und die dünnen geritzten Linien begannen in zartem hellblau zu leuchten. Der Famulus keuchte auf. "So. Der Zauber ist aktiv. Nun muß ich ihn nur noch auslösen."
"Und das geht wie?"
"Recht einfach, und auch wieder nicht. Der Zauber wird nur aktiv, wenn ich die äußere Form exakt zeichne. Das kann ein Dreieck, ein Quadrat oder auch - wie hier - ein Kreis sein. Das Leuchten zeigt mir, dass alles geklappt hat. Aber um den Zauber auszulösen muß ich die Rahmenform im Abstand eines vorgegebenen Verhältnisses erneut ziehen. Wollen wir hoffen, dass es hinhaut." Der Mentor zog diesen zweiten Kreis um die Rune, worauf hin die Linien rot auf glühten. Sogar Hrinko wich vorsichtshalber einen Schritt zurück, während die Magie in die Türe eindrang. Zunächst breiteten sich vom Zentrum der Rune aus haarfeine rotglühende Linien radial über das ganze Metall aus, bis es aussah wie ein Spinnennetz aus glühenden Fäden; dann aber weiteten sich die Risse und Insro Dauling konnte deutlich eine zunehmende Hitze ausmachen, die sich schon bald fast ins unangenehme steigerte. Irgendwann war dann ein Punkt erreicht, an dem die Türe in sich kollabierte und zu faustgroßen halbgeschmolzenen Metallklumpen zerfiel. Die Hitzeentwicklung war so stark, dass sich sogar Teile des Türrahmens verflüssigten und als glühende Tropfen zu Boden zischten.
Hrinko Enderlode nahm eine der Wandfackeln aus ihrer Halterung und stieß sie durch die entstandene Türöffnung. "Man kann in dem Rauch nicht viel erkennen, aber es sieht aus, als ob da drinnen ein gefesselter Mensch sitzt."
"Und jetzt?"
"Jetzt wirst du da rein gehen und dem Mann die Fesseln lösen, Famulus Insro Dauling."
Insro schluckte hart. Er wußte, dass sein Mentor in solchen Dingen keine Widerrede duldete und schob sich über die noch heißen Eisenbrocken in den kleinen Raum. Der Mensch war gut verschnürt worden. Und sah ihm abschätzend in die Augen. Daher beschloß Insro, erst einmal den Knebel zu lösen, den man dem Mann verpaßt hatte.
Nachdem das getan war hustete der Mensch ausgiebig in der Rauch geschwängerten Luft. "Was soll das eigentlich? Zuerst nehmt ihr mich gefangen und nun befreit ihr mich wieder? Was läuft hier eigentlich?"
Mehr als ein Achselzucken fiel Insro auf Anhieb nicht ein, und er war froh, dass Hrinko nun ebenfalls in den Raum trat und sich räusperte. "Die Drachen und die Zwerge planen, Annem zu unterwerfen. Kalhelm soll der Brückenkopf für diesen Plan sein. Die Drachen sehen in Annem ihre alte Heimat, die ihnen vor Jahrtausenden zu unrecht entrissen worden ist, die Zwerge hingegen werden angezogen vom magischen Ruf der wertvollen Erze und Juwelen, die in den Bergen dieser Regionen ruhen. Aber es gibt eine Widerstandsbewegung unter den Zwergen, die dieses Vorhaben vereiteln wird."
Der Mensch blinzelte neugierig. "Diese Bewegung ... wieviele sind das und wo ist sie?"
Hrinko rollte unbeholfen mit den Augen und räusperte sich erneut und antwortete etwas schleppend. "Tja. Sehr viele sind es nicht. Es gibt nur wenige, die sich gegen diese Pläne stellen. Genau genommen ..." Hrinko schloß seine Hand zur Faust, spreizte den Daumen ab und ließ ihn zwischen ihm und Insro hin und her pendeln.
Der Gefangene ließ den Kopf nach hinten gegen die harte Steinwand knallen. "Oh nein. Es ist alles aus!"
Hrinko ließ sich in die Hocke sinken und begann, die Fesseln an den Beinen des gefangenen zu lösen. "Und wie kommt Ihr hier her? Es ist bei den Drachen unüblich Gefangene zu machen. Also. Was macht Euch so wertvoll für diese Viecher?"
"Keine Ahnung. Das hängt vielleicht damit zusammen, dass ich im Nordweg an der Beseitigung eines roten drachens beteiligt war. Ich bekam einen Hinweis darauf hier her zu gehen, das tat ich dann auch. Irgendwie muß mir mein Ruf vorausgeeilt sein, denn als ich die Stadt fast erreicht hatte, wurde ich von einem Trupp Zwerge gefangen und direkt hier her gebracht." Der Mentor hatte inzwischen auch die Handfesseln gelöst, so dass der Gefangene die Hand ausstrecken konnte. Insro hüpfte ungeschickt zurück und mußte mit seinem Gleichgewicht kämpfen.
"Keine Angst, so begrüßen sich Menschen nunmal. Mein Name ist Calyr. Calyr aus Kawydor."
"Ich bin Hrinko Enderlode, Magistus der Hohen Worte, das da ist mein Famulus. Insro Dauling. Aber nun sollten wir sehen, dass wir von hier verschwinden."
Als die drei ungehindert ins Freie traten war es schon beinahe Dunkel. Die Taverne befand sich auf einer Anhöhe, direkt gegenüber des Berges auf dem die Burg thronte. Sie zeichnete sich als dunkler Schemen vor dem violetten Abendhimmel ab und man konnte deutlich erkennen, wie gut ein halbes Dutzend Drachen dabei war, den Bergfried von oben her abzutragen. Was das sollte, konnte keiner der drei zufriedenstellend erklären. Insros Vermutung, die Drachen könnten den Turm zum Horst ausbauen wirkte da noch am schlüssigsten. Mit einem Mal war die Luft erfüllt von einem dunklen Rauschen. Hrinko reagierte blitzschnell. "In Deckung!"
Die Drei warfen sich hinter ein Stück eingestürzte Mauer und Insro Dauling zog ein in der Nähe liegendes Stück Segeltuch über sich und die anderen, das wohl früher einmal als Sonnenschutz für die Gästeterrasse gedient hatte.
Ein Schatten huschte über die Taverne hinweg, zog einen Bogen und landete keine zwanzig Schritt entfernt auf der von Trümmern übersäten Terrasse. Aus dem Schatten wurde ein Drache. Er war rot wie die übrigen, aber er war etwas kleiner und sein Körperbau ein wenig filigraner. Auffällig war, dass einige seiner Schuppen silbern aufblitzten und die Augen nicht schwefelgelb sondern pupillenlos und hellblau waren. Er faltete sorgsam die Flügel auf den Rücken und schnüffelte mit schief gelegtem Kopf in die Nacht. Man konnte deutlich seinen rasselnden Atem hören. Offenbar konnte er nichts orten, daher stellte er seine Ohrsegel auf und blies eine Ladung weißen Feuers durch den Türbogen ins Innere der Taverne. Daraufhin hob er sich in die Luft und ruderte mit wenigen Flügelschlägen hinüber zur Burg.
Calyr war der erste, der sich wieder aus der Deckung wagte. Er machte einige Schritte zum Feuer und stutzte. "Das Feuer ist ja kalt!"
Hrinko trat zu ihm und sah in die eisblauen Flammen. "Eisfeuer. Es ist nur schwer zu löschen, da es auch ohne Luft brennt. Aber zumindest wissen wir nun, mit wem wir es zu tun haben. Verflucht! Es war zwar ein Gerücht, aber jetzt haben wir den Beweis." Hrinkos Blick wurde ernst und hart. "Dieser Drache eben war kein gewöhnlicher Drache. Er ist das Ergebnis der Verbindung eines Rotdrachens mit einem Eisdrachen. In diesem Bastard fließt das Blut beider Arten. Die Macht seines Blutes vereint die kaltblütige Tötungsgier der Rotdrachen mit der berechnenden Intelligenz der Eisdrachen. Sein Name ist Tost'agir."
Insro war inzwischen ebenfalls zu den beiden heran getreten und starrte ebenfalls bedrückt in die hellen Flammen. "Aber was hat er hier gewittert?"
Calyr beugte sich nach vorne und zog einen Gegenstand aus seinem Stiefel. Als er ihn in die Höhe hielt konnte man ein Amulett aus einem klaren Material erkennen, an dem ein ovaler Stein aus dem gleichen Material baumelte. "Das hier habe ich von einem Eisdrachen erhalten. Ich denke, Tost'agir hat die Magie dieses Schmuckstücks gewittert."
Hrinkos Augen weiteten sich. "Magie?"
Calyr nickte und die drei blickten in den ovalen Stein, der jetzt schwach zu leuchten schien. In seinem Zentrum sahen sie eine Insel inmitten eines Nebelmeers.

Ende des zweiten Teils
Oktober 2003


Weiter zu Teil 3
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:



 
Oben Unten