Ansichtssache

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Cäcilie

Mitglied
„Zweiundvierzig“, verkündete ich und erhob mich langsam wieder.
Meine Knie schmerzten, in meinem Kopf wummerte es und ich verspürte das dringende Bedürfnis, mich auf der Stelle in Luft aufzulösen.

Vier Augenpaare starrten mich ungläubig an.
„Bist Du sicher?“ fragte Michael. Ich warf ihm einen bösen Blick zu. „Natürlich bin ich sicher. Du kannst Dich aber gerne selbst überzeugen.“
Hendrik stöhnte leise auf.
Jan lehnte an der Wand und tappte mit den Fingerkuppen auf der Platte des Bistrotisches herum. Immer wieder. „Tadadadapp, Tadadadapp, Tadadadapp“. Ein sicheres Zeichen dafür, daß er kurz vorm Ausflippen war.

Simon saß auf der Sofakante und hatte seinen Kopf in den Händen vergraben. Wie ein Häufchen Elend sah er aus. Dort, wo sein Gesicht nicht von den Händen verdeckt war konnte ich erkennen, daß es sich langsam von kalkweiß zu dunkelrot verfärbte. Ich hätte mich gerne neben ihn gesetzt und ihn in den Arm genommen. Aber ich wußte, wenn ich ihn jetzt berührte, würde er außer sich geraten.

Die Erkenntnis traf uns alle wie ein Donnerschlag. In erster Linie waren natürlich Simon und ich betroffen. Schließlich hatten wir eine Menge Geld investiert.
Aber auch für Hendrik und Jan war es hart. Beide hatten viel Zeit aufgewendet.

Hendrik war der Künstler unter uns. Und so reagierte er auch. Er sagte erst einmal nichts, zog sich zurück und schien still vor sich hin zu leiden.

Jan war eher fürs Grobe zuständig. Er konnte richtig malochen, stundenlang. Das tat er auch gerne, wenn das Ergebnis letztendlich stimmte. Jetzt war er im höchsten Maße grantig.

Der Einzige der nicht wirklich betroffen war, war Michael.
Er war zufällig vorbeigekommen, als wir schon fast fertig waren. So wurde er Zeuge des letzten Aktes, der eigentlich krönender Abschluß unseres arbeitsreichen Tages hätte sein sollen.

Und dann diese böse Überraschung. Nach der großen Euphorie die erste blasse Ahnung, daß etwas nicht stimmen könnte. Danach die Gewissheit: Etwas war gründlich daneben gegangen.

Ich war furchtbar enttäuscht. Im Raum lastete Schweigen, unausgesprochene Vorwürfe hingen in der Luft. Und das permanente „Tadadadapp, Tadadadapp, Tadadadapp“ von Jan machte mich völlig verrückt. Am liebsten hätte ich ihn angebrüllt „Hör auf, verdammt!“ Aber ich verkniff es mir.

Simon ließ seine Hände sinken. Er wandte sich Hendrik zu. „Sag mal, gibt es irgendeine Möglichkeit...“
„Vergiß es!“ fauchte Jan. „Wie stellst du dir das vor? Das Teil ist fertig, kompletto, verstehst du? Hat ja auch lange genug gedauert. Scheiße!“ Er stieß sich von der Wand ab und begann im Zimmer auf und ab zu wandern. Das war noch schlimmer als das „Tadadadapp, Tadadadapp, Tadadadapp“.

Simon schickte erneut einen hoffnungsvollen Blick zu Hendrik. Aber Hendrik schüttelte langsam den Kopf. „Das ist wirklich nicht so einfach“ sagte er.

Mir war zum heulen zumute. Aber ich wollte versuchen, die Stimmung ein bißchen auf Normalmaß zu bringen, sofern das überhaupt möglich war.
“Leute, wir können im Moment nichts daran ändern, oder? Wollen wir vielleicht erst mal ein Bierchen trinken? Ich finde wir haben eine Pause verdient.“

Jan blaffte mich zornig an:
„Wie kannst Du jetzt an ein Kaffeekränzchen denken? Mich interessiert kein Scheiß-Bier! Ich möchte wissen, welchem Idioten wir diesen Mist zu verdanken haben.“

Jetzt reichte es mir.
„Weißt du was, Jan? Ich glaube wir sind im Moment alle sauer. Aber das bringt uns kein Stück weiter. Und außerdem: Leben müssen schließlich Simon und ich damit – nicht du. Also hör jetzt bitte auf, so auszuflippen.“

„Sie hat recht“, sagte Michael.

„Sie hat recht, sie hat recht“, äffte Jan ihn nach. „Das sagst du so. Du hattest schließlich mit der ganzen Sache nichts zu tun. Du hast nicht wochenlang deinen Feierabend geopfert für die Phantasien unseres Traumpärchens hier, und jetzt guck dir die Scheiße doch an. Da soll man nicht sauer sein?“

Ich war erbost. Natürlich hatte Jan viel Zeit investiert in unsere Idee. Aber jetzt tat er gerade so als wäre es ein reiner Freundschaftsdienst gewesen, der ihn jetzt dazu berechtigte auf uns herumzuhacken, nur weil irgendetwas schief gegangen war. Das war nicht fair. Wir hatten Hendrik und Jan schließlich gut bezahlt, und außerdem hatte es ihnen auch Spaß gemacht.

Hendrik mußte meine Gedanken erraten haben.
„Nun mach mal halblang, Jan“ brummte er. „Wenn ich mich recht entsinne warst du ganz froh über diesen Zusatzauftrag. Du konntest das Geld gebrauchen, oder irre ich mich?“

Ich hatte keine Lust mehr, mir das weiter anzuhören. Sollten sie sich doch alle zerfetzen.
Ich würde jedenfalls erst mal ein Bier trinken. Das würde nichts ändern, aber vielleicht half es, meine Nerven ein wenig zu beruhigen.

Auf dem Weg in die Küche stolperte ich über das im Flur herumliegende Telefonkabel. Gerade noch rechtzeitig konnte ich mich an der Kommode festhalten und ersparte meinem ohnehin schon ziemlich strapazierten Körper damit weitere Blessuren.
Nicht noch ein Unglück heute. Bitte nicht.

Ich wankte in die Küche, ließ mich schwer auf einen Stuhl fallen und langte in die unter dem Tisch stehende Bierkiste, um mir eine Flasche herauszuziehen.
Warm. Es war natürlich warm. Der Kühlschrank stand schon an Ort und Stelle, war aber leider noch nicht in Betrieb.

Während ich langsam trank, drangen die immer lauter werdenden Stimmen aus dem Wohnzimmer in meine Ohren. Dann hörte ich, wie die Wohnungstür geöffnet und anschließend wieder zugeknallt wurde.

Simon kam in die Küche. Er zog die Tür hinter sich zu und sah mich an. Besonders glücklich wirkte er nicht. „Sie sind weg.“

Ich schob ihm ein warmes Bier rüber.
„Haben wir es nicht gut, Simon? Wir haben den schönsten Schrank der Welt.“
Ich grinste schwach, aber ein paar Tränen liefen mir übers Gesicht.
„Oh ja“, antwortete Simon. „Wir haben den schönsten Schrank der Welt. Selbst entworfen. Maßgetischlert. Richtig viel Geld hat er uns gekostet.“
Ich nahm einen weiteren Schluck aus der Flasche. „Und unsere Freunde hatten richtig viel Arbeit damit.“
Simon nickte. „Sehr viel Arbeit, ja. Und er ist wirklich toll geworden. Aber er ist zweiundvierzig Millimeter zu breit für die längste Wand unserer Wohnung.“
„Naja.“ Ich zuckte mit den Schultern. „Oder die längste Wand unserer Wohnung ist einfach zweiundvierzig Millimeter zu kurz für unseren Schrank.“
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
oh,

was für ein malheur! da kann man nur hoffen, dass die freundschaft nicht daran zerbricht . . .
sehr schön und spannend erzählt.
ganz lieb grüßt
 

Rainer

Mitglied
hallo cäcilie,

eigentlich ist an deiner geschichte alles ok, teilweise sogar ausgezeichnet...
...bis auf die logik.
irgendwo am ende deines textes taucht das wort maßgetischlert auf. auf welches maß denn? auf das falsche scheinbar. wie es dazu gekommen ist, darüber läßt du deine leser im unklaren.

von r. dahl (?) gibt es eine geschichte über einen angeblich antiken schrank (oder war es ein schreibtisch?). am ende stellt sich heraus, daß das gute stück erst in der werkstatt des händlers aus anderen möbeln zusammengebaut und verleimt wurde. als der kunde das teil abholen will, paßt es durch keine tür. es kann also auch nicht hineingelangt sein.
das ist eine pointe.
bei deiner geschichte kann ich mich nur über die dummheit aller beteiligten amüsieren, was aber sicher nicht deine intention ist.

obwohl der dummspruch von wegen richtig viel geld hingelegt, zum niveau deiner prots passen würde. wenn du darauf hinaus willst, fehlt mir aber noch mindestens ein weiterer hinweis auf deren beschränktheit.


aber, bis auf den schluß wiederhole ich nochmals: eine stellenweise ausgezeichnete, insgesamt sehr gute umsetzung deiner idee. nur leider ist die idee, verzeih`, nicht ganz ausgereift.

grüße

rainer
 
R

Rote Socke

Gast
Hi C.

Ich finde die Geschichte an sich auch prima. Was mir fehlt, ist eine stärkere Dramaturgie, die eine etwas größere Explosion am Ende hervorrufen würde. Also einen größeren Aha-Effekt auslösen würde.

Schöne Grüße
Socke
 



 
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