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moersmaus

Mitglied
Sie fragte sich, wie sie beide wohl auf die anderen Gäste wirken mussten.
Was musste wohl die junge Frau über sie denken, die ihnen gegenüber auf dem roten Sofa saß und gerade hervorschaute. Wir stehen hier, dachte sie, jeder an sein Sektglas geklammert, die anderen Leute beobachtend. Wir stehen hier gemeinsam, jedoch jeder für sich.
Wieso bin ich überhaupt hierher gekommen, fragte er sich. Bloß weil wir zufällig den Hund dieser Frau gerettet haben, sind wir noch lange nicht ihre Freunde. Jeder schien hier mit irgendwem bekannt zu sein. Selbst die Frau auf dem roten Sofa, die allein gekommen war, unterhielt sich nun angeregt mit einem Mann, der sich ohne Aufforderung neben sie gesetzt hatte. Wenn wir hier nicht gemeinsam stünden, würde man sich vielleicht auch mit uns unterhalten. Wir bleiben allein, weil wir zusammen hier sind. Vielleicht liegt es ja auch an ihrem Kleid? Er grinste amüsiert und trank schnell einen Schluck aus seinem Glas, als er ihren Blick spürte.
Sie beobachtete ihn aus den Augenwinkeln. Er lächelte die Frau auf dem Sofa an. Sie lächelte zurück. Ja, die gefiel ihm wohl. War es möglich, dass er diese Frau kannte, dass er sie vielleicht sogar hierher eingeladen hatte, um sich über sie – seine eigene Frau – lustig zu machen? Jetzt kicherte er leise. Wie sie dieses Kichern hasste. Seine Stimme war ihr insgesamt zuwider. Am Anfang war ihr das nicht aufgefallen; nur beim Orgasmus hatte er sich immer schon angehört wie ein Mädchen. Jetzt musste sie kichern. Sie war froh, dass sie das Kleid angezogen hatte. Das hatte er nun davon! Ein Kellner ging vorbei. Sie zwinkerte ihm zu und nahm sich ein weiteres Glas Sekt.
Hatte sie gerade tatsächlich mit dem Kellner geflirtet? Er war fassungslos. Er stand direkt neben ihr und sie wurde rot und benahm sich wie ein Teenager, bloß weil ein attraktiver, junger Angestellter ihr ein neues Getränk brachte. Der Kellner hatte sogar zurück gezwinkert, trotz ihres albernen Kleides. Durch einen kurzen Seitenblick konnte er erkennen, dass ihr Lippenstift verschmiert war. Das passierte ständig. Manchmal klebte er sogar vorn an ihren Zähnen. Das war widerlich. Er konnte Lippenstift sowieso nicht ausstehen. Die Spuren, die er hinterließ – an Gläsern, Servietten, ihren Zähnen, seinem Mund. Sie hatten sich schon lange nicht mehr geküsst. So richtig geküsst. Die Frau auf dem roten Sofa trug auch Lippenstift, aber nur ganz leicht und diskret. Er passte zu ihrer Kleidung. Bei ihr passte überhaupt alles gut zusammen. Sie schaute zu ihm herüber und er lächelte sie an. Sie saß jetzt alleine dort, der Mann war verschwunden.
Jetzt schaute er wieder zum Sofa hinüber; die Frau lächelte ihn an. Was fand sie nur an ihm? Er trug die gleichen Sachen, die er schon gestern getragen hatte. Er war der Einzige hier auf der Party, der es nicht für nötig gehalten hatte, sich anlässlich des Geburtstags der Gastgeberin etwas schicker zu kleiden. Warum war er überhaupt mit gegangen? Aus den Augenwinkeln sah sie eine Bewegung. Er ging auf das rote Sofa zu.
Sie war jetzt entspannt. Ihre neue Nachbarin hatte sie auf diese Party eingeladen, um ein paar Leute aus der Gegend kennen zu lernen. Zunächst war sie durch das große Haus geschlendert und hatte die anderen Gäste beobachtet. Jeder schien hier irgendwen zu kennen. Schließlich war sie auf diesem roten Sofa gelandet. Er hatte sich kurz darauf zu ihr gesellt. Er war der Bruder der Gastgeberin. Sie sprachen über dies und das, bis ihr Blick auf das Pärchen fiel. Sie wirkten völlig deplatziert zwischen den ganzen sprechenden und lachenden Menschen. Der Mann sah aus, als wäre er gerade nach einem Nachmittagsschläfchen vom Sofa aufgestanden; die Kleidung war zerknittert, seine Haare zerzaust. Die Frau trug ein auffallend hässliches Kleid. Sowohl die Farbe als auch der Schnitt waren unvorteilhaft. Und dann dieser Lippenstift! Unter dieser ganzen grellen Fassade konnte man eine attraktive Frau erkennen. Warum tat sie sich so was an? Die beiden redeten nicht miteinander, schauten sich nicht ins Gesicht – beobachteten den anderen aber aus den Augenwinkeln. Vielleicht ist diese ganze Aufmachung nur vorsätzlich inszeniert, schoss es ihr durch den Kopf. Vielleicht möchte der eine den anderen nur herausfordern. Vielleicht ist diese Beziehung am Ende, aber niemand traut sich, die Wahrheit auszusprechen.
Sie erzählte ihrem neuen Bekannten von dieser Theorie und er antwortete ihr mit folgender Geschichte:
„Einen großen Teil meiner Kindheit verbrachte ich bei meinen Großeltern in Italien. Sie hatten in der Nähe von Venedig ein Haus auf dem Land. Die Erinnerung an diese Zeit ist geprägt von Sonne, Tage am See, dem Essen meiner Großmutter – meiner Nonna – und natürlich von meinen Großeltern selbst.
Beide waren anständige, gläubige Menschen, sie hatten ein großes Herz, besonders für uns Kinder. Ich habe sie niemals streiten sehen, jeder hatte seine Aufgaben im und ums Haus, beide sangen gerne und viel – ich weiß, glückliche Italiener die im Sonnenschein singen, totales Klischee, war aber so. Es war eine gute Zeit und beide schienen glücklich zu sein.
Eines Morgens ging ich wie immer runter in die Küche und den angrenzenden Garten auf der Suche nach meiner Nonna – aber sie war nicht mehr da. Sie hatte ein paar Sachen gepackt, etwas Geld genommen und war verschwunden. Keiner aus der Familie, wirklich niemand, hat jemals wieder etwas von ihr gesehen und gehört. Ich kann mich auch nicht mehr daran erinnern, in welcher Situation ich sie zuletzt gesehen oder gesprochen hatte – bestimmt beim zu Bett gehen, aber es war alles so normal, wie immer eben.“

„Ist das wirklich wahr?“
„Ja! Aber was ich eigentlich damit sagen will ist Folgendes: Du kannst es den Leuten nicht ansehen, du hast keinen Einblick in die Beziehung. Die beiden dort, die so weit voneinander entfernt zu sein scheinen, sind sich im Herzen vielleicht viel näher, als meine Großeltern es jemals waren. Sie haben bloß verlernt, es zu zeigen.“

Er entschuldigte er sich für einen Moment und stand auf.
Sie dachte über das Gehörte nach. Eine traurige Schwere erfasste sie, während ihr Blick durch den Raum schweifte und wieder auf das einsame Pärchen fiel. Der Mann nickte ihr zu und sie lächelte höflich zurück - und bereute es sofort. Sie schaute schnell weg, konnte aber gut aus den Augenwinkeln erkennen, dass der Mann sich auf das Sofa zu bewegte. Bitte nicht! dachte sie und wollte gerade aufspringen – doch plötzlich war er verschwunden. Verwundert drehte sie den Kopf und sah, dass er am Sofa vorbei und auf die Terrassentür zuging. Sie erschrak heftig, als sie angesprochen wurde und ihr neuer Bekannter ihr ein Glas hinhielt. Gott sei Dank – sie war nicht mehr allein!
Mit zitternden Knien und hochrotem Kopf trat er auf die Terrasse. Jetzt war niemand mehr hier draußen. Er atmete mehrmals tief ein und aus, um sich wieder zu beruhigen. Was hatte er sich nur eingebildet? Wieso reagierte er immer nur? Wieso traf nicht er die Entscheidungen? Was wollte er eigentlich? So stand er eine Weile regungslos und starrte hinüber zum Swimmingpool. Im Mondlicht konnte man erkennen, dass das Wasser fast komplett unter einer Laubschicht verschwunden war. Wie frisch es sich jetzt anfühlen musste! Ohne sich noch mal umzudrehen, machte er sich auf den Weg.
Schnell fuhr ihr Blick über die Gesichter im Raum. Hatte irgendjemand diese Szene beobachtet? Alle schienen weiterhin in irgendein Gespräch vertieft, lachten, einige tanzten sogar. Erleichtert atmete sie aus. Im Badezimmer betrachtete sie ihr Gesicht im Spiegel. Am liebsten würde sie sich diesen fürchterlichen Fummel vom Körper reißen, den billigen Lippenstift damit abwischen und alles zusammen in den Müll werfen. Von hier aus konnte sie die Rückseite ihres Hauses sehen und den Garten, den sie so liebte.
Als ihr Gesicht sauber war verschwand sie durch das Fenster.

Sie trafen einander auf der Veranda.
„So siehst du besser aus“, sagte er.
„Du auch.“
 
R

Rose

Gast
Hallo moersmaus,

eine tolle Geschichte. Geschickt gemacht, die Szenerie aus verschiedenen Blickwinkeln darzustellen ... Habe sie gern gelesen!

Blumige Grüße
Rose
 
Irgendwie eine tolle Geschichte, aber auch sehr verwirrend. Für meinen Verstand waren die Perseptivwechsel zu schnell und ansatzlos und verwirrten mich.
Weniger wäre da vielleicht mehr. Gerade bei den vielen sie und er.

Die ersten Sätze sind sehr w-lastig. Da wäre vielleicht verbesserungsbedarf vorhanden.
 

Retep

Mitglied
Morgen moersmaus,

eine interessante Geschichte hast du geschrieben, in der viel zwischen den Zeilen steht.
Ein Ehepaar befindet sich auf einem Fest, kennt niemanden, ihre Beziehung scheint gesacheitert zu sein.

Die Idee, die Perspektive zu wechseln, passt zum Text, aber ich hatte Schwierigkeiten den verschiedenen Perspektiven zu folgen. Vielleicht solltest du die Wechsel durch getrennte Abschnitte deutlicher machen.

Zum Text:

Was musste wohl die junge Frau über sie denken, die ihnen gegenüber auf dem roten Sofa saß und gerade hervorschaute.
- bei "hervorschaute" musste ich eher denken, dass die Frau unter dem Sofa war.

Er grinste amüsiert und trank schnell einen Schluck aus seinem Glas, als er ihren Blick spürte.
- hier war mir zunächst nicht klar um wessen Blick es sich handelt.

War es möglich, dass er diese Frau kannte, dass er sie vielleicht sogar hierher eingeladen hatte, um sich über sie – seine eigene Frau – lustig zu machen?
- diesen Gedanken kann ich nicht nachvollziehen, warum sollte er nicht wissen, ob er diese Frau eingeladen hat?

Sie wirkten völlig deplatziert zwischen den ganzen sprechenden und lachenden Menschen.
- anders formulieren ?

Unter dieser ganzen grellen Fassade konnte man eine attraktive Frau erkennen.
Sie erzählte ihrem neuen Bekannten von dieser Theorie und er antwortete ihr mit folgender Geschichte:
„Einen großen Teil meiner Kindheit verbrachte ich bei meinen Großeltern in Italien. Sie hatten in der Nähe von Venedig ein Haus auf dem Land. Die Erinnerung an diese Zeit ist geprägt von Sonne, Tage am See, dem Essen meiner Großmutter – meiner Nonna – und natürlich von meinen Großeltern selbst.
Beide waren anständige, gläubige Menschen, sie hatten ein großes Herz, besonders für uns Kinder. Ich habe sie niemals streiten sehen, jeder hatte seine Aufgaben im und ums Haus, beide sangen gerne und viel – ich weiß, glückliche Italiener die im Sonnenschein singen, totales Klischee, war aber so. Es war eine gute Zeit und beide schienen glücklich zu sein.
Eines Morgens ging ich wie immer runter in die Küche und den angrenzenden Garten auf der Suche nach meiner Nonna – aber sie war nicht mehr da. Sie hatte ein paar Sachen gepackt, etwas Geld genommen und war verschwunden. Keiner aus der Familie, wirklich niemand, hat jemals wieder etwas von ihr gesehen und gehört. Ich kann mich auch nicht mehr daran erinnern, in welcher Situation ich sie zuletzt gesehen oder gesprochen hatte – bestimmt beim zu Bett gehen, aber es war alles so normal, wie immer eben.“
„Ist das wirklich wahr?“
„Ja! Aber was ich eigentlich damit sagen will ist Folgendes: Du kannst es den Leuten nicht ansehen, du hast keinen Einblick in die Beziehung. Die beiden dort, die so weit voneinander entfernt zu sein scheinen, sind sich im Herzen vielleicht viel näher, als meine Großeltern es jemals waren. Sie haben bloß verlernt, es zu zeigen.“
- diesen Teil würde ich stark kürzen

Als ihr Gesicht sauber war [blue](Komma[/blue])verschwand sie durch das Fenster.
- wer verschwand durchs Fenster?

Ich weiß nicht, ob du mit meinen subjektiven Anmerkungen etwas anfangen kannst.

Gruß

Retep
 

moersmaus

Mitglied
Sie fragte sich, wie sie beide wohl auf die anderen Gäste wirken mussten.
Was musste wohl die junge Frau über sie denken, die ihnen gegenüber auf dem roten Sofa saß und gerade herüberschaute. Wir stehen hier, dachte sie, jeder an sein Sektglas geklammert, die anderen Leute beobachtend. Wir stehen hier gemeinsam, jedoch jeder für sich.

Wieso bin ich überhaupt hierher gekommen, fragte er sich. Bloß weil wir zufällig den Hund dieser Frau gerettet haben, sind wir noch lange nicht ihre Freunde. Jeder schien hier mit irgendwem bekannt zu sein. Selbst die Frau auf dem roten Sofa, die allein gekommen war, unterhielt sich nun angeregt mit einem Mann, der sich ohne Aufforderung neben sie gesetzt hatte. Wenn wir hier nicht gemeinsam stünden, würde man sich vielleicht auch mit uns unterhalten. Wir bleiben allein, weil wir zusammen hier sind. Vielleicht liegt es ja auch an ihrem Kleid? Er grinste amüsiert und trank schnell einen Schluck aus seinem Glas, als er ihren Blick spürte.

Sie beobachtete ihn aus den Augenwinkeln. Er lächelte die Frau auf dem Sofa an. Sie lächelte zurück. Ja, die gefiel ihm wohl. War es möglich, dass er diese Frau kannte, dass er sie vielleicht sogar hierher eingeladen hatte, um sich über sie – seine eigene Frau – lustig zu machen? Jetzt kicherte er leise. Wie sie dieses Kichern hasste. Seine Stimme war ihr insgesamt zuwider. Am Anfang war ihr das nicht aufgefallen; nur beim Orgasmus hatte er sich immer schon angehört wie ein Mädchen. Jetzt musste sie kichern. Sie war froh, dass sie das Kleid angezogen hatte. Das hatte er nun davon! Ein Kellner ging vorbei. Sie zwinkerte ihm zu und nahm sich ein weiteres Glas Sekt.

Hatte sie gerade tatsächlich mit dem Kellner geflirtet? Er war fassungslos. Er stand direkt neben ihr und sie wurde rot und benahm sich wie ein Teenager, bloß weil ein attraktiver, junger Angestellter ihr ein neues Getränk brachte. Der Kellner hatte sogar zurück gezwinkert, trotz ihres albernen Kleides. Durch einen kurzen Seitenblick konnte er erkennen, dass ihr Lippenstift verschmiert war. Das passierte ständig. Manchmal klebte er sogar vorn an ihren Zähnen. Das war widerlich. Er konnte Lippenstift sowieso nicht ausstehen. Die Spuren, die er hinterließ – an Gläsern, Servietten, ihren Zähnen, seinem Mund. Sie hatten sich schon lange nicht mehr geküsst. So richtig geküsst. Die Frau auf dem roten Sofa trug auch Lippenstift, aber nur ganz leicht und diskret. Er passte zu ihrer Kleidung. Bei ihr passte überhaupt alles gut zusammen. Sie schaute zu ihm herüber und er lächelte sie an. Sie saß jetzt alleine dort, der Mann war verschwunden.

Jetzt sah er wieder zum Sofa hinüber; die Frau lächelte ihn an. Was fand sie nur an ihm? Er trug die gleichen Sachen, die er schon gestern getragen hatte. Er war der Einzige hier auf der Party, der es nicht für nötig gehalten hatte, sich anlässlich des Geburtstags der Gastgeberin etwas schicker zu kleiden. Warum war er überhaupt mit gegangen? Aus den Augenwinkeln sah sie eine Bewegung. Er ging auf das rote Sofa zu.

Sie war jetzt entspannt. Ihre neue Nachbarin hatte sie auf diese Party eingeladen, um ein paar Leute aus der Gegend kennen zu lernen. Zunächst war sie durch das große Haus geschlendert und hatte die anderen Gäste beobachtet. Jeder schien hier irgendwen zu kennen. Schließlich war sie auf diesem roten Sofa gelandet. Er hatte sich kurz darauf zu ihr gesellt. Er war der Bruder der Gastgeberin. Sie sprachen über dies und das, bis ihr Blick auf das Pärchen fiel. Sie wirkten völlig deplatziert zwischen den vielen sprechenden und lachenden Menschen. Der Mann sah aus, als wäre er gerade nach einem Nachmittagsschläfchen vom Sofa aufgestanden; die Kleidung war zerknittert, seine Haare zerzaust. Die Frau trug ein auffallend hässliches Kleid. Sowohl die Farbe als auch der Schnitt waren unvorteilhaft. Und dann dieser Lippenstift! Unter dieser grellen Fassade konnte man eine attraktive Frau erkennen. Warum tat sie sich so was an? Die beiden redeten nicht miteinander, schauten sich nicht ins Gesicht – beobachteten den anderen aber aus den Augenwinkeln. Vielleicht ist diese ganze Aufmachung nur vorsätzlich inszeniert, schoss es ihr durch den Kopf. Vielleicht möchte der eine den anderen nur herausfordern. Vielleicht ist diese Beziehung am Ende, aber niemand traut sich, die Wahrheit auszusprechen.
Sie erzählte ihrem neuen Bekannten von dieser Theorie und er antwortete ihr mit folgender Geschichte:
„Einen großen Teil meiner Kindheit verbrachte ich bei meinen Großeltern in Italien. Sie hatten in der Nähe von Venedig ein Haus auf dem Land. Die Erinnerung an diese Zeit ist geprägt von Sonne, Tage am See, dem Essen meiner Großmutter – meiner Nonna – und natürlich von meinen Großeltern selbst.
Beide waren anständige, gläubige Menschen, sie hatten ein großes Herz, besonders für uns Kinder. Ich habe sie niemals streiten sehen, jeder hatte seine Aufgaben im und ums Haus, beide sangen gerne und viel – beide schienen glücklich zu sein.
Eines Morgens ging ich wie immer runter in die Küche und den angrenzenden Garten auf der Suche nach meiner Nonna – aber sie war nicht mehr da. Sie hatte ein paar Sachen gepackt, etwas Geld genommen und war verschwunden. Keiner aus der Familie, wirklich niemand, hat jemals wieder etwas von ihr gesehen und gehört.“

„Ist das wirklich wahr?“
„Ja! Aber was ich eigentlich damit sagen will ist Folgendes: Du kannst es den Leuten nicht ansehen, du hast keinen Einblick in die Beziehung. Die beiden dort, die so weit voneinander entfernt zu sein scheinen, sind sich im Herzen vielleicht viel näher, als meine Großeltern es jemals waren. Sie haben bloß verlernt, es zu zeigen.“

Er entschuldigte er sich für einen Moment und stand auf.
Sie dachte über das Gehörte nach. Eine traurige Schwere erfasste sie, während ihr Blick durch den Raum schweifte und wieder auf das einsame Pärchen fiel. Der Mann nickte ihr zu und sie lächelte höflich zurück - und bereute es sofort. Sie schaute schnell weg, konnte aber gut aus den Augenwinkeln erkennen, dass der Mann sich auf das Sofa zu bewegte. Bitte nicht! dachte sie und wollte gerade aufspringen – doch plötzlich war er verschwunden. Verwundert drehte sie den Kopf und sah, dass er am Sofa vorbei und auf die Terrassentür zuging. Sie erschrak heftig, als sie angesprochen wurde und ihr neuer Bekannter ihr ein Glas hinhielt. Gott sei Dank – sie war nicht mehr allein!

Mit zitternden Knien und hochrotem Kopf trat er auf die Terrasse. Jetzt war niemand mehr hier draußen. Er atmete mehrmals tief ein und aus, um sich wieder zu beruhigen. Was hatte er sich nur eingebildet? Wieso reagierte er immer nur? Wieso traf nicht er die Entscheidungen? Was wollte er eigentlich? So stand er eine Weile regungslos und starrte hinüber zum Swimmingpool. Im Mondlicht konnte man erkennen, dass das Wasser fast komplett unter einer Laubschicht verschwunden war. Wie frisch es sich jetzt anfühlen musste! Ohne sich noch mal umzudrehen, machte er sich auf den Weg.

Schnell fuhr ihr Blick über die Gesichter im Raum. Hatte irgendjemand diese Szene beobachtet? Alle schienen weiterhin in irgendein Gespräch vertieft, lachten, einige tanzten sogar. Erleichtert atmete sie aus. Im Badezimmer betrachtete sie ihr Gesicht im Spiegel. Am liebsten würde sie sich diesen fürchterlichen Fummel vom Körper reißen, den billigen Lippenstift damit abwischen und alles zusammen in den Müll werfen. Von hier aus konnte sie die Rückseite ihres Hauses sehen und den Garten, den sie so liebte.
Als ihr Gesicht sauber war, verschwand sie durch das Fenster.

Sie trafen einander auf der Veranda.
„So siehst du besser aus“, sagte er.
„Du auch.“
 

moersmaus

Mitglied
Danke, Retep, für deine Anmerkungen. :)

Ich weiß, dass diesem Perspektivwechsel nicht so leicht zu folgen ist. Es ist jetzt besser gegliedert.

Die eine Sache will ich erklären: Sie macht sich Gedanken, ob ihr Mann/Partner die Frau auf dem roten Sofa schon länger kennt, eine Affäre hat - es ist eine paranoide Sorge.
Aber wenn es eine Affäre wäre, könnte sie ja nicht wissen, ob ihr Mann die Frau auf dem Sofa gefragt hat, zu kommen. Es ist ihre Sicht, nicht seine.

Trotz der Schwierigkeiten hat es sich beim Schreiben richtig angefühlt... Das war ein gutes Gefühl...

LG,
moersmaus
 
R

Rose

Gast
Hallo moersmaus,

ich hatte mit dem Perspektivwechsel keine Schwierigkeiten ...

Blumige Grüße
Rose
 



 
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